Beschluss vom 06.11.2008 -
BVerwG 20 F 7.08ECLI:DE:BVerwG:2008:061108B20F7.08.0

Beschluss

BVerwG 20 F 7.08

  • OVG Berlin-Brandenburg - 23.07.2008 - AZ: OVG 95 A 1.08

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 6. November 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Juli 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Weigerung des Beklagten, die begehrten Akten der Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg vorzulegen, rechtmäßig ist.

2 1. Zutreffend hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass es im vorliegenden Fall ausnahmsweise unschädlich ist, dass das Verwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache keinen förmlichen Beschluss erlassen hat, aus dem sich ergibt, dass es die Vorlage der Akten als entscheidungserheblich ansieht, sondern sich auf eine formlose Abgabeverfügung beschränkt hat.

3 Ein Beweisbeschluss oder eine vergleichbare förmliche Äußerung des Hauptsachegerichts zur Klärung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits ist dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind (Beschlüsse vom 27. Februar 2004 - BVerwG 20 F 10.03 -, vom 26. August 2004 - BVerwG 20 F 19.03 - juris, vom 29. März 2006 - BVerwG 20 F 4.05 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 41, vom 4. Mai 2006 - BVerwG 20 F 2.05 <20 PKH 3.05 > - und vom 15. Februar 2008 - BVerwG 20 F 13.07 - juris). Das ist immer der Fall, wenn die Pflicht zur Vorlage der Behördenakten bereits Streitgegenstand des Verfahrens zur Hauptsache ist und die Entscheidung des Verfahrens zur Hauptsache von der - allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden - Frage abhängt, ob die Akten, wie von der Behörde geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind. Entsprechendes gilt, wenn - wie im vorliegenden Fall - um die Löschung geheim gehaltener Angaben in den Akten der Verfassungsschutzbehörde gestritten wird.

4 2. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des betroffenen Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <127 f.>; BVerwG, Beschluss vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 und vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris).

5 Gemäß § 1 Abs. 1 BbgVerfSchG ist es Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde des Landes, Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder abzuwehren. Dazu gehört es, diese Gefahren durch Sammlung und Auswertung von Informationen gemäß § 3 Abs. 1 BbgVerfSchG frühzeitig zu erkennen, um deren Abwehr durch die zuständigen Stellen zu ermöglichen. Dieses Ziel rechtfertigt die Geheimhaltung gewonnener verfassungsschutzdienstlicher Informationen und Informationsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung (Beschluss vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - a.a.O.).

6 3. Grundsätzlich setzt die Entscheidung über die Verweigerung der Aktenvorlage (Sperrerklärung) bei Geheimhaltungsbedarf eine Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO voraus. Der Fachsenat und damit auch das Beschwerdegericht haben insoweit nur zu überprüfen, ob die Entscheidung den an die Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gestellten Anforderungen genügt.

7 Durch die Ermessenseinräumung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wird der obersten Aufsichtsbehörde die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben (Beschlüsse vom 19. August 1964 - BVerwG 6 B 15.62 - BVerwGE 19, 179 <186>, vom 15. August 2003 - BVerwG 20 F 8.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 34, vom 13. Juni 2006 - BVerwG 20 F 5.05 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 42 und vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris). § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO regelt die Auskunftserteilung und Aktenvorlage im Verhältnis der mit geheimhaltungsbedürftigen Vorgängen befassten Behörde zum Verwaltungsgericht, das in einem schwebenden Prozess für eine sachgerechte Entscheidung auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist. In diesem Verhältnis stellt das Gesetz die Auskunftserteilung und Aktenvorlage in das Ermessen der Behörde, lässt dieser also die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht (Beschluss vom 13. Juni 2006 a.a.O.).

8 Auch soweit die Aktenvorlage Gegenstand des Rechtsstreits selbst ist, sind die Gründe, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen können, von denjenigen Gründen zu unterscheiden, die im Verfahren der Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden. Diese Gründe können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. Da die Sperrerklärung als Erklärung des Prozessrechts auf die Prozesslage abgestimmt sein muss, in der sie abgegeben wird, genügt es grundsätzlich nicht, in ihr lediglich auf die die Sachentscheidung tragenden Gründe des - je nach Fachgesetz im Einzelnen normierten - Geheimnisschutzes zu verweisen. Die oberste Aufsichtsbehörde ist vielmehr im Rahmen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gefordert, in besonderer Weise in den Blick zu nehmen, welche rechtsschutzverkürzende Wirkung die Verweigerung der Aktenvorlage im Prozess für den Betroffenen haben kann. Darin liegt die Besonderheit ihrer Ermessensausübung nach dieser Verfahrensbestimmung. Dementsprechend ist der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt, in denen das Fachgesetz der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt (Beschlüsse vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris Rn. 5 und vom 21. Februar 2008 - BVerwG 20 F 2.07 - NVwZ 2008, 554 = DVBl 2008, 655 = DÖV 2008, 510 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen). Maßstab ist dabei neben dem privaten Interesse an effektivem Rechtsschutz und dem - je nach Fallkonstellation - öffentlichen oder privaten Interesse an Geheimnisschutz auch das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung (BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03 - BVerfGE 115, 205 <241>). Die oberste Aufsichtsbehörde muss in ihrer Sperrerklärung in nachvollziehbarer Weise erkennen lassen, dass sie gemessen an diesem Maßstab die Folgen der Verweigerung mit Blick auf den Prozessausgang gewichtet hat.

