Beschluss vom 10.01.2022 -
BVerwG 1 B 65.21ECLI:DE:BVerwG:2022:100122B1B65.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.01.2022 - 1 B 65.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:100122B1B65.21.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 65.21

  • VG Düsseldorf - 07.06.2018 - AZ: VG 8 K 10236/16
  • OVG Münster - 22.06.2021 - AZ: OVG 19 A 2908/18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Januar 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dollinger und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Juni 2021 wird verworfen.
  2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht wegen der mit der Beschwerde geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

3 1.1 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 3 m.w.N.). Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrunds erstrecken. Ist die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so hat sich das Zulassungsbegehren mit jeder dieser Begründungen substantiiert auseinanderzusetzen und für jede der Begründungen einen Revisionszulassungsgrund darzulegen (BVerwG, Beschlüsse vom 17. September 2013 - 5 B 60.13 - juris Rn. 2 m.w.N., vom 26. Juni 2014 - 1 B 5.14 - Buchholz 402.242 § 81 AufenthG Nr. 3 Rn. 2 und vom 17. September 2018 - 1 B 45.18 - juris Rn. 3).

4 1.2 Nach diesen Grundsätzen ist die Revision nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Fragen zuzulassen,
"Werden gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 5 StAG erhebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art, die über den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte hinausgehen, von dieser Vorschrift nicht erfasst, wenn die einzubürgernde Person diese Nachteile durch Dispositionen erzeugt, die sie erst während des Einbürgerungsverfahrens getroffen hat?"
"Werden im Falle einer mit einer Einbürgerung verbundenen Auflage, nach erfolgter Einbürgerung die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit zu betreiben, gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 5 StAG erhebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art, die über den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte hinausgehen, hiervon nicht erfasst, wenn die eingebürgerte Person diese Nachteile erst durch Dispositionen erzeugt, die sie erst nach der erfolgten Einbürgerung getroffen hat?",
weil insoweit schon die Entscheidungserheblichkeit nicht dargelegt ist.

5 a) Das Oberverwaltungsgericht hat seine Bewertung, den Klägerinnen entstehe durch die Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit kein erheblicher Nachteil im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG neben der Erwägung, sie könnten nach Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit in der Russischen Föderation als Einzelunternehmerinnen tätig sein (Entscheidungsgründe II.3.b) aa), selbständig tragend ("unabhängig davon") auch darauf gestützt, dass die Klägerinnen nicht dargelegt hätten, dass es für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre, auf eine Tätigkeit als Einzelunternehmerinnen in der Russischen Föderation zu verzichten (Entscheidungsgründe II. 3.b) bb)); die Klägerin zu 2. sei bislang nicht als Einzelunternehmerin in der Russischen Föderation tätig, ohne dass dies für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre, die Klägerin zu 1. könne die in der Russischen Föderation gelegenen Immobilien zum aktuellen Marktwert verkaufen oder an ihre Eltern zurückübertragen.

6 Soweit in diesem Zusammenhang ausgeführt wird, es wäre "den Klägerinnen zuzumuten, das Risiko möglicher Vermögensnachteile schon bei ihren Vermögensdispositionen zu beachten und während des laufenden Klageverfahrens auf den Erwerb von Immobilien in der Russischen Föderation zu verzichten" (UA S. 16), handelt es sich - wie die diese Erwägungen einleitenden Worte ("unabhängig davon") belegen - um eine weitere, zusätzlich und ebenfalls selbständig tragende Begründung. Die zur Prüfung gestellten Rechtsfragen beziehen sich allein auf diese zusätzliche Begründung, nicht indes auf die selbständig tragende Erwägung, es sei nicht dargelegt, dass ein Verzicht auf eine Tätigkeit als Einzelunternehmerinnen für die Klägerinnen mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre.

7 b) Unabhängig davon ist in der - auch vom Berufungsgericht herangezogenen - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass ein Einbürgerungsbewerber, der sich auf einen Ausnahmegrund nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG beruft, darlegungs- und materiell beweispflichtig nicht nur für die Bezeichnung der drohenden Nachteile nach Grund und voraussichtlicher Höhe als auch für die Wahrscheinlichkeit, mit der diese bei Aufgabe der Staatsangehörigkeit einzutreten drohen, ist, sondern auch für die Unmöglichkeit, das Entstehen der Nachteile durch zumutbare Maßnahmen abzuwenden oder zu begrenzen (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2010 - 5 C 9.10 - BVerwGE 137, 237 Rn. 31). Daraus folgt, ohne dass es der Durchführung eines weiteren Revisionsverfahrens bedarf, dass eine Einbürgerungsbewerberin und erst recht eine unter Auflage eingebürgerte Person von Vermögensdispositionen abzusehen hat, die aus ihrer Sicht einen Ausnahmegrund nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG zu begründen geeignet sind, wenn ihr dies - wie hier tatrichterlich festgestellt - zumutbar ist. Insoweit legt die Beschwerde neuerlichen oder weitergehenden Klärungsbedarf nicht dar.

8 2. Die Rüge, das Berufungsurteil leide an dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) einer Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO), genügt schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

9 2.1 Die Rüge einer solchen Verletzung erfordert eine substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen Beweisantrag hingewirkt worden ist und die Ablehnung der Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Februar 2013 - 8 B 58.12 - ZOV 2013, 40, vom 12. Juli 2018 - 7 B 15.17 - Buchholz 451.224 § 36 KrWG Nr. 1 Rn. 23 und vom 5. November 2018 - 1 B 77.18 - juris Rn. 3). Zudem ist substantiiert darzulegen, dass sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auf entscheidungserhebliche tatsächliche Feststellungen bezieht und die Entscheidung mithin auf diesem auch beruhen kann.

10 2.2 Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde ersichtlich nicht. Die von ihr für erforderlich gehaltenen weiteren Aufklärungsmaßnahmen beziehen sich allein auf die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung, dass die Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit die Klägerinnen nicht daran hindere, als Einzelunternehmerinnen in der Russischen Föderation tätig zu sein. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung indes nicht allein auf diese, sondern selbständig tragend auch auf die Bewertung gestützt, die Klägerinnen hätten nicht dargelegt, dass es für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre, auf eine Tätigkeit als Einzelunternehmerinnen in der Russischen Föderation zu verzichten (s.o. 1.2 a)); entsprechendes gilt für eine geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerinnen durch eine Überraschungsentscheidung. Es kann daher offenbleiben, ob die Klägerinnen in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt haben, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Berufungsgericht insoweit eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen bzw. aus welchen Gründen das Gericht auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abgestellt hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 VR 9.18 - juris Rn. 3).

11 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

12 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG und folgt insoweit dem Berufungsgericht.