Verfahrensinformation

Die klagende Stadt und das beigeladene Land streiten über die Zuordnung zweier Grundstücke in der Gemarkung Allstedt. Beide Grundstücke standen seit August 1937 im Eigentum des Landes Thüringen. Im April 1948 wurden sie im Zuge der Bodenreform zunächst der Landgut Allstedt GmbH übertragen und später in Eigentum des Volkes überführt. Mit Vermögenszuordnungsbescheiden vom 5. Dezember 1994 und vom 15. Mai 1995 wurde eines der Grundstücke der Klägerin zugeordnet. Mit Vermögenszuordnungsbescheid vom 24. Juni 1999 wurde das andere Grundstück der Gemeinde Wolferstedt zugeordnet, die 2010 im Zuge einer Gemeindegebietsreform Teil der Klägerin wurde. Mit Bescheiden vom 15. März 2019 übertrug die Beklagte die Grundstücke auf dessen Antrag an das beigeladene Land zurück. Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide vom 15. März 2019 mit Urteilen vom 30. September 2021 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Bestandskraft der Bescheide vom 5. Dezember 1994, vom 15. Mai 1995 und vom 24. Juni 1999 stehe einer Rückübertragung der Grundstücke an das beigeladene Land entgegen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des beigeladenen Landes.


Beschluss vom 15.06.2022 -
BVerwG 8 B 53.21ECLI:DE:BVerwG:2022:150622B8B53.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.06.2022 - 8 B 53.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:150622B8B53.21.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 53.21

  • VG Halle - 30.09.2021 - AZ: 1 A 87/19 HAL

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Juni 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Halle über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 30. September 2021 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die zulässige Beschwerde der Beklagten ist begründet. Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Divergenz zuzulassen. Das angegriffene Urteil weicht in Anwendung des § 11 Abs. 1 Satz 1 VZOG von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - (Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8) ab und beruht auf dieser Abweichung.

2 Es stützt sich auf die Annahme, aus § 11 Abs. 1 Satz 1 VZOG ergebe sich kein Vorrang der Restitution gemäß Art. 22 Abs. 1 Satz 7 und Art. 21 Abs. 3 EV vor anderen vermögenszuordnungsrechtlichen Entscheidungen; die gesetzliche Vorschrift ermächtige insbesondere nicht zur Durchbrechung bereits getroffener Zuordnungsentscheidungen, ohne diese vorher aufzuheben (S. 5 f. UA). Wie die Beschwerdebegründung zutreffend darlegt, widerspricht dieser Rechtssatz dem gegenteiligen, im zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 1995 in Anwendung derselben Regelung entwickelten, dieses Urteil tragenden Rechtssatz zum Verhältnis von Restitution und sonstiger Vermögenszuordnung. Danach schließt der Übergang von Verwaltungs- oder Finanzvermögen auf eine öffentlich-rechtliche Körperschaft den Restitutionsanspruch nicht aus. Vielmehr ist - umgekehrt - das zugeordnete Vermögen mit dem Restitutionsanspruch belastet mit der Folge, dass eine vorangegangene Zuordnung der Restitution nicht entgegensteht und diese keine ausdrückliche Aufhebung des früheren Zuordnungsbescheides voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8 S. 6).

3 Das gilt der Divergenzentscheidung zufolge gemäß § 2 Abs. 1a Satz 5 VZOG auch bei Unanfechtbarkeit der Zuordnung, sofern der Vermögenswert nicht bereits an einen gutgläubigen Erwerber veräußert wurde. Die Restitution ändert die Zuordnungsentscheidung der Sache nach, ohne dass deren Bestandskraft dem entgegenstünde (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8 S. 6 f.). Dagegen geht das angegriffene Urteil davon aus, der Restitution stehe die Bestandskraft der vorherigen anderweitigen Zuordnung stets entgegen, und zwar selbst dann, wenn sie nur gegenüber dem Begünstigten und nicht gegenüber dem Restitutionsberechtigten eingetreten sei. Insoweit liegt – mangels verwaltungsgerichtlicher Heranziehung des § 2 Abs. 1a Satz 5 VZOG – zwar keine Divergenz hinsichtlich dieser Vorschrift vor. Das lässt die Abweichung in Anwendung des § 11 Abs. 1 Satz 1 VZOG aber unberührt.

