Beschluss vom 15.06.2017 -
BVerwG 5 B 55.16ECLI:DE:BVerwG:2017:150617B5B55.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.06.2017 - 5 B 55.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:150617B5B55.16.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 55.16

  • VG Minden - 22.08.2014 - AZ: VG 6 K 232/14
  • OVG Münster - 24.05.2016 - AZ: OVG 12 A 1894/14

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Juni 2017
durch die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 2016 wird verworfen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (1.) und eines Verfahrensmangels (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Beschwerde ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

3 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt (BVerwG, Beschluss vom 4. April 2012 - 5 B 58.11 - juris Rn. 2 m.w.N.). An der Klärungsbedürftigkeit einer gestellten Rechtsfrage fehlt es unter anderem dann, wenn sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und/oder mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten lässt (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>). So liegt es hier.

4 Für grundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde die Frage,
"... ob es für die Beurteilung der Zweckidentität zwischen der Pflegezulage nach § 35 Absatz 1 Satz 2 und 3 BVG i.V.m. OEG und einer individuellen Jugendhilfeleistung nach § 39 Absatz 4 Halbs. 1, Abs. 5 SGB VIII im Fall einer fehlenden ausdrücklichen Zweckbestimmung der Jugendhilfeleistung ausreichend ist, wenn diese den gleichen Bedarf, den die Pflegezulage abdecken soll, in tatsächlicher Weise abdeckt" (Beschwerdebegründung S. 4).

5 Bei der Bezeichnung "§ 39 Absatz 4 Halbs. 1, Abs. 5 SGB VIII" handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler. Die Frage bezieht sich ebenso wie die tragenden Gründe der angegriffenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 10 ff.) auf individuelle Jugendhilfeleistungen, die in § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII geregelt sind.

6 Die so verstandene Frage rechtfertigt auch unter Berücksichtigung des weiteren Beschwerdevorbringens nicht die Zulassung der Revision. Sie würde sich in einem Revisionsverfahren in dieser Form nicht stellen, da sie auf einer Annahme beruht, von der das Oberverwaltungsgericht nicht ausgegangen ist. Dieses hat der Sache nach angenommen, dass die Beklagte den Zweck, der mit den im konkreten Fall nach § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII gewährten individuellen Leistungen erreicht werden solle, (ausdrücklich) bestimmt habe. Zwar habe die Beklagte die Festlegung des Zwecks nicht selbst vorgenommen. Durch die Bezahlung der Rechnungen des Trägers der Pflegestelle habe sie sich aber dessen Zweckbestimmung (konkludent) zu eigen gemacht. Nach der sich aus der Bezeichnung der einzelnen Positionen in den Abrechnungen des Trägers der Pflegestelle ergebenden Zweckbestimmung sei keine der abgerechneten Positionen zur Deckung des Grundpflegebedarfs des Klägers zu dienen bestimmt.

7 2. Die Beschwerde ist nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

8 Die Beschwerde sieht einen solchen in Form der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO darin, dass das Berufungsgericht zwar die einschlägigen Rechtsvorschriften, Vereinbarungen, Erlasse, Rundschreiben und Rechnungen geprüft, aber nicht die jeweiligen Mitarbeiterinnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes der Berufungsbeklagten und des vorherigen Jugendhilfeträgers befragt habe, der über die Jugendhilfeleistung ursprünglich entschieden, diese installiert und die einzelnen Verträge abgeschlossen habe (Beschwerdebegründung S. 5).

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Aufklärungsrüge kein Mittel darstellt, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren. Deshalb muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2015 - 5 B 36.14 - juris Rn. 7 m.w.N.). Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Beschwerde nicht.

10 Es kann dahinstehen, ob es nach der insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, es sei Sache der Beklagten festzulegen, mit welcher Leistung sie welchem Bedarf Rechnung tragen wolle (UA S. 11), überhaupt entscheidungserheblich auf die Aussage der Mitarbeiterinnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes der Berufungsbeklagten oder des vorherigen Jugendhilfeträgers ankommen kann oder ob sich der Zweck der Leistung vielmehr nur aus der Entscheidung des Jugendhilfeträgers, die die individuelle Sozialleistung konkretisiert, und den dieser zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen ergeben kann. Die Beschwerde genügt den Darlegungsanforderungen schon deshalb nicht, weil sie nicht begründet, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Oberverwaltungsgericht die für geboten gehaltene Beweisaufnahme auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen. Derartige Ausführungen sind erforderlich gewesen, weil die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht am 24. Mai 2016 ausweislich der Sitzungsniederschrift keinen Beweisantrag auf Vernehmung der betreffenden Mitarbeiterinnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes der Beklagten und des vorherigen Jugendhilfeträgers gestellt hat.

11 3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

12 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.