Verfahrensinformation



Die Kläger sind Soldaten der Bundeswehr. Sie beanspruchen, dass von ihnen während einer Auslandsverwendung (im Rahmen internationaler Einsätze der Bundeswehr) geleistete Dienstzeiten bei der Berechnung ihrer ruhegehaltfähigen Dienstzeit doppelt berücksichtigt werden. Gemäß der durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz vom 5. Dezember 2011 eingeführten Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) können Dienstzeiten einer Auslandsverwendung von bestimmter Dauer als doppelt ruhegehaltfähig berücksichtigt werden, wenn es sich um Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung im Sinne der mit Wirkung vom 1. Dezember 2002 in Kraft getretenen Regelung des § 63c Abs. 1 SVG handelt.


Unter den Oberverwaltungsgerichten ist umstritten, ob die Neuregelung auch Auslandsverwendungen erfasst, die vor dem 1. Dezember 2002 liegen. Das wird in den beim Bundesverwaltungsgericht anhängig gewordenen Revisionsverfahren voraussichtlich zu klären sein.


Pressemitteilung Nr. 57/2021 vom 09.09.2021

Doppelte Anrechnung von Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung bei Berufssoldaten als ruhegehaltfähige Dienstzeit

Während einer Auslandsverwendung im Rahmen internationaler Einsätze der Bundeswehr geleistete Dienstzeiten von Berufssoldaten können bei der Berechnung ihrer ruhegehaltfähigen Dienstzeit auch dann doppelt zu berücksichtigen sein, wenn sie vor dem 1. Dezember 2002 absolviert worden sind. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Kläger waren Berufssoldaten der Bundeswehr. Sie traten zwischen 2008 und 2018 in den Ruhestand. Ihre Anträge, von ihnen während Auslandsverwendungen vor Dezember 2002 geleistete Dienstzeiten bei der Berechnung ihrer ruhegehaltfähigen Dienstzeit doppelt zu berücksichtigen, lehnte die Beklagte ab. In den dagegen geführten Gerichtsverfahren verpflichteten die Oberverwaltungsgerichte die Beklagte, über die Anträge der nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getretenen Berufssoldaten erneut zu entscheiden. Die Klage des bereits 2008 in den Ruhestand getretenen Berufssoldaten ist dagegen im Berufungsverfahren ohne Erfolg geblieben.


Die dagegen gerichteten Revisionen sind vor dem Bundesverwaltungsgericht ohne Erfolg geblieben. Gemäß der durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz mit Wirkung vom 13. Dezember 2011 eingeführten Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) in Verbindung mit der seit 2002 geltenden Bestimmung des § 63c Abs. 1 SVG können Dienstzeiten einer Auslandsverwendung von bestimmter Dauer als doppelt ruhegehaltfähig berücksichtigt werden, wenn es sich um Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung - etwa des KFOR-Einsatzes im Kosovo oder des ISAF-Einsatzes in Afghanistan - handelt. Diese Regelung gilt für Berufssoldaten, die nach dem Inkrafttreten des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG in den Ruhestand treten. Nach dem sog. Versorgungsfallprinzip wird Versorgung nach Maßgabe der am Tag des Eintritts in den Ruhestand geltenden Rechtslage gewährt. Bei den nach dem 13. Dezember 2011 in den Altersruhestand getretenen Klägern können danach auch die vor Dezember 2002 absolvierten Zeiten besonderer Auslandsverwendungen als doppelt ruhegehaltfähig berücksichtigt werden. Denn das Gesetz enthält - anders als die am selben Tag in Kraft getretene Parallelvorschrift im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 76e SGB VI) - keine ausdrückliche Beschränkung auf solche Zeiten ab Dezember 2002. Die doppelte Berücksichtigung dieser Zeiten bei der Ruhegehaltfähigkeit ist allerdings auf den Höchstruhegehaltssatz gedeckelt. Über die Berücksichtigung dieser Zeiten muss die Beklagte aufgrund des ihr eingeräumten Ermessens neu entscheiden.


