Verfahrensinformation

Die klagenden Jugendlichen stammen aus dem Kosovo bzw. Mazedonien. Dort leben jeweils auch die Mütter. In allen drei Verfahren beantragten die Kläger vor Vollendung ihres 16. Lebensjahres die Erteilung eines Visums zum Zweck des Familiennachzugs zu ihrem jeweiligen im Bundesgebiet lebenden Vater. Die Beklagte lehnte die Anträge ab, da der Kindernachzug sich mangels einer vollständigen Sorgerechtsübertragung auf den jeweiligen Vater nicht nach § 32 Abs. 3 AufenthG richte, sondern darüber nach Ermessen zu entscheiden sei; dieses Ermessen werde unter Berücksichtigung des Kindeswohls zulasten der Kläger ausgeübt.


Das Berufungsgericht hat den Klägern einen Anspruch zugesprochen. Dabei hat es offen gelassen, ob die nach dem Recht des Herkunftsstaates der Kinder erfolgten Sorgerechtsentscheidungen zugunsten der Väter diese zu allein personensorgeberechtigten Elternteilen im Sinne von § 1631 BGB machten. Die Kläger hätten nämlich auch bei Verneinung eines alleinigen Sorgerechts des jeweiligen Vaters in entsprechender Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG einen Anspruch auf Familiennachzug. Dafür sei ausreichend, dass den Vätern das Sorgerecht im nach dem Recht des Herkunftsstaates größtmöglichen Umfang übertragen worden sei. Der Gesetzgeber habe nicht bedacht, dass ansonsten sämtliche Kinder eines Staates, der eine vollständige Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil nicht kenne, von einem Anspruch auf Kindernachzug ausgeschlossen wären. Diese Regelungslücke sei durch analoge Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG zu schließen.


Dagegen wendet sich in allen drei Verfahren die Beklagte mit ihren Revisionen. Im Verfahren 1 C 17.08 rügt sie außerdem, dass das Berufungsgericht bei der Frage, ob der Lebensunterhalt gesichert ist, die Unterhaltspflicht des Vaters des Klägers gegenüber seinen anderen im Herkunftsland lebenden Kindern nicht berücksichtigt habe.


Pressemitteilung Nr. 21/2009 vom 07.04.2009

Kein Rechtsanspruch auf Kindernachzug zu einem Elternteil bei geteiltem Sorgerecht

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute in drei Parallelverfahren darüber entschieden, unter welchen Voraussetzungen ein Kind nach Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG des Rates der Europäischen Union (sog. Familienzusammenführungsrichtlinie) nach Deutschland nachziehen kann, wenn nur ein Elternteil hier lebt.


Die Familien der Kläger stammen aus dem Kosovo bzw. Mazedonien, wo die drei Mütter weiterhin leben. Die Väter der Kläger kamen jeweils nach Heirat einer deutschen Ehefrau allein nach Deutschland und erhielten hier ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Vor Vollendung ihres 16. Lebensjahrs beantragten die Kläger die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu ihrem Vater und legten Urkunden ihres Herkunftsstaates vor, nach denen nunmehr dem Vater die Obhut und Erziehung der Kinder obliege. Die deutschen Auslandsvertretungen lehnten die Anträge ab. Mangels vollständiger Sorgerechtsübertragung auf den Vater nach kosovarischem bzw. mazedonischem Recht bestehe kein Rechtsanspruch auf Kindernachzug gemäß § 32 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Das Kindeswohl erfordere auch keinen Nachzug im Ermessenswege. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die beklagte Bundesrepublik Deutschland dagegen zur Erteilung der beantragten Visa verpflichtet. Dabei hat es offen gelassen, ob dem Vater nach dem Familienrecht des Herkunftsstaates der Kläger das alleinige Sorgerecht zusteht und damit nach § 32 Abs. 3 AufenthG ein Rechtsanspruch besteht. Die Kläger hätten jedenfalls in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift einen Anspruch auf Kindernachzug. Dafür sei ausreichend, dass dem in Deutschland lebenden Elternteil das Sorgerecht nach dem Recht des Herkunftsstaates des Kindes im größtmöglichen Umfang übertragen worden sei.