4 Das angegriffene Urteil beruht auf der dargestellten Divergenz. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin wird es nicht unabhängig davon durch eine selbständige Alternativerwägung zu § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG und § 51 VwVfG getragen. Wie schon die Einleitung des Arguments mit "zudem" andeutet, handelt es sich um eine kumulative, die Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 1 VZOG ergänzende Erwägung. Sie knüpft an den dazu entwickelten, divergierenden Rechtssatz an, eine Restitution komme erst nach Aufhebung der Zuordnungsbescheide in Betracht. Dazu erläutert sie, § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG ermögliche eine Rücknahme der früheren Zuordnung gemäß § 48 VwVfG, weil er nur die Anwendung von § 51 VwVfG einschränke.
Rechtsbehelfsbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 8 C 4.22 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.

Urteil vom 12.07.2023 -
BVerwG 8 C 4.22ECLI:DE:BVerwG:2023:120723U8C4.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 12.07.2023 - 8 C 4.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:120723U8C4.22.0]

Urteil

BVerwG 8 C 4.22

  • VG Halle - 30.09.2021 - AZ: 1 A 87/19 HAL

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller, Dr. Meister und
Dr. Naumann
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 30. September 2021 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  2. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem der Beklagte das im Grundbuch von A. Blatt 1515 verzeichnete Grundstück dem Beigeladenen zugeordnet hat.

2 Das Grundstück stand 1937 im Eigentum des Landes Thüringen. Im April 1948 wurde es im Zuge der Bodenreform auf die Landgut A. GmbH übertragen. 1959 wurde im Grundbuch Eigentum des Volkes, Rechtsträger: Rat der Gemeinde A., eingetragen. Am 18. August 1992 beantragte der Beigeladene die Restitution des Grundstücks bei der Treuhandanstalt. Mit Bescheid vom 5. Dezember 1994, bestätigt durch Bescheid vom 15. Mai 1995, ordnete die Oberfinanzdirektion M. das Grundstück der Klägerin zu. Mit Bescheid vom 15. März 2019 übertrug die Beklagte das Grundstück an den Beigeladenen zurück, weil sein Rechtsvorgänger das Grundstück dem Zentralstaat im Rahmen der Bodenreform unentgeltlich zur Verfügung gestellt habe.

3 Der dagegen erhobenen Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Der öffentlichen Restitution des Grundstücks stehe der Zuordnungsbescheid vom 24. Juni 1999 zugunsten der Gemeinde W. entgegen. Er sei jedenfalls gegenüber der Klägerin bestandskräftig geworden und bilde die Rechtsgrundlage für ein "Behaltendürfen" des Grundstücks. Gegenüber dem Adressaten begründe er eine geschützte Rechtsposition, die nur unter bestimmten Voraussetzungen wieder beseitigt werden könne. Ohne seine Aufhebung stehe er einer anderweitigen Vermögenszuordnung des Grundstücks entgegen. Aus § 11 Abs. 1 Satz 1 VZOG folge nichts Anderes. Die Vorschrift ermächtige nicht zur Durchbrechung bereits getroffener vermögenzuordnungsrechtlicher Entscheidungen, ohne diese vorher aufzuheben. Gegen eine andere Auslegung dieser Vorschrift spreche zudem § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG, wonach das Verwaltungsverfahrensgesetz für Verfahren nach dem Vermögenszuordnungsgesetz Anwendung finde und lediglich die Anwendung von § 51 VwVfG unter dort näher bestimmten Umständen ausgeschlossen sei. Danach habe die Aufhebung des Zuordnungsbescheides vom 24. Juni 1999 möglicherweise auf § 48 VwVfG gestützt werden können.

