Verfahrensinformation

Die Kläger sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasste Weltanschauungsgemeinschaften und wenden sich gegen den im Jahr 2018 in Kraft getretenen § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) und dessen Umsetzung. Nach § 28 AGO ist im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen. Das Verwaltungsgericht verwies die Anträge auf Aufhebung des § 28 AGO an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und wies die Klagen auf Entfernung der im Eingangsbereich der Dienstgebäude angebrachten Kreuze ab. Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof hatten die Kläger keinen Erfolg. Die Klage auf Aufhebung des § 28 AGO sei zulässig, aber nicht begründet. Der Erlass der Verwaltungsvorschrift verletze die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Klage auf Entfernung der angebrachten Kreuze im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen sei unbegründet. Durch das Anbringen von Kreuzen verstoße der Beklagte zwar gegen die Verpflichtung des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Hierdurch werde aber nicht in Grundrechte der Kläger eingegriffen. 


Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihren Revisionen.


Pressemitteilung Nr. 96/2023 vom 19.12.2023

Kein Anspruch auf Entfernung von Kreuzen in Dienstgebäuden des Freistaats Bayern

Der Freistaat Bayern muss nicht die gemäß dem sog. Kreuzerlass angebrachten Kreuze in seinen Dienstgebäuden entfernen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Kläger sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasste Weltanschauungsgemeinschaften und wenden sich gegen den im Jahr 2018 in Kraft getretenen § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) und dessen Umsetzung. Nach dieser Vorschrift ist im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen. Ferner empfiehlt § 36 AGO sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, nach dieser Geschäftsordnung zu verfahren. In den Vorinstanzen hatten die Kläger keinen Erfolg. Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs begründen der sog. Kreuzerlass und die auf seiner Grundlage veranlasste Aufhängung von Kreuzen zwar einen Verstoß gegen die objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität. Ein Eingriff in die Grundrechte der Kläger aus Art. 4 und Art. 3 GG liege aber nicht vor. Das Begehren auf Abgabe einer Empfehlung an die sonstigen Personen des öffentlichen Rechts, die in Befolgung von Art. 36 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen, sei unzulässig.


Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revisionen zurückgewiesen. Die Klage auf Aufhebung des § 28 AGO (BVerwG 10 C 3.22) ist unzulässig. Diese Vorschrift ist eine bloße Verwaltungsvorschrift ohne rechtliche Außenwirkung und verletzt deshalb keine Rechte der Kläger. Für die Kläger besteht effektiver Rechtsschutz gegen die gemäß dem Kreuzerlass angebrachten Kreuze. Ihre hierauf gerichtete Klage im Verfahren BVerwG 10 C 5.22 ist jedoch unbegründet. Die angebrachten Kreuze stellen zwar für den objektiven Betrachter ein zentrales Symbol des christlichen Glaubens dar. Sie verletzen die Kläger jedoch in keiner eigenen von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfassten Freiheitsgewährleistung. Insbesondere genießen die Kläger als kollektive Grundrechtsträger keinen Konfrontationsschutz gegenüber im Eingangsbereich von Behörden angebrachten Kreuzen. Auch das grundrechtliche Diskriminierungsverbot wegen des Glaubens gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates wird nicht verletzt. Danach darf der Staat zwar nicht bestimmte Glaubensgemeinschaften privilegieren. Eine Bevorzugung christlicher Glaubensgemeinschaften hat der Verwaltungsgerichtshof aber für das Revisionsgericht bindend in tatsächlicher Hinsicht gerade nicht festgestellt, sondern einen Werbeeffekt für diese durch die Anbringung der Kreuze verneint. Aus dem Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität ergibt sich nichts Weiteres zugunsten der Kläger. Er verlangt vom Staat keinen vollständigen Verzicht auf religiöse Bezüge im Sinne einer strengen Laizität, sondern verpflichtet ihn zur Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und verbietet ihm die Identifikation mit einem bestimmten Glauben. Nach dem Kontext und Zweck der Verwendung des Kreuzessymbols identifiziert sich der Freistaat Bayern durch die Aufhängung von Kreuzen nicht mit christlichen Glaubenssätzen. Schon nach dem Wortlaut der im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlichten Regelung des § 28 AGO soll das Kreuz vielmehr Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns sein. Seine Anbringung im Eingangsbereich von Behörden steht der Offenheit des Staates gegenüber anderen Bekenntnissen und Weltanschauungen nicht im Weg.


