Beschluss vom 26.08.2009 -
BVerwG 2 B 66.09ECLI:DE:BVerwG:2009:260809B2B66.09.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 26.08.2009 - 2 B 66.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:260809B2B66.09.0]
Beschluss
BVerwG 2 B 66.09
- Hamburgisches OVG - 24.04.2009 - AZ: OVG 12 Bf 355/07
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. August 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. Maidowski
beschlossen:
- Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. April 2009 wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1 Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten kann keinen Erfolg haben. Der Senat hat über die Revisionszulassung ausschließlich aufgrund der Gesichtspunkte zu entscheiden, auf die der Beschwerdeführer den Antrag bis zum Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist gestützt hat (§ 133 Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO, § 65 Abs. 1 HmbDG). Aus der Beschwerdebegründung des Beklagten ergibt sich nicht, dass der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 65 Abs. 1 HmbDG gegeben ist.
2 1. Der Beklagte, der als Polizeihauptmeister im Dienst der Klägerin stand, trat am 1. Juni 2003 in den Ruhestand, weil er die besondere Altersgrenze für Polizeivollzugsbeamte erreicht hatte. Er wurde während seiner aktiven Dienstzeit zweimal wegen außerdienstlich begangener Straftaten rechtskräftig verurteilt. Zum einen hatte er im Jahr 1999 einem tschechischen Bekannten einen gefälschten italienischen Ausweis verschafft, damit dieser sich unter falschem Namen auf Dauer im Bundesgebiet aufhalten und erwerbstätig sein konnte. Zum anderen hatte der Beklagte im Jahr 2002 einen selbst gefälschten Dienstausweis benutzt. Wegen dieser Verfehlungen hat ihm das Oberverwaltungsgericht das Ruhegehalt aberkannt. Es hat ausgeführt, die Beschaffung des gefälschten Ausweises lasse eine Verstrickung des Beklagten in das „Sankt Pauli-Milieu“ erkennen, die ihn als Polizeibeamten untragbar mache. Dabei seien die gleichen Maßstäbe anzulegen, als wenn sich der Beklagte noch im aktiven Dienst befände.
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2. Der Beklagte wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Fragen auf,
ob angesichts der Schwere des vorliegenden Dienstvergehens bei einer Gesamtwürdigung aller im vorliegenden Fall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtpunkte das dienstliche Vertrauensverhältnis endgültig zerstört und deshalb die Aberkennung des Ruhegehalts die angemessene Disziplinarmaßnahme sei;
ob ein Ruhestandsbeamter hinsichtlich der Bemessung der Disziplinarmaßnahme einem Beamten im aktiven Dienst gleichgestellt werden könne und
ob die lange Dauer des Disziplinarverfahrens nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als mildernder Umstand bei der Maßnahmebemessung berücksichtigt werden müsse.
4 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18; stRspr). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der vom Beklagten aufgeworfenen Rechtsfragen nicht erfüllt. Denn diese Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt:
5 Der Senat hat zu dem Bedeutungsgehalt der gesetzlichen Bemessungsregelungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ausgeführt, sie verpflichteten die Verwaltungsgerichte, über die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Allerdings sei die Schwere des festgestellten Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG als maßgebliches Bemessungskriterium richtungweisend für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme. Dies bedeute, dass das Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen sei. Dabei könnten für bestimmte Fallgruppen Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Auf der Grundlage dieser Zuordnung komme es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme weiter darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fielen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten sei. Ein zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führender endgültiger Vertrauensverlust gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG sei anzunehmen, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung der Schluss gezogen werden müsse, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei nicht wiedergutzumachen (Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 ff.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 20 ff. und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3).
6 Die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme setzt voraus, dass die Tatsachengerichte die sich aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ergebenden Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht ermitteln und in die Entscheidung einstellen. Die auf dieser Grundlage verhängte Disziplinarmaßnahme muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 8. Dezember 2004 - 2 BvR 52/02 - NJW 2005, 1344 <1346>; vom 20. Dezember 2007 - 2 BvR 1050/07 - ZBR 2008, 173 und vom 18. Januar 2008 - 2 BvR 313/07 - NVwZ 2008, 669; BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2005 a.a.O.; Beschluss vom 18. November 2008 - BVerwG 2 B 63.08 - NVwZ 2009, 399 <402>).
