Urteil vom 22.08.2024 -
BVerwG 2 WD 1.24ECLI:DE:BVerwG:2024:220824U2WD1.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 22.08.2024 - 2 WD 1.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:220824U2WD1.24.0]
Urteil
BVerwG 2 WD 1.24
- TDG Nord 2. Kammer - 18.04.2023 - AZ: N 2 VL 17/22
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 22. August 2024, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke,
ehrenamtlicher Richter Major Schwindenhammer und
ehrenamtlicher Richter Stabsfeldwebel Günther,
Bundeswehrdisziplinaranwältin ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...
als Pflichtverteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das Urteil der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 18. April 2023 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geändert.
- Der Soldat wird aus dem Dienstverhältnis entfernt.
- Der Soldat trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen.
Gründe
I
1 Das Verfahren betrifft im Wesentlichen die disziplinarische Ahndung wiederholter und wochenlanger eigenmächtiger Abwesenheiten vom Dienst.
2 Der ... geborene Soldat verfügte über den Hauptschulabschluss und eine abgeschlossene Ausbildung als Verkäufer, bevor er 1992 in den Dienst der Bundeswehr eintrat, ihm 1999 die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen und er ... zum Stabsfeldwebel befördert wurde. Seine Dienstzeit sollte regulär zum Oktober ... enden.
3 Nachdem er ab 2014 in der ZAW-Betreuungsstelle in ... Dienst geleistet hatte, wurde er im September 2015 antragsgemäß auf einen Dienstposten des Landeskommandos ... am dislozierten Standort in ... versetzt. In seine Zuständigkeit fiel die freiwillige Reservistenarbeit.
4 In seiner letzten planmäßigen Beurteilung vom 30. September 2018 wurde der Soldat im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung mit "7,20" beurteilt. Er sei ein leistungswilliger, kreativer und pflichtbewusster Soldat, der mit zielorientierter Aufgabenerfüllung, Entschlossenheit und Sachkompetenz Arbeitsergebnisse auf ansprechendem Niveau erziele. Der nächsthöhere Vorgesetzte erklärte, der Soldat sei bis in die höchsten Verwendungen seiner Laufbahn förderungswürdig. Dem Soldaten wurde die Ehrenmedaille der Bundeswehr verliehen. Er ist berechtigt, dass Leistungsabzeichen in Gold und die Schützenschnur in Bronze zu tragen und er erhielt für die Teilnahme an vier Auslandseinsätzen Einsatzmedaillen sowie von 2001 bis 2009 fünf Leistungsprämien.
5 Sein früherer Disziplinarvorgesetzter, Hauptmann A führte in einer Stellungnahme im März 2021 aus, er habe den Soldaten als unzuverlässigen und undisziplinierten Portepeeunteroffizier erlebt, der weder den Soldatenberuf lebe noch in seinen Grundzügen verstanden habe. Er spreche gezielt die Unwahrheit, um eigene Fehler zu verschleiern. Er bedürfe der ständigen Dienstaufsicht, da ihm die Motivation für den Dienst fehle. Er vermute bei dem Soldaten Alkoholmissbrauch. In seiner Vergleichsgruppe sei er leistungsmäßig im hinteren Drittel anzusiedeln. In der erstinstanzlichen Hauptverhandlung ordnete er die Leistungen des Soldaten im Mittelfeld ein.
6 Wegen wiederholten Fernbleibens vom Dienst erhielt der Soldat im August 2020 ein vorläufiges Dienstausübungsverbot. Anschließend verhängte die Einleitungsbehörde mit Verfügung vom 9. Oktober 2020 eine vorläufige Dienstenthebung unter Einbehalt der Hälfte der Dienstbezüge.
7 Die aktuellste Auskunft aus dem Zentralregister weist drei rechtskräftige Strafbefehle (Nr. 1 - 3) auf, die mit den angeschuldigten Verhalten teilweise sachgleich sind. Ferner ist eine unter dem 19. April 2024 ausgesprochene rechtskräftige Verurteilung wegen Diebstahls geringwertiger Sachen — nach Aussage des Soldaten handelte es sich um eine Schachtel Zigaretten — zu finden. Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 8. August 2024 enthält vier förmliche Anerkennungen, einen Verweis sowie die drei Strafbefehle.