Das Begehren auf Abgabe einer Empfehlung an die sonstigen Personen des öffentlichen Rechts, die in Befolgung von Art. 36 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen, ist bereits unzulässig. Ein Anspruch auf Abgabe einer verwaltungsinternen Empfehlung ohne rechtliche Außenwirkung besteht nicht.


BVerwG 10 C 3.22 - Urteil vom 19. Dezember 2023

Vorinstanz:

VGH München, VGH 5 N 20.1331 - Urteil vom 01. Juni 2022 -

BVerwG 10 C 5.22 - Urteil vom 19. Dezember 2023

Vorinstanzen:

VGH München, VGH 5 B 22.674 - Urteil vom 01. Juni 2022 -

VG München, VG M 30 K 20.2325 - Urteil vom 17. September 2020 -


Urteil vom 19.12.2023 -
BVerwG 10 C 3.22ECLI:DE:BVerwG:2023:191223U10C3.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 19.12.2023 - 10 C 3.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:191223U10C3.22.0]

Urteil

BVerwG 10 C 3.22

  • VGH München - 01.06.2022 - AZ: 5 N 20.1331

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2023
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Rublack und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer, Dr. Günther, Dr. Löffelbein und Dr. Wöckel
am 19. Dezember 2023 für Recht erkannt:

  1. Die Revisionen werden zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils zur Hälfte.

Gründe

I

1 Die Kläger sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasste Weltanschauungsgemeinschaften und wenden sich gegen den sogenannten Kreuzerlass der Bayerischen Staatsregierung.

2 Im April 2018 beschloss die Bayerische Staatsregierung unter Änderung von § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung (AGO) für die Behörden des beklagten Freistaats, dass im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns ein Kreuz gut sichtbar anzubringen sei. Ferner empfiehlt § 36 AGO Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, nach dieser Geschäftsordnung zu verfahren. Die Änderung wurde im Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht und trat zum 1. Juni 2018 in Kraft.

3 Hiergegen erhoben die Kläger sowie 25 Privatpersonen Klage zum Verwaltungsgericht und begehrten die Verpflichtung des Beklagten, § 28 AGO aufzuheben, den sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, die in Befolgung von § 36 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen, sowie hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die in seinen Dienststellen gemäß § 28 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen.

4 Den Klageantrag, § 28 AGO aufzuheben, hat das Verwaltungsgericht abgetrennt und als Normenkontrollantrag an den Verwaltungsgerichtshof verwiesen (5 N 20.13 31 ). Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klagen der 25 Privatpersonen mangels einer Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen und die Revision nicht zugelassen; die diesbezüglichen Nichtzulassungsbeschwerden sind vor dem Bundesverwaltungsgericht ohne Erfolg geblieben (Beschluss vom 9. Juni 2023 - BVerwG 10 B 13.22 -).

5 Die Klagen auf Aufhebung des § 28 AGO hat der Verwaltungsgerichtshof als zulässig, aber unbegründet abgewiesen und die Revision zugelassen. Die Kläger seien als Weltanschauungsgemeinschaften klagebefugt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Beklagte seine Neutralitätspflicht und die Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit der Kläger durch den Erlass des § 28 AGO sowie dessen öffentliche Bekanntmachung im Gesetz- und Verordnungsblatt und die durch ihn veranlasste Aufhängung der Kreuze in staatlichen Dienstgebäuden verletzt habe. Die Eingriffsqualität hänge - anders als bei natürlichen Personen - nicht davon ab, ob im Einzelfall eine unausweichliche Konfrontation mit einem Glaubenssymbol gegeben sei. Die Klagen seien jedoch unbegründet. Die Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität sei ein objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip und begründe als solches kein einklagbares subjektives Recht der Kläger als Weltanschauungsgemeinschaften.

6 Mit ihren Revisionen verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter: Sie seien in ihrer Glaubensbetätigungsfreiheit beeinträchtigt. Zudem seien sie in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung verletzt. Durch das in den Kreuzen zum Ausdruck kommende staatliche Bekenntnis zum Christentum würden Atheisten, Agnostiker und Andersgläubige gegenüber Christen und die Kläger gegenüber den christlichen Kirchen herabgesetzt. Auch der Kontakt mit dem Kreuz im Eingangsbereich einer Behörde sei wirkmächtig.

7 Die Kläger beantragen,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Juni 2022 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) aufzuheben.

