Verfahrensinformation

Die Klagen richten sich gegen die Planfeststellung für eine Höchstspannungsfreileitung. Der angegriffene Beschluss vom 7. November 2012 in der Fassung des Planergänzungsbeschlusses vom 28. Juni 2019 stellt den Plan für den Neubau einer 380-kV-Höchstspannungsfreileitung fest, die südlich und westlich von Krefeld verläuft und die Punkte Fellerhöfe und St. Tönis verbindet. Gegenstand des Beschlusses ist die Errichtung und der Betrieb einer rund 7,4 km langen Freileitung einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Folgemaßnahmen sowie der Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege.


Klägerin des Verfahrens 4 A 9.19 ist die Stadt Krefeld. Auf ihre Klage hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - (BVerwGE 148, 353) die Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses festgestellt, weil keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden war. Diese Prüfung hat der Beklagte nachgeholt, an den Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses aber festgehalten. Die Klägerin hält den Planfeststellungsbeschluss in Gestalt des Planergänzungsbeschlusses weiterhin für rechtswidrig. Sie rügt Verfahrensfehler und verlangt, die Trasse in größerem Abstand zu Wohnsiedlungen zu führen. Einen Eilantrag hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. März 2020 - 4 VR 5.19 - abgelehnt.


Die Klägerin des Verfahrens 4 A 4.21 ist Eigentümerin eines Grundstücks, das für den Schutzstreifen der Leitung mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung in Anspruch genommen wird. Sie macht insbesondere Belange des Immissionsschutzes und der Sicherheit geltend. Beklagter und Beigeladene halten ihre Klage wegen Fristablaufs für unzulässig.


Urteil vom 23.09.2021 -
BVerwG 4 A 4.21ECLI:DE:BVerwG:2021:230921U4A4.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 23.09.2021 - 4 A 4.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:230921U4A4.21.0]

Urteil

BVerwG 4 A 4.21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Decker, Prof. Dr. Külpmann,
Dr. Hammer und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
für Recht erkannt:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen die Planfeststellung einer Höchstspannungsfreileitung.

2 Der angegriffene Planfeststellungsbeschluss vom 7. November 2012 in Gestalt des Planergänzungsbeschlusses vom 28. Juni 2019 stellt den Plan für den Neubau der 380-kV-Höchstspannungsfreileitung Punkt (Pkt.) Fellerhöfe - Pkt. St. Tönis, Bl. 4571 fest. Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, das überspannt und mit einem Schutzstreifen in Anspruch genommen werden soll.

3 Gegen den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss vom 7. Dezember 2012 erhob die Klägerin fristgerecht Klage (BVerwG 4 A 2.13 ). Auf die Klage einer Gemeinde stellte der Senat mit Urteil vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - (BVerwGE 148, 353) fest, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig und nicht vollziehbar ist, weil keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden war. Im Hinblick darauf erklärten die Klägerin und die übrigen Beteiligten das Verfahren BVerwG 4 A 2.13 übereinstimmend für erledigt. Der Senat stellte das Verfahren durch Beschluss ein.

4 Die beigeladene Vorhabenträgerin beantragte im März 2017, die Umweltverträglichkeitsprüfung in einem ergänzenden Verfahren nachzuholen. Die Öffentlichkeit wurde durch Auslegung der Unterlagen vom 19. April 2017 bis 18. Mai 2017 beteiligt. Mehr als 50 Personen erhoben fristgerecht Einwendungen. Die Klägerin beteiligte sich nicht.

5 Der Beklagte erließ unter dem 28. Juni 2019 einen Planergänzungsbeschluss und machte diesen unter dem 13. August 2019 im Amtsblatt der Bezirksregierung Düsseldorf Nr. 35/2019 vom 29. August 2019 (S. 310) sowie in mehreren Tageszeitungen unter sinngemäßer Wiedergabe des verfügenden Teils des Beschlusses und Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung bekannt, wies darauf hin, dass der Beschluss in den Gemeinden Krefeld, Meerbusch und Willich vom 9. September 2019 bis 23. September 2019 ausliege und mit dem Ende der Auslegungsfrist den Betroffenen und denjenigen gegenüber, die Einwendungen erhoben haben, als zugestellt gelte.