8 Der im Dezember ... geschiedene Soldat ist seit Juli ... in zweiter Ehe verheiratet und Vater zweier volljähriger Kinder aus erster Ehe. Seine jetzige Ehefrau hat ebenfalls zwei volljährige Kinder. Sein Grundgehalt beträgt - Stand November 2023 - 3 867,71 € brutto und wegen der Einbehaltung der Dienstbezüge etwa 2 230 € netto. Miete und Nebenkosten belaufen sich auf etwa 1 400 €. Für die Scheidung von seiner ersten Ehefrau hat er nach eigenen Angaben etwa 35 000 bis 40 000 € gezahlt; Unterhaltsverpflichtungen seien hinzugekommen und aktuell kämen Zahlungen an seine Tochter sowie an das Dienstleistungszentrum von jeweils 10 000 € hinzu. Die Schuldnerberatung habe er 2023 aufgesucht.
9 Seine Frau leide an einer psychischen Erkrankung in Form von Panikattacken und Angststörungen. Sie habe Angst vor vielen Menschen und davor, das Haus zu verlassen. Bis Mai 2023 habe sie Arbeitslosengeld I bezogen und strebe eine Erwerbsminderungsrente an.
II
10 1. Im Rahmen des im April 2020 eingeleiteten Verfahrens hat das Truppendienstgericht gestützt auf die Anschuldigungsschrift vom 15. August 2022 den Soldaten mit Urteil vom 18. April 2023 in den Dienstgrad eines Feldwebels herabgesetzt.
11 a) In tatsächlicher Hinsicht stehe nach den entsprechenden Strafbefehlen fest, dass der Soldat wissentlich und willentlich am 9. Mai 2019 ab 07:13 Uhr bis zum 20. Mai 2019 (Anschuldigungspunkt 1b), vom 18. September 2019 bis einschließlich 25. September 2019 (Anschuldigungspunkt 2d) und vom 18. Mai 2020 bis zum 9. Juni 2020 unerlaubt dem Dienst fern geblieben sei (Anschuldigungspunkt 2h).
12
Auch zu den angeschuldigten Fehlzeiten stehe fest, dass der Soldat teilweise vorsätzlich wie folgt unerlaubt dem Dienst ferngeblieben sei:
- am 18. Februar 2019 (Anschuldigungspunkt 1a),
- vom 3. bis zum 10. Juli 2019 - vom 4. bis zum 10. Juli 2019 allerdings fahrlässig (Anschuldigungspunkt 2a) –,
- vom 1. bis zum 5. August 2019 - vom 2. bis zum 5. August 2019 allerdings fahrlässig (Anschuldigungspunkt 2b) –,
- vom 19. bis zum 21. August 2019 - für den 21. August 2019 allerdings fahrlässig (Anschuldigungspunkt 2c) —,
- vom 9. bis zum 11. Oktober 2019 - vom 10. bis zum 11. Oktober 2019 allerdings fahrlässig (Anschuldigungspunkt 2e) –,
- vom 16. bis zum 19. Dezember 2019 — für den ganzen Zeitraum fahrlässig (Anschuldigungspunkt 2f) — und
- vom 14. bis zum 17. Februar 2020 — vom 17. bis zum 18. Februar 2020 allerdings fahrlässig (Anschuldigungspunkt 2g) —.
13 Im Übrigen habe der Soldat wissentlich und willentlich Munition für sich behalten und unsachgemäß gelagert, obwohl er gewusst habe, dass unverbrauchte Munition zurückzuführen und deren Verbrauch wahrheitsgemäß zu erklären sei (Anschuldigungspunkt 3). Schließlich habe er insgesamt sieben Fahrten ohne gültigen Fahrauftrag durchgeführt (Anschuldigungspunkt 4), an Tankstellen Betrugstatbestände (Anschuldigungspunkte 5 und 6) und Fahrerflucht begangen (Anschuldigungspunkt 7). Die vom Soldaten erstmalig in der Hauptverhandlung behauptete Täterschaft des Sohns beim Vorwurf der Unfallflucht sei nicht nachvollziehbar.
