Beschluss vom 26.06.2025 -
BVerwG 1 WB 4.25ECLI:DE:BVerwG:2025:260625B1WB4.25.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.06.2025 - 1 WB 4.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:260625B1WB4.25.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 4.25

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Scheffczyk, den ehrenamtlichen Richter Oberst i.G. Nahler und den ehrenamtlichen Richter Stabsunteroffizier Abresche am 26. Juni 2025 beschlossen:

  1. Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten des Bundesministeriums der Verteidigung vom 7. Juni 2023 wird aufgehoben.
  2. Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschließlich der ihm im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller wendet sich gegen die Ungültigerklärung des Ergebnisses seiner einfachen Sicherheitsüberprüfung (Ü 1).

2 Der Antragsteller ist Soldat auf Zeit und Stabsunteroffizier. Zuletzt wurde er zum 1. April 2022 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 7 eingewiesen. Er wird derzeit auf einem dienstpostenähnlichen Konstrukt A verwendet. Seine Dienstzeit endet voraussichtlich im April 2030.

3 Mit Schreiben vom 30. April 2021 teilte das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) dem Sicherheitsbeauftragten der B, bei der der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt verwendet wurde, mit, dass die einfache Sicherheitsüberprüfung keine Umstände ergeben habe, die im Hinblick auf eine entsprechende sicherheitsempfindliche Tätigkeit des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko darstellten.

4 Zum 30. November 2022 wurde der Antragsteller vom Sicherheitsbeauftragten der B entmächtigt, weil gegen ihn disziplinare Ermittlungen unter anderem wegen Arbeitszeit- und Trennungsgeldbetrugs geführt wurden. Seitdem übt er keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit mehr aus. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe räumte er vollständig ein.

5 Mit an den Sicherheitsbeauftragten der C gerichtetem Schreiben vom 7. Juni 2023 erklärte der Geheimschutzbeauftragte des Bundesministeriums der Verteidigung das Ergebnis der einfachen Sicherheitsüberprüfung des Antragstellers vom 30. April 2021 für ungültig und ordnete an, dieses mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen. Die Mitteilung über das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung dürfe nicht mehr als Grundlage für die weitere Ausübung bzw. die geplante Übertragung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit herangezogen werden.

6 Dem BAMAD lägen in Bezug auf den Antragsteller sicherheitserhebliche Erkenntnisse vor. Nach vorläufiger Bewertung begründeten diese Erkenntnisse Zweifel hinsichtlich dessen sicherheitsempfindlicher Verwendbarkeit. Da dieser jedoch gegenwärtig keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausübe und für eine solche vorerst auch nicht vorgesehen sei, bestehe kein Entscheidungsbedarf.

7 Seitens der C seien gegenüber dem Antragsteller die notwendigen Maßnahmen, insbesondere die Aufhebung der Ermächtigung, der Entzug der Konferenzbescheinigung sowie die Versagung des Zutritts zu sabotagegeschützten Bereichen, unverzüglich durchzuführen und in der Sicherheitsakte zu dokumentieren. Dem Antragsteller dürfe jegliche sicherheitsempfindliche Tätigkeit erst nach dem positiven Abschluss einer erneuten Sicherheitsüberprüfung übertragen werden. Das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr erhielt eine Ausfertigung des Schreibens und nahm diese zur Personalgrundakte des Antragstellers.

8 Am 5. Juli 2023 legte der Antragsteller "Beschwerde" gegen "den Bescheid des BMVg vom 7. Juni 2023" ein. Eine Rechtsgrundlage für die Erklärung der Ungültigkeit einer abgeschlossenen Sicherheitsüberprüfung sei dem Schreiben vom 7. Juni 2023 nicht zu entnehmen. Weder daraus, noch aus dem vorgelegten Verwaltungsvorgang ergäben sich sicherheitserhebliche Erkenntnisse im Sinne des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes. Er stelle kein Sicherheitsrisiko im Hinblick auf eine entsprechende sicherheitsempfindliche Tätigkeit dar. Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung angesehen und diesen mit einer Stellungnahme vom 15. Januar 2025 vorgelegt.

9 Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten des Bundesministeriums der Verteidigung vom 7. Juni 2023 aufzuheben.

10 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

11 Dieser sei unzulässig. Nur die Feststellung eines Sicherheitsrisikos könne durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor den Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung des entsprechenden Bescheides angefochten werden. Ein solcher liege hier aber nicht vor.

12 Soweit der Antrag darauf gerichtet sein sollte, das Bundesministerium der Verteidigung zu verpflichten, über die Sicherheitsfreigabe hinsichtlich des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, sei darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller keinen Anspruch darauf habe, dass eine von einer konkret beabsichtigten Betrauung mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit unabhängige Sicherheitsüberprüfung gleichsam auf Vorrat durchgeführt werde.

