Beschluss vom 22.05.2025 -
BVerwG 4 BN 25.24ECLI:DE:BVerwG:2025:220525B4BN25.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 22.05.2025 - 4 BN 25.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:220525B4BN25.24.0]
Beschluss
BVerwG 4 BN 25.24
- VGH München - 14.05.2024 - AZ: 1 N 23.2256
In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Mai 2025
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch
beschlossen:
- Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Mai 2024 wird zurückgewiesen.
- Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die ihr die Beschwerde beimisst.
3 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).
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Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen,
ob eine unmittelbar an ein Wohngebäude zum Ortsrand hin anschließende Terrasse auch dann Bestandteil des Hauptgebäudes ist, wenn die Terrasse keine oder nur eine unwesentliche konstruktive Verbindung zum Hauptgebäude aufweist, sondern "nur" unmittelbar räumlich angrenzt und vom Wohngebäude aus betreten werden kann,
ob die Zuordnung einer unmittelbar an ein Wohngebäude anschließenden Terrasse als Bestandteil des Hauptgebäudes unter funktionellen Gesichtspunkten davon abhängt, dass die Terrasse einen Schutz vor Witterungseinflüssen aufweist,
sind, soweit sie auf ihren verallgemeinerungsfähigen Kern zurückgeführt werden, nicht klärungsbedürftig.
5 In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist im Sinne des vorinstanzlichen Urteils geklärt, dass Nebenanlagen im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nur Anlagen sein können, die nicht Bestandteil des (Haupt-)Gebäudes sind. Zur Abgrenzung einer Nebenanlage vom Teil einer Hauptanlage können funktionelle und räumliche Gesichtspunkte herangezogen werden. In räumlicher Hinsicht ist maßgeblich, ob das Vorhaben ein eigenständiges Gebäude ist, in das Hauptgebäude integriert oder mit ihm konstruktiv verbunden ist. Dabei wird jedenfalls im Regelfall eine Nebenanlage baulich selbständig sein. Zwar sind auch Nebenanlagen denkbar, die an die Hauptanlage angebaut sind. In solchen Fällen muss aber durch die Bauweise, die Gestaltung des Zugangs oder auf andere Weise die auf eine Nebenanlage beschränkte Funktion deutlich hervortreten. Funktionell gehören zur Hauptanlage alle Teile der Anlage, die der Hauptnutzung zugeordnet sind und nicht einem Nebenzweck dienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2017 - 4 C 9.16 - NVwZ 2018, 1231 Rn. 10 f. m. w. N. und Beschluss vom 13. Juni 2005 - 4 B 27.05 - Buchholz 406.12 § 14 BauNVO Nr. 17 S. 8).
6 Weitergehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Ihr geht es vielmehr um die Klärung, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die in den "Grundsatzfragen" bezeichneten Umstände auf eine Einordnung der Terrasse als Bestandteil des Wohngebäudes schließen lassen. Diese Fragen lassen sich indessen nicht abstrakt beantworten. Sie verlangen eine Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls, die einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.
7 Erneuter Klärungsbedarf ergibt sich auch nicht aus dem Verweis der Beschwerde auf eine vermeintlich divergierende obergerichtliche Rechtsprechung. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg folgt in dem Urteil vom 29. September 2021 - 5 S 1031/20 - (BauR 2022, 214 <218>) der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2017 - 4 C 9.16 - NVwZ 2018, 1231 Rn. 8 ff.) und kommt lediglich in der Subsumtion des Einzelfalls zu dem Schluss, dass die Terrasse wegen ihrer unmittelbaren räumlichen und funktionalen Zuordnung Teil der Hauptanlage, des Wohnhauses, sei.
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Der von der Beschwerde weiter aufgeworfenen Frage,
ob die Zuordnung eines Anlagenteils als Bestandteil einer Hauptanlage davon abhängt, dass der Anlagenteil sowohl unter räumlichen wie auch unter funktionellen Gesichtspunkten der Hauptanlage zuzuordnen ist oder auch nur die Erfüllung eines dieser Gesichtspunkte genügt,
kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Frage würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Die Grundsatzrüge steht unter der Bedingung, dass einer der beiden Gesichtspunkte bei der Abgrenzung zwischen einem Teil einer Hauptanlage und einer Nebenanlage erfüllt ist. Davon ist der Verwaltungsgerichtshof aber nicht ausgegangen (UA S. 15 f.). (Durchgreifende) Revisionsgründe hat die Beschwerde insoweit nicht geltend gemacht.
9 2. Auch der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.
10 Nach dieser Vorschrift ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes. In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Divergenzgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt, genügt dagegen nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2021 - 4 BN 10.21 - NVwZ 2021, 1702 Rn. 11).
11 a) Die Beschwerde macht eine Abweichung von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 1993 - 4 C 17.91 - (NVwZ 1994, 294 <295>) und vom 12. November 2014 - 9 C 7.13 - (BVerwGE 150, 316 <325 f.>) geltend. Dem Urteil vom 17. Juni 1993 entnimmt sie den Rechtssatz, dass am Eindruck der Geschlossenheit und damit an der Reichweite des Bebauungszusammenhangs im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB regelmäßig auch solche (baulichen) Grundstücksnutzungen teilhätten, die selbst zwar nicht die Voraussetzungen einer Bebauung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB erfüllten, aber unmittelbar an in diesem Sinne relevante Bebauung anschlössen und zum typischen Erscheinungsbild dieser relevanten Bebauung zählten und damit dieser zugeordnet seien. Aus dem Urteil vom 12. November 2014 liest die Beschwerde den Rechtssatz heraus, dass die unmittelbar an die Ortsrandbebauung auf dem bebauten Grundstück anschließende typische (bauliche) Grundstücksnutzung der jeweiligen baulichen Anlage regelmäßig zuzuordnen und damit Teil des Bebauungszusammenhangs im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB sei. Demgegenüber habe der Verwaltungsgerichtshof der Sache nach die Rechtssätze aufgestellt, dass einer bebauungsakzessorischen und unmittelbar an die Hauptanlage angrenzenden baulichen Anlage - hier Terrasse - selbst keine im Sinne von § 34 BauGB maßstabbildende Kraft zukomme und ein unbebauter Hausgarten am Ortsrand nicht Teil des Innenbereichs sein könne. Die fehlende maßstabbildende Kraft sei aber gerade kein Argument, um die bebauungsakzessorische Grundstücksnutzung zu verneinen und diese Nutzung nicht bei der Abgrenzung des Innenbereichs vom Außenbereich zu berücksichtigen. Mit der Nichtbeachtung der räumlichen und funktionalen Nähe sei der Verwaltungsgerichtshof von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen.
12 Eine Rechtssatzdivergenz wird damit nicht bezeichnet. Abgesehen davon, dass sich der angefochtenen Entscheidung die behaupteten Rechtssätze auch bei wohlwollender Würdigung des maßgeblichen Inhalts nicht entnehmen lassen, geht die Rüge an der Argumentation des Verwaltungsgerichtshofs vorbei. Er hat festgestellt, dass die genehmigte Terrasse kein Bestandteil des Hauptgebäudes sei, sondern eine baulich selbständige Nebenanlage, die nicht als "Außenwohnbereich" angesehen werden könne; es handele sich vielmehr um einen versiegelten Teil des Gartenbereichs, der nach den Feststellungen beim Augenschein im Gegensatz zu dem vom nicht genehmigten Balkon überdachten Teil der Terrasse nicht wohnlich genutzt werde. Damit hat der Verwaltungsgerichtshof sinngemäß zum Ausdruck gebracht, dass er die genehmigte Terrasse weder als typischen wohnakzessorischen Bestandteil betrachtet noch zum typischen Erscheinungsbild des Wohngebäudes zählt. Erst vor diesem Hintergrund hat er sich mit der Frage befasst, ob die genehmigte Terrasse als Nebenanlage mit der dafür erforderlichen maßstabbildenden Kraft zum Innenbereich gehören kann, und sie orientiert an der Senatsrechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2012 - 4 C 10.11 - NVwZ 2012, 1631) verneint. Mit der Kritik, die Würdigung der örtlichen Verhältnisse und die Annahme, es fehle an einer maßstabbildenden Kraft der Terrassenanlage, beruhten auf einem Rechtsirrtum, wendet sich die Beschwerde der Sache nach gegen die Rechtsanwendung durch den Verwaltungsgerichtshof, die nicht auf eine Divergenz führt.
13 b) Die geltend gemachte Divergenz von den Kammerbeschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2022 - 1 BvL 2/17 - (juris Rn. 20) und vom 24. Juli 2000 - 1 BvR 151/99 - (NVwZ 2001, 424) rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision.
14 Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. April 2024 - 4 B 19.23 - juris Rn. 3 m. w. N.).
15 Die Rüge betrifft eine der beiden selbständig tragenden Begründungen für die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass sich der ohne Baugenehmigung errichtete aufgeständerte Balkon nicht auf die nach § 1 Abs. 3 BauGB zu beurteilende Erforderlichkeit der Festsetzung 2.2 des Bebauungsplanes auswirke, weil er keinen Bestandsschutz genieße. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, dass sich derjenige, der - wie der Antragsteller - seine ursprüngliche Planung abändere, um die Baugenehmigung zu erhalten, und sich anschließend nicht an die genehmigte Planung halte, sondern seine im Genehmigungsverfahren fallen gelassenen Pläne verwirkliche, nicht auf Bestandsschutz berufen könne; eine derartige Berufung verstoße gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben. "Im Übrigen" hat der Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass der aufgeständerte Balkon auch zu keinem Zeitpunkt materiell-rechtlich genehmigungsfähig gewesen sei, weil sich die Anlage im Außenbereich befinde und aufgrund ihrer Massivität öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 und 3 BauGB beeinträchtige.
16 Jedenfalls in Bezug auf die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass der aufgeständerte Balkon auch zu keinem Zeitpunkt materiell-rechtlich genehmigungsfähig gewesen sei, ist ein Revisionszulassungsgrund nicht geltend gemacht worden. Eine entsprechende Rüge lässt sich auch den Erwägungen der Beschwerde zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht entnehmen.
17 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.