Dieser Auffassung hat sich der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts nicht angeschlossen. Auf die Revision der Beklagten hat er die Verfahren zur weiteren Aufklärung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Bei getrennt lebenden Eltern besteht ein Nachzugsanspruch nach § 32 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Familienzusammenführungsrichtlinie nur, wenn allein der in Deutschland lebende Elternteil sorgeberechtigt ist. Dagegen scheidet ein Rechtsanspruch aus, wenn dem anderen Elternteil bei der Ausübung des Sorgerechts weiterhin substantielle Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes. Hiervon ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hinsichtlich des kosovarischen Familienrechts auszugehen; bezüglich Mazedoniens besteht insoweit noch tatsächlicher Klärungsbedarf. Für eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG auf Fälle, in denen das ausländische Recht eine vollständige Übertragung der Personensorge auf einen Elternteil nicht kennt, fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Problematik ist dem Gesetzgeber spätestens bei der Novellierung des Aufenthaltsgesetzes im Jahre 2007 bekannt gewesen. Er hat jedoch wegen der bestehenden Möglichkeit, in Härtefällen einen Nachzug im Ermessenswege zu gestatten (§ 32 Abs. 4 AufenthG), keinen Handlungsbedarf gesehen.


Ob die Auslandsvertretungen von ihrem Ermessen fehlerfreien Gebrauch gemacht haben, hat das Berufungsgericht noch nicht geprüft. Dies kann ohne weitere tatrichterliche Aufklärung, insbesondere zur Betreuungssituation der Kläger im Heimatland und ihren familiären Bindungen, nicht beurteilt werden. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das Berufungsgericht prüfen müssen, ob die Beklagte ihr Ermessen nach der Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt, der auch für die gerichtliche Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen maßgeblich ist, fehlerfrei ausgeübt hat. Der 1. Senat hält insoweit an seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach bei Klagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels für die Kontrolle des behördlichen Ermessens auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen war, nicht mehr fest. Die Beklagte wird deshalb in dem weiteren gerichtlichen Verfahren ihre Ermessenserwägungen an etwaige Veränderungen der Sachlage anpassen müssen. Das Berufungsgericht wird auch zu prüfen haben, ob der Lebensunterhalt der Kläger im Bundesgebiet voraussichtlich ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert wäre. Bei dieser Prognose sind vom Einkommen des Vaters Unterhaltszahlungen an weitere Kinder abzuziehen.


BVerwG 1 C 17.08 - Urteil vom 07.04.2009

BVerwG 1 C 28.08 - Urteil vom 07.04.2009

BVerwG 1 C 29.08 - Urteil vom 07.04.2009


Urteil vom 07.04.2009 -
BVerwG 1 C 29.08ECLI:DE:BVerwG:2009:070409U1C29.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 07.04.2009 - 1 C 29.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:070409U1C29.08.0]

Urteil

BVerwG 1 C 29.08

  • OVG Berlin-Brandenburg - 09.10.2008 - AZ: OVG 12 B 8.08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 7. April 2009
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig als Vorsitzenden, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Oktober 2008 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Der Kläger begehrt ein Visum zum Zweck des Familiennachzugs zu seinem im Bundesgebiet lebenden Vater.

2 Der Kläger stammt aus dem Kosovo. Er reiste erstmals im Mai 1994 mit seiner Mutter nach Deutschland ein und stellte - wie zuvor bereits sein Vater - einen Asylantrag. Nach erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens verließ die Familie im Oktober 2000 das Bundesgebiet.

3 Im Jahr 2002 wurde die Ehe der Eltern des Klägers geschieden. Sorge, Obhut und Erziehung der vier Kinder wurden durch Urteil des Bezirksgerichts Pejë vom 18. November 2002 der Mutter zugesprochen.

4 Der Vater reiste im August 2003 nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen in das Bundesgebiet ein. Seit Februar 2008 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Mit Urteil des Amtsgerichts Pejë vom 12. Januar 2006 wurden Sorge, Obhut und Erziehung aller Kinder auf den Vater übertragen. Dem lag der einvernehmliche Wunsch der Eltern zugrunde, für den die besseren wirtschaftlichen Verhältnisse des in Deutschland lebenden Vaters ausschlaggebend waren. Im April 2006 erklärte die im Kosovo lebende Mutter ihr schriftliches Einverständnis mit einem Nachzug des Klägers zu seinem Vater nach Deutschland.

