Beschluss vom 18.11.2024 -
BVerwG 4 BN 17.24ECLI:DE:BVerwG:2024:181124B4BN17.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.11.2024 - 4 BN 17.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:181124B4BN17.24.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 17.24

  • OVG Lüneburg - 15.05.2024 - AZ: 1 KN 101/23

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. November 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Decker und Dr. Seidel
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Mai 2024 wird verworfen.
  2. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 40 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist unzulässig. Sie verfehlt die Anforderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO stellt.

2 Nach der genannten Vorschrift ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Divergenzgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Divergenzgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt, genügt dagegen nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 2024 - 4 B 9.24 - juris Rn. 2 m. w. N.).

3 Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der angegriffene Bebauungsplan Nr. 88 "Bethelquartier" nicht an einem Abwägungsfehler i. S. v. § 1 Abs. 7 BauGB leidet, obwohl der Rat der Antragsgegnerin die zugunsten der Grundstücke der Antragstellerinnen bestehenden privatrechtlichen Beschränkungen in Gestalt von Grunddienstbarkeiten und Baubeschränkungen an dem benachbarten, früher für das Krankenhaus Bethel genutzten Grundstück in der Abwägungsentscheidung nicht berücksichtigt hat. Der Bebauungsplan wirke sich nicht auf diese Rechte aus und sei auch bei Beachtung der privatrechtlichen Grenzen in seinen städtebaulichen Zielsetzungen realisierbar; infolgedessen handele es sich bei den Grunddienstbarkeiten und Baubeschränkungen um keine Belange, die von der Antragsgegnerin im Rahmen der Abwägung hätten berücksichtigt werden müssen (UA S. 6). Abwägungserheblich seien die Grunddienstbarkeiten und Baubeschränkungen zudem deshalb nicht gewesen, weil - die generelle Abwägungserheblichkeit entgegen der vorigen Ausführungen unterstellt - ihr Bestehen und ihre Bedeutung für den Rat der Antragsgegnerin bei der Entscheidung über den Bebauungsplan nicht erkennbar gewesen seien; vielmehr habe es den Antragstellerinnen oblegen, ihre individuellen abweichenden Interessen der planenden Gemeinde im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zur Kenntnis zu geben, was nicht geschehen sei (UA S. 7).

4 Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. April 2024 - 4 B 19.23 - juris Rn. 3 m. w. N.). Jedenfalls in Bezug auf die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Grunddienstbarkeiten und Baubeschränkungen seien nicht abwägungserheblich gewesen, weil ihr Bestehen und ihre Bedeutung für den Rat der Antragsgegnerin bei der Entscheidung über den Bebauungsplan nicht erkennbar waren, ist ein Revisionszulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO nicht dargelegt worden. Entgegen der Auffassung der Beschwerde handelt es sich bei diesen Ausführungen nicht um ein obiter dictum, sondern um eine zusätzliche Begründung für die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass die Antragsgegnerin die Grunddienstbarkeiten und Baubeschränkungen im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB nicht berücksichtigen musste. Das folgt ohne weiteres aus dem Einleitungssatz für die anschließende Prüfung der Erkennbarkeit von Grunddienstbarkeiten und Baubeschränkungen durch die Verwendung des Wortes "zudem" (UA S. 6). Versteht der Senat die Beschwerde insoweit wohlwollend dahin, dass mit dem Verweis auf den Beschluss des Senats vom 1. September 1999 - 4 BN 25.99 - (NVwZ-RR 2000, 146 <148>) eine Divergenz gerügt werden soll, ist diese nicht den o. g. Anforderungen entsprechend dargelegt. Die Beschwerde entnimmt diesem Beschluss den Rechtssatz, dass im Rahmen der Abwägung auch eine Auseinandersetzung mit Fragen geboten sein kann, die im Beteiligungsverfahren von keiner Seite angesprochen worden sind (BVerwG, Beschluss vom 1. September 1999 a. a. O. S. 148). Sie zeigt aber nicht auf, mit welchem Rechtssatz das Oberverwaltungsgericht dem widersprochen hat. Die tragende Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass Belange, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über einen Bauleitplan nicht erkennbar waren, nicht abwägungserheblich sind, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. September 2022 - 4 BN 30.22 - juris Rn. 4 m. w. N.). Dieser Grundsatz findet sich der Sache nach auch in dem Beschluss vom 1. September 1999 (a. a. O. S. 147). Ungeachtet dessen ist der von der Beschwerde zitierte Rechtssatz offenkundig nicht dahingehend zu verstehen, dass die Gemeinde auch solche Belange einstellen muss, die für sie nicht erkennbar waren. Der Beschluss geht vielmehr davon aus, dass der dort in Rede stehende sog. Lautheitseffekt als Geräuschphänomen bei Schienenwegen allgemein bekannt ist oder bekannt sein musste und deshalb auch ohne ausdrückliche Benennung im Beteiligungsverfahren in der Abwägung berücksichtigt werden musste.

5 Auf das Beschwerdevorbringen zu der weiteren selbständig tragenden Begründung des Oberverwaltungsgerichts, die Grunddienstbarkeiten und Baubeschränkungen seien mangels städtebaulicher Relevanz nicht abwägungsrelevant, kommt es danach nicht mehr an.

6 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 i. V. m. § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.