6 Die Klägerin hat am 18. Mai 2021 Klage erhoben und hilfsweise beantragt, ihr Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren. Der Beklagte habe ihr den Planergänzungsbeschluss nach § 43b Nr. 5 EnWG in der bis zum 31. Mai 2015 geltenden Fassung zustellen müssen, weil sie im Verfahren zum Erlass des Planfeststellungsbeschlusses vom 7. November 2012 Einwendungen erhoben habe. Jedenfalls sei es ermessensfehlerhaft gewesen, den Weg der öffentlichen Bekanntgabe zu wählen, ohne die ursprünglichen Einwender zu informieren. Die Klägerin habe erst am 11. Mai 2021 von dem Planergänzungsbeschluss Kenntnis erhalten. In der Sache rügt sie insbesondere die Belastung durch Immissionen, Brandgefahren und eine optisch erdrückende Wirkung und verlangt, die Leitung als Erdkabel zu führen.

7 Die Klägerin beantragt,
den Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der 380-kV-Höchstspannungsleitung Punkt Fellerhöfe - Punkt St. Tönis, Bl. 4571 in den Abschnitten Punkt Fellerhöfe - Punkt St. Tönis vom 7. November 2012 in Gestalt des Planergänzungsbeschlusses vom 28. Juni 2019 aufzuheben,
hilfsweise, den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses in Gestalt des Planergänzungsbeschlusses zu verpflichten, über Schutzvorkehrungen zugunsten der Klägerin und der weiteren Bewohner des Grundstücks W. Str. ... in ... K. sowie zum Schutz ihres Grundeigentums, insbesondere vor Immissionen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

8 Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

9 Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.

10 Sie halten die Klage für unzulässig.

II

11 Die Klage bleibt erfolglos. Sie ist unzulässig.

12 1. Die Klage wahrt die Klagefrist nicht. Nach § 43d Satz 2, § 43 Abs. 4 und 5 EnWG, § 74 Abs. 1 Satz 2 und § 70 VwVfG NRW bedurfte es vor Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss in Gestalt des Planergänzungsbeschlusses keiner Nachprüfung in einem Vorverfahren. Da damit nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich war, musste die Anfechtungsklage nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erhoben werden. Für die hilfsweise verfolgte Verpflichtungsklage gilt dies nach § 74 Abs. 2 VwGO entsprechend.

13 Für den Beginn der Klagefrist bedurfte es keiner Zustellung des Planergänzungsbeschlusses. Denn anders als bei Abschluss des Planfeststellungsverfahrens im Jahr 2012 war bei Abschluss des ergänzenden Verfahrens im Jahr 2019 § 43b Nr. 5 EnWG in der bis zum 31. Mai 2015 geltenden Fassung des Art. 7 Nr. 6 des Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben vom 9. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2833) nicht zu beachten. Danach war der Planfeststellungsbeschluss unter anderem denjenigen, über deren Einwendungen entschieden worden war, mit Rechtsbehelfsbelehrung zuzustellen. § 43b Nr. 5 EnWG war indes bei Erlass des Ergänzungsbeschlusses vom 28. Juni 2019 nicht mehr in Kraft (vgl. Art. 4 Nr. 2 Buchst. e und Art. 16 des Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren vom 31. Mai 2013 - BGBl. I S. 1388 und Art. 1b des Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vom 24. Mai 2014 - BGBl. I S. 538). Die Norm verlangte selbst dann keine Beachtung mehr, wenn - wie die Klägerin meint - das ursprüngliche Planfeststellungsverfahren und das ergänzende Verfahren insoweit als einheitliches Verfahren zu betrachten wären. Denn nach einem allgemeinen Grundsatz des intertemporalen Verfahrensrechts erfasst neues Verfahrensrecht vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens regelmäßig auch bereits anhängige Verfahren (BVerwG, Urteile vom 21. November 2006 - 1 C 10.06 - BVerwGE 127, 161 Rn. 32 und vom 9. August 2007 - 1 C 47.06 - BVerwGE 129, 162 Rn. 29; Kallerhoff/Keller, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 96 Rn. 1; Sennekamp, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 96 Rn. 1).

14 Maßgeblich war damit § 74 Abs. 5 Satz 1 VwVfG NRW: Sind außer an den Träger des Vorhabens mehr als 50 Zustellungen nach § 74 Abs. 4 VwVfG NRW vorzunehmen, so können diese Zustellungen durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden. Diese Voraussetzungen lagen vor. Mängel der öffentlichen Bekanntmachung sind weder geltend gemacht noch ersichtlich. Mit dem Ende der Auslegungsfrist galt der Beschluss nach § 74 Abs. 5 Satz 3 Halbs. 1 VwVfG NRW den Betroffenen und denjenigen gegenüber als zugestellt, die Einwendungen erhoben haben. Damit endete die Klagefrist nach § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 ZPO, § 187 Abs. 2 Satz 1 und § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 23. Oktober 2019. Diese Frist ist nicht gewahrt.