Fußnote:

§ 25 Abs. 2 Satz 3 Soldatenversorgungsgesetz lautet:


Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Absatz 1 können bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben.


 


§ 63c Abs. 1 Satz 1 Soldatenversorgungsgesetz lautet:


Eine besondere Auslandsverwendung ist eine Verwendung auf Grund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen,


1. für die ein Beschluss der Bundesregierung vorliegt oder


2. die im Rahmen von Maßnahmen nach § 56 Absatz 1 Satz 2 Nummer 4 des Bundesbesoldungsgesetzes stattfindet.


BVerwG 2 C 1.20 - Urteil vom 09. September 2021

Vorinstanzen:

VGH Mannheim, 4 S 473/19 - Urteil vom 10. Dezember 2019 -

VG Sigmaringen, 10 K 6420/17 - Urteil vom 17. Oktober 2018 -

BVerwG 2 C 4.20 - Urteil vom 09. September 2021

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, 2 A 1193/18 - Urteil vom 18. Dezember 2019 -

VG Leipzig, 3 K 2358/17 - Urteil vom 16. August 2018 -

BVerwG 2 C 14.20 - Urteil vom 09. September 2021

Vorinstanzen:

OVG Hamburg, 5 Bf 384/18 - Urteil vom 23. April 2020 -

VG Hamburg, 20 K 3029/18 - Urteil vom 07. September 2018 -

BVerwG 2 C 16.20 - Urteil vom 09. September 2021

Vorinstanzen:

OVG Hamburg, 5 Bf 381/18 - Urteil vom 23. April 2020 -

VG Hamburg, 20 K 2928/18 - Urteil vom 07. September 2018 -

BVerwG 2 C 34.20 - Urteil vom 09. September 2021

Vorinstanzen:

OVG Schleswig, 2 LB 8/20 - Urteil vom 10. September 2020 -

VG Schleswig, 12 A 100/17 - Urteil vom 12. September 2017 -

BVerwG 2 C 35.20 - Urteil vom 09. September 2021

Vorinstanzen:

OVG Schleswig, 2 LB 11/20 - Urteil vom 10. September 2020 -

VG Schleswig, 12 A 84/17 - Urteil vom 17. Januar 2018 -


Urteil vom 09.09.2021 -
BVerwG 2 C 34.20ECLI:DE:BVerwG:2021:090921U2C34.20.0

Urteil

BVerwG 2 C 34.20

  • VG Schleswig - 12.09.2017 - AZ: VG 12 A 100/17
  • OVG Schleswig - 10.09.2020 - AZ: OVG 2 LB 8/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden, Dr. Hartung
und Dollinger sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. September 2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass über den Antrag des Klägers auf Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu entscheiden ist.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger, ein Soldat im Ruhestand, beansprucht die Neufestsetzung seines Ruhegehalts unter doppelter Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung.

2 Der 1960 geborene Kläger stand bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 29. Februar 2016 als Berufssoldat, zuletzt im Rang eines Hauptmanns, im Dienst der Beklagten. In den Jahren 2001 und 2006 absolvierte er jeweils einen KFOR-Auslandseinsatz im Kosovo.

3 Mit Bescheid vom 1. März 2016 setzte die Generalzolldirektion die Versorgungsbezüge des Klägers auf der Grundlage eines Ruhegehaltssatzes von 69,65 v.H. fest; hierbei wurden nur nach dem 1. Dezember 2002 geleistete Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung doppelt angerechnet, die insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert hatten. Den darauf am 12. Februar 2017 bei ihr eingegangenen Antrag des Klägers, sein Ruhegehalt unter doppelter Berücksichtigung auch der vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen neu festzusetzen, lehnte die Generalzolldirektion mit Bescheid vom 13. April 2017 in der Sache ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies sie zurück.

4 Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, über den Ruhegehaltssatz des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Zwar habe der Kläger keinen Rechtsanspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gehabt. Die Beklagte habe vorliegend aber durch den Bescheid vom 13. April 2017 erneut in der Sache entschieden und dabei zu Unrecht von dem Kläger vor dem 1. Dezember 2002 absolvierte Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nicht als doppelt ruhegehaltfähig berücksichtigt.