9 4. Nach diesen Grundsätzen ist die Verweigerung des Beklagten nicht zu beanstanden. Der mit der obersten Aufsichtsbehörde i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO identische Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 26. September 2007 gegenüber dem Verwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache geweigert, den Verwaltungsvorgang vorzulegen.

10 4.1 Soweit der Kläger geltend macht, es bestünden gewichtige Zweifel, ob die Sperrerklärung überhaupt von der zuständigen obersten Aufsichtsbehörde abgegeben worden sei, weil die Erklärung - wie Aktenzeichen und der namentlich aufgeführte Bearbeiter belegten - von der Verfassungsschutzbehörde stamme, wird nicht beachtet, dass § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO lediglich fordert, dass „die“ oberste Aufsichtsbehörde, also das zuständige Bundes- oder Landesministerium über die Verweigerung entscheidet. Der Zweck der besonderen Zuständigkeitsregelung in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO, Missbräuche bei der Geheimhaltung von Akten nach Möglichkeit auszuschalten und der Erklärung eine besondere Autorität zu verleihen, ist bereits durch den Rang der Behörde gewährleistet, für die der Minister als deren Leiter eine besondere politische Verantwortung trägt. Im vorliegenden Fall hat das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg durch seinen Staatssekretär die Sperrerklärung abgegeben; dieser zeichnet damit in rechtlicher Hinsicht verantwortlich für die Erklärung. Wer nach den organisationsinternen Regelungen als sogenannter Entwurfsverfasser die Entscheidung vorbereitet hat, ist dagegen unerheblich. Es handelt sich insofern nicht um eine Erklärung der Verfassungsschutzbehörde. Im Übrigen ist es selbst unter Berücksichtigung eines etwaigen Interessenkonflikts nicht geboten, dass stets der Minister persönlich oder sein Vertreter die Erklärung abgibt. Sie kann auch durch den Prozesssachbearbeiter oder einen anderen Referenten des Ministeriums erfolgen (Beschluss vom 1. Februar 1996 - BVerwG 1 B 37.95 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 24).

11 4.2 Die Sperrerklärung genügt den Anforderungen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

12 Soweit der Kläger einwendet, die in der Sperrerklärung vom 26. September 2007 dargelegten Gründe des Geheimhaltungsinteresses i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO seien zu unbestimmt (Beschwerdebegründung S. 4) und im Zusammenhang mit Einwänden gegen die Ermessensausübung eine mangelnde Differenzierung zwischen unterschiedlichen Akteninhalten rügt (Beschwerdebegründung S. 5 f.), ist ihm zuzugeben, dass die Ausführungen - wie auch das Oberverwaltungsgericht angemerkt hat (BA S. 3) - sehr allgemein gehalten sind. Auch hat es der Beklagte versäumt, die Aktenstücke (Deckblätter und Anlagen) mit Blattzahlen zu präzisieren und formale Merkmale anzuführen (vgl. dazu Beschluss vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - a.a.O.), um anhand dieser Kriterien die Geheimhaltungsbedürftigkeit des (gesamten) Aktenstücks zu begründen. Auf das Schreiben des Beklagten vom 7. Februar 2008 kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, weil dieses Schreiben keine verwertbare Sperrerklärung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO darstellt (dazu sogleich unter 4.3). Die Sperrerklärung vom 26. September 2007 bezieht sich aber erkennbar auf den konkreten Einzelfall. Dies machen die Ausführungen deutlich, dass der Kläger anlässlich einer Demonstration von den eingesetzten Polizeikräften als vermummt festgestellt worden sei und angenommen werde, dass er aus dem Block der militanten linksextremistischen Demonstrationsteilnehmer stamme. Zudem enthält die Sperrerklärung zusammenfassend inhaltliche Erläuterungen zur Bedeutung der gesammelten Erkenntnisse und der Notwendigkeit des Quellenschutzes.

