Beschluss vom 20.11.2025 -
BVerwG 3 BN 3.25ECLI:DE:BVerwG:2025:201125B3BN3.25.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 20.11.2025 - 3 BN 3.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:201125B3BN3.25.0]
Beschluss
BVerwG 3 BN 3.25
- OVG Berlin-Brandenburg - 22.01.2025 - AZ: 5 A 39/22
In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 20. November 2025 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß und Dr. Sinner beschlossen:
- Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. Januar 2025 wird zurückgewiesen.
- Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Antragsteller zu 1. und 2. und ihr Sohn, der am ... geborene Antragsteller zu 3., leben in Brandenburg. Ab August 2020 besuchte der Antragsteller zu 3. die erste Klasse der Grundschule. Die Antragsteller begehren mit ihrem am 26. April 2021 gestellten Normenkontrollantrag die nachträgliche Feststellung, dass § 17 Abs. 1 der Siebten Verordnung über befristete Eindämmungsmaßnahmen aufgrund des SARS-CoV-2-Virus und COVID-19 im Land Brandenburg (Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung - 7. SARS-CoV-2-EindV) vom 6. März 2021 (GVBl. II/24 S. 1) in der Fassung der Sechsten Änderungsverordnung vom 23. April 2021 (GVBl. II/41 S. 1), mit der dort geregelten Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske auch für Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 4, und § 17a Abs. 1 der 7. SARS-CoV-2-EindV, wonach der Zutritt zu Schulen ohne Nachweis eines Testergebnisses über das Nichtvorliegen einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus verboten war, unwirksam gewesen sind.
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Die Vorschriften hatten folgenden Wortlaut:
§ 17
Schulen
(1) In den Innen- und Außenbereichen von Schulen nach § 16 des Brandenburgischen Schulgesetzes und in freier Trägerschaft besteht für folgende Personen die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske:
1. für alle Schülerinnen und Schüler, außer im Sportunterricht; Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 4 sind im Außenbereich von Schulen von der Tragepflicht ausgenommen,
2. für alle Lehrkräfte und das sonstige Schulpersonal,
3. für alle Besucherinnen und Besucher.
Schülerinnen und Schüler sind von der Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske bei Klausuren mit einer Dauer ab 240 Minuten befreit, wenn das Abstandsgebot eingehalten wird. Für Schülerinnen und Schüler mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt "geistige Entwicklung" kann die Schule aus pädagogischen Gründen eine Befreiung von der Tragepflicht zulassen. Während des Stoßlüftens in den Schulräumen können Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte und das sonstige Schulpersonal die medizinische Maske vorübergehend abnehmen.
(2) - (6) ...
§ 17a
Verbot des Zutritts zu Schulen, Kindertagesstätten und Kindertagespflegestellen
(1) Der Zutritt zu Schulen nach § 17 Absatz 1 Satz 1 ist allen Personen untersagt, die der jeweiligen Schule keinen Nachweis über ein Testergebnis hinsichtlich des Nichtvorliegens einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus nach Absatz 2 vorlegen; hierauf ist im Eingangsbereich der betreffenden Schule hinzuweisen. Zu Schulen gehören auch deren Außenanlagen, soweit sie für eine ausschließliche Nutzung durch die Schulen bestimmt sind. Das Zutrittsverbot nach Satz 1 gilt nicht für Personen,
1. die unmittelbar nach dem Betreten der Schule eine Testung in Bezug auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus durchführen; bei einem positiven Testergebnis ist die Schule unverzüglich zu verlassen,
2. die Schülerinnen oder Schüler zum Unterricht in der Primarstufe, zur Notbetreuung in Grundschulen oder zum Unterricht in Förderschulen bringen oder sie von dort abholen,
3. deren Zutritt zur Schule zur Aufrechterhaltung des Betriebs der Schule zwingend erforderlich ist (insbesondere zur Durchführung notwendiger betriebs- oder einrichtungserhaltender Bau- oder Reparaturmaßnahmen),
4. deren Zutritt zur Schule zur Erfüllung eines Einsatzauftrages der Feuerwehr, des Rettungsdienstes, der Polizei oder des Katastrophenschutzes notwendig ist.
