Beschluss vom 11.05.2022 -
BVerwG 4 BN 7.22ECLI:DE:BVerwG:2022:110522B4BN7.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.05.2022 - 4 BN 7.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:110522B4BN7.22.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 7.22

  • OVG Münster - 24.11.2021 - AZ: 7 D 91/19.NE

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Mai 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Decker
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. November 2021 wird verworfen.
  2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist unzulässig. Sie verfehlt die Anforderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung der in Anspruch genommenen Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO stellt.

2 1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4). Das leistet die Beschwerde nicht.

3 a) Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt, es sei nicht zu ersehen, dass der Anwendung des § 215 Abs. 1 BauGB der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstehen könne. Die Antragsteller hätten bereits keinen Sachverhalt vorgetragen, der die Anwendung dieses Grundsatzes rechtfertigen könne. Auch in der mündlichen Verhandlung habe der Prozessbevollmächtigte dazu nicht weiter vorgetragen. Ungeachtet dessen diene § 215 BauGB der Rechtssicherheit aller Normbetroffenen und sei deshalb einer Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Verhältnis der Antragsteller zum Antragsgegner entzogen (UA S. 14).

4 Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 8. August 1973 - 4 B 13.73 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 115 und vom 9. Dezember 1994 - 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (BVerwG, Beschlüsse vom 11. September 2019 - 4 BN 17.19 - Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 22 Rn. 3, vom 26. Juli 2021 - 4 B 32.20 - juris Rn. 9 m. w. N. und vom 7. Februar 2022 - 4 BN 38.21 - juris Rn. 3). In Bezug auf die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Antragsteller hätten bereits keinen Sachverhalt vorgetragen, der die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben rechtfertigen könne, ist kein Zulassungsgrund dargelegt. Soweit sich die Frage,
ob einer Anwendung des § 215 Abs. 1 BauGB und damit einer Unbeachtlichkeit von Rügen gegen einen Bebauungsplan der auch im öffentlichen Recht anzuwendende Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstehen kann, wenn das verspätete Vorbringen von Rügen weitgehend auf das Verhalten der planenden Gemeinde während der Verhandlungen zwecks einvernehmlicher Klärung einzelner zwischen den Beteiligten streitiger Punkte zurückzuführen ist,
auch auf diesen (ersten) Begründungsstrang bezieht, führt sie schon deshalb nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision, weil das Oberverwaltungsgericht ein der vorstehenden Frage unterlegtes, für die Versäumung der Rügefrist durch die Antragsteller maßgebliches Verhalten der Antragsgegnerin nicht festgestellt hat. Damit kommt es darauf, ob hinsichtlich des zweiten Begründungsstrangs ein Zulassungsgrund dargelegt ist und vorliegt, nicht mehr an.

5 b) Die Antragsteller möchten ferner rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
ob Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012 L 26 S. 1) – UVP-Richtlinie - so auszulegen ist, dass die Vorschrift einer nationalen Regelung entgegensteht, die einen Rechtsverstoß bei der Beteiligung der Öffentlichkeit im Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans durch eine gemeindliche Satzung für unbeachtlich erklärt, wenn dieser Verstoß trotz entsprechender Belehrung nicht binnen eines Jahres nach der Bekanntgabe des Plans gegenüber der Gemeinde gerügt worden ist und für den Bebauungsplan die Bestimmungen der UVP-Richtlinie über die Beteiligung der Öffentlichkeit gelten.

6 Diese dem Senatsbeschluss vom 14. März 2017 - 4 CN 3.16 - (Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 20) entnommene Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil die Beschwerde ihre Entscheidungserheblichkeit nicht darlegt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass für den Bebauungsplan die Bestimmungen der UVP-Richtlinie über die Beteiligung der Öffentlichkeit gelten. Nach § 2 Abs. 6 Nr. 3 UVPG sind Zulassungsentscheidungen im Sinne des § 4 UVPG u. a. Beschlüsse nach § 10 BauGB über die Aufstellung von Bebauungsplänen, durch die die Zulässigkeit von bestimmten Vorhaben im Sinne der Anlage 1 zum UVPG begründet werden sollte. Daran fehlt es. Der Bebauungsplan setzt für den Großteil des Plangebiets ein allgemeines Wohngebiet fest. Er enthält ferner Festsetzungen über Straßenverkehrsflächen, öffentliche Grünanlagen (Parkanlagen) sowie Verkehrsflächen mit der besonderen Zweckbestimmung Versickerung, des Weiteren Lärmpegelbereiche und die Höhe der Verkehrsflächen. Dass es sich hierbei um Bauvorhaben im Sinne der Anlage 1 zum UVPG (Anhang I, II zur UVP-Richtlinie) handeln könnte, ist nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich.

7 2. Die geltend gemachte Divergenzrüge führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.

8 Nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Hiernach ist eine Divergenz nicht dargetan.

9 Der Vortrag der Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe zwar den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Oktober 1989 - 4 NB 7.89 - (Buchholz 406.11 § 2a BBauG Nr. 11) grundsätzlich berücksichtigt, dann aber angenommen, dass bei einem "überschießenden" Hinweis grundsätzlich keine Eignung im Hinblick darauf bestünde, einen Betroffenen davon abzuhalten, Mängel rechtzeitig geltend zu machen, zielt auf einen Rechtsanwendungsfehler, auf den eine Divergenzrüge nicht gestützt werden kann (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 12. Juli 2017 - 4 BN 7.17 - juris Rn. 6 m. w. N.).

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.