5 Das Oberverwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag des Klägers auf doppelte Berücksichtigung der Zeiten seiner besonderen Auslandsverwendung vom 8. Mai 2001 bis zum 10. November 2001 im Kosovo als ruhegehaltfähige Dienstzeit erneut zu entscheiden. Der bestandskräftige Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 1. März 2016 stehe dem Anspruch des Klägers auf Neubescheidung nicht entgegen, weil die Beklagte das Verfahren wiederaufgegriffen und erneut in der Sache entschieden habe. Der Kläger habe rückwirkend zum 1. März 2016 grundsätzlich Anspruch auf Berücksichtigung der von ihm im Zeitraum vor dem 1. Dezember 2002 absolvierten Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit. Bei der Ausübung ihres Ermessens habe die Beklagte im Hinblick auf ihre gegenwärtige Verwaltungspraxis zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber zwischen Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung vor und nach dem 1. Dezember 2002 nicht unterscheide.

6 Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. September 2020 und des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 12. September 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision der Beklagten.

II

9 Die zulässige Revision der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich die Neubescheidung des Antrags des - nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getretenen - Klägers darauf, dass auch seine vor dem 1. Dezember 2002 absolvierten Auslandseinsätze als Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, nicht nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, sondern nach der des Bundesverwaltungsgerichts richtet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

10 Die Beklagte hat auf den Antrag des Klägers vom 17. Februar 2017 durch ihren Bescheid vom 13. April 2017 das Verfahren nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wiederaufgegriffen und in der Sache - wie im Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 1. März 2016 - erneut entschieden (sog. Zweitbescheid), dass seine vor dem 1. Dezember 2002 absolvierten Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nicht als doppelt ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden können (1.). Die Beklagte hat das ihr nach demnach durchgeführtem Wiederaufgreifen des Verfahrens eröffnete Ermessen allerdings nicht fehlerfrei ausgeübt; deshalb hat sie über den Antrag des Klägers auf Neufestsetzung seiner Versorgungsbezüge nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts erneut zu entscheiden (2.).

11 1. Der streitgegenständliche Anspruch folgt aus der am 13. Dezember 2011 in Kraft getretenen Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz) vom 5. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2458 - SVG 2011), dass die Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden können, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Der erstmals durch Art. 2 Nr. 10 Einsatzversorgungsgesetz vom 21. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3592) rückwirkend zum 1. Dezember 2002 in Kraft getretene § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG (SVG 2004) definiert eine besondere Auslandsverwendung als eine Verwendung aufgrund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen, für die ein Beschluss der Bundesregierung vorliegt.

12 a) Der Wortlaut der Vorschrift legt es nahe, dass besondere Auslandsverwendungen i.S.v. § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 für Soldaten, die nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getreten sind, auch für Zeiträume vor dem 1. Dezember 2002 berücksichtigt werden können. Denn die Regelung enthält - anders als die zeitgleich durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz (Art. 6 Ziff. 3) für gesetzlich Rentenversicherte geschaffene Parallelregelung des § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 - keine zeitliche Einschränkung dahingehend, dass bei der Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstzeiten nur besondere Auslandsverwendungen ab dem 1. Dezember 2002 Berücksichtigung finden. Die von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in Bezug genommene Regelung des § 63c Abs. 1 SVG 2004 ihrerseits beschränkt sich auf eine Definition des Tatbestands der besonderen Auslandsverwendung. Eine ausdrückliche zeitliche Einschränkung der Definition etwa dahingehend, dass besondere Auslandsverwendungen nur solche ab einem bestimmten Zeitpunkt sind, enthält auch diese Vorschrift nicht. Aus dem Wortlaut der Norm lassen sich also keine Anknüpfungspunkte für die von der Beklagten nach Maßgabe ihrer behördeninternen Verwaltungsvorschriften (Hinweise des Bundesministeriums der Verteidigung zum EinsatzVVerbG 2011 vom 8. März 2012 <PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 ->, vom 23. August 2012 <PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -> und vom 16. August 2013 <PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 ->) vorgenommene Auslegung entnehmen, dass eine Doppelanrechnung von im Auslandseinsatz absolvierten Zeiten besonderer Auslandsverwendungen erst ab dem 1. Dezember 2002 möglich ist. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von der Beklagtenseite geäußerte Ansicht, man habe es als "Erlasshalter" für ausreichend gehalten, das - seitens des Bundesministeriums - "Gewollte" im Erlasswege, nämlich in den vorbezeichneten Anwendungshinweisen, zu regeln, ist insoweit unbehelflich.