13 Der Antrag sei jedenfalls auch unbegründet. Angesichts der Vielzahl von eingeräumten disziplinarwürdigen Vorkommnissen über knapp zwei Jahre sei das Vertrauen des Dienstherrn in die Zuverlässigkeit des Antragstellers auch nach Beendigung des Disziplinarverfahrens nachhaltig in einem Ausmaß gestört, das die Übertragung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verbiete.

II

14 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.

15 1. Der Antragsteller hat die als Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu interpretierende "Beschwerde" eingelegt, ohne einen konkreten Sachantrag zu formulieren. Sein Rechtsschutzbegehren ist daher im Lichte seines Sachvortrages auszulegen (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 86 Abs. 3, § 88 VwGO). Die "Beschwerde" richtete sich "gegen den Bescheid des BMVg". Im gerichtlichen Verfahren hat er vorgetragen, dass ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung "mit dem Ziel der Aufhebung oder Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung" möglich sein müsse. Danach begehrt er die Aufhebung der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten des Bundesministeriums der Verteidigung vom 7. Juni 2023.

16 2. Der Antrag ist zulässig.

17 a) Bei einer Entscheidung über die Ungültigerklärung des Ergebnisses einer Sicherheitsüberprüfung handelt es sich um eine dienstliche Maßnahme im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 1 und § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO, die mit dem Ziel der Aufhebung des entsprechenden Bescheides angefochten werden kann.

18 Die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) folgende Zuständigkeit der Wehrdienstgerichte für Streitigkeiten, die die dienstliche Verwendung eines Soldaten betreffen, erstreckt sich auf die Überprüfung sicherheitsrechtlicher Bescheide im Sinne des § 14 Abs. 3 SÜG, weil mit der Feststellung der zuständigen Stelle über die Frage des Bestehens eines Sicherheitsrisikos im Kern über die sicherheitsrechtliche Eignung eines Soldaten für eine bestimmte dienstliche Verwendung entschieden wird (BVerwG, Beschluss vom 30. März 2023 - 1 WB 32.21 - NZWehrr 2023, 345 Rn. 23 m. w. N.). Wird - wie hier - die Mitteilung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SÜG, dass die Sicherheitsüberprüfung keine Umstände ergeben hat, die ein Sicherheitsrisiko darstellen (also das positive Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung, vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. September 2017 - 1 WB 29.16 - juris Rn. 39), für ungültig erklärt, kann nichts anderes gelten. Die sicherheitsrechtliche Eignung des Betroffenen ist Bestandteil seiner dienstrechtlichen Eignung für die Verwendung; fehlt sie, kann der Soldat nicht (mehr) in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verwendet werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2011 - 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 Rn. 27). Auf diese Konsequenz wird in der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten auch ausdrücklich verwiesen. Ohne die Aufhebung des Ergebnisses der Sicherheitsüberprüfung wäre der Antragsteller hingegen bis zur ausdrücklichen Feststellung eines Sicherheitsrisikos in dem dafür vorgesehenen Verfahren nach § 16 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 14 Abs. 3 und 4 SÜG weiter verwendungsfähig für Tätigkeiten, für die eine einfache Sicherheitsüberprüfung erforderlich ist, ohne eine erneute Sicherheitsüberprüfung mit dem damit verbundenen Grundrechtseingriff durchlaufen zu müssen.

19 b) Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Antragsteller mittlerweile nicht mehr in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verwendet wird. Vorliegend wird keine von einer konkret beabsichtigten Betrauung mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit unabhängige Sicherheitsüberprüfung gleichsam "auf Vorrat" begehrt (vgl. zur fehlenden Antragsbefugnis für entsprechende, auf Neubescheidung gerichtete Anträge BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2025 ‌- 1 WB 7.24 - juris Rn. 26 m. w. N.), sondern die Aufhebung des Ergebnisses einer bereits durchgeführten Sicherheitsüberprüfung angefochten.

20 3. Der Antrag ist begründet. Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten des Bundesministeriums der Verteidigung ist schon formell rechtswidrig, weil dieser für die Entscheidung nicht zuständig war.

21 a) Das Verfahren beim Auftreten sicherheitserheblicher Erkenntnisse nach Abschluss der Sicherheitsüberprüfung regelt § 16 SÜG. Nach § 16 Abs. 2 SÜG prüft die mitwirkende Behörde die sicherheitserheblichen Erkenntnisse und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko nach § 5 Abs. 1 SÜG vorliegt und unterrichtet die zuständige Stelle über das Ergebnis der Prüfung. Im Übrigen ist § 14 Abs. 3 und 4 SÜG entsprechend anzuwenden. Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 SÜG entscheidet die zuständige Stelle, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit der betroffenen Person entgegensteht. Vorliegend hat mit dem Geheimschutzbeauftragten des Bundesministeriums der Verteidigung schon nicht die zuständige Stelle in diesem Sinne gehandelt.

22 b) Zuständige Stelle für die Sicherheitsüberprüfung ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG grundsätzlich die Behörde oder sonstige öffentliche Stellen des Bundes, die eine betroffene Person mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betrauen will. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 SÜG kann die oberste Bundesbehörde für ihren jeweiligen Geschäftsbereich jedoch abweichende Regelungen treffen. Nach § 3a Abs. 3 SÜG trifft das Bundesministerium der Verteidigung für seinen Geschäftsbereich die organisatorischen Maßnahmen zur Einrichtung von Geheimschutzbeauftragten und Sabotageschutzbeauftragten. Auf diese Weise kann den dort bestehenden besonderen Strukturen Rechnung getragen werden (vgl. BT-Drs. 18/11281, S 61).

23 Dies ist durch die ZDv A-1130/3 "Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Sicherheitsüberprüfungsverfahren" erfolgt. Deren Nr. 2416 bestimmt als zuständige Stellen im Sinne des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Geheimschutzbeauftragten beim Bundesministerium der Verteidigung, beim Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw) sowie beim Streitkräfteamt (SKA). Die Entscheidung, ob ein Sicherheitsrisiko im Hinblick auf die sicherheitsempfindliche Tätigkeit vorliegt, obliegt nach Nr. 2418 bei einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit der betroffenen Person im Bundesministerium der Verteidigung oder, soweit eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) erforderlich ist, dem oder der Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung. In den übrigen Fällen (Ü 1, Ü 2, Ü 2 <Sabotageschutz>) obliegt die Entscheidung für sicherheitsempfindliche Tätigkeiten des Zivilpersonals einschließlich Bewerbern, Auszubildenden, Praktikanten sowie Fremdpersonal dem oder der Geheimschutzbeauftragten beim BAIUDBw bzw. für sicherheitsempfindliche Tätigkeiten von Soldaten einschließlich Bewerbern und Reservisten dem oder der Geheimschutzbeauftragten beim SKA.

24 Damit wäre vorliegend der Geheimschutzbeauftragte beim SKA zuständig gewesen, weil es sich um nachträgliche Erkenntnisse nach Abschluss einer einfachen Sicherheitsüberprüfung (Ü 1) handelte. Allerdings steht es dem Geheimschutzbeauftragten des Bundesministeriums der Verteidigung nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats aufgrund der Kombination von fachlicher Unterstellung der anderen Geheimschutzbeauftragten (Nr. 2417 ZDv A-1130/3) und der Befugnis, über Ausnahmeregelungen von dieser Zentralen Dienstvorschrift zu entscheiden (Nr. 2402 ZDv A-1130/3) zu, ein Verfahren an sich zu ziehen und in die Zuständigkeit einzutreten. Voraussetzung ist jedoch eine auf den Einzelfall bezogene Begründung, die das Abweichen von der eigentlichen Zuständigkeitsverteilung und der mit ihr verbundenen Verwaltungspraxis rechtfertigt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 WB 13.10 - Rn. 18 und vom 20. März 2012 - 1 WB 23.11 - Rn. 31).

25 Ob an eine solche Befugnis zum Selbsteintritt angesichts der Änderung von § 3 Abs. 1 Satz 2 SÜG durch das Erste Gesetz zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes vom 16. Juni 2017 (BGBl. I S. 1634) weiterhin angenommen werden kann, kann vorliegend dahinstehen. In den dem Senat vorliegenden Akten ist jedenfalls eine einzelfallbezogen begründete Entscheidung zur Durchbrechung der Zuständigkeitsverteilung nicht dokumentiert, sodass der Selbsteintritt auch nach der bisherigen Rechtsprechung unzulässig war.

26 Ob das von § 16 SÜG vorgesehene Verfahren eingehalten wurde - wogegen einiges spricht - musste deshalb nicht weiter geprüft werden. Im Übrigen sperrt die spezielle Regelung des § 16 SÜG angesichts der darin enthaltenen Verfahrensvorgaben den Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen der §§ 48, 49 VwVfG in direkter oder analoger Anwendung (vgl. allgemein zur Subsidiarität dieser Regelungen Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand November 2024, VwVfG § 48 Rn. 19, § 49 Rn. 18; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, 25. Aufl. 2024, § 48 Rn. 37 ff., § 49 Rn. 17 ff.).

27 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.