5 Am 10. April 2006 beantragte der Kläger beim Deutschen Verbindungsbüro Pristina die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu seinem Vater; als Geburtsdatum wurde der 10. April 1992 angegeben. Den Antrag lehnte das Verbindungsbüro zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 23. Oktober 2006 ab, nachdem die Landeshauptstadt München ihre Zustimmung verweigert hatte. Der Kläger habe keinen Nachzugsanspruch nach § 32 Abs. 3 AufenthG, da das dem Vater zugesprochene Recht zur Versorgung, Obhut und Erziehung nach kosovarischem Recht keine vollständige Übertragung des Sorgerechts beinhalte. Ein Nachzug werde auch nicht im Ermessenswege gestattet; denn der Kläger habe seine maßgebliche soziale Prägung im Kosovo erfahren. Eine besondere Härte sei weder vorgetragen noch ersichtlich.

6 Im Klageverfahren hat der Kläger geltend gemacht, dass seine Mutter wegen eines Tumorleidens im Bauchraum aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, ihn ausreichend zu betreuen. Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 12. Februar 2008 abgewiesen.

7 Während des Berufungsverfahrens hat sich der Vater von seiner deutschen Ehefrau getrennt. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 9. Oktober 2008 das erstinstanzliche Urteil geändert und die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides verpflichtet, dem Kläger ein Visum zur Familienzusammenführung zu seinem Vater zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Es spreche einiges dafür, dass der Vater nicht einem allein personensorgeberechtigten Elternteil i.S.v. § 1631 BGB gleichzustellen sei. Nach kosovarischem Recht könne zwar ein Kind einem Elternteil zur Beaufsichtigung, Sorge und Erziehung anvertraut werden. Auch in diesem Fall entschieden aber beide Eltern weiterhin einverständlich über Angelegenheiten, die von wesentlicher Bedeutung für die Entwicklung des Kindes seien. Selbst wenn ein alleiniges Personensorgerecht aus im kosovarischen Recht liegenden Gründen ausscheide, bestehe ein Nachzugsanspruch des Klägers aufgrund entsprechender Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG. Es stelle eine vom Gesetzgeber weder gesehene noch gewollte Regelungslücke dar, alle einem bestimmten Staat angehörenden Kinder von einem Anspruch auf Nachzug zu einem im Bundesgebiet lebenden Elternteil auszuschließen, wenn dies allein darauf beruhe, dass das Heimatrecht des Kindes nur eine partielle und keine vollständige Sorgerechtsübertragung auf einen Elternteil kenne. Das Gesetzgebungsverfahren lege nahe, dass sich der Gesetzgeber bei der Formulierung in § 32 Abs. 3 AufenthG von der deutschen Rechtslage habe leiten lassen. Danach könne das Personensorgerecht vollständig auf einen Elternteil übertragen werden, während dem anderen Elternteil in der Regel lediglich ein Umgangsrecht zustehe. Der Gesetzgeber habe nicht in Erwägung gezogen, dass er damit ganze Nationen ohne eine vergleichbare Regelung von einem Anspruch auf Kindernachzug ausschließe. Bei Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG habe er zwar bewusst von der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und d der Richtlinie eingeräumten Möglichkeit, den Zuzug minderjähriger Kinder auch im Fall eines geteilten Sorgerechts bei Zustimmung des anderen Elternteils zuzulassen, keinen Gebrauch gemacht. Es bestünden jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass er auch die Fälle, in denen das ausländische Recht eine alleinige Ausübung der Personensorge nicht vorsehe, vom Nachzug habe ausschließen wollen. Nach den vorläufigen Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern müsse der hier lebende Elternteil ausnahmsweise nicht sorgeberechtigt sein, wenn die Sorgerechtsübertragung insbesondere wegen der Rechtsordnung des Herkunftsstaates aussichtslos erscheine. In diesen Fällen auf die Härteregelung in § 32 Abs. 4 AufenthG zurückzugreifen, sei nicht sachgerecht. Die hier in Rede stehende Fallkonstellation sei jedenfalls dann mit dem in § 32 Abs. 3 AufenthG geregelten Sachverhalt vergleichbar, wenn dem im Bundesgebiet lebenden Elternteil das Sorgerecht im größtmöglichen Umfang übertragen worden sei. Der Kläger erfülle schließlich auch die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums. Sein Lebensunterhalt sei gesichert und es stehe ausreichend Wohnraum zur Verfügung.

8 Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG auf Fälle, in denen nach der Rechtsordnung des Heimatstaates eine vollständige Übertragung des Sorgerechts nicht möglich ist.