13 b) Die Entstehungsgeschichte von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 einerseits und § 63c Abs. 1 SVG 2004 andererseits ist für die Beantwortung der Frage nach der zeitlichen Reichweite der ruhegehaltrechtlich doppelt berücksichtigungsfähigen Zeiten besonderer Auslandsverwendungen unergiebig. Zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 enthält sich die Begründung des Gesetzesentwurfs jeder Stellungnahme zur Frage, ob die doppelte Anrechnung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen auch auf solche Auslandseinsätze zu erstrecken ist, die Soldaten vor dem 1. Dezember 2002 absolviert haben (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 15). Auch aus der Vorgeschichte des Einsatz-Versorgungsverbesserungsgesetzes 2011 - dem Einsatzversorgungsgesetz 2004 - ergibt sich nichts für oder gegen eine doppelte Ruhegehaltsanrechnung für Zeiten besonderer Auslandsverwendungen vor dem 1. Dezember 2002 gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 (vgl. BT-Drs. 15/3416 S. 24). Die Einzelbegründung des Gesetzgebers zu der Vorschrift, in der die "besondere Auslandsverwendung" legal definiert wird - § 63c Abs. 1 SVG 2004 -, verhält sich ebenfalls nicht zur Frage der zeitlichen Rückerstreckung von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 auf Sachverhalte vor dem 1. Dezember 2002 (vgl. BT-Drs. 15/3416 S. 18). Nichts anderes ergibt sich aus den Materialien zum Einsatz-Weiterverwendungsgesetz 2007, das ausschließlich Regelungen zugunsten besonderer Auslandsverwendungen "einsatzgeschädigter Soldaten" zum Gegenstand hat (vgl. BT-Drs. 16/6564 S. 15). Auch die weitere Rückerstreckung von Einsatzversorgungsleistungen für im Ausland verunfallte Soldaten auf die Zeit ab dem 1. November 1991 durch das Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz 2015 hat ausschließlich "schwer gesundheitlich geschädigte Personen" in den Blick genommen, die trotz zum Teil erheblicher Gefährdungslagen zum Beispiel im Bosnien- und Kosovoeinsatz bis dahin nicht dieselbe versorgungsrechtliche Absicherung wie ab dem 1. Dezember 2002 im Einsatz Geschädigte besaßen (BT-Drs. 18/3697 S. 63). Schließlich beschränken sich auch die in diesem Zusammenhang jüngsten gesetzlichen Änderungen durch das Bundeswehr-Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz 2019 - § 63c Abs. 1 SVG 2019 (BGBl. I S. 1147 <3054>) - nach der Gesetzesbegründung allein auf die unfallrechtliche Einsatzversorgung; allgemeine Fragen der Ruhegehaltsberechnung haben sie nicht zum Gegenstand (vgl. BT-Drs. 19/9491 S. 139).

14 c) In gesetzessystematischer Hinsicht ist zu differenzieren: Nach der gesetzlichen Systematik des Soldatenversorgungsgesetzes ist zu beachten, dass § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 eine allein ruhegehaltbezogene Rechtsfrage in Anknüpfung an die "besondere Auslandsverwendung" beantwortet. Dagegen beinhalten die in §§ 63c bis 63g SVG 2004 (BGBl. I S. 3592) sowie in § 103 Abs. 1 und Abs. 2 SVG getroffenen Vorschriften das besondere Recht der Einsatzversorgung mit Regelungen zur Dienstunfallfürsorge und der Wiedereingliederung. Der Ruhegehaltsanspruch, den § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 mit ausgestaltet, unterscheidet sich aber nach Funktion, Voraussetzungen und Rechtsfolge wesentlich vom Recht der Einsatzversorgung nach dem durch die Verweisung in Bezug genommenen § 63c SVG 2004.