4 Zur Begründung ihrer Revision trägt die Beklagte vor, das angegriffene Urteil beruhe auf der unzutreffenden Annahme, der Zuordnungsbescheid vom 24. Juni 1999 stehe dem Erlass des Restitutionsbescheides vom 15. März 2019 entgegen. Die Zuordnung von Verwaltungs- oder Finanzvermögen zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft nach Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV schließe eine nachfolgende Restitution nach Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV nicht aus. Die Zuordnung stelle fest, wer am 3. Oktober 1990 Eigentümer des zuvor volkseigenen Vermögenswertes geworden sei. Die Restitutionsentscheidung übertrage dagegen das Eigentum an einem Vermögenswert konstitutiv. Eine vorangegangene Zuordnung stehe daher einer öffentlichen Restitution nicht entgegen und setze keine Aufhebung des früheren Zuordnungsbescheides voraus. Der grundsätzliche Vorrang der öffentlichen Restitution vor der Zuordnung folge auch aus § 11 Abs. 1 Satz 1 und § 2 Abs. 1a Satz 5 VZOG. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG und § 51 VwVfG stellten keine das Urteil selbständig tragende Alternativerwägung dar. In der Sache stehe dem Beigeladenen der geltend gemachte öffentliche Restitutionsanspruch zu.

5 Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 30. September 2021 zu ändern und die Klage abzuweisen.

6 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7 Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

8 Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

II

9 Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) (1.). Es beruht auf einer unrichtigen Auslegung von Art. 21 Abs. 1 und 2 sowie Art. 22 Abs. 1 des Einigungsvertrages (EV) und von § 11 Abs. 1 Satz 1 VZOG (2.); es stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO) (3.). Das führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Verwaltungsgericht (4.).

10 1. Das angefochtene Urteil misst der Vermögenszuordnung gemäß § 1 Abs. 1 VZOG i. V. m. Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV Rechtswirkungen bei, die ihr von Gesetzes wegen nicht zukommen. Es übersieht, dass die Vermögenszuordnung eine spätere öffentliche Restitution nicht hindert (a) und kein schutzwürdiges Vertrauen auf einen endgültigen Eigentumserwerb begründet (b).

11 a) Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV regeln, auf welches Rechtssubjekt das Eigentum an zuvor volkseigenen Vermögenswerten am 3. Oktober 1990 übergegangen ist. Vermögenswerte, die unmittelbar bestimmten Verwaltungsaufgaben dienten (Verwaltungsvermögen), wurden Bundesvermögen, sofern sie nicht am 1. Oktober 1989 überwiegend für Verwaltungsaufgaben bestimmt waren, die nach der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland von anderen Trägern der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen waren. Andernfalls fielen sie deren Funktionsnachfolgern zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 10 C 3.17 - Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 38 Rn. 17). Vermögenswerte der ehemaligen DDR, die nicht unmittelbar der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben dienten (Finanzvermögen) und nicht zum Vermögen der Sozialversicherung gehörten, unterlagen nach Maßgabe des Art. 22 Abs. 1 EV der Treuhandverwaltung des Bundes, soweit sie nicht der Treuhandanstalt oder den kommunalen Gebietsverbänden nach § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 TreuhG übertragen waren. Art. 21 Abs. 3 und Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV regeln demgegenüber, in welchem Umfang unentgeltliche Vermögensverschiebungen zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts rückgängig gemacht werden sollen. Sie bestimmen, dass Vermögenswerte, die dem Zentralstaat oder den Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden) unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurden, an diese Körperschaft oder ihre Rechtsnachfolgerin unentgeltlich zurückübertragen werden.

12 Schon der Wortlaut der genannten Vorschriften spricht dafür, dass die Vermögenszuordnung eine nachfolgende anderweitige öffentliche Restitution nicht ausschließt. Beide betreffen einen jeweils anderen Regelungsgegenstand und beziehen sich auf verschiedene Zeitpunkte. Während die Vermögenszuordnung deklaratorisch den gesetzlichen Eigentumsübergang ehemals volkseigener Vermögenswerte mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 feststellt, überträgt die öffentliche Restitution das Eigentum an solchen Vermögenswerten mit Bestandskraft des Rückübertragungsbescheides konstitutiv auf den Restitutionsberechtigten.

