Verfahrensinformation

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, kam im Alter von 20 Jahren im Jahre 1978 in die Bundesrepublik Deutschland. Er ist seit 1981 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet, mit der er zwei Kinder hat. 1997 wurde er nach Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 9 Jahren verurteilt, die nach Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er wendet sich mit seiner Klage gegen die 1999 angeordnete Ausweisung aus der Bundesrepublik, die nicht beachte, dass sein Aufenthalt durch Assoziationsrecht geschützt sei, und die überdies Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 6 Abs. 1 GG widerspreche. Im Rahmen der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision werden unter anderem die Auswirkungen der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) auf eine Fallkonstellation der vorliegenden Art zu klären sein.


Beschluss vom 14.01.2004 -
BVerwG 1 B 49.03ECLI:DE:BVerwG:2004:140104B1B49.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.01.2004 - 1 B 49.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:140104B1B49.03.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 49.03

  • Bayerischer VGH München - 21.10.2002 - AZ: VGH 10 B 01.2135

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Januar 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und
Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 21. Oktober 2002 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.
Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie kann dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit zur weiteren Klärung der Frage geben, welche Anforderungen sich hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen unter der Voraussetzung eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts aus Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ergeben.
Unter diesen Umständen bedürfen die weiteren von der Beschwerde geltend gemachten Zulassungsgründe nicht der Erörterung.
Rechtsmittelbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 1 C 2.04 fortgesetzt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, einzureichen.
Für den Revisionskläger besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Der Revisionskläger muss sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im
höheren Dienst, Gebietskörperschaften ferner durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In derselben Weise muss sich jeder Beteiligte vertreten lassen, soweit er einen Antrag stellt.

Urteil vom 15.03.2005 -
BVerwG 1 C 2.04ECLI:DE:BVerwG:2005:150305U1C2.04.0

Leitsatz:

Zu den Anforderungen an die Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen nach Art. 14 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (Bestätigung der Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen)

  • Rechtsquellen

  • VGH München - 21.10.2002 - AZ: VGH 10 B 01.2135 -
    Bayerischer VGH München - 21.10.2002 - AZ: VGH 10 B 01.2135

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 2.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:150305U1C2.04.0]

Urteil

BVerwG 1 C 2.04

  • VGH München - 21.10.2002 - AZ: VGH 10 B 01.2135 -
  • Bayerischer VGH München - 21.10.2002 - AZ: VGH 10 B 01.2135

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n , H u n d ,
R i c h t e r und Prof. Dr. D ö r i g
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Oktober 2002 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  2. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

I


Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland.
Der im September 1957 geborene Kläger reiste im August 1978 als Tourist in das Bundesgebiet ein, nachdem er in der Türkei das Abitur gemacht hatte. Hier erhielt er zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse zu Studienzwecken. Im Dezember 1981 heiratete er eine deutsche Staatsangehörige. Aus der Ehe sind zwei Kinder, geboren 1983 und 1989, hervorgegangen. Nach der Heirat erhielt der Kläger weitere Aufenthaltserlaubnisse, außerdem wurde ihm die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gestattet. In der Folgezeit war er bei verschiedenen Firmen und in verschiedenen Berufen beschäftigt, wurde jedoch häufig arbeitslos. Zeitweise arbeitete er in der Boutique seiner Ehefrau in Münchberg. Von 1991 bis 1993 war er in der Gaststätte seiner Ehefrau in Bayreuth angestellt. In der Folgezeit - ab 1. Mai 1993 - arbeitete er weiter in der Gaststätte seiner Ehefrau, erhielt jedoch keinen festen Lohn und war nicht sozialversichert. Am 3. September 1995 wurde er wegen des Verdachts der Begehung von Rauschgiftdelikten in Untersuchungshaft genommen. Im August 1997 wurde er wegen bandenmäßiger Einfuhr und bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (72 kg Heroin) zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit Wirkung vom 1. März 2002 wurde die Vollstreckung des Strafrestes - nach Verbüßung von zwei Dritteln - zur Bewährung ausgesetzt und der Kläger aus der Haft entlassen. Die Bewährungszeit endet am 28. Februar 2006. Nach der Haftentlassung arbeitete er zunächst in der Firma seines Bruders, wurde im Februar 2005 jedoch erneut arbeitslos.
Mit Bescheid vom 3. Dezember 1999 wies das Landratsamt Bayreuth den Kläger aus. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Regierung von Oberfranken mit Bescheid vom 9. März 2000 zurück. Die dagegen gerichtete Klage blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Abweisung der Klage - in weitgehender Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht - darauf gestützt, dass die Ausweisung des Klägers ihre Rechtsgrundlage in § 47 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Satz 2 sowie § 47 Abs. 3 Satz 1 des auf sie anzuwendenden Ausländergesetzes (AuslG) habe und ihr weder europa- noch assoziationsrechtliche Vorschriften entgegenstünden. Auch lägen keine Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vor. Die Regelausweisung des Klägers nach §§ 47, 48 AuslG stehe nicht in Widerspruch zu assoziationsrechtlichen Vorschriften, wonach die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft im Verhältnis zur Türkei keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs sowie des Zugangs ordnungsgemäß beschäftigter Arbeitnehmer zum Arbeitsmarkt einführen dürften. Denn wegen Drogendelikten bestrafte Ausländer seien bereits aufgrund der früheren Rechtslage im Regelfall ausgewiesen worden. Auch andere Vorschriften des Assoziationsrechts hinderten die Ausweisung des Klägers nicht, da sie nach Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei (ARB 1/80) aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt sei. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob sich der Kläger auf Rechte aus dem Assoziationsvertrag berufen könne. Seine Ausweisung sei aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt, um andere vor Straftaten des Klägers zu schützen. Maßgeblich für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Ausweisungsverfügung sei die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Widerspruchsbescheides. Zu diesem Zeitpunkt sei die Prognose gerechtfertigt gewesen, dass vom Kläger eine erhebliche Wiederholungsgefahr ausgehe. Die finanziellen Probleme des Klägers, die ihn zu der Betäubungsmitteltat veranlasst hätten, seien zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides noch nicht gelöst gewesen. Daher habe die konkrete Gefahr bestanden, dass der Kläger insbesondere bei finanziellen Problemen erneut versuchen werde, sich die erforderlichen Geldbeträge durch Rauschgiftgeschäfte zu beschaffen. Die behördliche Gefahrenprognose werde im Übrigen auch durch das spätere Verhalten des Klägers bestätigt. Er habe während der langjährigen Haft keinen ausreichenden Abstand von dem Drogendelikt gewonnen. Die Wiederholungsgefahr sei auch nicht dadurch gebannt, dass er nach der Haftentlassung wieder bei seiner Familie lebe und einer Beschäftigung in der Firma seines Bruders nachgehe. Eine positive Entwicklung des Klägers nach dem maßgeblichen Zeitpunkt könne nur im Rahmen eines nach der Ausreise möglichen Antrags auf Befristung der Ausweisungswirkungen gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG Berücksichtigung finden (UA S. 13). Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), denn sie sei zur Verhinderung schwerwiegender Straftaten nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlich und verhältnismäßig.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Er bezieht sich auf eine von ihm im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vorgelegte Bescheinigung der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken vom 22. Februar 2000 über seinen Versicherungsverlauf und leitet daraus ab, dass er die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 erfülle, da er länger als vier Jahre ordnungsgemäß im Bundesgebiet beschäftigt gewesen sei. Als Assoziationsberechtigter habe er nicht ohne eine aktuelle Ermessensentscheidung ausgewiesen werden dürfen, an der es hier fehle. Da vom ihm keine Wiederholungsgefahr mehr ausgehe, sei die Ausweisung rechtswidrig.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen.