15 Das in die Vorschriften der §§ 63c bis 63g SVG im Jahre 2004 in das Soldatenversorgungsgesetz eingefügte Einsatzversorgungsrecht umfasst grundsätzlich alle Leistungen der Dienstunfallfürsorge, allerdings angepasst an die Erfordernisse besonderer Auslandsverwendungen. Dazu zählen nach § 63c Abs. 3 SVG 2004 insbesondere der Schadensausgleich in besonderen Fällen (§ 63b), das Unfallruhegehalt (§ 63d) und die einmalige Entschädigung (§ 63e). Der Schutzzweck des Einsatzversorgungsrechts liegt in der verbesserten Absicherung von Soldaten gegenüber den Folgen einer anlässlich einer besonderen Auslandsverwendung erlittenen gesundheitlichen Schädigung.

16 Funktionell mit dem Einsatzversorgungsrecht verwandt ist das Recht der Einsatz-Weiterverwendung, das durch das Gesetz zur Regelung der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen vom 12. Dezember 2007 zum 18. Dezember 2007 geschaffen worden ist (Einsatz-Weiterverwendungsgesetz - EinsatzWVG - BGBl. I S. 2861). Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz dient einer verbesserten Absicherung einsatzgeschädigter Soldaten dadurch, dass diesen insbesondere die Herstellung der Dienstfähigkeit für die Wiederaufnahme der bisherigen beruflichen Tätigkeit, für eine Weiterverwendung beim Bund oder für eine sonstige Eingliederung in das Arbeitsleben sowie die hierfür erforderliche berufliche Qualifizierung im Soldatenstatus ermöglicht werden. Es handelt sich mithin um ein besonderes Wiedereingliederungsrecht. Der Begriff der "Einsatzgeschädigten" (§ 1 EinsatzWVG) als zentrale persönliche Anspruchsvoraussetzung knüpft an einen Einsatzunfall i.S.v. § 63c Abs. 2 SVG 2004 an, der wiederum eine besondere Auslandsverwendung im Sinne von § 63c Abs. 1 SVG 2004 voraussetzt.

17 Materiell handelt es sich sowohl bei dem Recht der Einsatzversorgung als auch bei demjenigen der Einsatz-Weiterverwendung um Unfallfürsorgerecht und damit um Soldatenversorgungsrecht in einem weiteren Sinne. Maßgeblich ist die Rechtslage im Zeitpunkt des Schadensereignisses, d.h. im Zeitpunkt des Einsatzunfalls. Beide Institute setzen einen Einsatzunfall voraus und unterscheiden sich damit schon in ihren tatbestandlichen Anspruchsvoraussetzungen vom Ruhegehaltsanspruch, für den es maßgeblich auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Zurruhesetzung ankommt (Versorgungsfallprinzip). Die Verschiedenheit des Ruhegehaltsrechts einerseits und des Einsatzversorgungsrechts als besonderes Dienstunfallrecht andererseits legt es nicht nahe, die Rechtsvorschriften trotz unterschiedlichen zeitlichen Anknüpfungspunkts einheitlich auszulegen. Dies deutet eher darauf hin, dass die Verweisung in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 allein auf die Legaldefinition der besonderen Auslandsverwendung in § 63c Abs. 1 SVG 2004 gerichtet ist.

