Beschluss vom 26.08.2024 -
BVerwG 1 B 19.24ECLI:DE:BVerwG:2024:260824B1B19.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.08.2024 - 1 B 19.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:260824B1B19.24.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 19.24

  • VG Leipzig - 20.09.2019 - AZ: 5 K 2388/18.A
  • OVG Bautzen - 06.03.2024 - AZ: 5 A 3/20.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. August 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. März 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die allein auf Verfahrensmängel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Weder eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör noch ein Aufklärungsmangel sind mit der Beschwerde hinreichend bezeichnet (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

2 1. Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe das Recht der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) und die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt, indem es die von ihr gestellten umfangreichen Beweisanträge abgelehnt habe. Die Ablehnung von Beweisanträgen verletzt grundsätzlich das rechtliche Gehör und die gerichtliche Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts, wenn und soweit sie im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Juli 2018 - 7 B 15.17 - Buchholz 451.224 § 36 KrWG Nr. 1 Rn. 23 und vom 9. Dezember 2019 - 1 B 74.19 - juris Rn. 6). Diese Voraussetzungen sind nicht dargelegt.

3 Die Beweisanträge waren sämtlich darauf gerichtet, Herrn E. K. als "Zeugen und sachverständigen Zeugen" zum Beweis verschiedener, im Einzelnen aufgeführter Behauptungen zu vernehmen. Mit den ausführlichen Gründen, aus denen das Oberverwaltungsgericht diese Beweisanträge abgelehnt hat, setzt sich die Beschwerde schon nicht hinreichend auseinander.

4 a) Soweit die Beweisanträge auf Tatsachen, die in die Wahrnehmung des Zeugen gestellt waren, gerichtet waren, hat das Berufungsgericht diese im Wesentlichen mangels Entscheidungserheblichkeit bzw. gestützt auf den Ablehnungsgrund der Wahrunterstellung abgelehnt. Die fehlerfreie Anwendung dieses prozessrechtlich anerkannten Grundes für die Ablehnung von Beweisanträgen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1990 - 9 C 39.89 - juris Rn. 12; Beschluss vom 4. Juli 2024 - 4 B 5.24 - juris Rn. 10 m. w. N.) stellt die Beschwerde nicht substantiiert in Frage. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar die Berufung wegen eines Verfahrensfehlers zugelassen, weil das Verwaltungsgericht sich mit im Wesentlichen inhaltsgleichen Beweisanträgen überhaupt nicht befasst hatte, sich damit aber entgegen der Andeutung der Beschwerde nicht auf die "Relevanz des Beweisthemas" festgelegt. Entscheidend für die Zulassung der Berufung war vielmehr allein das Fehlen einer rechtsfehlerfreien Alternativbegründung des erstinstanzlichen Urteils (vgl. OVG Bautzen, Zulassungsbeschluss vom 4. Januar 2021 - 3 A 3/20.A - juris Rn. 13); eine eigene rechtliche Beurteilung der Beweisanträge hat das Oberverwaltungsgericht bei der Entscheidung über die Zulassung der Berufung noch nicht vorgenommen.

5 b) Soweit die Beweisanträge auf die Einschätzung der zu erwartenden Reaktionen der türkischen Behörden durch E. K. als Zeugen oder sachverständigen Zeugen gerichtet waren, hat das Berufungsgericht die Ablehnung prozessordnungsgemäß damit begründet, ein Zeuge könne grundsätzlich nur über seine eigenen Wahrnehmungen vernommen werden. Solle aus seinen Wahrnehmungen auf ein bestimmtes weiteres Geschehen geschlossen werden, sei nicht dieses weitere Geschehen, sondern nur die Wahrnehmung des Zeugen tauglicher Beweisgegenstand. Wertungen und rechtliche Subsumtionsergebnisse seien kein zulässiges Thema für einen Zeugenbeweis; die Schlüsse aus den Wahrnehmungen des Zeugen müsse vielmehr das Gericht ziehen. Dies entspricht allgemeiner Auffassung und ist prozessrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 25. März 1980 - 1 D 14.79 - juris Rn. 37 und vom 3. März 2011 - 9 A 8.10 - BVerwGE 139, 150 Rn. 84).

6 Zu der beantragten Vernehmung als sachverständiger Zeuge hat das Berufungsgericht ausgeführt, hinsichtlich der Beweisthemen (u. a."[D]ass die Kläger aufgrund ihrer Aktivitäten diejenigen sind, denen Verhaftung und Anklage als Nächsten droht") wäre E. K. nicht sachverständiger Zeuge. Denn der sachverständige Zeuge (§ 414 ZPO) bekunde Wahrnehmungen über bestimmte vergangene Tatsachen oder Zustände, die er aufgrund seiner besonderen Sachkunde gemacht hat. Es sei nicht Aufgabe des sachverständigen Zeugen, aufgrund von Erfahrungssätzen oder besonderen Fachkenntnissen Schlussfolgerungen aus bestehenden Sachverhalten zu ziehen oder allgemeine Erfahrungssätze oder besondere Kenntnisse auf einem jeweiligen Wissensgebiet zu vermitteln, wie dies Aufgabe des Sachverständigen sei. Diesen prozessrechtlich grundsätzlich zutreffenden Ausführungen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <42>) setzt die Beschwerde nichts Substantiiertes entgegen. Sie beschränkt sich auf das Vorbringen, das Gericht habe die Vernehmung des zum Beweis verschiedener Behauptungen als "sachverständiger Zeuge" benannten E. K. nicht ablehnen dürfen, weil dieser die zu erwartenden Reaktionen der türkischen Behörden bestens einschätzen könne und deshalb ein besonders geeignetes Beweismittel sei. Auf dieses Beweismittel habe das Gericht "sehenden Auges" verzichtet, indem es "die Beweisthemen für nicht dem Beweis zugänglich" erklärt habe. Daraus ergibt sich nicht, dass die Ablehnung der Beweisanträge im Prozessrecht keine Stütze findet.

7 2. Eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist auch unabhängig hiervon nicht dargelegt. Eine Aufklärungsrüge erfordert die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des Oberverwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen unbedingten Beweisantrag oder jedenfalls eine sonstige Beweisanregung hingewirkt worden ist und die Ablehnung der Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. Mai 2013 - 7 B 46.12 - juris Rn. 4 und vom 14. Januar 2016 - 7 B 19.15 - juris Rn. 4 m. w. N.). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Sie rügt lediglich die Ablehnung der Beweisanträge, ohne darzulegen, dass diese im Prozessrecht keine Stütze findet. Weitergehende konkrete Ermittlungsansätze, die sich dem Gericht hätten aufdrängen müssen, zeigt sie nicht auf. Der pauschale Verweis auf einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juli 2019 - 1 B 45.19 - (juris), der die Erforderlichkeit von (Zeugen-)Beweisangeboten zur Überprüfung der Angaben in Behördenzeugnissen und damit einen anderen Sachverhalt betrifft, leistet dies nicht.

8 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.