14 b) Mit den Anschuldigungspunkten 1 und 2 habe der Soldat § 7 sowie § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verletzt, wobei er unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 SG gehandelt habe. Er habe mit Ausnahme der Zeiträume, für die er eine Empfehlung "krank zu Hause" gehabt habe, grundsätzlich auch vorsätzlich gehandelt. Das vorsätzliche Verhalten gemäß Anschuldigungspunkt 3 stelle einen Verstoß gegen § 7, § 13 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG dar, das Verhalten gemäß Anschuldigungspunkt 4 einen vorsätzlichen Verstoß gegen § 11 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG sowie das Verhalten gemäß den Anschuldigungspunkten 5 bis 7 einen Verstoß gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG. Zweifel an der uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Soldaten bestünden nicht, da diese Frage in keinem der Strafverfahren problematisiert worden und bei der Trunkenheitsfahrt des Soldaten am 28. Januar 2020 lediglich eine Blutalkoholkonzentration von 0,46 ‰ festgestellt worden sei.
15 c) Bei der Maßnahmebemessung bilde die unerlaubte Abwesenheit den Schwerpunkt des Dienstvergehens. Deren Gewicht werde dadurch verstärkt, dass der Soldat durch den Verstoß gegen § 15 WStG auch kriminelles Unrecht verwirklicht und dadurch gegen seine Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung verstoßen habe. Hinzu kämen die Verstöße gegen die Wahrheitspflicht und die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht sowie der Umstand, dass der Soldat mit den außerdienstlichen Verletzungen erneut kriminelles Unrecht begangen habe.
16 Sowohl das wiederholte unerlaubte Fernbleiben vom Dienst als auch die Dauer geböten eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Mangelnde Dienstaufsicht als Milderungsgrund liege nicht vor, da der Soldat keines hilfreichen Eingreifens bedurft hätte und der Vorgesetzte auch versucht habe, bei den Krankmeldungen einen gangbaren Weg zu finden. Die finanziell belastende Situation habe auch zu keiner solchen Zuspitzung geführt, dass eine seelische Ausnahmesituation vorliege.
17 Gleichwohl sei nur eine Dienstgradherabsetzung auszusprechen, weil den Soldaten und seine erwerbsunfähige Ehefrau die Höchstmaßnahme finanziell unverhältnismäßig treffe. Der Soldat habe 28 Jahre ohne schuldhafte Pflichtverletzung Dienst geleistet und die Pflichtverletzungen beschränkten sich im Wesentlichen auf das Jahr 2019. Er habe zudem an mehreren Auslandseinsätzen teilgenommen und Leistungsprämien sowie förmliche Anerkennungen erhalten. Mit dem baldigen Dienstzeitende habe er eine gesicherte Altersvorsorge gehabt, wodurch der mit der Entfernung aus dem Dienstverhältnis verbundene Verlust der Existenzgrundlage unverhältnismäßig sei.
18 2. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft begründet ihre auf die Anfechtung der Disziplinarmaßnahme beschränkte Berufung im Wesentlichen damit, dass das Truppendienstgericht unzutreffend Milderungsgründe angenommen habe. Insbesondere werde die Höchstmaßnahme durch die nachteiligen Auswirkungen auf die Altersvorsorge des Soldaten nicht unverhältnismäßig.
19 3. Wegen der weiteren Einzelheiten zur Person des Soldaten wird auf das Urteil des Truppendienstgerichts, hinsichtlich der in das Verfahren eingeführten Urkunden auf das erstinstanzliche sowie auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung verwiesen.
III
20 Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist begründet.
21 1. Aufgrund der Tat- und Schuldfeststellungen des Truppendienstgerichts steht bindend fest, dass der Soldat die unter II 1 a) dargelegten Pflichtverletzungen teilweise fahrlässig, jedoch überwiegend vorsätzlich begangen, gegen die soldatischen Pflichten nach §§ 7, 11, 13 SG und § 17 Abs. 2 Satz 1 sowie Satz 3 Alt. 2 SG verstoßen und damit ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen hat. Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung hat der Senat seiner Entscheidung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 327 StPO grundsätzlich die Tat- und Schuldfeststellungen des Truppendienstgerichts zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Der Prozessstoff wird somit nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern nur von den Tat- und Schuldfeststellungen im angefochtenen Urteil bestimmt.