II


Die Revision des Klägers ist begründet.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Zu Unrecht hat es die Abweisung der Klage auch für den Fall bestätigt, dass sich der Kläger auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 - ARB 1/80 - berufen kann. Dann nämlich wäre die Ausweisung an zusätzlichen Anforderungen des Gemeinschaftsrechts zu messen. Das Berufungsgericht hätte deshalb nicht offen lassen dürfen, ob dem Kläger ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht zusteht. Da die Ausweisung im Übrigen nicht gegen innerstaatliches Recht verstößt, kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 3. August 2004 (- BVerwG 1 C 29.02 - InfAuslR 2005, 26; zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE bestimmt) seine Rechtsprechung geändert und entschieden, dass die in § 47 Abs. 1 und 2 des mit Ablauf des 31. Dezember 2004 außer Kraft getretenen Ausländergesetzes (AuslG) geregelten Tatbestände einer zwingenden Ausweisung und einer Regelausweisung (jetzt: §§ 53, 54 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - vom 30. Juli 2004, BGBl I S. 1950) als Rechtsgrundlagen für die Beendigung des Aufenthalts von türkischen Staatsangehörigen ausscheiden, die ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen. Der Senat hat damit die materiellrechtlichen Grundsätze, die aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 29. April 2004 (Rs. C-482/01 und C-493/01 - Orfanopoulos und Oliveri - InfAuslR 2004, 268) für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger abzuleiten waren (Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - InfAuslR 2005, 18), auch auf türkische Staatsangehörige übertragen, die sich auf ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 berufen können. Auch diese dürfen nur nach §§ 45, 46 AuslG (jetzt: § 55 AufenthG) in Verbindung mit den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Andererseits darf nach materiellem Gemeinschaftsrecht eine Maßnahme der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit - als Ausnahme vom Grundsatz der Freizügigkeit - nur auf ein Verhalten des Betroffenen gestützt werden, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Daraus ergibt sich, dass für die gerichtliche Überprüfung der Ausweisung nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigter türkischer Staatsangehöriger die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist (vgl. Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - InfAuslR 2005, 26 <27 f.>; ebenso EuGH, Urteil vom 11. November 2004, Rs. C-467/02,
Cetinkaya, InfAuslR 2005, 13, Rn. 41 ff.).
Mit dieser geänderten Rechtsprechung ist das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts nicht zu vereinbaren. War die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger auf der Grundlage der §§ 47, 48 AuslG als Regelausweisung ohne behördliche Ermessensentscheidung ergangen, so durfte nicht ungeklärt bleiben, ob der Kläger ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzt. Denn gegen hiernach aufenthaltsberechtigte türkische Staatsangehörige darf eine derartige Ausweisung nicht verfügt werden. Kam es darauf an, ob eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt ist (Art. 14 ARB 1/80), so durfte das Berufungsgericht auch nicht - wie hier - die Gefahr der Begehung erneuter Straftaten auf der Grundlage des Zeitpunktes der letzten behördlichen Entscheidung - hier vom März 2000 - beurteilen, ohne spätere Entwicklungen bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - im Oktober 2002 - zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht hätte danach nicht maßgeblich auf den Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2000 als maßgeblich für die Gefahrenprognose abstellen dürfen (UA S. 12). Zwar hat es die auf diesen Zeitpunkt bezogene Gefahrenbeurteilung durch das spätere Verhalten des Klägers als bestätigt angesehen und insoweit auch Entwicklungen nach Erlass des Widerspruchsbescheides berücksichtigt. Es hat insbesondere die Entwicklung der Einstellung des Klägers zu seiner Drogentat während der Strafhaft bedacht, wie sie in dem fachärztlichen Gutachten vom 20. Dezember 2001 gewürdigt wird, sowie den Umstand, dass der Kläger zwischenzeitlich aus der Haft entlassen wurde, wieder bei seiner Familie lebt und einer Beschäftigung in der Firma seines Bruders nachgegangen ist. Es hat aber hinsichtlich der finanziellen Lage des Klägers, die es als ursächlich für die Begehung der Straftat im Jahre 1995 angesehen hat, keine Feststellungen für die Zeit nach März 2000 getroffen. Eine positive Entwicklung des Klägers nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides soll nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nur im Rahmen eines nach der Ausreise möglichen Antrags auf Befristung der Ausweisungswirkungen Berücksichtigung finden (UA S. 13). Damit entsprechen seine Feststellungen zu der vom Kläger ausgehenden Gefahr nicht den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80.