13 Die Durchsicht der Aktenstücke belegt die Geheimhaltungsgründe. Die Feststellung des Fachsenats, dass die Aktenstücke geheimhaltungsbedürftig sind, ist nicht zu beanstanden. Der Senat hat die von dem Beklagten vorgelegten, uneingeschränkt lesbaren Aktenstücke im Einzelnen durchgesehen. Unter Berücksichtigung der Verpflichtung zur Geheimhaltung gemäß § 99 Abs. 2 Satz 10 Halbs. 2 VwGO einerseits und der Pflicht zur Begründung gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 VwGO andererseits ist festzuhalten, dass die gesperrte Akte in ihrer Gesamtheit gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig ist. Bei den gesperrten Aktenstücken handelt es sich um als vertraulich eingestufte Verschlusssachen, die jeweils neben Sachverhaltsschilderungen der Quelle auf sogenannten Deckblättern zahlreiche Aktenzeichen, Organisationskennzeichen, Verfügungen, Randbemerkungen, Unterstreichungen und namentliche Hinweise enthalten. Zu Recht hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts auch festgestellt, dass eine teilweise Schwärzung der Aktenstücke nicht in Betracht kommt. Die Überprüfung durch den Senat hat keine Beanstandungen ergeben.

14 Soweit der Kläger rügt, der Fachsenat benenne in der angefochtenen Entscheidung nur „eine“ Quelle, während in der Sperrerklärung auf „Quellen“ verwiesen werde (Beschwerdebegründung S. 4), scheint er die Ausführungen des Fachsenats misszuverstehen: Der Fachsenat nimmt Bezug auf Sachverhaltsschilderungen auf sogenannten Deckblättern (BA S. 4) - im Plural -, bezieht sich also erkennbar auf mehrere Begebenheiten, woraus ohne Weiteres folgt, dass mit „der“ Quelle nicht zwingend nur „eine“ Person als Quelle gemeint ist. Soweit der Kläger vorträgt, aus der Sperrerklärung ergebe sich, dass beim Beklagten Aktenstücke vorhanden seien, die nicht der Geheimhaltung unterlägen (Beschwerdebegründung S. 4), ist anzumerken, dass der Fachsenat und damit auch das Beschwerdegericht nur über die Verweigerung der Vorlage der Aktenstücke zu entscheiden haben, die im Rahmen des „in-camera“-Verfahrens vorgelegt worden sind. Ob und gegebenenfalls welche Akten, die nicht Gegenstand des Zwischenverfahrens sind, gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorzulegen sind, entscheidet das Gericht der Hauptsache.

15 Wie sich weiter aus der Sperrerklärung vom 26. September 2007 ergibt, hat der Beklagte in seiner Eigenschaft als oberste Aufsichtsbehörde auch das ihm durch § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eröffnete Ermessen erkannt und geprüft, ob überwiegende Interessen an der unbeschränkten Offenlegung der Aktenstücke trotz ihres geheimen Inhalts gegeben sind. Auch diese Ausführungen sind zwar sehr allgemein gehalten. Die Behörde hat sich aber nicht darauf beschränkt, die Gründe die Verweigerung aufzuzeigen, sondern hat das festgestellte Geheimhaltungsinteresse sowohl gegen das öffentliche Interesse an der von Amts wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung durch das Hauptsachegericht als auch gegen das private Interesse des Klägers an der Durchsetzung seines Löschungsanspruchs abgewogen. Zwar könnte die Formulierung, dass aufgrund des „Vorliegens der hier niedergelegten Erwägungen ... die Ermessensentscheidung ... nicht anders ausfallen“ kann, zunächst die Annahme nahelegen, die Behörde habe sich bei ihren Ermessenserwägungen „gebunden“ gefühlt und auf eine Ermessensentscheidung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO - wie auch der Kläger rügt (Beschwerdebegründung S. 5 bis 8) - verzichtet. Mit dem Hinweis auf das Informations- und Rehabilitationsinteresse des Klägers, das die Behörde mit Blick auf das zeitliche Moment der Aktualität unter Hinweis auf das letzte „Speicherdatum“ in Bezug setzt zur konkreten Prozesssituation, werden jedoch Punkte aufgezeigt, die die Ermessenserwägungen tragen. Diese Ausführungen sind zwar sehr kurz gehalten, genügen aber (noch) den Anforderungen an eine Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Dass sich die Behörde bei dem zeitlichen Faktor möglicherweise (auch) an dem Regellöschungstermin orientiert hat, den sie ausweislich des im Hauptsacheverfahren angefochtenen Bescheids vom 2. August 2006 auf den 1. Oktober 2008 datiert hat, ändert nichts daran, dass sie anlässlich der Abgabe der Sperrerklärung erkannt hat, dass ihr ein auf die spezifische Prozessrechtssituation ausgerichtetes Ermessen zusteht und dass sie dieses Ermessen auch ausgeübt hat. Dass dieser Termin zwischenzeitlich verstrichen ist und daher die Daten gesperrt wurden, ist für das Zwischenverfahren mangels vollzogener Löschung und damit Abschluss des Hauptsacheverfahrens ohne Belang.