22 Die Einlassungen des Soldaten in der Berufungshauptverhandlung, mit denen er die Richtigkeit einiger Feststellungen des Truppendienstgerichts in Abrede stellt, so etwa die angeblich durch seinen Sohn begangene Fahrerflucht und angeblich vorhandene Urlaubsgenehmigungen, sind nicht geeignet, die Bindungswirkung entfallen zu lassen. Denn dass die erstinstanzliche Entscheidung an schweren Verfahrensmängeln im Sinne von § 120 Abs. 1 Nr. 2, § 121 Abs. 2 WDO leidet, was bei unzureichenden oder widersprüchlichen Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage der Fall sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 2020 - 2 WD 22.19 - juris Rn. 10 m. w. N.), ist vom Soldaten damit weder dargelegt worden noch ersichtlich.
23 2. Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 123 Satz 3 i. V. m. § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde. Es führt dazu, dass der Soldat gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 63 WDO aus dem Dienstverhältnis zu entfernen ist.
24 a) Auf der ersten Stufe ist zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu bestimmen. Für Fälle des vorsätzlichen eigenmächtigen Fernbleibens eines Soldaten von der Truppe ist dies bei kürzerer unerlaubter Abwesenheit grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung; bei länger dauernder, den Zeitraum eines regulären Jahresurlaubs (BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2019 - 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 30 sowie vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 53) übersteigender oder wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit oder Fahnenflucht wiegt das Dienstvergehen allerdings derart schwer, dass regelmäßig die Höchstmaßnahme indiziert ist (BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2020 - 2 WD 16.19 - juris Rn. 13 m. w. N.). Danach bildet Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme, weil der frühere Soldat überwiegend vorsätzlich wiederholt sowie bezogen auf den Zeitraum vorsätzlicher Abwesenheit über einen Zeitraum von mindestens 46 Tagen vorsätzlich dem Dienst unerlaubt ferngeblieben ist (BVerwG, Urteile vom 8. Oktober 2020 - 2 WD 22.19 - juris Rn. 14 und vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 38 m. w. N.).
25 b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die genannten Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme gebieten. Dabei ist zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme - soweit möglich - nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 - 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 31). Da Milderungsgründe umso gewichtiger sein müssen je schwerer ein Dienstvergehen wiegt (BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2019 - 2 WD 25.18 - juris Rn. 19 m. w. N.), liegt hier bei Abwägung aller be- und entlastenden Umstände kein minderschwerer Fall vor. Vielmehr kann dem Soldaten das notwendige Vertrauen in die ordnungsgemäße Pflichterfüllung objektiv betrachtet nicht mehr entgegengebracht werden (BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2019 - 2 WD 29.18 - juris Rn. 28 m. w. N.). Im Einzelnen:
26 aa) Das Dienstvergehen wiegt außerordentlich schwer.
27 Die Pflicht zum treuen Dienen gehört zu den zentralen Pflichten eines Soldaten, deren Verletzung von erheblicher Bedeutung ist. Ein Soldat, der der Truppe unerlaubt fernbleibt, versagt im Kernbereich seiner Dienstpflichten. Die Bundeswehr kann ihre Aufgabe nur dann erfüllen, wenn nicht nur das innere Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist, dass sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen ist, sondern auch ihre Angehörigen jederzeit präsent und einsatzbereit sind. Der Dienstherr muss sich darauf verlassen können, dass jeder Soldat seinen Pflichten zur Verwirklichung des Verfassungsauftrages der Bundeswehr nachkommt und alles unterlässt, was dessen konkreter Wahrnehmung zuwiderläuft. Dazu gehören insbesondere die Pflichten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleistung. Die Verletzung dieser Pflicht berührt nicht nur die Einsatzbereitschaft der Truppe, sondern erschüttert auch die Grundlagen des Dienstverhältnisses selbst (BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 32).
28 Zugleich hat der Soldat mit einem Verstoß gegen § 15 Abs. 1 WStG wiederholt vorsätzlich eine Straftat verwirklicht (vgl. zur Berechnung des Zeitraums: BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 - 2 WD 19.18 - NVwZ-RR 2020, 61 Rn. 21 f.) und dadurch ebenfalls gegen die Pflicht zum treuen Dienen verstoßen. Denn sie schließt die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung, vor allem die Beachtung der Strafgesetze, ein (BVerwG, Urteile vom 1. Februar 2012 - 2 WD 1.11 - juris Rn. 50 ff. und vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 33).
