Beschluss vom 08.03.2018 -
BVerwG 1 B 7.18ECLI:DE:BVerwG:2018:080318B1B7.18.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 08.03.2018 - 1 B 7.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:080318B1B7.18.0]
Beschluss
BVerwG 1 B 7.18
- VG Stade - 30.10.2014 - AZ: VG 4 A 19/14
- OVG Lüneburg - 05.12.2017 - AZ: OVG 4 LB 51/16
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. März 2018
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph und Dr. Wittkopp
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 2017 wird verworfen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1 Die Beschwerde, mit der eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird, ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
2 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris).
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Gemessen daran ist eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage,
"ob die Sicherheitssituation eines von Deutschland aus gesehen weit entfernt liegenden Gebietes nur anhand von Zahlen- und Beweismaterialien festgestellt werden kann und soll, oder ob die Beurteilung der Lage in der Tat auf nachvollziehbaren, konsequenten, logischen und glaubhaften Situationsbeschreibungen durch die betroffene Person basieren soll - so wie es das VG Stade in seinem Urteil vom 30.10.2014 getan hat -"
nicht dargelegt. Welche Anforderungen an das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu stellen sind, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, geklärt. Danach bedarf es für die individuelle Betroffenheit einer Feststellung zur Gefahrendichte, die jedenfalls auch eine annäherungsweise quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos umfasst. Erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, ist eine wertende Gesamtschau zur individuellen Betroffenheit eines Klägers möglich (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33, vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u Asylrecht Nr. 58 Rn. 22 f. und vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 14 Rn. 24, jeweils zu der wortgleichen Vorgängernorm des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.).
4 Einen neuerlichen Klärungsbedarf legt die Beschwerde nicht dar. Insbesondere ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht, dass der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - wie behauptet - im gleichen rechtlichen Zusammenhang andere Maßstäbe setzt. Die maßstäblichen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 3. November 2017 - A 11 S 1704/17 -, auf die die Beschwerde sich beruft, betreffen nicht den subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (= Art. 15 Buchst. c Richtlinie 2011/95/EU), sondern den subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (= Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EU). Sie sind daher von vornherein nicht geeignet, einen (erneuten) Klärungsbedarf bei der Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG hervorzurufen. Nur auf diese Norm bezieht sich aber der Sache nach die vom Kläger gestellte Frage, zumal das Berufungsgericht nur in diesem Rahmen maßgeblich auf die vom Kläger beanstandete quantitative Betrachtung abgestellt hat.
5 Auch mit dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage nicht auf. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger darauf, das Berufungsgericht selbst entscheide uneinheitlich, weil derselbe Senat mit Urteil vom gleichen Tage (4 LB 50/16) einem anderen somalischen Staatsangehörigen aufgrund dessen individueller Situation subsidiären Schutz gewährt habe. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich nicht entnehmen, dass diese Entscheidung auf der Anwendung divergierender Maßstäbe beruhte. Der bloße Hinweis darauf, dass beide Kläger aus der Region südlich von Mogadishu stammen und zu Minderheitsclans gehören, leistet dies nicht. Die Beschwerde weist im Gegenteil selbst darauf hin, dass beide Urteile des Oberverwaltungsgerichts "weitestgehend die gleiche Rechtsprechung" zitieren, und liefert mit dem Verweis auf die Berücksichtigung der individuellen Situation auch die Erklärung für die abweichenden Ergebnisse. Ein revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf ergibt sich daraus nicht.
6 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.