(2) Zur Umsetzung der Testpflicht nach § 28b Absatz 3 Satz 1 Halbsatz 2 des Infektionsschutzgesetzes haben Schülerinnen und Schüler sowie das Schulpersonal an zwei von der jeweiligen Schule bestimmten, nicht aufeinanderfolgenden Tagen pro Woche ein tagesaktuelles negatives Testergebnis vorzulegen. Liegt dem Testergebnis ein Antigen-Test zur Eigenanwendung durch Laien (Selbsttest) zugrunde, der ohne fachliche Aufsicht durchgeführt worden ist, hat die getestete Person oder, sofern sie nicht volljährig ist, ein Sorgeberechtigter dieser Person als Nachweis eine Bescheinigung über das Testergebnis zu unterzeichnen.
(3) ...
3 Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt. Die angegriffenen Regelungen hätten auf einer verfassungskonformen Rechtsgrundlage beruht und seien formell sowie materiell rechtmäßig gewesen.
4 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde der Antragsteller.
II
5 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
6 Die Rechtssache hat nicht die von den Antragstellern geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
7 Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darzulegen und setzt die Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint und im Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. April 2017 - 3 B 48.16 - juris Rn. 3 und vom 3. Februar 2025 - 3 BN 4.24 - juris Rn. 7, jeweils m. w. N.). Ist eine Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet, kommt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nur in Betracht, wenn die Beschwerde neue rechtliche Gesichtspunkte aufzeigt, die ein Überdenken der bisherigen Rechtsprechung erforderlich machen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. Juli 2019 - 6 B 2.18 - NVwZ 2019, 1771 Rn. 7 und vom 30. Juni 2025 - 3 BN 5.24 - juris Rn. 9, jeweils m. w. N.).
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1. Die von den Antragstellern als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
"ob §§ 17 I [Abs. 1] und 17a der streitgegenständlichen Polizeiverordnung (die Verordnung hat den offiziellen Titel: 7. SARS-Cov-2-Eindämmungsverordnung in der Fassung vom 18.4.2021) mit § 28a I [Abs. 1] Nr. 16 Infektionsschutzgesetz (IfSG) i. V. m. Artikel 20 III [Abs. 3] Grundgesetz vereinbar ist"
führt nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Die bundesrechtlichen einschließlich der bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen an Landesverordnungen auf der Grundlage von § 32 i. V. m. §§ 28, 28a IfSG sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weitgehend geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - BVerwGE 177, 60 Rn. 47 ff. und - 3 CN 2.21 - BVerwGE 177, 92 Rn. 12 ff. und vom 26. Juni 2025 - 3 CN 3.23 - juris Rn. 18 ff.). Zu den Anforderungen gehört auch, dass die Annahme des Verordnungsgebers, ohne die erlassenen Ge- und Verbote werde das Ziel gefährdet, die Ausbreitung der übertragbaren Krankheit zu verlangsamen, eine tragfähige tatsächliche Grundlage haben muss (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - BVerwGE 177, 60 Rn. 52; BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 177). Die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 und 6 IfSG durch den Deutschen Bundestag ändert daran nichts. Anderes hat auch das Oberverwaltungsgericht nicht angenommen (UA S. 20 ff.). Einen über die vorliegende Rechtsprechung hinausweisenden Klärungsbedarf zum Maßstab des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) oder neue rechtliche Gesichtspunkte, die ein Überdenken der bisherigen Rechtsprechung erforderlich machten, zeigt die Beschwerde nicht auf, sondern beschränkt sich auf eine Kritik an der Rechtsanwendung durch das Oberverwaltungsgericht.