29 Durch sein unerlaubtes Fernbleiben hat der Soldat die Pflicht zum treuen Dienen vorsätzlich nicht nur wiederholt, was für sich genommen bereits die Höchstmaßnahme indiziert, sondern auch über einen längeren Zeitraum verletzt. Die extrem lange Dauer vorsätzlichen Fernbleibens von 46 Tagen zu berücksichtigen, widerspricht auch nicht dem Rechtsgrundsatz, dass ein bereits auf der ersten Stufe berücksichtigter Umstand auf der zweiten Stufe nicht erneut belastend einzustellen ist (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2017 - 2 WD 1.16 - juris Rn. 82). Eine Konsumtion des langen Zeitraums auf der ersten Bemessungsstufe liegt nicht vor, weil bereits das wiederholte Fernbleiben hier zur Höchstmaßnahme geführt hat. Hinzu treten erschwerend das über zwei Wochen fahrlässige Fernbleiben vom Dienst. Sein Verhalten erfolgte - wie der Soldat in der Berufungshauptverhandlung eingeräumt hat - zudem in Kenntnis dessen, dass ihm mit der Verleihung des dislozierten Dienstpostens durch den Dienstherrn ein besonderes Vertrauen entgegengebracht worden war, das er missbraucht hat.
30 Hinzu tritt der Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG, weil dem Verhalten des Soldaten unabhängig von anderen Pflichtverstößen die Eignung zur Ansehensminderung innewohnt. Die Achtungs- und die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn es Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Für die Feststellung eines solchen Verstoßes reicht es aus, dass das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulösen (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. November 2017 - 2 WD 3.17 - juris Rn. 50).
31 Erschwerend wirkt fernerhin, dass das Dienstvergehen erhebliche nachteilige Auswirkungen hatte. Zum einen wurde der Soldat trotz seiner unerlaubten Abwesenheiten - nahezu durchgehend - weiter alimentiert, ohne dass dem Dienstherrn seine Arbeitskraft zur Verfügung stand (BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 2020 - 2 WD 22.19 - juris Rn. 19); zum anderen kam es zur vorläufigen Dienstenthebung. Vom Soldaten selbst beschriebene Bemühungen des seinerzeitigen Disziplinarvorgesetzten um ihn wegen seiner familiär belastenden Situation blieben zudem fruchtlos. Sein Fernbleiben verursachte außerdem zumindest einen Feldjägereinsatz.
32 Massiv erschwerend treten die sonstigen außerdienstlichen Pflichtverletzungen in Gestalt eines versuchten Betruges und des unerlaubten Entfernens vom Unfallort hinzu, die zusammen mit der vorschriftswidrigen Lagerung von Munition (BVerwG, Urteil vom 7. Mai 2013 - 2 WD 20.12 - juris Rn. 60 und vom 3. Dezember 2020 - 2 WD 4.20 - juris Rn. 28) der vom Soldaten als Vorgesetztem zu fordernden Vorbildfunktion nach § 10 Abs. 1 SG eklatant widersprechen.
33 bb) Den erschwerenden, den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen untermauernden Umständen stehen keine für den Soldaten sprechenden Umstände gegenüber, die geeignet wären, von der Höchstmaßnahme abzuweichen.
34 aaa) Anhaltspunkte für eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB analog) durch eine Alkoholerkrankung, die den Übergang zu einer milderen Disziplinarmaßnahme regelmäßig inzidiert (BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 52), haben sich nicht bestätigt. Damit verbleibt es bei dem Grundsatz, dass ein Soldat, der sich schuldhaft - also fahrlässig oder vorsätzlich - alkoholisiert und sich damit in einen zum Dienstvergehen führenden Zustand versetzt, dafür verantwortlich bleibt (BVerwG, Urteile vom 4. Dezember 2014 - 2 WD 23.13 - juris Rn. 44, vom 9. Dezember 2021 - 2 WD 29.20 - juris Rn. 33 m. w. N. und vom 20. Januar 2022 - 2 WD 2.21 - juris Rn. 43 m. w. N.).