18 d) Aus den verschiedenen maßgeblichen Zeitpunkten - d.h. dem Zeitpunkt des Schadensereignisses oder dem Zeitpunkt der Zurruhesetzung - folgt nach Sinn und Zweck der Regelungen, dass der Gesetzgeber im Einsatzversorgungsrecht, um (überhaupt) eine Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs zu bewirken, dies ausdrücklich regeln muss, während aufgrund des im Ruhegehaltsrecht geltenden Versorgungsfallprinzips eine Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs gleichsam von selbst eintritt mit der Folge, dass eine Bestimmung des zeitlichen Anwendungsbereichs nur erforderlich ist, wenn dieser entsprechend dem Gestaltungsanliegen des Gesetzgebers auf ein bestimmtes Datum in der Vergangenheit begrenzt werden soll. Dementsprechend ist aus der Gesetzesbegründung zur Übergangsregelung in § 103 Abs. 2 SVG 2015 (BGBl. I S. 796) zu ersehen, dass der Gesetzgeber sich bei der Schaffung der Vorschrift der allgemeinen Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Normanwendung bewusst war und er mit der Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs auf den 1. November 1991 - anders als mit § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 - ein konkretes Gestaltungsanliegen verfolgt hat.

19 Für die Auslegung bedeutsam sind weiter Sinn und Zweck der in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 einerseits und § 76e SGB VI 2011 andererseits enthaltenen unterschiedlichen Voraussetzungen. Während § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 die doppelte Ruhegehaltfähigkeit von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen für Berufssoldaten mit Pensionsanspruch regelt, verbessert § 76e SGB VI 2011 spiegelbildlich die rentenrechtliche Absicherung der Zivilbediensteten sowie der Helfer des Technischen Hilfswerks und der Soldaten ohne Pensionsanspruch, also von Soldaten auf Zeit und von Soldaten, die aufgrund einer freiwilligen Verpflichtung eine Auslandsverwendung im Rahmen des Wehrdienstes leisten oder die im Rahmen ihrer Dienstleistungspflicht nach § 62 SG zu einer besonderen Auslandsverwendung herangezogen werden (insbesondere Reservisten).

20 Nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 werden für Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 SVG 2004 ab dem 13. Dezember 2011 Zuschläge an Entgeltpunkten zu den in diesem Monat erworbenen Pflichtbeiträgen gewährt, wenn während dieser Zeiten Pflichtbeitragszeiten vorliegen und nach dem 30. November 2002 insgesamt mindestens 180 Tage an Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung vorliegen, die jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Wie insbesondere an der identisch formulierten tatbestandlichen Anknüpfung an § 63c Abs. 1 SVG 2004 und den gleichen sachlichen Anforderungen an die Dauer der Einsatzzeiten zu erkennen ist, handelt es sich bei § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 um die funktionale Entsprechung zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch die Begründung des Gesetzesentwurfs zum Einsatz-Versorgungsverbesserungsgesetz benennt die zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 analoge Funktion der Vorschrift, die Belastungen durch besondere Auslandsverwendungen verstärkt anzuerkennen (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 21), und behandelt die beiden Vorschriften aufgrund dessen in einem inhaltlichen Zusammenhang (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 1).

21 Die verbesserte rentenrechtliche Absicherung in Form von Zuschlägen an Entgeltpunkten nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 gilt indes aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung - und dem Wortlaut nach damit wiederum abweichend von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 - nur für Zeiten der besonderen Auslandsverwendung, für die bereits Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ab Dezember 2002 erworben wurden. Die Pflichtbeitragszeit muss aus der besonderen Verwendung im Ausland herrühren; sie bleibt dem ehemaligen Soldaten erhalten, wenn er nachversichert wird (vgl. Brall, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 76e Rn. 9; Gürtner, in: Kasseler Kommentar, SGB VI, Stand März 2018, § 76e Rn. 3). Denn nach § 185 Abs. 2 i.V.m. § 186a Abs. 1 und § 188 Abs. 1 SGB VI gelten auch Nachversicherungsbeiträge als rechtzeitig gezahlte Pflichtbeiträge. Außerdem unterscheiden sich beide Modelle darin, dass die doppelte Berücksichtigung der besonderen Auslandsverwendungen nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 durch den Ruhegehaltshöchstsatz von 71,75 v.H. gedeckelt ist, während die Zuschläge für die Entgeltpunkte nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 gemeinsam mit den Entgeltpunkten für die versicherte Beschäftigung die Entgeltpunkte überschreiten dürfen, die sich aus Beiträgen bis zur Beitragsbemessungsgrenze ergeben.