7 Diese Rechtsgrundsätze hat das Oberverwaltungsgericht auf die Bemessungsregelungen gemäß § 11 Abs. 1 und 2 des Hamburgischen Disziplinargesetzes vom 18. Februar 2004 - HmbDG - (HmbGVBl S. 69) übertragen und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt der Beklagte nicht auf. Seine Ausführungen zur Angemessenheit der Disziplinarmaßnahme sind nicht von allgemeiner Bedeutung, weil sie nur für das vorliegende Verfahren beantwortet werden können. Der Beklagte rügt die fallbezogene Gewichtung der belastenden und entlastenden Umstände durch das Oberverwaltungsgericht. Er setzt dessen Sachverhaltswürdigung seine eigene Würdigung entgegen.
8 Im Übrigen erscheint die Aberkennung des Ruhegehalts nicht unverhältnismäßig überzogen. Nach den tatsächlichen Feststellungen hat der Beklagte eine beachtliche kriminelle Energie entwickelt, um seinem Bekannten einen gefälschten Ausweis zu verschaffen. Dabei ist er gegenüber dem Fälscher und dem Wirt, der ihn an diesen verwiesen hat, offen als Polizeibeamter aufgetreten. Das festgestellte Verhalten ist mit dem Amt eines Polizeibeamten schlechterdings unvereinbar. Dadurch ist der Beklagte im Dienst erpressbar geworden. Die Gesichtspunkte „langjährige beanstandungsfreie Dienstausübung“ und „berufliches Engagement“ reichen regelmäßig nicht aus, um von der gebotenen Dienstentfernung oder Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen (Beschlüsse vom 5. Dezember 2007 - BVerwG 2 B 87.07 - juris Rn. 9 und vom 28. Oktober 2008 - BVerwG 2 B 53.08 - juris Rn. 6).
9 Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 HmbDG, der mit § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG inhaltlich übereinstimmt, setzt die Aberkennung des Ruhegehalts voraus, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerechtfertigt wäre, falls der Ruhestandsbeamte sich noch im Dienst befände. Danach gelten die dargestellten Bemessungsgrundsätze auch für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme gegen einen Ruhestandsbeamten, der während seiner aktiven Dienstzeit ein schweres Dienstvergehen begangen hat. Der nachträgliche Eintritt in den Ruhestand führt weder zur Anwendung anderer Bemessungsmaßstäbe noch stellt er einen mildernden Umstand dar.
10 Den gesetzlichen Regelungen liegen zum einen generalpräventive Erwägungen zugrunde. Es wären Rückwirkungen auf das Vertrauen in die Integrität des Berufsbeamtentums zu erwarten, wenn ein Ruhestandsbeamter, der wegen eines schweren Dienstvergehens als aktiver Beamter nicht mehr tragbar wäre, weiterhin sein Ruhegehalt beziehen könnte und berechtigt bliebe, die Amtsbezeichnung zu führen. Dies gilt unabhängig davon, ob das Dienstvergehen in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Zum anderen gebietet der Grundsatz der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, dass ein Beamter, der in den Ruhestand tritt, nachdem er ein zur Auflösung des Beamtenverhältnisses führendes Dienstvergehen begangen hat, nicht bessergestellt wird als ein Beamter, der bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens im aktiven Dienst verbleibt (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 22. November 2001 - 2 BvR 2138/00 - NVwZ 2002, 467 und vom 9. August 2006 - 2 BvR 1003/05 - DVBl 2006, 1372 <1373>; BVerwG, Urteile vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 Rn. 28 und vom 24. Mai 2007 - BVerwG 2 C 25.06 - juris Rn. 17 <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4>; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 6 und vom 28. August 2007 - BVerwG 2 B 26.07 - juris Rn. 3).
11 Schließlich ist geklärt, dass die Länge der Verfahrensdauer es nicht rechtfertigt, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder der Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Zwar kann eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden, wenn das Disziplinarverfahren unverhältnismäßig lange dauert. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben. Demgegenüber geht es bei der Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust, den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermag eine lange Verfahrensdauer nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden. Dies gilt gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG, § 9 Abs. 2 Satz 1 HmbDG gleichermaßen für die Aberkennung des Ruhegehalts (BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 - BVerfGE 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom 9. August 2006 a.a.O.; BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2005 - BVerwG 1 D 30.03 - juris Rn. 80 und vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris Rn. 27; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 a.a.O. Rn. 8 und vom 28. Oktober 2008 a.a.O.).
12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 BDG. Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil Gerichtskosten nicht erhoben werden (§ 78 Abs. 1 Satz 1 BDG a.F.; § 85 Abs. 11 BDG i.d.F. von Art. 12b Nr. 21 Buchst. b des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes - DNeuG - vom 5. Februar 2009, BGBl I, 160 <257>).