35 Zwar war der Soldat 2019 über einen langen Zeitraum krankgeschrieben und die in Augenschein genommenen Fotos von zahlreichen Bierflaschen in seinem Dienstzimmer bildeten in Verbindung mit Aussagen über dessen charakterliche Veränderungen ein Indiz für eine Alkoholerkrankung; der Inhalt der vom Senat angeforderten, auch von den Beteiligten in Einsicht genommenen Gesundheitsakte sowie die Einlassungen des Soldaten in der Berufungshauptverhandlung haben diesen Verdacht jedoch nicht bestätigt. Denn zum einen hat der Soldat erklärt, es sei zwar richtig, dass er seinerzeit mehr Alkohol getrunken habe als sonst; den Alkoholkonsum habe er jedoch einstellen können, nachdem seine Frau angedroht habe, sich von ihm zu trennen, wenn er weiterhin so viel Alkohol konsumiere. Er sei auch in keine Klinik gegangen oder habe sich einer Therapie unterzogen.
36 Dem entspricht, dass auch im - vom Soldaten erst in der Berufungshauptverhandlung überreichten - psychiatrischen Befundbericht vom 25. September 2019 lediglich "Hinweise auf Alkoholabusus" diagnostiziert werden und in der Arzt-Überweisung nur von einem schädlichen Gebrauch von Alkohol gesprochen wird. Zum anderen enthält auch die Gesundheitsakte keine Hinweise auf eine Alkoholerkrankung. Lediglich anlässlich der Untersuchung am 4. März 2020 wurde eine diskrete Alkoholfahne festgestellt.
37 Soweit die Gesundheitsakte zahlreiche Krankschreibungen mit "Vernehmungsunfähigkeit" enthält, steht dies in Verbindung mit der dort diagnostizierten Belastungsreaktion (11. Juli 2019, 26. September 2019) und den privaten Problemen, die der Soldat auch in der Berufungshauptverhandlung - wenig konkret - beschrieben hat. Sie entsprechen im Wesentlichen den im psychiatrischen Befundbericht vom 25. September 2019 beschriebenen Problemen wie Auseinandersetzung mit dem Stiefsohn, häusliche Gewalt, Klageverfahren der Tochter gegen den Soldaten auf Unterhalt, Streitigkeiten mit der ersten Ehefrau und Belastungen, die durch die Angststörungen seiner zweiten Ehefrau verbunden waren und sind.
38 bbb) Diese familiären Belastungen erlangen auch noch nicht das Gewicht einer seelischen Ausnahmesituation, die als Milderungsgrund in den Umständen zu gewichten wäre. Denn dies setzt voraus, dass die Situation von so außergewöhnlichen Besonderheiten geprägt gewesen ist, dass von einem Soldaten ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet werden kann (BVerwG, Urteile vom 16. Oktober 2002 - 2 WD 23.01 , 32.02 - BVerwGE 117, 117 <124> und vom 8. Oktober 2020 - 2 WD 22.19 - juris Rn. 30). Gegen eine derartige Zuspitzung der familiären Probleme während des sich über ein Jahr erstreckenden Tatzeitraums spricht indes, dass der Soldat im psychiatrischen Befundbericht nicht als depressiv beschrieben wird, er wenig grübele und ausreichend schlafe. Auch die Weigerung, sich medikamentöser Behandlung zu unterziehen, spricht gegen eine auf Ausweglosigkeit zugespitzte Lebenssituation. Hinzu kommt, dass sich die Erscheinungsformen der Erkrankung seiner zweiten Ehefrau nicht in dem Verlangen äußerte, Zuhause bleiben zu sollen. Gleichwohl stellt der Senat diese Umstände zwar nicht mit der Gewichtung als klassischer Milderungsgrund, jedoch mildernd ein (BVerwG, Urteil vom 2. November 2017 - 2 WD 3.17 - juris Rn. 66).
39 ccc) Ebenso wenig liegt der Schuldmilderungsgrund einer einmaligen persönlichkeitsfremden Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten wegen der zahlreichen, sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Wiederholungstaten vor. Jene Umstände verbieten die Annahme eines durch ein gewisses Maß an Spontaneität, Kopflosigkeit und Unüberlegtheit charakterisierten Verhaltens (BVerwG, Urteil vom 27. März 2017 - 2 WD 11.16 - juris Rn. 120).