22 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 nach der gesetzlichen Regelungstechnik in der Rechtsfolge um eine Vorschrift handelt, die die Entscheidung über eine doppelte ruhegehaltfähige Berücksichtigung der Zeiten besonderer Auslandsverwendung - grundsätzlich - ins pflichtgemäße Ermessen der Versorgungsbehörde legt ("können"). Dagegen handelt es sich bei der Entscheidung der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 über die Zuschläge an Entgeltpunkten infolge Zeiten besonderer Auslandsverwendung um eine in der Rechtsfolge gesetzlich gebundene Entscheidung ("werden").

23 e) Es ist Sache des Gesetzgebers, eine im Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 Niederschlag findende Stichtagsregelung für das Einsetzen der Berücksichtigung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu bestimmen. Daran fehlt es bisher. Im Wortlaut der Parallelregelung des § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 ist dies gelungen. Im gewaltengeteilten Staat des Grundgesetzes ist es nicht Aufgabe der Gerichte, einer von Verwaltungsbehörden für zutreffend gehaltenen Gesetzesanwendung, die sich nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen dem Gesetz, insbesondere dem Gesetzeswortlaut, nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen lässt, Geltung zu verschaffen. Derartige Regelungsdefizite muss der Gesetzgeber selbst beheben (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2020 - 2 C 11.20 - Buchholz 239.2 LBeamtVersorgR Nr. 5 Rn. 40).

24 2. Die Beklagte hat aber das ihr nach durchgeführtem Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 zustehende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt.

25 Die Beklagte führt zwar aus, das Ermessen der Versorgungsbehörde sei zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung im Rahmen der Doppelanrechnung durch die Erlasse des Bundesministeriums der Verteidigung vom 8. März 2012 (PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 -), vom 23. August 2012 (PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -) und vom 16. August 2013 (PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -) dahingehend gebunden worden, dass nach dem 30. November 2002 erbrachte Zeiten besonderer Auslandsverwendung stets mit dem Doppelten der ruhegehaltfähigen Dienstzeit zu berücksichtigen seien. Insoweit enthalten die genannten Erlasse zwar die Verwaltungspraxis leitende Ermessungserwägungen; diese beziehen sich jedoch nur auf Auslandsverwendungen nach dem darin bezeichneten Stichtag, nicht aber auf die hier streitigen Verwendungen, die vor diesem Stichtag liegen.

26 Eine fehlerfreie Ermessensausübung steht damit noch aus. Bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens wird die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen insbesondere einstellen müssen, dass nach ihrer behördeninternen Erlasslage für von Soldaten nach dem 30. November 2002 absolvierte Zeiten besonderer Auslandsverwendungen nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 stets das Doppelte dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen sind. Abgestufte Regelungen sind danach ausgeschlossen (Ziff. 4 der Hinweise des Bundesministeriums der Verteidigung vom 23. August 2012 zum EinsatzVVerbG 2011 vom 8. März 2012 <PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 ->). Die Beklagte hat das ihr gesetzlich eingeräumte Einzelfallermessen damit durch Verwaltungsvorschrift dahingehend generalisiert, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in der Rechtsfolge bei Zeiten besonderer Auslandsverwendungen stets das Doppelte dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen. Nach dieser - allerdings abänderbaren - Ermessenspraxis hat sie sich auch bei der Bewertung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen vor dem 1. Dezember 2002 zu richten.

27 Die Beklagte hat folglich das ihr in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 eingeräumte Ermessen nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt (vgl. § 40 VwVfG und § 114 Satz 1 VwGO) und ist daher zu verpflichten, über den Antrag des Klägers eine neue, fehlerfreie Ermessensentscheidung unter Beachtung der dargelegten Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu treffen.

28 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.