2. Der Senat kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilen, ob dem Kläger ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 zusteht. Ein solches Recht könnte sich möglicherweise aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ergeben, da der Kläger nach seinen Angaben über einen Zeitraum von mehreren Jahren als Arbeitnehmer tätig gewesen ist. Das Berufungsgericht wird in diesem Zusammenhang zu klären haben, welche Bedeutung den Beschäftigungszeiten zukommt, die der Kläger erstmals in seiner Nichtzulassungsbeschwerde näher dargelegt und mit einer Bescheinigung der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken vom 22. Februar 2000 spezifiziert hat. Dabei wird es auch zu prüfen haben, ob die zahlreichen Unterbrechungen der Beschäftigung des Klägers, die sich aus der genannten Bescheinigung (vgl. insbesondere deren linke Spalte) ergeben, anspruchsschädlich sind (vgl. auch das Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 18. März 2003 - BVerwG 1 C 2.02 - BVerwGE 118, 61).
Das Berufungsgericht wird weiter zu prüfen haben, ob der Kläger eine etwa erworbene Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 durch Ausscheiden aus dem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis bei seiner Ehefrau, ohne sich bei der zuständigen Behörde arbeitslos zu melden, verloren hat (vgl. hierzu den Beschluss des Senats zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 26.02 - InfAuslR 2004, 379, infolge Revisionsrücknahme nachträglich aufgehoben). Ein Verlust der Rechtsstellung könnte auch durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in der Zeit nach dem 1. Mai 1993 eingetreten sein, auf die sich die Revision bezogen hat (Altmetallhandel, Gastronomie), oder aufgrund der mehr als sechsjährigen Haft des Klägers in der Zeit von September 1995 bis Februar 2002 (zur Frage der Schädlichkeit von Strafhaft für eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 vgl. Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs Wien vom 4. September 2003 - InfAuslR 2004, 264). Soweit sich gemeinschaftsrechtliche Zweifelsfragen stellen, kann ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 Satz 2 EG in Betracht kommen.
Dass sich in Fällen wie dem vorliegenden allerdings aus den Stillhalteklauseln des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 387) und des Art. 13 ARB 1/80 kein erhöhter Ausweisungsschutz ergeben kann, hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 26. Februar 2002 - BVerwG 1 C 21.00 - (BVerwGE 116, 55) ausgeführt; hieran ist festzuhalten.
Das Berufungsgericht kann das Bestehen eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts allenfalls dann wiederum offen lassen, wenn der Beklagte im Rahmen des erneuten Berufungsverfahrens nunmehr aufgrund einer individuellen Würdigung der Umstände des Einzelfalles (vgl. Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - InfAuslR 2005, 18 <22>) eine aktuelle Ermessensentscheidung trifft, die den Anforderungen des Art. 14 ARB 1/80 entspricht. Der Senat hat in seinem Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - a.a.O. für Fälle wie den vorliegenden entschieden, dass mit Rücksicht auf die durch das damalige Urteil vollzogene Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Ausweisungsschutz auch für nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigte türkische Staatsangehörige den Ausländerbehörden während eines Übergangszeitraums Gelegenheit zur Nachholung der Ermessensentscheidung zu geben ist, wenn die Ausweisung eines nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen als Ist- oder Regelausweisung nach § 47 Abs. 1 oder 2 AuslG (jetzt: §§ 53, 54 AufenthG) ohne Ermessensausübung verfügt worden war. Außerdem sind die Verwaltungsgerichte in einem solchen Fall verpflichtet, den Ausländerbehörden in gemeinschaftsrechtskonformer Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO Gelegenheit zur Nachholung einer Ermessensentscheidung und zur Aktualisierung der Ermessenserwägungen zu geben, soweit der gerichtlichen Kontrolle neue, nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens entstandene Tatsachen zugrunde zu legen sind.
3. Der Senat kann selbst nicht abschließend in der Sache entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Dies wäre hier nur dann möglich, wenn die angefochtene Ausweisungsverfügung bereits nach innerstaatlichem Recht rechtswidrig wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Ausweisung des Klägers den rechtlichen Anforderungen der §§ 47, 48 AuslG an eine Regelausweisung gerecht wird.
Die Ausweisung begegnet - vorbehaltlich neuer Erkenntnisse im anschließenden Berufungsverfahren - auch im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK keinen rechtlichen Bedenken, selbst wenn danach für die gerichtliche Kontrolle der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz als maßgeblich anzusehen sein sollte (vgl. EGMR, Urteil vom 31. Oktober 2002 - Beschwerde-Nr. 37295/97 - Yildiz - InfAuslR 2003, 126 <127 f.> m.w.N.). Die Ausweisung des Klägers verstößt schließlich nicht deshalb gegen Grundrechte, weil sie ohne Befristung verfügt worden ist. Angesichts der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat, seiner privaten und familiären Situation und seiner nach wie vor vorhandenen Beziehungen zur Türkei war es nach Art. 6 GG und nach Art. 8 EMRK auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bisher nicht geboten, die Ausweisung von vornherein zeitlich zu befristen (vgl. EGMR, Urteil vom 17. April 2003 - Beschwerde-Nr. 52853/99 - Yilmaz - NJW 2004, 2147 ff. m.w.N.; vgl. dazu allgemein auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 1. März 2004 - 2 BvR 1570/03 - EuGRZ 2004, 317 = InfAuslR 2004, 280).