40 ddd) An einem Mitverschulden von Vorgesetzten in Form mangelhafter Dienstaufsicht fehlt es. Dieser Milderungsgrund steht einem Soldaten nur zur Seite, wenn er der Dienstaufsicht bedarf, z. B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfreiches Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich macht (BVerwG, Urteil vom 28. März 2019 - 2 WD 13.18 - juris Rn. 31 m. w. N.). Es bedurfte vorliegend jedoch keines hilfreichen Eingreifens der Dienstaufsicht, damit der Soldat erkennen konnte, zum Dienst erscheinen zu müssen, solange ihn sein Disziplinarvorgesetzter von der Dienstleistungspflicht nicht aktenkundig entbunden hatte (BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 44). Gerade dem Soldaten, der nach eigenem Bekunden über etwa zwei Jahre die Funktion eines Kompaniefeldwebels ("Spieß") ausgeübt hat, stand dies auch klar vor Augen.
41 eee) Auch eine Fürsorgepflichtverletzung des Dienstherrn liegt nicht vor (BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 45). Vielmehr steht nach den Einlassungen des Soldaten fest, dass sein Disziplinarvorgesetzter ihn bei der Bewältigung seiner privaten Probleme unterstützen wollte und einen Sozialberater für ein Gespräch mitgebracht hat.
42 fff) Allerdings ist bei der Beurteilung der Persönlichkeit des Soldaten zu seinen Gunsten zu gewichten, dass er - ausweislich der letzten Beurteilung - jedenfalls bis September 2018 überdurchschnittliche Leistungen erbracht hat, die nach den Aussagen des Hauptmann A vom März 2021 jedoch derart rapide abfielen, dass dieser ihn leistungsmäßig im hinteren Drittel, jedenfalls aber im Mittelfeld einordnete. Uneingeschränkt positiv einzustellen waren indes mehrere Auslandseinsätze. Die vier förmlichen Anerkennungen sind deshalb von abgeschwächtem Gewicht, weil sie lange zurückliegen - die letzte datiert aus dem Jahre 2004 - und ihnen ein Verweis (aus 2019) und eine strafrechtliche Verurteilung wegen Diebstahls (aus 2024) gegenüberstehen.
43 cc) Die Höchstmaßnahme auszusprechen ist auch nicht wegen des mit dem Entfernen aus dem Dienstverhältnis verbundenen Verlustes insbesondere des Anspruchs auf Dienstbezüge und Dienstzeitversorgung (§ 63 Abs. 1 Satz 2 WDO) unverhältnismäßig. Ist nach Art und Schwere des Dienstvergehens bei Abwägung aller gemäß § 38 WDO zu berücksichtigenden Umstände die Höchstmaßnahme angemessen, so hat der Soldat die vom Gesetz hieran geknüpften Folgen zu tragen. Sie mildernd zu berücksichtigen, liefe auf eine Kompensation von Auswirkungen einer Disziplinarmaßnahme hinaus, die der Gesetzgeber als sanktionstypische Folge in seinen Willen ausdrücklich aufgenommen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2016 - 2 WD 13.15 - juris Rn. 70 m. w. N. und vom 25. August 2017 - 2 WD 2.17 - juris Rn. 62) und die abzumildern er exklusiv über § 63 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 WDO als zulässig ausgewiesen hat. Der bereits im Vorfeld der Berufungshauptverhandlung auf diese Möglichkeit hingewiesene Soldat hat eine etwaige unbillige Härte jedoch nicht glaubhaft gemacht.
44 dd) Ist das Vertrauen in den Soldaten zerstört und deswegen die Höchstmaßnahme zu verhängen, kann eine etwaige überlange Verfahrensdauer keine maßnahmemildernde Wirkungen entfalten (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2019 - 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 42 ff., vom 5. Dezember 2019 - 2 WD 29.18 - juris Rn. 28 und vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 56).
45 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WDO. Es liegen keine Gründe vor, die es im Sinne des § 140 Abs. 3 Satz 3 WDO unbillig erscheinen ließen, den Soldaten mit den ihm im Rechtsmittelverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu belasten.