15 Der Beklagte hat sich ohne Ermessensfehler für den von § 74 Abs. 5 Satz 1 VwVfG NRW eröffneten Weg entschieden. Der Vorwurf, er habe das ergänzende Verfahren verheimlichen wollen, findet in den Akten keine Stütze. Der Beklagte hat zudem diejenigen, die im ergänzenden Verfahren Einwendungen erhoben haben, bereits vor Erlass des Ergänzungsbeschlusses über die Position der Beigeladenen durch Schreiben informiert und ihnen die Möglichkeit eröffnet, sich den Ergänzungsbeschluss per E-Mail zusenden zu lassen.

16 2. Der Klägerin war keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn nach § 60 Abs. 3 VwGO ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Unter höherer Gewalt ist ein Ereignis zu verstehen, das unter den gegebenen Umständen auch durch die größte, nach den Umständen des konkreten Falles vernünftigerweise von dem Betroffenen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe - namentlich unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung - zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 41 m.w.N.). Dafür ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich. Es hätte der Klägerin offen gestanden, sich durch Verfolgen der öffentlichen Berichterstattung oder Nachfragen bei der Beklagten nach dem Verfahrensfortgang zu erkundigen.

17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

Beschluss vom 20.12.2021 -
BVerwG 4 A 6.21ECLI:DE:BVerwG:2021:201221B4A6.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.12.2021 - 4 A 6.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:201221B4A6.21.0]

Beschluss

BVerwG 4 A 6.21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Dezember 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen das Urteil des Senats vom 23. September 2021 - 4 A 4.21 - wird verworfen.
  2. Die Gegenvorstellung der Klägerin gegen das Urteil des Senats vom 23. September 2021 - 4 A 4.21 - wird verworfen.
  3. Der Antrag der Klägerin auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
  4. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Gründe

1 1. Die mit Schriftsätzen vom 7. Oktober 2021 und vom 13. Dezember 2021 erhobene Anhörungsrüge ist unzulässig und wird daher nach § 152a Abs. 4 Satz 1 VwGO verworfen.

2 Der Erfolg einer Anhörungsrüge setzt nach § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO voraus, dass das Gericht den Anspruch des jeweiligen Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Nach § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO muss die Rüge diese Voraussetzung darlegen. Daran fehlt es.

3 Der mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2021 in Unkenntnis der schriftlichen Urteilsbegründung erhobene Vorwurf, der Senat habe zu einem Schriftsatz der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht Stellung genommen, lässt nicht erkennen, welches konkrete Vorbringen die Klägerin übergangen sieht. Der Vorwurf trifft im Übrigen nicht zu: Die Vorsitzende hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Senat nach dem Ergebnis seiner Vorberatung auch in Ansehung des klägerischen Schriftsatzes vom 8. September 2021 die Klage aus den Gründen des Hinweisschreibens vom 23. August 2021 für unzulässig halte. Weiteren Erörterungsbedarf hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich verneint.

4 Die weiteren Ausführungen der Anhörungsrüge beanstanden die Entscheidung des Senats, weisen aber zum Anspruch auf rechtliches Gehör keinen Bezug auf. Dies gilt auch für die Ausführungen in dem Schriftsatz vom 13. Dezember 2021 zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts.

5 2. Die vorsorgliche Gegenvorstellung ist unzulässig. Die Verwaltungsgerichtsordnung ermöglicht, von § 152a VwGO abgesehen, keine Änderung eines letztinstanzlichen Urteils. Gerichtliche Entscheidungen, die in Rechtskraft erwachsen und deshalb weder mit ordentlichen Rechtsbehelfen angegriffen noch vom erkennenden Gericht geändert werden können, sind nicht mit außerordentlichen, nicht gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfen wie der Gegenvorstellung angreifbar (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Mai 2014 - 4 A 1.14 - juris Rn. 12 und vom 4. Januar 2021 - 7 VR 9.20 - juris Rn. 11).

6 3. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Bevollmächtigten war nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den vorgenannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte.

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Gerichtsgebühr ergibt sich unmittelbar aus Nr. 5400 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht.