Beschluss vom 22.10.2025 -
BVerwG 1 W-VR 17.25ECLI:DE:BVerwG:2025:221025B1WVR17.25.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 22.10.2025 - 1 W-VR 17.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:221025B1WVR17.25.0]
Beschluss
BVerwG 1 W-VR 17.25
In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Scheffczyk am 22. Oktober 2025 beschlossen:
- Das Bundesministerium der Verteidigung wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller ab dem 3. November 2025 vorläufig bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über seine Beschwerde vom 20. August 2025 auf dem Dienstposten ..., hilfsweise auf dem Dienstposten ..., weiter hilfsweise auf einem anderen geeigneten Dienstposten am Standort A zu verwenden.
- Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren (§ 3 Abs. 2 WBO) erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.
Gründe
I
1 Der Antragsteller begehrt seine vorläufige Verwendung auf näher benannten Dienstposten am Dienstort A.
2 Der Antragsteller, ein Hauptfeldwebel, ist Berufssoldat. Er ist verheiratet, kinderlos und wurde bislang auf einem Dienstposten als "Ass Fü/Mgmt ..." im Lagezentrum des Kommandos ... in A verwendet. Im Zuge der Umstrukturierung des Kommandos ... wurde er für die Besetzung eines ebenso bezeichneten Dienstpostens im Lagezentrum des ...kommandos in B ausgewählt. Für die Besetzung des Dienstpostens mit dem Antragsteller wurde durch den Bedarfsträger die Priorität 1 festgelegt.
3 Nachdem der Antragsteller zunächst das Vorliegen gegen die Personalmaßnahme sprechender schwerwiegender persönlicher Gründe verneint hatte, bat er in einem Personalentwicklungsgespräch am 17. Januar 2025 darum, seine Bewerbungen auf der Dienstpostenbesetzungsvorschlagsliste für das neu aufgestellte Kommando ... in A zu priorisieren und die Versetzungsentscheidung bis dahin zurückzustellen. Er teilte mit, dass seine Schwiegermutter über eine Pflegestufe 3 verfüge, seine Ehefrau somit voll in die Pflege eingebunden sei und diese nunmehr gesundheitlich so eingeschränkt sei, dass die Pflege teilweise durch den Antragsteller übernommen werden müsse.
4 Der Örtliche Personalrat stimmte der Versetzungsentscheidung nicht zu und merkte an, dass der Antragsteller dringend auf einen Dienstposten im Kommando ... eingeplant werden solle.
5 In einem weiteren Personalentwicklungsgespräch am 24. Februar 2025 erklärte der Antragsteller erneut, dass er mit der Versetzung nicht einverstanden sei und eine Mitbetrachtung im Rahmen der Dienstpostenbesetzung beim Kommando ... in A wünsche. Er bitte um die Prüfung schwerwiegender persönlicher Gründe. Mit Verfügung vom selben Tag, dem Antragsteller ausgehändigt am 26. Februar 2025, wurde der Antragsteller wie beabsichtigt versetzt. Als Dienstantritt wurde der 1. Oktober 2025 festgelegt. Sein derzeitiger Dienstposten wurde als künftig wegfallend gesperrt. Eine Beschwerde gegen die Versetzungsverfügung legte der Antragsteller nicht ein.
6 Mit Schreiben vom 21. März 2025 teilte der Beratende Arzt im Bundesamt für das Personalwesen der Bundeswehr (im Folgenden: Bundesamt) mit, dass die Prüfung des Sachverhalts anhand vorgelegter Unterlagen ergeben habe, dass unter Berücksichtigung der individuellen Lebensumstände des Antragstellers unter Fürsorgeaspekten eine Verwendung mit kurzen Fahrzeiten zwischen Wohnort und Dienstort zur besseren Unterstützung seiner Familie sicherlich wünschenswert sei. Aus militärärztlicher Sicht lägen aber schwerwiegende persönliche Gründe gemäß AR A-1420/37 Nr. 207a und Nr. 207b aufgrund der gesundheitlichen Verfasstheit der Ehefrau und der Schwiegermutter des Antragstellers bedauerlicherweise nicht vor.
7 Am 5. Mai 2025 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Versetzung auf einen näher bezeichneten Dienstposten als "Ass Fü/Mgmt ..." beim Kommando ... in A. Der nächste Disziplinarvorgesetzte und der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte in A befürworteten den Antrag im Hinblick auf die Situation des Antragstellers. Der nächste Disziplinarvorgesetzte in B und der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte in C befürworteten den Antrag gegen Ersatzgestellung. Das zuständige Beteiligungsorgan widersprach der beabsichtigten Ablehnung des Antrags.
8 Mit Bescheid vom 7. August 2025, dem Antragsteller zugegangen am 14. August 2025, lehnte das Bundesamt den Versetzungsantrag des Antragstellers ab. Dieser sei durch den Bedarfsträger für die Besetzung des Dienstpostens in A priorisiert und durch die personalbearbeitende Stelle folgerichtig ausgewählt worden. Der Stellungnahme des Beratenden Arztes zufolge lägen keine schwerwiegenden persönlichen Gründe vor, die gegen eine Versetzung sprächen. Es bestehe nach wie vor ein übergeordnetes dienstliches Interesse, die Dienstposten beim Unterstützungskommando in B zu besetzen. Die vom Disziplinarvorgesetzten zurecht geforderte adäquate Ersatzgestellung könne derzeit und auch prognostisch nicht realisiert werden.
9 Am 20. August 2025 legte der Antragsteller Beschwerde gegen die Ablehnung seines Versetzungsantrags ein. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 3. September 2025 beantragte er, unter Aufhebung des Bescheids vom 7. August 2025 über seinen Antrag auf eine Versetzung nach A vom 5. Mai 2025 erneut ermessensfehlerfrei zu entscheiden. Zur Begründung führte er unter Vorlage diverser ärztlicher Unterlagen und Bescheinigungen aus, dass seine besondere Situation bei der Ermessensentscheidung des Bundesamts nicht ausreichend berücksichtigt worden sei.
10 Sowohl seine Ehefrau als auch seine im Haushalt lebende Schwiegermutter seien schwer chronisch erkrankt. Es bestehe bei beiden Hilfs- bzw. Pflegebedarf. Hierzu seien bereits umfangreiche Befundunterlagen behandelnder Ärzte vorgelegt worden. Seine Schwiegermutter werde an sechseinhalb Tagen in der Woche zu Hause gepflegt. Die Versorgung werde durch seine Ehefrau und alle 14 Tage für zwei Stunden durch eine Mitarbeiterin eines Betreuungsdienstes sichergestellt. Wenn seine Ehefrau arbeite oder gesundheitlich eingeschränkt sei, übernehme er die Pflege. Das sei regelmäßig und in allen Bereichen der Fall. An den zwei Nachmittagen in der Woche, an denen seine Frau arbeite, übernehme er regelmäßig gegen 15:30 Uhr die Pflege. Das sei bei einer Versetzung nach B frühestens um 16:15 Uhr, wegen des Berufsverkehrs aber regelmäßig erst deutlich später möglich. Seine Schwiegermutter könne jedoch nicht auch nur kurzfristig alleine gelassen werden. Eine weitere Verkürzung der Arbeitszeiten seiner Ehefrau komme nicht in Betracht. Zudem bestehe bei dieser nunmehr eine Verdachtsdiagnose auf ein Complex-Regional-Pain-Syndrome, es lägen massive Schmerzen und Bewegungseinschränkungen der Hand vor. Dies verlange vom Antragsteller ein noch umfangreicheres Einbringen in die Pflege.
11 Eine Versorgung durch andere Verwandte sei nicht möglich. Der Schwiegervater sei chronisch erkrankt, benötige selbst oft Unterstützung. Seine Schwägerin sei voll berufstätig und ihr Verhältnis zur Schwiegermutter zudem belastet.
12 Außerdem sei seine Ehefrau durch eigene Erkrankungen, insbesondere ihre Migräne, regelmäßig selbst massiv eingeschränkt. Bei Migräneanfällen sei sie ans Bett gebunden und handlungsunfähig. In diesen Fällen müsse er für seine Ehefrau und seine Schwiegermutter schnell verfügbar sein.
13 Zudem sei sanitätsdienstliche Expertise im Lagezentrum in B anderweitig verfügbar. Er verfüge auch nicht über besonders unersetzliche Erfahrungen und Fähigkeiten, die ihn für den Dienst im Lagezentrum unentbehrlich machten. Im bisherigen Lagezentrum in A sei er erst seit Oktober 2021 eingesetzt. Eine gesonderte Ausbildung dafür habe er nicht erhalten und sei nur wenige Wochen eingearbeitet worden. Es werde deshalb mit Nichtwissen bestritten, dass sich kein Ersatz finden lasse.
14 Am 17. September 2025 hat der Antragsteller um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ersucht. Zur Begründung wiederholt und vertieft er seinen Vortrag aus dem Beschwerdeverfahren. Ein Anordnungsgrund folge aus dem bevorstehenden Versetzungstermin. Kurzzeitige planbare Abwesenheiten könnten zwar durch seine Familie kompensiert werden. Trete allerdings ein schwerer Migräneanfall bei seiner Ehefrau auf und könne er erst nach Ablauf einer Stunde zu Hause eintreffen, bestünden sowohl für seine Ehefrau als auch für seine Schwiegermutter die Gefahr schwerer Gesundheitsgefährdungen. Mit Schriftsatz vom 26. September 2025 hat der Antragsteller dem Gericht die von ihm am selben Tag an das Bundesamt übermittelten Unterlagen vorgelegt, unter anderem Entbindungen von der ärztlichen Schweigepflicht, ärztliche Bescheinigungen und die in der "Anlage zur Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit" geforderten Erläuterungen.
15
Er beantragt,
den Bundesminister der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig, bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über seine Beschwerde vom 20. August 2025, auf den Dienstposten ..., hilfsweise auf den Dienstposten ..., am Standort A einzusetzen.
16
Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag abzulehnen.
17 Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf eine bestimmte örtliche oder fachliche Verwendung. Bei der begehrten Maßnahme handele es sich um einen Dienstpostenwechsel, weil das Kommando ... unter anderem in das Kommando ... überführt worden sei. Der derzeit ausgeübte und der beantragte Dienstposten befänden sich in derselben Liegenschaft.
18 Davon unabhängig bestehe weder darauf, noch auf eine Versetzung ein Anspruch. Der Bedarfsträger habe für die Versetzung nach B die Priorität 1 festgelegt. Schwerwiegende persönliche Gründe hätten ausweislich der Stellungnahme des Beratenden Arztes aus militärärztlicher Sicht nicht festgestellt werden können. Im Übrigen betrage die Fahrzeit von A nach B 47 Minuten und befinde sich im Tagespendlerbereich.
19 Auch ein Anordnungsgrund liege nicht vor. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihm ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
20 Nachdem der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren weitere Unterlagen vorgelegt hatte, hat das Bundesministerium der Verteidigung mit Schriftsatz vom 29. September 2025 mitgeteilt, dass das Dienstantrittsdatum des Antragstellers in B auf den 3. November 2025 geändert werde und eine erneute Stellungnahme des Beratenden Arztes eingeholt werden solle.
21 In der weiteren Stellungnahme des Beratenden Arztes vom 14. Oktober 2025 wird ausgeführt, dass der Unterstützungsbedarf durch den Antragsteller für seine Angehörigen aus militärärztlicher Sicht auch von B aus durch dienstliche Maßnahmen wie beispielsweise zeitlich befristete, bedarfsorientierte heimatnahe Kommandierungen, kurzfristige Freistellung vom Dienst, Telearbeit, mobiles Arbeiten, Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, Teilzeit etc. erbracht werden könne. Auch werde festgestellt, dass aus militärärztlicher Sicht zurzeit schwerwiegende persönliche Gründe gemäß AR A-1420/37 Nr. 207a und 207 b in Bezug auf die geplante Personalmaßnahme nicht vorlägen.
II
22 Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat Erfolg.
23 1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 123 VwGO im wehrdienstgerichtlichen Verfahren grundsätzlich statthaft.
24 2. Für den Antrag, der schon vor Rechtshängigkeit eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung zulässig ist (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist das Bundesverwaltungsgericht als Gericht der - noch nicht anhängigen - Hauptsache auch sachlich zuständig (§ 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO; vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. April 2010 - 1 WDS-VR 2.10 - juris Rn. 14).
25 Weil der Dienstantritt in B auf den 3. November 2025 verschoben wurde und für vorläufigen Rechtsschutz bis zum Dienstantritt in B das Rechtsschutzbedürfnis fehlen würde, ist im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes davon auszugehen (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 122 Abs. 1, § 88 VwGO), dass der Antrag des Antragstellers nunmehr auf eine vorläufige Verwendung in A ab dem 3. November 2025 gerichtet ist.
26 Dass der Antragsteller die Versetzungsverfügung vom 24. Februar 2025 hat bestandskräftig werden lassen, kann ihm - etwa unter den Gesichtspunkten des Rechtsmissbrauchs oder des Verbots widersprüchlichen Verhaltens - nicht entgegengehalten werden. Denn selbst mit einer Aufhebung dieser Verfügung wäre das Ziel eines Verbleibs in A angesichts des Wegfalls des bisherigen Dienstpostens des Antragstellers zum Ende September 2025 nicht zu erreichen gewesen.
27 3. Es ist vorliegend ausnahmsweise unschädlich, dass der Antragsteller mit einer vorläufigen Versetzung auf bestimmte Dienstposten in A mehr begehrt, als er in der Hauptsache erreichen könnte und dass eine vorläufige Versetzung nach A eine teilweise Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten würde.
28 Ein Überschreiten der Hauptsache ist im Interesse effektiven Rechtsschutzes insbesondere dann hinzunehmen, wenn es um einen Anordnungsanspruch geht, dessen Anerkennung von einer behördlichen Entscheidung abhängt, bei der diese einen Beurteilungs- oder Ermessensspielraum hat. Wenn in derartigen Fällen mit den Erkenntnismitteln im einstweiligen Verfahren keine eindeutige Einschränkung dieser Entscheidungsspielräume zu bejahen ist, dann darf eine einstweilige Anordnung gleichwohl ergehen, wenn ansonsten eine Grundrechtsposition des Antragstellers irreversibel vereitelt werden würde bzw. ihm ein äußerst schwerwiegender Rechtsnachteil droht (vgl. Kuhla, in: BeckOK, VwGO, Stand Juli 2025, § 123 Rn. 158; Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Februar 2025, VwGO § 123 Rn. 140a, jeweils m. w. N.).
29 Der in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verankerte Anspruch des Bürgers auf eine tatsächlich und rechtlich wirksame Kontrolle verpflichtet die Gerichte, bei ihrer Entscheidungsfindung diejenigen Folgen zu erwägen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes für den Bürger verbunden sind. Je schwerer die sich daraus ergebenden Belastungen wiegen, je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. März 2004 - 1 BvR 356/04 - NVwZ 2004, 1112 <1113> m. w. N.). Davon ausgehend kann vorliegend eine über die Hauptsache hinausgehende Regelungsanordnung erlassen werden.
30 Die Pflege von nahen Angehörigen fällt unter den nach Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten besonderen Schutz von Ehe und Familie (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1. März 2018 - 1 WB 27.17 - juris Rn. 33 und vom 26. Februar 2020 - 1 WB 9.19 - juris Rn. 28). Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über eine Versetzung seine familiären Bindungen angemessen berücksichtigen. Weitergehende Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG ergeben sich dann, wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitglieds angewiesen ist (vgl. jeweils zum Aufenthaltsrecht BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 14. Dezember 1989 - 2 BvR 377/88 - NJW 1990, 895 <896> und vom 27. August 2010 - 2 BvR 130/10 - juris Rn. 40). Das Bundesministerium der Verteidigung hat nicht in Abrede gestellt, dass die Schwiegermutter des Antragstellers zumindest auch - und aufgrund des Gesundheitszustands der Ehefrau des Antragstellers zunehmend - auf die Pflege durch den Antragsteller angewiesen ist. Dass aus Sicht des Beratenden Arztes die Pflege durch den Antragsteller durch verschiedene dienstliche Maßnahmen gewährleistet werden könnte, ändert daran nichts. Denn das Bundesministerium der Verteidigung hat dessen Stellungnahme übermittelt, ohne auch nur die Prüfung entsprechender Maßnahmen zuzusagen.
31 Soweit das Ministerium eine geringfügig kürzere Fahrzeit von A nach B geltend macht als vom Antragsteller vorgetragen, ist dies unerheblich, weil der Antragsteller sich vor allem durch die Rückfahrzeit von B nach A und deren mögliche Verlängerung durch Berufsverkehr und Stau in der Wahrnehmung seiner Pflegetätigkeit beeinträchtigt sieht. Ohne den Erlass einer Regelungsanordnung würde es demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit jedenfalls zeitweise zu Ausfällen in der Pflege der Schwiegermutter des Antragstellers kommen. Diese Ausfälle könnten auch nicht durch ein zeitlich unabsehbares Obsiegen in der Hauptsache kompensiert werden.
32 4. Die Vorwegnahme der Hauptsache kommt nur ausnahmsweise aus Gründen des Gebotes effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) in Betracht, wenn das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für den jeweiligen Antragsteller schlechthin unzumutbar wäre (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 13. Oktober 2008 - 1 WDS-VR 14.08 - Rn. 19 m. w. N.). Dies setzt nach ständiger Rechtsprechung des Senats unter dem Gesichtspunkt der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs voraus, dass das Rechtsschutzbegehren in der Hauptsache schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich summarischen Prüfung bei Anlegung eines strengen Maßstabes an die Erfolgsaussichten erkennbar Erfolg haben wird. Außerdem muss der jeweilige Antragsteller - im Rahmen des Anordnungsgrundes - glaubhaft machen, dass ihm ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerwG, Beschluss vom 12. April 2016 - 1 WDS-VR 2.16 - juris Rn. 19 m. w. N.).
33 a) Dass der Antragsteller derartige Nachteile und damit einen entsprechenden Anordnungsgrund für den vorliegenden Einzelfall glaubhaft gemacht hat, ergibt sich aus den obigen Ausführungen unter 3.
34 b) Der Antragsteller hat bei summarischer Prüfung selbst unter Anlegung eines strengen Maßstabs auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Prüfung, ob ein Anordnungsanspruch gegeben ist, ist grundsätzlich - und so auch hier - der Zeitpunkt der Eilentscheidung (vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Februar 2025, VwGO § 123 Rn. 165 f. m. w. N.). Davon ausgehend ist die Ablehnung des Versetzungsantrags des Antragstellers ermessensfehlerhaft.
35 aa) Ein Soldat hat keinen Anspruch auf eine bestimmte örtliche oder fachliche Verwendung oder auf eine Verwendung auf einem bestimmten Dienstposten. Ein dahingehender Anspruch lässt sich auch nicht aus der Fürsorgepflicht ableiten. Vielmehr entscheidet der zuständige Vorgesetzte oder die zuständige personalbearbeitende Stelle nach pflichtgemäßem Ermessen über die Verwendung eines Soldaten (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 25. September 2002 - 1 WB 30.02 - juris Rn. 7 m. w. N. und vom 14. Dezember 2017 - 1 WB 42.16 - juris Rn. 32 m. w. N.). Diese Ermessensentscheidung kann vom Wehrdienstgericht nur darauf überprüft werden, ob der Vorgesetzte oder die personalbearbeitende Stelle den Soldaten durch Überschreiten oder Missbrauch dienstlicher Befugnisse in seinen Rechten verletzt (§ 17 Abs. 3 Satz 2 WBO) bzw. die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 114 VwGO). Die gerichtliche Überprüfung richtet sich auch darauf, ob die vom Bundesministerium der Verteidigung im Wege der Selbstbindung in Erlassen und Richtlinien festgelegten Maßgaben und Verfahrensvorschriften eingehalten sind, wie sie sich hier insbesondere aus der Allgemeinen Regelung (AR) A-1420/37 zur "Versetzung, Dienstpostenwechsel und Kommandierung von Soldatinnen und Soldaten" ergeben (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. Februar 2003 - 1 WB 57.02 - BVerwGE 118, 25 <27> und vom 14. Dezember 2017 - 1 WB 42.16 - juris Rn. 32). Davon ausgehend ist die Versetzungsentscheidung nach summarischer Prüfung in zweierlei Hinsicht ermessensfehlerhaft.