13 Auch aus systematischen Gründen kommt der Vermögenszuordnung kein Vorrang vor der öffentlichen Restitution zu. Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV betreffen alle zuvor volkseigenen Vermögenswerte und damit auch solche, die Gegenstand von Ansprüchen nach Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV sind. Schlössen Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV die öffentliche Restitution aus, wären Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV ohne Anwendungsbereich. Die Materialien zum Einigungsvertrag bestätigen, dass die Vertragsparteien dem Restitutionsprinzip gegenüber der funktionalen Zuordnung grundsätzlich Vorrang einräumen wollten, um "teilweise unter Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze erfolgt[e]" unentgeltliche Vermögensübertragungen rückgängig zu machen (Denkschrift der Bundesregierung zum Einigungsvertrag, BT-Drs. 11/7760 S. 365; BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8 S. 5 f.).

14 Sinn und Zweck der Regelungen über den gesetzlichen Eigentumsübergang zum 3. Oktober 1990 und über die öffentliche Restitution sprechen schließlich ebenfalls dafür, dass diese sich nicht gegenseitig ausschließen. Die Regelungen der Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 22 Abs. 1 EV zielen auf eine aufgabengerechte Ausstattung der Funktionsnachfolger in die Verwaltungsaufgaben, denen der betreffende Vermögenswert am maßgeblichen Stichtag zu dienen bestimmt war. Demgegenüber bezwecken die Regelungen der Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV über die öffentliche Restitution von Vermögenswerten eine Wiederherstellung der Eigentumslage vor der Verstaatlichung dieser Vermögenswerte. Der öffentliche Restitutionsanspruch soll zur Leistungsfähigkeit der öffentlichen Körperschaften beitragen, indem er sie mit entzogenem Altvermögen ausstattet, von dem angenommen werden kann, dass es der Wahrnehmung ihrer Aufgaben dient (vgl. BT-Drs. 12/5553 S. 168; BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8 S. 5 f.). Diese unterschiedlichen Regelungszwecke rechtfertigen es nicht, den Eigentumsübergang zum 3. Oktober 1990 als dauerhafte Eigentumszuweisung an den durch Art. 21 Abs. 1 und 2 und Art. 22 Abs. 1 EV Begünstigten zu verstehen. Das zugeordnete Eigentum ist vielmehr mit einem etwaigen Restitutionsanspruch belastet (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8 S. 6).

15 Das Vermögenszuordnungsgesetz knüpft an diese materiell-rechtliche Rechtslage an. § 1 VZOG unterscheidet das Verfahren über die Zuordnung von ehemals volkseigenen Vermögenswerten (§ 1 Abs. 1 bis 3 VZOG) von dem Verfahren für die Entscheidung über Ansprüche auf öffentliche Restitution (§ 1 Abs. 4 VZOG). Diese Unterscheidung greift § 2 Abs. 1a VZOG auf und bestimmt, dass die Zuordnungsfeststellung gemäß § 1 Abs. 1 VZOG im Regelfall mit der Entscheidung über die Restitution gemäß § 1 Abs. 4 VZOG verbunden werden soll. § 2 Abs. 1a Satz 2 VZOG lässt aber auch eine gesonderte Bescheidung zu, damit der Aufklärungsbedarf bezüglich eines Teils der zu treffenden Entscheidungen nicht die übrigen Entscheidungen verzögert. Der das Zuordnungsverfahren abschließende Bescheid ergeht nach § 2 Abs. 1 Satz 5 VZOG vorbehaltlich des Eigentums, der Rechtsinhaberschaft oder sonstiger privater Rechte Dritter oder im Einzelnen bezeichneter Beteiligter an dem Vermögensgegenstand, sofern nicht ausnahmsweise nach Satz 4 der Vorschrift festgestellt wird, dass der Erwerb des Gegenstandes durch eine Person, die nicht zuordnungsbegünstigt sein kann, unwirksam ist. § 2 Abs. 1 Satz 5 VZOG stellt klar, dass selbst eine bestandskräftige Zuordnung eine spätere öffentliche Restitution nicht hindert; sie scheidet nur aus, wenn über das Eigentum an dem zugeordneten Gegenstand verfügt wurde und der Erwerber gutgläubig ist. In allen übrigen Fällen kann die Restitution auch bei bestandskräftig gewordener früherer Zuordnung verfügt werden, ohne diese zuvor aufzuheben, für die im angegriffenen Urteil erwogene Anwendung des § 48 VwVfG besteht kein Anlass.

16 Dass die Zuordnung unter dem Vorbehalt späterer Restitution steht, bestätigt schließlich § 11 Abs. 1 Satz 1 VZOG. Danach kann die öffentliche Restitution von dem jeweiligen Eigentümer oder Verfügungsberechtigten verlangt werden. Das schließt Eigentümer, die den Vermögenswert durch Zuordnung erworben haben, mit ein. Das zugeordnete Eigentum ist daher mit eventuellen Restitutionsansprüchen quasi-dinglich belastet (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8 S. 6). Folgerichtig sind der Erlass eines Zuordnungsbescheides oder dessen Bestandskraft nicht als Restitutionsausschlussgrund in § 11 Abs. 1 Satz 3 VZOG aufgeführt.

17 b) Schon aus diesen Gründen kann die Zuordnung des verfahrensgegenständlichen Vermögenswertes kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin begründen, den Vermögenswert behalten zu dürfen. Der ergangene Zuordnungsbescheid bindet im Übrigen nach § 2 Abs. 3 VZOG nur die am Zuordnungsverfahren Beteiligten, zu denen der Beigeladene nicht gehört.

18 2. Das Urteil beruht auf dem unrichtigen Verständnis des Verwaltungsgerichts von den Rechtswirkungen einer Zuordnung und den durch eine solche vermittelten Rechtspositionen. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG und § 51 VwVfG stellen keine revisionsrechtlich fehlerfreie Alternativbegründung dar. Sie sollen die - unzutreffende - Annahme stützen, eine öffentliche Restitution komme erst nach Aufhebung einer den zu restituierenden Vermögenswert betreffenden Zuordnungsentscheidung in Betracht.

19 3. Das Urteil des Verwaltungsgerichts stellt sich auf der Grundlage seiner nicht wirksam gerügten Tatsachenfeststellungen nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Ob dem Anspruch des Beigeladenen auf Restitution des verfahrensgegenständlichen Grundstücks aus Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV i. V. m. § 1 Abs. 4, § 2 Abs. 1 und § 7 Abs. 3 VZOG Restitutionsausschlussgründe entgegenstehen, kann auf der Grundlage dieser Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilt werden.

20 Nach Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV i. V. m. § 1 Abs. 4, § 2 Abs. 1 und § 7 Abs. 3 VZOG sind Vermögenswerte, die dem Zentralstaat oder den Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden) von einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden sind, auf einen entsprechenden fristgemäßen Antrag hin an diese Körperschaft unentgeltlich zurückzuübertragen, soweit keine Ausschlussgründe bestehen.

21 a) Der Restitutionsantrag des Beigeladenen wahrt die Antragsfrist gemäß § 7 Abs. 3 VZOG.

22 Die begehrte Restitution kann nach § 1 Abs. 6 VZOG nur auf Antrag erfolgen. § 1 Abs. 6 Halbs. 2 VZOG ist nicht einschlägig, weil keine Zuordnung nach § 1 Abs. 1 VZOG begehrt wird.

23 Die Antragsfrist endete gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 VZOG i. V. m. § 1 der Verordnung zur Verlängerung der Frist für die Stellung von Anträgen nach § 1 Abs. 4 sowie § 10 des Vermögenszuordnungsgesetzes (Antragsfristverordnung - AnFrV vom 14. Juni 1994 - BGBl. I S. 1265) mit Ablauf des 31. Dezember 1995.

24 Der Antrag, der zahlreiche damals zum Volkseigenen Gut (VEG) A. gehörenden Grundstücke umfasst, ist vor Ablauf dieser Frist bei der Treuhandanstalt und damit bei einer der für die Entscheidung über Ansprüche auf öffentliche Restitution nach § 1 Abs. 4 i. V. m. § 1 Abs. 1 VZOG zuständigen Behörde eingegangen. Ob die Treuhandanstalt bei Antragstellung nach § 1 Abs. 4 i. V. m. § 1 Abs. 1 bis 3 VZOG auch gerade für die Entscheidung über die vom Antrag umfasste verfahrensgegenständliche Fläche zuständig war, ist für die Fristwahrung unerheblich.

