Beschluss vom 08.08.2025 -
BVerwG 20 F 6.24ECLI:DE:BVerwG:2025:080825B20F6.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 08.08.2025 - 20 F 6.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:080825B20F6.24.0]
Beschluss
BVerwG 20 F 6.24
- VGH Kassel - 20.09.2024 - AZ: 27 F 1473/24
In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO am 8. August 2025 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und Prof. Dr. Burmeister beschlossen:
- Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Fachsenats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. September 2024 wird zurückgewiesen.
- Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I
1 In dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren begehrt der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Zustimmung des Antragsgegners zur Vorlage einer polizeibehördlichen Akte in seinem beim Landgericht ... anhängigen Strafverfahren.
2 1. Der 5. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat als Beschwerdegericht den Antragsgegner im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes mit Beweisbeschluss vom 18. Juli 2024 aufgefordert, die polizeibehördliche Akte der Vertrauensperson "K." vorzulegen.
3 Im Beweisbeschluss heißt es unter anderem, nur bei Kenntnis der angeforderten Akte könne entschieden werden, ob die Sperrerklärung rechtmäßig sei. Denn bei deren Rechtswidrigkeit würde der Anspruch des Antragstellers auf ein faires Strafverfahren verletzt. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sei nicht bereits gemäß § 123 Abs. 5 VwGO ausgeschlossen. Denn die Strafprozessordnung gebe den Prozessbeteiligten keine Möglichkeit, eine verbindliche Entscheidung des Prozessgerichts darüber zu erlangen, ob die gesetzlichen Geheimhaltungsgründe vorlägen. Eine verbindliche Entscheidung darüber könne der Antragsteller nur durch ein verwaltungsgerichtliches Verfahren herbeiführen. Ihm sei es auch nicht zuzumuten, zunächst ein Hauptsacheverfahren gegen die Sperrerklärung vor den Verwaltungsgerichten zu betreiben, weil eine Entscheidung in einem solchen Verfahren voraussichtlich zu spät käme, um ihm noch im laufenden Strafverfahren rechtzeitig Akteneinsicht zu ermöglichen.
4 2. Der Antragsgegner hat die Aktenvorlage mit Sperrerklärung vom 25. Juli 2024 verweigert, weil die Offenlegung dem Wohl des Bundes und des Landes Nachteile bereiten würde.
5 3. Der Fachsenat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat mit Beschluss vom 20. September 2024 den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung abgelehnt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, der Antragsgegner stütze die Geheimhaltungsbedürftigkeit zu Recht auf § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 VwGO. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob der Einsatz der Vertrauensperson rechtmäßig gewesen sei, weil der Fachsenat im Zwischenverfahren ausschließlich am Maßstab des § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO entscheide. Er habe sein Ermessen auch rechtsfehlerfrei ausgeübt. Denn er habe erkannt, dass es eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen im Prozess beruhende Ermessensentscheidung zu treffen habe. Dabei habe er das Interesse des Antragstellers an der Aktenvorlage und das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung gegen das Geheimhaltungsinteresse des Landes rechtsfehlerfrei abgewogen. Er habe auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers im Hinblick auf einen effektiven Rechtsschutz im gegen ihn laufenden Strafverfahren erwogen, die Akte nur in Teilen vorzulegen, dies jedoch in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt.
6 4. Das gegen den Antragsteller geführte Strafverfahren wurde mit seit dem 14. April 2025 rechtskräftigem Urteil des Landgerichts ... abgeschlossen. Der Antragsteller hat nach dem Hinweis des Senats auf das rechtskräftige Urteil des Landgerichts vorgetragen, das Rechtsschutzbedürfnis bestehe weiter fort. Denn er beabsichtige, die Wiederaufnahme des gegen ihn geführten Strafverfahrens zu prüfen. Eine solche Prüfung sei jedoch erst nach Kenntnis des Inhaltes der gegenständlichen Akte möglich. Nur so könne er Erkenntnisse erlangen, die eine anderweitige Entscheidung im Strafverfahren und damit die Wiederaufnahme desselben rechtfertigten.
II
7 Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet, weil der Beschluss des Fachsenats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs im Ergebnis rechtmäßig ist. Dabei bedarf es keiner erneuten Prüfung, ob die Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO vorliegen, weil der nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellte Antrag des Klägers nunmehr unzulässig geworden ist.
8 1. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Antrages nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist die ordnungsgemäße Bejahung der Entscheidungserheblichkeit der gesperrten Unterlagen für das Ausgangsverfahren (BVerwG, Beschlüsse vom 2. Januar 2020 - 20 F 5.19 - juris Rn. 6 m. w. N. und vom 22. März 2024 - 20 F 5.22 - juris Rn. 11). Denn aus der durch § 99 VwGO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen dem Fachsenat und dem Gericht der Hauptsache folgt, dass zunächst das zur Sachentscheidung berufene Hauptsachegericht zu prüfen und förmlich darüber zu befinden hat, ob und gegebenenfalls welche Informationen aus den Akten für eine Sachentscheidung erforderlich sind, bevor die oberste Aufsichtsbehörde über die Freigabe oder Verweigerung der in Rede stehenden Aktenteile befindet. Hat das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit in einem Beschluss geprüft und bejaht, ist der Fachsenat grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden; eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist (stRspr, vgl. BVerwG Beschluss vom 12. Oktober 2023 - 20 F 16.22 - NVwZ 2024, 72 Rn. 18 ff. m. w. N.). Eine Bindungswirkung entfällt auch dann, wenn nachträglich - etwa auf Grund einer Änderung der Prozesslage - die ursprünglichen Erwägungen des Gerichts der Hauptsache zur Notwendigkeit einer Beweisaufnahme nicht mehr ausreichen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2016 - 20 F 2.15 - NVwZ 2016, 467 Rn. 6).
9 Nach Maßgabe dessen fehlt es nunmehr an einer plausiblen Darlegung der Entscheidungserheblichkeit durch das Hauptsachegericht. Es hat die Erforderlichkeit einer Beweiserhebung im Beweisbeschluss vom 18. Juli 2024 tragend damit begründet, dass die Beweiserhebung im Eilverfahren erfolgen müsse, um gegebenenfalls eine Einführung des Beweismittels im laufenden Strafverfahren vor dem Landgericht Gießen zu ermöglichen und dadurch den Anspruch des Antragstellers auf ein faires Strafverfahren zu sichern. Die vom Gericht der Hauptsache angenommene Eilbedürftigkeit ist jedoch mit dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens entfallen, so dass das weitere Vorliegen eines Anordnungsgrunds im Sinne des § 123 Abs. 1 VwGO fraglich geworden ist. Auch das ursprüngliche Ziel des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die Zustimmung des Antragsgegners zur Verwertung der Akte im laufenden Strafverfahren zu erreichen, ist damit erledigt. Die Gründe des Gerichts der Hauptsache für die Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme im Eilverfahren sind daher aufgrund einer Änderung der Prozesslage entfallen, so dass es nunmehr an einer ordnungsgemäßen Begründung der Entscheidungserheblichkeit der Beweiserhebung fehlt.
10 Etwas Anderes folgt auch nicht aus der Absicht des Antragstellers, im Hinblick auf das nunmehr abgeschlossene Strafverfahren dessen Wiederaufnahme (§§ 359 ff. StPO) prüfen zu wollen. Denn der von ihm daraus abgeleitete Akteneinsichtsanspruch bildet einen neuen Streitgegenstand.
11 2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.