36 bb) Sie leidet unter einem Ermessensdefizit im Sinne von § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 114 VwGO, weil der Sachverhalt nicht vollständig ermittelt wurde (vgl. dazu Decker, in: BeckOK, VwGO, Stand Juli 2025 § 114 Rn. 21 m. w. N.; Geis, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand November 2024, VwVfG § 40 Rn. 107; s. a. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Juni 2022 - 1 WB 39.21 - juris Rn. 46 und vom 24. April 2024 - 1 WB 43.23 - juris Rn. 31).
37 Nach Nr. 206 AR A-1420/37 können Soldatinnen und Soldaten auf ihren Antrag hin versetzt werden, wenn schwerwiegende persönliche Gründe vorliegen und vorrangige dienstliche Belange nicht entgegenstehen. Nach Nr. 207a kann ein schwerwiegender persönlicher Grund sein, dass eine Versetzung oder ein Verbleib am bisherigen Standort aufgrund einer militärärztlichen Bewertung wegen des Gesundheitszustandes einer bzw. eines mit ihr bzw. ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Angehörigen notwendig ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die bzw. der Angehörige nach ärztlichem Gutachten pflegebedürftig ist und von der Soldatin bzw. vom Soldaten tatsächlich betreut und gepflegt wird. Nach Fußnote 20 zu Nr. 207a AR A-1420/37 in Verbindung mit Nr. 1016 der ZDv A-1442/1 "Anwendung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes" sind Angehörige unter anderem in gerader Linie verschwägerte Personen, also auch die Schwiegermutter des Antragstellers. Wie sich aus einem Umkehrschluss aus der Fußnote 22 zu Nr. 207a AR A-1420/37 ergibt, ist für die Annahme schwerwiegender persönlicher Gründe grundsätzlich weder eine gänzliche, noch eine überwiegende Pflege durch den Betroffenen selbst erforderlich.
38 Die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit und der tatsächlichen Pflege sind vorliegend unstreitig gegeben. Die weitere Stellungnahme des Beratenden Arztes geht ausdrücklich davon aus, dass die Schwiegermutter des Antragstellers Pflege-, Betreuungs- und Unterstützungsbedarf hat. Dass der Antragsteller in diese Pflege einbezogen ist und aufgrund der aktuellen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Ehefrau des Antragstellers ein höherer Unterstützungsbedarf entsteht, wird nicht in Abrede gestellt.
39 Nach Fußnote 19 zu Nr. 207 AR A-1420/37 sind die durch Soldatinnen und Soldaten vorgebrachten persönlichen Gründe in einer Einzelfallprüfung durch die Personalführung hinsichtlich ihres Gewichts im Rahmen einer interessengerechten Ermessensabwägung zu bewerten. Vorliegend betont der Beratende Arzt zwar, dass "heimatnähere Dienstposten sehr wohl wünschenswert" wären, kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass dieser Unterstützungsbedarf auch vom Antragsteller vom geplanten neuen Dienstort im Tagespendlerbereich erbracht werden kann, wenn dienstliche Maßnahmen "außerhalb der militärärztlichen Zuständigkeit" getroffen würden. Als Beispiele werden zeitlich befristete, bedarfsorientierte Kommandierungen, kurzfristige Freistellung vom Dienst, Telearbeit, mobiles Arbeiten, Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und Teilzeit genannt. Empfohlen werde, eine langfristige, "(v. a. familiäre)" Lösung anzustreben.