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2. Die weitere von den Antragstellern aufgeworfene Frage,
"unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen eine Gefahrenlage besteht, die hinreichend ist, um die 'Verhältnismäßigkeitsschwelle' im Sinne des § 28a I [Abs. 1] Nr. 16 Infektionsschutzgesetz für die Verhängung eines allgemeinen Maskierungsgebotes beim Schulbesuch für Grundschüler ab der ersten Schulklasse bzw. die Verhängung der Pflicht eines entsprechenden, täglich zu erneuernden 'Gesundheitsnachweises' für diese Personengruppe als überschritten ansehen zu können",
ist einer Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich. Sie zielt auf eine Bestimmung tatsächlicher Verhältnisse, zeigt aber keine in einem Revisionsverfahren allein klärungsfähige Rechtsfrage zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf.
10 Mangels Klärungsfähigkeit der von den Antragstellern aufgeworfenen Frage kommt es auf die von ihnen herangezogene, bislang unveröffentlichte Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. März 2025 - 3 KN 36/20 - zur erweiterten Mund-Nasen-Bedeckungspflicht in der Zeit vom 1. bis 30. November 2020 für Grundschülerinnen und Grundschüler nicht an. Ausweislich der Pressemitteilung vom 28. März 2025 hat das Oberverwaltungsgericht in der Regelung im Übrigen keinen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erblickt, sondern dem Antrag stattgegeben, weil die zuständige Ministerin nur Regelungen für den Zeitraum, für den ihr die Ermächtigung übertragen worden war, treffen durfte. Im Hinblick darauf hat es die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
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3. Die Fragen,
"inwieweit eine 'Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite' gemäß § 5 I [Abs. 1] 1 IfSG die für den Erlaß einer Schutzmaßnahme (ordnungsbehördliche Verfügung bzw. Verordnung) zuständige Landesbehörde bei der Ermittlung der zu bekämpfenden Gefahren für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit an die Feststellung im Sinne von § 5 I [Abs. 1] IfSG gebunden ist [bindet]",
und
"ob und in welchem Umfang die für die Umsetzung von ordnungsbehördlichen Gefahrenabwehrmaßnahmen im Sinne von § 28a [Abs. 1] Nr. 16 IfSG zuständigen Behörden aufgrund eines 'Feststellungsbeschlusses' des Parlaments im Sinne des § 5 I [Abs. 1] 1 IfSG berechtigt bzw. sogar verpflichtet sind, im Rahmen der 'Prüfung' des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale einer abstrakten Gefahr Stimmungen und Ängste in der Bevölkerung zu berücksichtigen",
rechtfertigen ebenfalls nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.
12 Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, inwieweit die Fragen in einem Revisionsverfahren entscheidungserheblich sein sollten. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht angenommen, dass die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag Feststellungen zur Infektionslage bei Erlass der Verordnung entbehrlich macht (vgl. UA S. 20 ff.). Es hat auch nicht auf Stimmungen und Ängste in der Bevölkerung abgestellt.
13 Dass der Verordnungsgeber bei seiner Gefahrenprognose die vom Robert Koch-Institut (RKI) zur Verfügung gestellten Erkenntnisse und Bewertungen zu SARS-CoV-2 und COVID-19 wie ein Sachverständigengutachten bei seiner Entscheidung berücksichtigen und den erlassenen Ge- und Verboten zugrunde legen durfte, ist im Übrigen in der Rechtsprechung geklärt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 178; BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - BVerwGE 177, 60 Rn. 57). Hiermit setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander, sondern beschränkt sich auf Mutmaßungen über die fehlende Unabhängigkeit des RKI (Beschwerdebegründung S. 7).
14 Soweit die Antragsteller vortragen, sie hätten zur tatsächlichen Grundlage der Gefahrenprognose und der Geeignetheit der Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske auch für Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 4 erfolglos die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt (Beschwerdebegründung S. 6 f.), haben sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht ausweislich des Sitzungsprotokolls keinen Beweisantrag gestellt, sondern lediglich angeregt, dass das Gericht von Amts wegen ein Sachverständigengutachten zur Frage der Gefährdungslage durch das Coronavirus im Frühjahr 2021 einholt (Protokoll der mündlichen Verhandlung S. 2). Einen Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO haben sie mit ihrer Beschwerde nicht geltend gemacht und auch nicht dargetan.
15 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.