9 Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Er macht geltend, dass sein Vater das Sorgerecht im weitest möglichen Umfang erhalten habe und faktisch über die alleinige elterliche Sorge verfüge. Das müsse für die Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG ausreichen.

II

10 Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Visums zum Zweck des Familiennachzugs zu seinem hier lebenden Vater mit einer Begründung bejaht, die revisionsgerichtlicher Prüfung nicht standhält. Seine Annahme, ein Nachzugsanspruch des Klägers ergebe sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 32 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache selbst nicht abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

11 1. Nach § 32 Abs. 3 AufenthG ist dem minderjährigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Einreise gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ein Visum - zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen. Außerdem müssen zusätzlich die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels erfüllt sein (§§ 5, 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).

12 a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich das Nachzugsbegehren des Klägers zunächst nach § 32 Abs. 3 AufenthG und nicht nach der Vorgängerregelung des § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Ausländergesetz (AuslG) beurteilt. Der Vater des Klägers hat sich vor dem 1. Januar 2005 rechtmäßig in Deutschland aufgehalten, und der Kläger selbst ist vor diesem Zeitpunkt geboren. Damit gilt nach § 104 Abs. 3 AufenthG hinsichtlich der personen- und familienbezogenen Nachzugsvoraussetzungen weiterhin § 20 AuslG, es sei denn das Aufenthaltsgesetz gewährt eine günstigere Rechtsposition. Dies ist hier der Fall, da § 32 Abs. 3 AufenthG bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis vermittelt, während § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG den Nachzug zu einem allein sorgeberechtigten Elternteil in das Ermessen der Ausländerbehörde stellt (vgl. Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - NVwZ 2009, 248, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 14 f.).

13 b) Das Berufungsgericht hat zu Recht geprüft, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Nachzugsanspruch sowohl im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers als auch im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung vorlagen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich insoweit auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen, als es um die Frage geht, ob schon aus Rechtsgründen eine Erlaubnis erteilt oder versagt werden muss (vgl. Urteil vom 16. Juni 2004 - BVerwG 1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86 <88> m.w.N.; zum maßgeblichen Zeitpunkt bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung vergleiche nachfolgend unter 3.). Dies gilt im Grundsatz auch für den Nachzugsanspruch von Kindern. Sofern diese Ansprüche allerdings an eine Altersgrenze geknüpft sind - wie hier die Vollendung des 16. Lebensjahres -, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (stRspr, zuletzt Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - a.a.O. Rn. 16 f. m.w.N.). Sofern die Altersgrenze im Lauf des Verfahrens überschritten wird, folgt daraus, dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insoweit bedarf es mithin bei Anspruchsgrundlagen, die eine Altersgrenze enthalten, die der Betroffene im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung (vgl. ebenfalls Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - a.a.O. Rn. 17).

14 c) Die Voraussetzungen für einen Nachzugsanspruch liegen aber - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - weder in direkter noch in entsprechender Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG vor. Zwar ist die in der Vorschrift vorgeschriebene Altersgrenze von 16 Jahren eingehalten, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung im April 2006 das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Auch verfügte der Vater des Klägers zu den nach den vorstehenden Ausführungen maßgeblichen Zeitpunkten über die erforderliche Aufenthalts- bzw. Niederlassungserlaubnis. Ferner war nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgericht in den maßgeblichen Zeitpunkten der Lebensunterhalt gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und ausreichender Wohnraum vorhanden (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Der Vater des Klägers war jedoch nicht - wie von § 32 Abs. 3 AufenthG vorausgesetzt - der allein personensorgeberechtigte Elternteil.

15 Das Berufungsgericht hat die Frage offen gelassen, wie weit die Ausübung der Personensorge infolge gerichtlicher Übertragung an einen Elternteil nach dem gem. Art. 21 EGBGB maßgeblichen kosovarischen Recht reicht. Selbst wenn ein alleiniges Personensorgerecht des Vaters des Klägers aus im kosovarischen Familienrecht liegenden Gründen zu verneinen wäre, sei die Vorschrift jedenfalls dann entsprechend anzuwenden, wenn dem im Bundesgebiet lebenden Elternteil nach dem Recht des Heimatstaates des Kindes das Sorgerecht im größtmöglichen Umfang übertragen worden sei. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht.