40 Die Prüfung dieser Fragen fiel allerdings nicht in die militärärztliche Kompetenz, da sie über die Bewertung des Gesundheitszustands des Antragstellers und seiner Angehörigen hinausgeht. Darauf ist die militärärztliche Bewertung nach Nr. 207a Satz 1 AR A-1420/37 beschränkt ("dass eine Versetzung oder ein Verbleib am bisherigen Standort aufgrund einer militärärztlichen Bewertung wegen des Gesundheitszustandes einer bzw. eines mit ihr bzw. ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Angehörigen notwendig ist"). Hinsichtlich der mit der Pflege verbundenen Umstände hätte der Sachverhalt weiter ermittelt werden müssen.
41 Nach Fußnote 19 zu Nr. 207 AR A-1420/37 sind bei der Bewertung gegebenenfalls weitere Stellen (ausdrücklich als Beispiel benannt wird der Sozialdienst der Bundeswehr) um einen Beitrag bzw. ein Gutachten zu bitten. Es ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, dass fachliche Expertise im Hinblick auf die Anforderungen an die Durchführung der Pflege im Haushalt des Antragstellers eingeholt worden wäre. Eine entsprechende weitere Aufklärung drängte sich aber im vorliegenden konkreten Einzelfall angesichts des substantiierten Vortrags des Antragstellers zur Unvereinbarkeit der Pflegeanforderungen mit der Wahrnehmung des Dienstpostens in B aber auf.
42 cc) Unabhängig davon ist die Ablehnung des Versetzungsantrags zum Zeitpunkt der Entscheidung ermessensfehlerhaft, weil selbst auf der Grundlage der Stellungnahme des Beratenden Arztes in der Gesamtschau das Vorliegen schwerwiegender persönlicher Gründe nur dann verneint werden kann, wenn darin genannte zusätzliche dienstliche Maßnahmen ergriffen werden. Es ist jedoch weder vom Bundesministerium der Verteidigung, noch von der Personalführung zugesichert worden, dass dies auch tatsächlich geschehen wird. Es erscheint auch zweifelhaft, ob derartige Maßnahmen bei einer Verwendung in einem Lagezentrum realisiert werden können.
43 Im Übrigen ist nicht erkennbar, woraus sich die angeführte "Priorität 1" für die Verwendung gerade des Antragstellers im Lagezentrum in B ergibt. Dem Vortrag des Antragstellers, dass er für seine bisherige Verwendung im Lagezentrum in A keine besondere Ausbildung erhalten hat und sanitätsdienstliche Expertise im Lagezentrum in B anderweitig sichergestellt werden kann, ist das Bundesministerium der Verteidigung nicht entgegengetreten. Auch ist nicht geklärt, ob der Bedarfsträger angesichts der vom Beratenden Arzt für erforderlich gehaltenen dienstlichen Maßnahmen an seiner Priorisierung festhalten würde.
44 5. Der konkrete Inhalt der einstweiligen Anordnung steht im Ermessen des Gerichts (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 938 Abs. 1 ZPO). Der Antragsteller ist der Obliegenheit, spezifische Dienstposten zu benennen (vgl. dazu BVerwG, Beschlüsse vom 30. Oktober 2024 - 1 WB 14.24 - juris Rn. 26 und vom 27. Februar 2025 - 1 WB 51.24 - juris Rn. 18 f.) nachgekommen. Seine Verwendungsfähigkeit auf diesen hat das Bundesministerium der Verteidigung nicht in Abrede gestellt. Allerdings ist die Regelungsanordnung vorliegend angesichts des grundsätzlich bestehenden Ermessens des Dienstherrn bei Verwendungsentscheidungen um die Möglichkeit zu ergänzen, den Antragsteller nachrangig auch auf einem anderen geeigneten Dienstposten am Dienstort A zu verwenden. Ob dies durch Versetzung oder Kommandierung geschieht, steht ebenfalls im Ermessen der Personalführung.
45 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.