8 Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

9 Die Klagen seien bereits mangels Außenwirkung des § 28 AGO unzulässig. Auch bei Annahme zulässiger Klagen ergebe sich aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs keine Verletzung des Gebots weltanschaulich-religiöser Neutralität.

II

10 Die zulässigen Revisionen der Kläger sind nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs beruht im Ergebnis nicht auf einer Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Allerdings sind die Leistungsklagen mangels Klagebefugnis bereits unzulässig.

11 Die Zulässigkeit der Klagen ist auch im Revisionsverfahren von Amts wegen und damit abweichend von dem Rügevorbehalt des § 137 Abs. 3 Satz 1 VwGO zu prüfen (BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1985 - 2 C 14.84 - BVerwGE 71, 73; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 143 Rn. 4).

12 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs lässt sich aus dem Erlass des § 28 AGO und dessen Bekanntgabe im Gesetz- und Verordnungsblatt nichts für eine Klagebefugnis der Kläger (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO analog) ableiten. § 28 AGO ist eine bloße Verwaltungsvorschrift ohne rechtliche Außenwirkung und verletzt schon deshalb keine Rechte der Kläger. Eine rechtliche Betroffenheit außerhalb der Verwaltung stehender Rechtssubjekte scheidet aus. Die Auffassung der Kläger, auch Verwaltungsvorschriften könnten Außenwirkung mit subjektiv-rechtlicher Bedeutung entfalten, ist zwar insoweit zutreffend (zu einem Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG durch Richtlinien zur Förderung von einzelbetrieblichen Investitionen in der Landwirtschaft vgl. BVerwG, Urteil vom 6. November 1986 - 3 C 72.84 - BVerwGE 75, 109 <115>), als zur Auslösung einer grundrechtlichen Wirkung je nach Art und Ausmaß auch tatsächliche Auswirkungen staatlicher Maßnahmen genügen können, wenn schon dadurch der Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts berührt wird (so BVerwG, Urteil vom 18. April 1985 - 3 C 34.84 - BVerwGE 71, 183 <191>, Beschluss vom 9. Juni 2023 - 10 B 13.22 - juris Rn. 10). Hierfür ist indes nichts ersichtlich. Entsprechendes tragen die Kläger auch nicht schlüssig vor. Soweit sie sich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juni 2020 - 2 BvE 1/19 - (BVerfGE 154, 320) berufen, wo die Verletzung einer Partei in ihrem Recht auf chancengleiche Teilnahme am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG durch die Veröffentlichung eines Interviews auf der Homepage eines Ministers in Rede stand, war dort eine rechtlich relevante Außenwirkung mit der staatlichen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit bereits entstanden.

13 Vorliegend kann sich eine rechtlich beachtliche Wirkung für die Kläger erst mit der Anbringung eines Kreuzes im Eingangsbereich einer staatlichen Behörde entfalten. Dies gilt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs auch für die von den Klägern geltend gemachte diskriminierende Benachteiligung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG durch Erlass und Bekanntmachung des § 28 AGO. Diese Publizität begründet noch keine beachtliche Außenwirkung mit der Möglichkeit eines Eingriffs in ein subjektives Recht. Erst die Anbringung der Kreuze, also die Umsetzung der Verwaltungsvorschrift, kann zu solch einer Außenwirkung und damit zu einer rechtlichen Betroffenheit Dritter führen.

14 Auch dem Hinweis der Kläger auf die unter bestimmten Voraussetzungen anzunehmende Zulässigkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1985 - 3 C 34.84 - BVerwGE 71, 183; zu einer Veröffentlichung von Arzneimittel-Transparenzlisten) lässt sich nichts zugunsten ihrer Klagebefugnis entnehmen. Das Bundesverwaltungsgericht sah im dortigen Verfahren die vorbeugende Unterlassungsklage aufgrund eines besonderen Rechtsschutzinteresses als zulässig an und bejahte einen Unterlassungsanspruch. Aus Gründen effektiven Rechtsschutzes musste der damalige Kläger nicht die Publikation der Transparenzliste abwarten. Vorliegend besteht für die Kläger indes wirksamer Rechtsschutz gegen die gemäß dem Kreuzerlass angebrachten Kreuze. Insoweit wird auf das gleichzeitig mit dem vorliegenden Verfahren entschiedene Verfahren BVerwG 10 C 5.22 Bezug genommen.

15 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.