16 Für eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG in diesen Fällen fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Problematik, dass das Recht einzelner Herkunftsstaaten eine vollständige Übertragung der Personensorge auf einen Elternteil nicht kennt, ist dem Gesetzgeber spätestens bei der Novellierung des Aufenthaltsgesetzes durch das Richtlinienumsetzungsgesetz im August 2007 bekannt gewesen; er hat jedoch wegen der bestehenden Möglichkeit, in Härtefällen einen Nachzug im Ermessenswege zu gestatten, keinen Handlungsbedarf gesehen. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich aber, dass der im Kosovo lebenden Mutter des Klägers in Bezug auf die Personensorge ungeachtet der ergangenen Sorgerechtsentscheidung weiterhin substantielle Mitentscheidungsrechte und -pflichten verbleiben. Damit ist dem Vater des Klägers nicht das alleinige Sorgerecht i.S.v. § 32 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl EG Nr. L 251/S.12 vom 3. Oktober 2003) - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - übertragen worden. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das Urteil des Senats vom gleichen Tag in dem gemeinsam verhandelten Parallelverfahren BVerwG 1 C 17.08 Bezug genommen (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen).

17 2. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

18 a) Der Kläger erfüllt zwar die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG (i.V.m. § 104 Abs. 3 AufenthG). Danach kann abweichend von § 20 Abs. 2 Nr. 1 AuslG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Eltern - wie hier - nicht miteinander verheiratet sind. Die Erteilung eines Visums liegt nach dieser Bestimmung aber im Ermessen der Behörde. Ein Nachzugsanspruch würde deshalb nur im Fall einer Ermessensreduzierung auf Null bestehen. Ob eine solche Ermessensreduzierung vorliegt, ist anhand der Sachlage im maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers und in dem außerdem maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verhandlung oder Entscheidung der Tatsacheninstanz zu beurteilen. Mangels Feststellungen des Berufungsgerichts u.a. zu der Betreuungssituation des Klägers im Kosovo kann der Senat die Frage einer Ermessensreduzierung nicht abschließend prüfen.

19 b) Entsprechendes gilt für die fernerliegenden, aber auch noch nicht vom Berufungsgericht geprüften Rechtsgrundlagen des § 20 Abs. 4 Nr. 1 AuslG und § 32 Abs. 4 AufenthG, bei denen es schon hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen an Feststellungen des Berufungsgerichts fehlt. Auch insoweit kommt daher nur eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht in Betracht.

20 3. In dem neuen Berufungsverfahren wird zu prüfen sein, ob der Kläger einen Anspruch auf Erteilung eines Visums oder zumindest einen Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Visumantrag nach § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG oder § 20 Abs. 4 AuslG hat. Dies erfordert, dass der Kläger die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums erfüllt, zu denen u.a. auch die Sicherung des Lebensunterhalts und das Vorhandensein ausreichenden Wohnraums gehören und dass das Ermessen der Beklagten entweder zugunsten des Klägers auf Null reduziert ist oder die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, so dass insoweit ein Neubescheidungsanspruch besteht. Bei der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen wird das Berufungsgericht zu beachten haben, dass diese sowohl im Zeitpunkt der erneuten Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts als auch im Zeitpunkt des Erreichens der jeweils maßgeblichen Altersgrenze erfüllt sein müssen. Dies ist bei § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG der Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres und bei § 20 Abs. 4 AuslG der Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres.

21 Bei der gerichtlichen Überprüfung des Ermessens ist ebenfalls die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt, der für die gerichtliche Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen maßgeblich ist, zugrunde zu legen. Der Senat hält insoweit an seiner Rechtsprechung, wonach bei Klagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels für die Überprüfung der Ermessensentscheidung regelmäßig der Zeitpunkt des Erlasses der letzten behördlichen Entscheidung maßgeblich war (vgl. Urteil vom 24. Januar 1995 - BVerwG 1 C 2.94 - BVerwGE 97, 301 <310> m.w.N.) nicht weiter fest. In Anlehnung an seine Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung im Falle der gerichtlichen Anfechtung einer Ausweisung (vgl. Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 <22 ff.>) geht er davon aus, dass nunmehr auch bei Klagen auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels für die Überprüfung der behördlichen Ermessensentscheidung auf den Zeitpunkt abstellen ist, der für die gerichtliche Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen maßgeblich ist. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auch insoweit auf das bereits zitierte Urteil in dem Parallelverfahren BVerwG 1 C 17.08 Bezug genommen.

22 Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.