Beschluss vom 22.03.2022 -
BVerwG 4 BN 54.21ECLI:DE:BVerwG:2022:220322B4BN54.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 22.03.2022 - 4 BN 54.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:220322B4BN54.21.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 54.21

  • VGH München - 11.10.2021 - AZ: 2 N 19.2383

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. März 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Sie ist jedenfalls unbegründet.

2 I. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Beschwerde zeigt keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf.

3 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).

4 1. Die Beschwerde hält der Sache nach für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob in einem Bebauungsplan eine Festsetzung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB zulässig ist, welche die Zulässigkeit einer baulichen Nutzung - hier: Lückenschluss entlang einer Straße - von der Verwirklichung eines anderen Vorhabens - hier: Teilabriss eines Gebäudes - abhängig macht, wenn beide Maßnahmen unterschiedlichen städtebaulichen Zielen dienen.

5 Sie möchte klären lassen, ob ein besonderer Fall nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BauGB vorliegt,
wenn eine festgesetzte bauliche Nutzung unter einer aufschiebenden Bedingung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB steht, die andere, von der Festsetzung unabhängige städtebauliche Ziele verfolgt;
wenn eine aufschiebende Bedingung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB es ausschließt oder wesentlich erschwert, dass die festgesetzte bauliche Nutzung verwirklicht wird.

6 Die Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich zu diesen Fragen nicht geäußert. Eine Rechtsfrage, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt hat oder auf die diese nicht entscheidend abgehoben hat, kann aber grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. Oktober 2009 - 6 B 17.09 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4 Rn. 7, vom 28. April 2020 - 4 B 39.19 - ZfBR 2020, 680 Rn. 8 und vom 29. Juni 2021 - 4 B 7.21 - juris Rn. 9).

7 Hiervon unabhängig gehen die Fragen an den tatsächlichen Annahmen der Vorinstanz vorbei: Anlass für die Aufstellung des Bebauungsplans war es, die für das Bamberger Haingebiet erarbeitete städtebaulich-denkmalpflegerische Rahmenplanung und deren Leitlinien und Ziele planungsrechtlich zu sichern. Diesem Ziel diente sowohl die Reparatur des Straßenbildes an der Ottostraße durch Schließen einer Baulücke als auch der Rückbau des rückwärtigen Scheibenhochhauses auf ein "stadtbild- und denkmalverträgliches Maß" (UA Rn. 31). Unterschiedliche städtebauliche Ziele hat der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt. Die Vorinstanz hat ferner den Rückbau des Scheibenhochhauses und damit den Eintritt der nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB festgesetzten Bedingung nicht dauerhaft für ausgeschlossen gehalten, sondern angenommen, die bauliche und altersbedingte Struktur schließe es nicht aus, dass in einem angemessenen zeitlichen Rahmen eine bauliche Veränderung auf dem Grundstück stattfinden werde (UA Rn. 35).

8 2. Die Beschwerde wirft die Frage auf,
ob eine Festsetzung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB wirksam, insbesondere hinreichend bestimmt ist, wenn sich die zeitliche Abfolge zwischen Bedingungseintritt und Zulässigkeit einer baulichen Nutzung erst durch Auslegung und einen Rückgriff auf die Begründung des Bebauungsplans ergibt, und im Baugenehmigungsverfahren weiter umgesetzt wird.

9 Rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Einer Norm fehlt nicht deshalb die gebotene Bestimmtheit oder Klarheit, weil sie der Auslegung bedarf. Es genügt, wenn der Norminhalt durch die anerkannten Auslegungsmethoden zweifelsfrei ermittelt werden kann (BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 1995 - 4 N 2.95 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 21 S. 5). Dies gilt auch für Bebauungspläne. Bei deren Auslegung kommt der Planbegründung starkes Gewicht zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 - 4 C 57.84 - BVerwGE 77, 300 <306>), auch wenn die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans sich nicht stets auf dessen Begründung stützen lassen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2009 - 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 16). Nach diesen Maßgaben können auch Festsetzungen nach § 9 Abs. 2 BauGB auslegungsbedürftig und auslegungsfähig sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 2017 - 9 C 20.15 - BVerwGE 158, 163 Rn. 20).

10 Einen grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht mit Blick auf das Baugenehmigungsverfahren auf. Nach Auffassung der Vorinstanz kann der genaue zeitliche Ablauf in einem Baugenehmigungsverfahren durch entsprechende Auflagen und Bedingungen geregelt werden (UA Rn. 37). Die Beschwerde legt insoweit weder über den Einzelfall hinausgehenden Klärungsbedarf dar noch, warum Fragen des Baugenehmigungsverfahrens für die Wirksamkeit des Bebauungsplans entscheidungserheblich sein könnten.

11 II. Die Revision ist nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

12 Nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u.a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Für einen Widerspruch im abstrakten Rechtssatz und damit eine Abweichung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genügt dagegen nicht der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f.).

13 Die Beschwerde wirft dem Verwaltungsgerichtshof vor, er habe bei der Annahme einer Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans die in dem Senatsurteil vom 19. September 2002 - 4 CN 1.02 - (BVerwG 117, 58 <61>) formulierten Voraussetzungen nicht beachtet. Dies führt nicht auf eine Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof hat keinen von dem Senatsurteil abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt; dies macht auch die Beschwerde nicht geltend. Dass er sich zu den Voraussetzungen einer Teilunwirksamkeit nicht geäußert hat, genügt für eine Divergenz nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2021 - 4 BN 10.21 - NVwZ 2021, 1702 Rn. 12).

14 Die Beschwerde bezeichnet keine Divergenz zu den Senatsurteilen vom 12. August 1999 - 4 CN 4.98 - (BVerwGE 109, 246) und vom 18. März 2004 - 4 CN 4.03 - (BVerwGE 120, 239) und zu dem Senatsbeschluss vom 9. Februar 2004 - 4 BN 28.03 - (Buchholz 406.11 § 10 BauGB Nr. 45). Sie benennt bereits keinen abstrakten Rechtssatz aus diesen Entscheidungen, von dem der Verwaltungsgerichtshof nach ihrer Auffassung abgewichen ist. Sollte die Beschwerde dahin zu verstehen sein, dass sie eine Abweichung von einer Aussage des Senatsurteils vom 25. Januar 1985 - 4 C 34.81 - (Buchholz 406.12 § 13 BauNVO Nr. 4 S. 7) geltend machen möchte, genügte ihre an der Rechtsanwendung im Einzelfall geübte Kritik nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

15 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.