25 Zahlreiche Besonderheiten des vermögenszuordnungsrechtlichen Verfahrens sprechen dafür, dass die fristwahrende Antragstellung - abweichend von dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht (dazu vgl. Baer, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 31 VwVfG Rn. 71 m. w. N.) – keinen rechtzeitigen Antragseingang gerade bei der zuständigen Behörde voraussetzt, sondern die rechtzeitige Antragstellung bei einer der nach § 1 Abs. 4 i. V. m. § 1 Abs. 1 bis 3 VZOG zuständigen Behörden ausreicht. Anders als § 30 Abs. 1 Satz 1 VermG verlangen §§ 1 und 7 Abs. 3 VZOG nicht ausdrücklich, dass der Antrag bei der zuständigen Behörde gestellt werden muss. Ein solches Erfordernis widerspräche auch dem Anliegen des Gesetzgebers, zügig Klarheit über die noch abzuarbeitenden öffentlichen Restitutionsansprüche zu schaffen (vgl. BR-Drs. 227/92 S. 1 ff.). Die nach § 1 Abs. 4 i. V. m. § 1 Abs. 1 bis 3 VZOG einschlägigen Zuständigkeitsvorschriften sind weit verzweigt, wurden mehrfach geändert und teils an entlegener Stelle normiert. Um den daraus folgenden Problemen Rechnung zu tragen, lässt § 1 Abs. 5 Satz 2 VZOG Zuständigkeitsvereinbarungen zu, die den Betroffenen nicht zwangsläufig rechtzeitig bekannt geworden sein müssen. In Zweifelsfällen ermächtigt § 1 Abs. 5 Satz 1 VZOG den Bundesminister der Finanzen, eine Zuständigkeitsbestimmung vorzunehmen, die stets erst nach Antragseingang und in Fällen, in denen der Antrag - wie hier - zahlreiche Vermögenswerte umfasste, wegen der langen Bearbeitungszeiten häufig erst nach Fristablauf möglich war. Der sorgsame, auf die Minimierung von Verfahrensrisiken bedachte Antragsteller hätte diesen Unsicherheiten nur durch vorsorgliche Stellung seines Restitutionsantrags bei allen in Betracht kommenden Behörden begegnen können. Der dadurch entstehende erhebliche zusätzliche Verwaltungsaufwand widerspräche dem Optimierungsziel des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes.

26 Jedenfalls ergibt sich die Unerheblichkeit einer eventuellen sachlichen Unzuständigkeit der Präsidentin der Treuhandanstalt aus § 1 Abs. 7 VZOG, der anordnet, dass Entscheidungen nach dem Vermögenszuordnungsgesetz nicht wegen eines Verstoßes gegen die Bestimmungen über die Zuständigkeit angefochten werden können. Dass der von einem öffentlichen Restitutionsanspruch Betroffene sich gegenüber der Behörde und dem Anspruchsteller nicht auf eine Zuständigkeitsverletzung berufen können soll, während die Behörde, bei der der Antrag gestellt wurde, sich gegenüber dem Restitutionsanspruchsteller auf einen Zuständigkeitsmangel berufen können soll, leuchtet nicht ein. Ebenso wenig ist begründbar, dass ein nach § 1 Abs. 7 VZOG unbeachtlicher Zuständigkeitsmangel zur Unwirksamkeit eines vor Fristablauf gestellten Antrags und damit entgegen dem Regelungszweck doch zur Aufhebung des Bescheides führen soll.

27 b) Das Land Thüringen hat das verfahrensgegenständliche Flurstück nach den von den Beteiligten nicht wirksam gerügten Sachverhaltsfeststellungen des Verwaltungsgerichts unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Dazu genügt, dass das Grundstück im Zuge der Bodenreform ohne Gegenleistung aus dem bisherigen Eigentum des Landes Thüringen in den Bodenfonds und von dort in das Eigentum des Volkes überführt wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1995 - 7 C 16.94 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 8 S. 4 f.). Der Beigeladene ist auch anspruchsberechtigt. Seine materielle Zuordnungsberechtigung ergibt sich daraus, dass § 11 Abs. 3 VZOG auf die Funktionsnachfolge abstellt und die Landesaufgaben an dem Ort, an dem das Flurstück belegen ist, wegen der zwischenzeitlichen Gebietsänderung nun von dem Beigeladenen und nicht vom Freistaat Thüringen wahrgenommen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1999 - 3 C 12.98 - Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 23 S. 4 f.).

28 c) Restitutionsausschlussgründe können auf der Grundlage der vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen weder bejaht noch ausgeschlossen werden.

29 Die gemeinsame Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990, wonach Entscheidungen im Rahmen der Bodenreform unantastbar bleiben sollten, steht dem Anspruch des Beigeladenen nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999 - 3 C 2.98 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 32 S. 3 f.). § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ist im Vermögenszuordnungsrecht nicht anwendbar. In § 11 VZOG findet sich keine entsprechende Regelung.

30 Ob der Restitutionsausschlussgrund des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG der Verwendung im komplexen Wohnungs- oder Siedlungsbau vorliegt, kann auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts nicht beurteilt werden. Nach dieser Vorschrift ist die öffentliche Rückübertragung ausgeschlossen, wenn der begehrte Vermögensgegenstand am 3. Oktober 1990 im komplexen Wohnungs- oder Siedlungsbau verwendet wurde, für ihn konkrete Ausführungsplanungen für eine solche Verwendung vorlagen oder wenn bei ihm die Voraussetzungen des § 1a Abs. 4 Satz 3 VZOG (zur Wohnungswirtschaft genutztes Vermögen, das nicht in Rechtsträgerschaft der ehemals volkseigenen Betriebe der Wohnungswirtschaft befindlich war, diesen oder der Kommune aber zur selbständigen Bewirtschaftung und Verwaltung übertragen worden war) gegeben waren. Der Begriff des komplexen Wohnungs- oder Siedlungsbaus ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 12/5553 S. 170) ähnlich zu bestimmen wie in § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG. Er ist nur insofern weiter, als schon die Einbeziehung in zum Stichtag vorliegende Ausführungsplanungen genügt. Kennzeichnend für eine Verwendung von Grundstücken oder Gebäuden im komplexen Wohnungs- oder Siedlungsbau ist, dass sie dauerhaft in eine planerische und städtebauliche Einheit eingebunden sind, die in Umsetzung einschlägiger wohnungs- oder siedlungsbaulicher Vorschriften eine - wenn auch seinerzeit möglicherweise noch nicht mit diesen Begriffen bezeichnete - komplexe Vielfalt der Bebauung sowie sonstiger Nutzung aufweist (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. November 1996 - 7 C 24.96 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 11 S. 19). Der Restitutionsausschlussgrund ist gegeben, wenn eine so entstandene Einheit durch ein Herauslösen der zurückverlangten Grundstücke oder Gebäude gefährdet oder zerstört würde.

31 Wird ein Grundstück, wie das verfahrensgegenständliche, selbst nicht unmittelbar zu Wohnzwecken genutzt, kann es nur dann in einen komplexen Wohnungs- oder Siedlungsbau einbezogen sein, wenn es mit seiner Nutzung auf in der Nähe errichtete Wohngebäude bezogen ist und mit diesen eine funktionale, vernünftigerweise nicht trennbare Einheit bildet (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2001 - 7 C 11.00 - Buchholz 428 § 4 Abs. 1 VermG Nr. 5 LS 1 und S. 19 f.). Bei Garagengrundstücken setzt dies voraus, dass Garagen speziell dem Stellplatzbedarf der Bewohner des zugehörigen Grundstücks und nicht beliebigen Nutzern dienen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4. August 1999 - 7 B 80.99 - ZOV 1999, 458 und vom 7. Juni 2002 - 3 B 75.02 - ZOV 2002, 365).

32 Zu diesen Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung konsequent keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.

33 4. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen ist keine abschließende Beurteilung der Restitutionsvoraussetzungen und damit keine Entscheidung in der Sache (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO) möglich. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Es wird im zurückverwiesenen Verfahren insbesondere zu klären haben, ob die in der Nähe des verfahrensgegenständlichen Grundstücks befindlichen Gebäude zu einer Einheit des komplexen Wohnungs- oder Siedlungsbaus gehören und, bejahendenfalls, ob die auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück befindlichen Garagen mit ihnen in dem nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG erforderlichen funktionalen Zusammenhang stehen.