16 4.3 Die Erwägungen in der Sperrerklärung vom 26. September 2007 hat der Beklagte mit Schreiben vom 7. Februar 2008, das als Anschreiben an den Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts den vorzulegenden Akten beigefügt war, erläutert und vertieft. Dieses Schreiben hat der Beklagte als geheimhaltungsbedürftig eingestuft und der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat das Schreiben daher nicht als Bestandteil der Gerichtsakte behandelt, sondern als amtlich geheim zu haltende Verschlusssache der vertraulichen Beiakte zugeordnet, so dass der Kläger - wie er auch rügt (Beschwerdebegründung S. 3) - das Schreiben weder als Prozesspartei zur Kenntnis erhalten hat noch im Wege der Akteneinsicht gemäß § 100 Abs. 1 VwGO Kenntnis davon hätte erlangen können. Gleichwohl hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt.

17 Allerdings hat der Kläger als Beteiligter unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs auch im Zwischenverfahren einen Anspruch darauf, sich zu jeder dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten schriftlichen Stellungnahme der Gegenseite zu äußern. Davon sieht § 99 Abs. 2 VwGO keine Ausnahme vor. Einer Behörde steht es nicht zu, durch Erklärung, dass ein an das Gericht gerichteter Schriftsatz als Verschlusssache einzustufen sei, die dem Gericht in Ausübung seiner Rechtsprechungsgewalt zustehende Verfügungsbefugnis über den Schriftsatz zu verkürzen. Denn das Recht und die Pflicht des Gerichts, den Beteiligten nach dem auch im „in-camera“-Verfahren geltenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs alle prozessrelevanten Äußerungen im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens zur Kenntnis zu geben, steht nicht zur Disposition der Behörde. Eine Einschränkung des rechtlichen Gehörs bei der Ausgestaltung des „in-camera“-Verfahrens ist auch nicht erforderlich, um den Geheimnisschutz zu sichern. Ebenso wie die Entscheidungsgründe des Fachsenats Art und Inhalt der geheim gehaltenen Urkunden oder Akten nicht erkennen lassen dürfen, kann die über die Aktenvorlage entscheidende Behörde ihre Äußerungen gegenüber dem Gericht so abfassen, dass der von ihr begehrte Geheimnisschutz auch dann gewahrt bleibt, wenn der Schriftsatz prozessordnungsgemäß dem Gegner zugestellt wird. Das Schreiben des Beklagten vom 7. Februar 2008 hätte daher vom Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts an den Beklagten zurückgegeben werden müssen (vgl. Beschluss vom 17. November 2003 - BVerwG 20 F 16.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 35).

18 Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat jedoch das Schreiben vom 7. Februar 2008 nicht unter Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör verwertet. Denn er hat bei der Überprüfung der Ermessensausübung nur auf die Sperrerklärung vom 26. September 2007 abgestellt und das Schreiben des Beklagten vom 7. Februar 2008 insoweit als unbeachtlich angesehen. Soweit der Fachsenat den Inhalt des Schreibens vom 7. Februar 2008 - bei der Prüfung der Geheimhaltungsgründe - wiedergibt und daran anschließend feststellt, er habe sich von der Richtigkeit dieser Einschätzungen aufgrund eigener Durchsicht der vorgelegten Akten überzeugt (BA S. 3), ist ihm ebenfalls keine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör unterlaufen. Denn der von ihm in diesem Zusammenhang hervorgehobene Umstand, dass die zurückgehaltenen Akten Veranstaltungen der linksextremistischen Szene beschreiben, an denen der Kläger teilgenommen hat, war dem Kläger schon aufgrund des Vortrags des Beklagten im Hauptsacheverfahren und des Inhalts der Sperrerklärung bekannt, so dass er zur Bedeutung dieses Umstands für die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten Stellung nehmen konnte. Zu der vom Fachsenat an derselben Stelle angesprochenen Frage nach der Möglichkeit einer teilweisen Offenbarung des Akteninhalts hatte der Kläger bereits von sich aus Stellung genommen.

19 Da das Schreiben vom 7. Februar 2008 im Zwischenverfahren nicht verwertbar ist, war auch dem in der Beschwerdebegründung vom 17. Oktober 2008 enthaltenen Antrag des Klägers auf Mitteilung des Schreibens und Einräumung der Gelegenheit der Stellungnahme nicht zu entsprechen.

20 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.