Beschluss vom 12.02.2020 -
BVerwG 9 B 30.19ECLI:DE:BVerwG:2020:120220B9B30.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.02.2020 - 9 B 30.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:120220B9B30.19.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 30.19

  • OVG Bautzen - 12.04.2019 - AZ: OVG 7 C 21/15.F

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Februar 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dieterich und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Sieveking
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. April 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
  3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 19 041,06 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, die sich allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO stützt, bleibt ohne Erfolg. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.

2 1. Die Beschwerde ist der Auffassung, das Berufungsgericht habe gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verstoßen, indem es den Rückübertragungsbescheid der Landeshauptstadt Dresden - Amt zur Regelung offener Vermögensfragen - vom 27. August 2003 dahin interpretiert habe, dass lediglich zwei Grundstücke ohne darauf errichtete Gebäude oder Gebäudeteile zurückübertragen werden sollten. Die Feststellung, dies ergebe sich eindeutig aus dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen jenes Bescheides, sei aktenwidrig. Das Gericht habe sich mit keinem Wort mit dem Tenor des Bescheides befasst und unter objektiver Würdigung aller Umstände sei der Bescheid nur dahin zu verstehen, dass die beiden Grundstücke einschließlich der aufstehenden Gebäude und Gebäudeteile zurückübertragen werden sollten.

3 Der Überzeugungsgrundsatz verlangt, dass das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt. Es darf nicht einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Im Übrigen darf es zu seiner Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist deshalb nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn dieses nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen. Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel deshalb grundsätzlich nicht begründen (BVerwG, Beschlüsse vom 26. November 2013 - 8 B 20.13 - ZOV 2014, 48 Rn. 14 und vom 7. März 2017 - 9 B 48.16 - juris Rn. 9).

4 Das Beschwerdevorbringen lässt nicht erkennen, dass das Berufungsgericht gegen diese Vorgaben verstoßen hat.

5 a) In Bezug auf das selbstständige Gebäudeeigentum der Beigeladenen geht der Vorwurf einer aktenwidrigen Feststellung des Sachverhalts fehl. Ein solcher Vorwurf führt erst dann auf eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes, wenn zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt ein offensichtlicher Widerspruch besteht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. Juli 2008 - 9 B 15.08 - Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 35 Rn. 3 und vom 1. April 2009 - 4 B 61.08 - NVwZ 2009, 910 Rn. 3).

6 So liegt es hier nicht. Vielmehr entspricht es dem Akteninhalt, dass die Beigeladene weiterhin Gebäudeeigentum auf den beiden Grundstücken innehat. Davon geht der angefochtene Widerspruchsbescheid vom 14. April 2014 aus und nimmt dazu Bezug auf den Rückübertragungsbescheid vom 27. August 2003, in dem festgestellt ist, dass die auf den beiden Grundstücken befindlichen Gebäude im Eigentum der Beigeladenen stehen.

7 b) Das Oberverwaltungsgericht hat entgegen der Auffassung der Klägerin auch den Regelungsgehalt des Rückübertragungsbescheids vom 27. August 2003 nicht unter Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes bestimmt.

8 Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Bei der Ermittlung seines objektiven Erklärungswertes ist insbesondere auch die Begründung des Verwaltungsakts heranzuziehen, weil sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Regelungsgehalt steht. Die Begründung ist die Erläuterung der Behörde, warum sie den verfügenden Teil ihres Verwaltungsakts so und nicht anders erlassen hat. Die Begründung bestimmt damit den Inhalt der getroffenen Regelung mit, sodass sie in aller Regel unverzichtbares Auslegungskriterium ist (BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 2013 - 8 C 21.12 - BVerwGE 148, 146, Rn. 14 m.w.N.). Diesen Grundsätzen hat die Vorinstanz entsprochen, indem sie bei der Auslegung des Rückübertragungsbescheides die Aussage der Begründung herangezogen hat, die auf den Flurstücken befindlichen Gebäude stünden (weiterhin) im Eigentum der Beigeladenen. Hieraus hat das Flurbereinigungsgericht die Überzeugung gewonnen, Regelungsgehalt des Rückübertragungsbescheids sei nicht die Übertragung des selbstständigen Gebäudeeigentums auf den betreffenden Flurstücken.

9 Dieses Verständnis hat das Gericht durch gesetzliche Regelungen bestätigt gesehen. Zwar sei die Feststellung des selbstständigen Gebäudeeigentums in dem Rückübertragungsbescheid nicht enthalten, weil kein entsprechender Antrag bei dem hierfür gemäß Art. 233 § 2b Abs. 3 EGBGB zuständigen Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen gestellt worden sei, dies sei jedoch unschädlich, weil der Feststellungsbescheid nur deklaratorisch wirke. Der Fortbestand des Gebäudeeigentums der Beigeladenen ergebe sich aus Art. 233 EGBGB, der als Spezialregelung der Vorschrift in § 94 BGB vorgehe. Dass die Klägerin den Rückübertragungsbescheid anders verstehen möchte und die Rechtsauffassung des Gerichts nicht teilt, stellt die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht infrage (BVerwG, Beschluss vom 7. März 2017 - 9 B 48.16 - juris Rn. 9).

10 2. Das Oberverwaltungsgericht hat den Überzeugungsgrundsatz auch nicht dadurch verletzt, dass es sich mit dem Vortrag der Klägerin zum gutgläubigen Eigentumserwerb an den aufstehenden Gebäuden nicht ausdrücklich befasst hat.

11 Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind im Urteil (nur) die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Nicht erforderlich ist, dass sich die Begründung mit jedem einzelnen vorgetragenen Gesichtspunkt auseinandersetzt, weil grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten sowie den festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig aufnimmt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.> sowie Beschluss vom 31. Januar 2018 - 9 B 11.17 - juris Rn. 9).

12 Der eher beiläufig erstmals im Schriftsatz vom 29. Oktober 2018 enthaltene Vortrag der Klägerin, sie habe bei den beiden später durch Rechtsgeschäft erworbenen Miteigentumsanteilen gemäß Art. 231 § 5 Abs. 3 Satz 1 EGBGB i.V.m. § 892 BGB gutgläubig von Gebäudeeigentum unbelastetes Grundstückseigentum erworben, stellte keinen entscheidungserheblichen gewichtigen Umstand dar, mit dem sich die Vorinstanz auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung ausdrücklich hätte befassen müssen. Denn das Oberverwaltungsgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass die Klägerin bereits durch die Begründung des Rückübertragungsbescheides vom 27. August 2003 positive Kenntnis vom selbstständigen Gebäudeeigentum der Beigeladenen hatte (vgl. auch den im angefochtenen Urteil, UA Rn. 16, in Bezug genommenen Widerspruchsbescheid vom 14. April 2014, S. 3). Die Kenntnis der Klägerin schloss ihre Gutgläubigkeit im Sinne des § 892 BGB offensichtlich aus.

13 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil sie einen eigenen Sachantrag im Beschwerdeverfahren gestellt hat. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.