Beschluss vom 24.05.2023 -
BVerwG 4 BN 21.22ECLI:DE:BVerwG:2023:240523B4BN21.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.05.2023 - 4 BN 21.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:240523B4BN21.22.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 21.22

  • OVG Lüneburg - 10.02.2022 - AZ: 1 KN 171/20

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Mai 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
dem Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. Februar 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf § 32 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

2 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die in dem angestrebten Revisionsverfahren beantwortet werden kann, sofern dies über den Einzelfall hinaus zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts beiträgt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 24. Mai 2022 - 4 BN 3.22 - juris Rn. 2).

3 Der Antragsteller bezeichnet als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig,
ob die Inzidentprüfung einer raumordnerischen Zielabweichungsentscheidung nach deren Bestandskraft im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens auch ausgeschlossen ist, wenn der Antragsteller des Normenkontrollverfahrens keine rechtliche Möglichkeit hatte, eine gerichtliche Prüfung der Zielabweichung herbeizuführen.

4 Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Nach der Rechtsprechung des Senats scheidet die Überprüfung einer bestandskräftigen Abweichungsentscheidung im Rahmen der Normenkontrolle eines Bebauungsplans angesichts der von dieser Entscheidung ausgehenden Bindungswirkung aus (BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2007 - 4 BN 17.07 - ZfBR 2007, 683). Davon ist das Oberverwaltungsgericht ausgegangen (UA S. 16).

5 Die Beschwerde zeigt keinen neuerlichen Klärungsbedarf auf. Sie weist insoweit auf die inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Zielabweichungsbescheids in den Beschlüssen des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 15. Dezember 2021 - 12 MS 97/21 - (UPR 2022, 153) und des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juli 2005 - 9 VR 43.04 - (Buchholz 406.14 § 4 ROG 1998 Nr. 1). Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juli 2005 - 9 VR 43.04 (a. a. O.) - betraf einen Planfeststellungsbeschluss, die des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach § 4 Abs. 1 Satz 1, § 13 BImSchG. Beiden Verfahrensgegenständen kommt eine Konzentrationswirkung zu, die es - was hier nicht zu entscheiden ist - allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen rechtfertigen mag, die gerichtliche Kontrolle der Zulassungsentscheidung auf die Rechtmäßigkeit des Zielabweichungsbescheids zu erstrecken, weil die Behörde diesen aus eigener Kompetenz ändern oder aufheben könnte (vgl. zu § 13 BImSchG: OVG Lüneburg a. a. O., Rn. 30; Kümper, ZUR 2023, 168 <169 ff.> m. w. N.; Beckmann, BauR 2023, 18 <20>; zu Planfeststellungsbeschlüssen: Durner, in: Kment, ROG, 2019 § 4 Rn. 66; Kment, in: ders., ROG, 2019 § 6 Rn. 177; Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, 2. Aufl. 2018, Rn. 51). Über eine solche Kompetenz verfügt die Gemeinde bei Erlass eines Bebauungsplans nicht.

6 Die Beschwerde zeigt auch im Hinblick auf die geltend gemachte Verletzung des Rechts des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz keinen weitergehenden Klärungsbedarf auf. Sie legt schon keine eigene materielle Rechtsposition des nicht unmittelbar eigentumsbetroffenen Antragstellers dar, die durch die zugelassene Abweichung von dem Ziel der Raumordnung "Vorranggebiet für Freiraumfunktionen" – vermittelt über den Bebauungsplan - verletzt sein und die daher einen Anspruch auf die Gewährung von (direktem oder inzidentem) Rechtsschutz gegen die Zielabweichungsentscheidung überhaupt auslösen könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2005 - 9 VR 43.04 - [insoweit in Buchholz 406.14 § 4 ROG 1998 Nr. 1 nicht abgedruckt] juris Rn. 3 f. und Buchholz 406.14 § 4 ROG 1998 Nr. 1 Rn. 8 sowie Beschluss vom 24. März 2021 - 4 VR 2.20 - BVerwGE 172, 57 Rn. 53 m.w.N.; vgl. auch Kment, in: ders., ROG, 2019 § 6 Rn. 108; Spannowsky, ZfBR 2015, 445 <453>).

7 Die Beschwerde wirft der Vorinstanz in diesem Zusammenhang ferner einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor, weil sie der Frage der Rechtmäßigkeit der Zielabweichungsentscheidung nicht nachgegangen ist. Dies bleibt schon deswegen erfolglos, weil nach der insoweit maßgeblichen Auffassung der Vorinstanz der Zielabweichungsentscheid einer inzidenten Prüfung im Normenkontrollverfahren entzogen war.

8 2. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

9 Die Beschwerde bezweifelt, dass - wie von § 4a Abs. 4 Satz 1 BauGB gefordert - der Inhalt der ortsüblichen Bekanntmachung nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB und die nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB auszulegenden Unterlagen während des gesamten Auslegungszeitraums auf der Internetseite verfügbar gewesen seien. Sie meint, das Oberverwaltungsgericht hätte insoweit den Sachverhalt durch eine Anfrage an den früheren Provider weiter aufklären müssen.

10 Das führt nicht auf den gerügten Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ein solcher Verstoß liegt vor, wenn das Gericht bei seiner Überzeugungsbildung von einer Sachverhaltsunterstellung ausgeht, die nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen getragen wird, und seine Überzeugung nicht auf eine hinreichende Tatsachengrundlage stützt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2021 - 4 B 3.21 - juris Rn. 13 m. w. N.). Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Unterlagen auf der Homepage der Antragsgegnerin in dem Auslegungszeitraum abgerufen werden konnten (UA S. 12). Dabei hat es sich im Wesentlichen auf die Beweisaufnahme durch Vernehmung des IT-Beauftragten der Antragsgegnerin als Zeugen in der mündlichen Verhandlung gestützt (vgl. UA S. 12 f. und Sitzungsniederschrift vom 10. Februar 2022, S. 4 ff.). Von einer Feststellung "ins Blaue hinein" (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Juni 2022 - 4 BN 14.22 - juris Rn. 7) kann vor diesem Hintergrund nicht die Rede sein.

11 Die Beschwerde legt auch nicht dar, warum sich dem Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung - über die erfolgte Zeugenvernehmung hinaus - eine weitere Aufklärung des Sachverhalts aufdrängen musste, obwohl der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat. In der mündlichen Verhandlung ist der Wechsel des Providers und der daraus folgenden Erschwernis bei der Dokumentation des Internet-Auftritts der Antragsgegnerin angesprochen worden. Es stand dem Antragsteller offen, mit Blick auf diesen Sachverhalt eine Nachfrage des Gerichts bei dem früheren Provider zu beantragen oder jedenfalls anzuregen. Diese Möglichkeit hat der Antragsteller nicht genutzt. Die Aufklärungsrüge dient aber nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren und insbesondere Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2018 - 4 B 40.17 - juris Rn. 4).

12 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.

Beschluss vom 23.08.2023 -
BVerwG 4 BN 24.23ECLI:DE:BVerwG:2023:230823B4BN24.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.08.2023 - 4 BN 24.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:230823B4BN24.23.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 24.23

  • OVG Lüneburg - 10.02.2022 - AZ: 1 KN 171/20

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. August 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge des Antragstellers gegen den Beschluss des Senats vom 24. Mai 2023 - 4 BN 21.22 - wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO hat keinen Erfolg. Der Senat hat den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Der Antragsteller hat daher keinen Anspruch auf Fortführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO.

2 Der Senat hat keine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen. Eine solche, den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Entscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit - unter Verletzung seiner ihm obliegenden Hinweis- und Erörterungspflicht - dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 2018 - 4 BN 24.18 - juris Rn. 3 m. w. N.).

3 Der Senat hat im Beschluss vom 24. Mai 2023 - 4 BN 21.22 - bestätigt, dass die Überprüfung einer bestandskräftigen raumordnerischen Zielabweichungsentscheidung im Rahmen der Normenkontrolle eines Bebauungsplans angesichts der von dieser Entscheidung ausgehenden Bindungswirkung ausgeschlossen ist (wie BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2007 - 4 BN 17.07 - BauR 2007, 1712). Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte insoweit verfassungsrechtlichen Klärungsbedarf geltend gemacht, weil diese Auffassung private Betroffene unter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG rechtsschutzlos stelle. Dieses Argument hat der Senat zurückgewiesen, weil es an einer materiellen Rechtsposition des Antragstellers fehlt, die von der Zielabweichung verletzt sein könnte (BA Rn. 6). Mit dieser Rechtsauffassung musste der Beschwerdeführer rechnen. Sie beruht auf anerkannten Grundsätzen zu Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, auf die auch die Beschwerdeerwiderung der Sache nach hingewiesen hatte (dort S. 3 f.). Danach geht der verfassungsrechtliche Anspruch des Einzelnen auf effektiven Rechtsschutz nur so weit, als ihm die jeweilige Rechtslage eine materielle Rechtsposition einräumt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. März 2021 - 4 VR 2.20 - BVerwGE 172, 57 Rn. 53). Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährt nicht selbst subjektive Rechte des Bürgers, sondern setzt deren Bestehen nach Maßgabe der Rechtsordnung im Übrigen voraus (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 9. Januar 1991 - 1 BvR 207/87 - BVerfGE 83, 182 <194 f.> und vom 23. Mai 2006 - 1 BvR 2530/04 - BVerfGE 116, 1 <11>). Anders als die Anhörungsrüge meint, gibt die Senatsauffassung nicht den auf Vollkontrolle angelegten Prüfungsmaßstab des Normenkontrollverfahrens auf (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2020 - 4 CN 9.19 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 222 Rn. 14), sondern trägt einer, die anderen Staatsorgane bindenden Verwaltungsentscheidung Rechnung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2007 - 4 BN 17.07 - a. a. O., S. 1713).

4 Die Anhörungsrüge macht ferner geltend, die vom Ziel der Raumordnung geschützten Freiraumfunktionen räumten dem Antragsteller eine wehrfähige Rechtsposition ein. Diese inhaltliche Kritik zeigt einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG oder § 108 Abs. 2 VwGO nicht auf. Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist nicht geboten. Denn die Anhörungsrüge verleiht keinen Anspruch, dass das Gericht seine Entscheidung anhand der Einwände noch einmal überdenkt und, wenn es an ihr festhält, durch eine ergänzende oder vertiefende Begründung rechtfertigt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 2023 - 4 BN 46.22 - juris Rn. 2 m. w. N.).

5 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtsgebühr ergibt sich aus Nr. 5400 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht.