Beschluss vom 14.09.2020 -
BVerwG 1 B 38.20ECLI:DE:BVerwG:2020:140920B1B38.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.09.2020 - 1 B 38.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:140920B1B38.20.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 38.20

  • VG Hannover - 19.09.2018 - AZ: VG 15 A 2919/17
  • OVG Lüneburg - 29.06.2020 - AZ: OVG 2 LB 231/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. September 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke und Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2020 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde, mit der eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird, ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.

2 1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris).

3 Für die Zulassung der Revision reicht, anders als für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO/§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 - BVerwGE 70, 24 <26>), eine Tatsachenfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aus. Die Klärungsbedürftigkeit muss vielmehr in Bezug auf den anzuwendenden rechtlichen Maßstab, nicht die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung bestehen; auch der Umstand, dass das Ergebnis der zur Feststellung und Würdigung des Tatsachenstoffes berufenen Instanzgerichte für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist, lässt für sich allein nach geltendem Revisionszulassungsrecht eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu. Der Gesetzgeber hat insoweit auch für das gerichtliche Asylverfahren an den allgemeinen Grundsätzen des Revisionsrechts festgehalten und für das Bundesverwaltungsgericht keine Befugnis eröffnet, Tatsachen(würdigungs)fragen grundsätzlicher Bedeutung in "Länderleitentscheidungen", wie sie etwa das britische Prozessrecht kennt, zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 21 ff. - zur Feststellung einer extremen Gefahrenlage) haben sich allerdings die Berufungsgerichte nach § 108 VwGO (erkennbar) mit abweichenden Tatsachen- und Lagebeurteilungen anderer Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe auseinanderzusetzen.

4 2. Nach diesen Grundsätzen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache schon nicht dargelegt.

5 Die Beschwerde wirft als der Klärung bedürftige Fragen auf:
"Droht syrischen Schutzsuchenden, die im wehrpflichtigen Alter sind, bei einer Rückkehr in Syrien wegen der Wehrdienstentziehung menschenrechtswidrige Maßnahmen, insbesondere Folter, da die Wehrdienstentziehung als illoyal wahrgenommen wird und der Wehrpflichtige in Verdacht gerät, eine illoyale, oppositionelle politische Einstellung zu vertreten?
Haben syrische Wehrpflichtige bei einer Rückkehr mit Bestrafung der Verweigerung des Militärdienstes zu rechnen?"

6 Mit diesen Fragen, deren (vermeintliche) Klärungsbedürftigkeit allein mit dem Hinweis auf zahlreiche männliche syrische Flüchtlinge, die sich im Bundesgebiet aufhalten und um Asyl bitten, begründet wird, wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Von einer grundsätzlichen Bedeutung ist regelmäßig auszugehen, wenn eine bundesrechtliche Rechtsfrage in der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte uneinheitlich beantwortet wird und es an einer Klärung des für die materiellrechtliche Subsumtion sowie die Tatsachenfeststellung und -würdigung heranzuziehenden rechtlichen Maßstabes durch das Bundesverwaltungsgericht fehlt. Die aufgeworfenen Fragen betreffen aber die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen zur Verfolgungslage in Syrien, namentlich mit Blick auf männliche Personen im wehrfähigen Alter, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, durch das Berufungsgericht; sie zielen mithin auf der tatrichterlichen Würdigung vorbehaltene Tatsachenfragen. Verfahrensfehler werden insoweit weder ausdrücklich noch sinngemäß geltend gemacht.

7 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.