Beschluss vom 14.05.2025 -
BVerwG 1 B 34.24ECLI:DE:BVerwG:2025:140525B1B34.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.05.2025 - 1 B 34.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:140525B1B34.24.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 34.24

  • VG Chemnitz - 15.09.2020 - AZ: 4 K 622/17.A
  • OVG Bautzen - 18.06.2024 - AZ: 2 A 36/21.A


In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts


am 14. Mai 2025


durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,


den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dollinger und


die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl


beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

3 1.1 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 3 m. w. N.). Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrunds erstrecken, d. h. für die angegriffene Entscheidung muss sie tragend sein. Eine die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht tragende Begründung vermag die Zulassung der Revision wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung nicht zu rechtfertigen (BVerwG, Beschlüsse vom 7. Januar 1986 - 2 B 94.85 - Buchholz 310 § 75 VwGO Nr. 11 S. 5 f., vom 21. September 1993 - 2 B 109.93 - Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 181 S. 32 f. und vom 15. Januar 2020 - 2 B 38.19 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 99 Rn. 8).

4 1.2 Nach diesen Grundsätzen ist die Revision nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Frage zuzulassen,
ob die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen von Kadyrow an Tschetschenen eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung darstellen, weil sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen.

5 Diese Rechtsfrage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich stellen. Denn nach den für den Senat maßgeblichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist - selbst unterstellt, dass die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen von Kadyrow an Tschetschenen eine flüchtlingsrelevante erhebliche Verfolgung darstellten - eine Verfolgungsgefahr für den Kläger aufgrund des internen Schutzes in anderen Landesteilen der Russischen Föderation nicht gegeben (UA S. 14, 23). Dies korreliert mit den Angaben des 1978 geborenen Klägers, der im Verfahren den Feststellungen des Berufungsgerichts zufolge vorgetragen hat, vor seiner Ausreise aus der Russischen Föderation im Oktober 2013 mehrere Monate unbehelligt bei einem Verwandten in M. und zuvor, in den Jahren 2007 und 2008, über Monate bei einem früheren Nachbarn in A. gelebt zu haben.

6 1.3 Auch die weiteren, wegen geltend gemachter grundsätzlicher Bedeutung gestellten Fragen,
ob gegen die durch Kadyrow durchgeführte Zwangsrekrutierung von Tschetschenen eine inländische Fluchtalternative in der Russischen Föderation zur Verfügung steht,
ob der Staat der Russischen Föderation in der Lage ist, [gegen] eine durch Kadyrow durchgeführte Zwangsrekrutierung von Tschetschenen in der Russischen Föderation Schutz zu gewähren und
ob der Staat der Russischen Föderation Willens ist, [gegen] eine durch Kadyrow durchgeführte Zwangsrekrutierung von Tschetschenen in der Russischen Föderation Schutz zu gewähren, insbesondere weil die Russische Föderation von der Zwangsrekrutierung von Tschetschenen durch Kadyrow in der Russischen Föderation im Krieg gegen die Ukraine profitieren würde und insbesondere, weil die Russische Föderation auf diese Weise die von ihr durchgeführte verdeckte Mobilisierung gegen missliebige Personen mit Hilfe von Kadyrow weiter verfolgen kann,
rechtfertigen es nicht, die Revision zuzulassen.

7 Insoweit fehlt es an der Darlegung von revisionsrechtlich klärungsfähigen Rechtsfragen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Fragen betreffen allein die tatsächliche Situation in der Russischen Föderation. Hiervon geht auch die Beschwerde aus, die ausdrücklich darauf hinweist, dass es insoweit einer tatsächlichen Überprüfung mangels zweifelsfreier Klärung in der zweiten Tatsacheninstanz bedürfe.

8 Für die Zulassung der Revision reicht, anders als für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, eine Tatsachenfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aus (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 14. September 2020 - 1 B 38.20 - juris Rn. 3 und vom 8. März 2023 - 1 B 56.22 - juris Rn. 6). Die Klärungsbedürftigkeit muss in Bezug auf den anzuwendenden rechtlichen Maßstab, nicht die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung bestehen. Auch der Umstand, dass das Ergebnis der zur Feststellung und Würdigung des Tatsachenstoffes berufenen Instanzgerichte möglicherweise voneinander abweicht oder für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist, lässt für sich allein eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu.

9 Der zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene § 78 Abs. 8 AsylG (BGBl. 2022 I S. 2817 <2822>) ändert hieran nichts. Denn hiernach steht den Beteiligten gegen das Urteil eines Oberverwaltungsgerichts die Revision abweichend von § 132 Abs. 1 und § 137 Abs. 1 VwGO nur zu, wenn das Oberverwaltungsgericht in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und es die Revision deswegen zugelassen hat.

10 2. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den oben genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).

11 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.