Beschluss vom 27.01.2022 -
BVerwG 9 A 20.21ECLI:DE:BVerwG:2022:270122B9A20.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.01.2022 - 9 A 20.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:270122B9A20.21.0]

Beschluss

BVerwG 9 A 20.21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Januar 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dieterich und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Schübel-Pfister
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. September 2021 - 9 A 12.20 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens zu gleichen Teilen.

Gründe

1 Die zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Das Rügevorbringen lässt nicht erkennen, dass das Bundesverwaltungsgericht den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

2 Das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, aus seiner Sicht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch dazu, sich deren Rechtsauffassung anzuschließen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 2021 - 9 A 11.20 - juris Rn. 2 m.w.N.). Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Es müssen vielmehr nur die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2018 - 1 BvR 682/12 - NVwZ 2018, 1561 Rn. 19).

3 Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs umfasst auch die Gelegenheit, sich zu allen Tatsachen und Rechtsfragen zu äußern, die für die Entscheidung erheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem Äußerungsrecht keine umfassende Hinweispflicht des Gerichts, vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung verbietet es aber, dass das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens und unter Berücksichtigung der Vielfalt der vertretenen Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.>; BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2019 - 2 B 7.19 - Buchholz 303 § 295 ZPO Nr. 18 Rn. 17).

4 Hieran gemessen sind die geltend gemachten Gehörsverstöße nicht hinreichend dargelegt bzw. liegen jedenfalls nicht vor.

5 1. Das Urteil stellt nicht deshalb eine Überraschungsentscheidung dar, weil das Gericht nicht darauf hingewiesen hatte, die Frage der Klagebefugnis anders als im Urteil vom 16. Mai 2018 - 9 A 4.17 - (BVerwGE 162, 102 Rn. 16) beurteilen zu wollen; dort hatte der Senat für den zu entscheidenden Fall die Klagebefugnis bejaht. Vorliegend konnte die Verneinung der Klagebefugnis für die Kläger schon deshalb nicht überraschend sein, weil sich aus dem zum Hauptsacheverfahren geführten Eilverfahren BVerwG 9 VR 1.21 (Rn. 4) ergab, dass nach Auffassung des Senats die Klagebefugnis des einen Miteigentümers, des Klägers zu 2, voraussichtlich fehlt, weil er durch den angefochtenen Planänderungsbescheid nicht in seinen Rechten verletzt sein kann. Im Übrigen war die Frage der Klagebefugnis Gegenstand des Rechtsgesprächs in der mündlichen Verhandlung.

6 2. Die Aussage des Senats, die geänderte Höhenlage der Bundesstraße berühre die klägerischen Belange nicht (UA Rn. 13), stellt ebenfalls keine gehörsverletzende Überraschungsentscheidung dar. Auch insoweit konnten die Kläger aus der Eilentscheidung ersehen, dass die Bundesstraße nach damaliger vorläufiger Beurteilung des Senats lediglich hinsichtlich ihrer Höhenlage verändert wird, nicht jedoch in ihrer Lage in der Fläche (BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2021 - 9 VR 1.21 - juris Rn. 11), und dass sich hieraus nicht die Möglichkeit einer Verletzung ihres Grundeigentums ergeben kann (Rn. 5). Der Senat legt insoweit entgegen der Auffassung der Anhörungsrüge seiner Entscheidung auch keinen von den Planunterlagen abweichenden Sachverhalt zugrunde; vielmehr geht gerade auch das von den Klägern nunmehr zitierte Bauwerksverzeichnis ausdrücklich davon aus, dass die vorhandene Wirtschaftswegeanbindung unverändert bestehen bleibt und lediglich der geänderten Höhenlage der Bundesstraße angepasst wird.

7 Den Umstand, dass der Wirtschaftsweg im Eigentum der Kläger steht, hat der Senat entgegen der Behauptung der Anhörungsrüge ausdrücklich berücksichtigt. Er ist zu der Überzeugung gekommen, dass der durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Anliegergebrauch hinsichtlich der Zufahrt von den klägerischen Flächen auf die Bundesstraße durch die Planänderung nicht eingeschränkt wird und auch unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens einer Steigung auf dem Straßengrundstück mit einem gegenläufigen Gefälle auf dem klägerischen Grundstück die Zufahrt für Fahrzeuge der Kläger ohne Weiteres nutzbar bleibt (UA Rn. 14).

8 3. Eine Gehörsverletzung ergibt sich nicht aus der Ablehnung des Schriftsatznachlasses zum Schriftsatz des Beklagten vom 10. Februar 2021 mit der Begründung des Senats, dass dieser Schriftsatz dem Bevollmächtigten beider Kläger bereits im - lediglich vom Kläger zu 2 geführten - Eilverfahren übermittelt worden ist (Protokoll der mündlichen Verhandlung S. 6). Das Gehör des am Eilverfahren nicht beteiligten Klägers zu 1 wurde im Anwaltsprozess (§ 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO) durch Übermittlung des Schriftsatzes an den Bevollmächtigten gewahrt.

9 4. Die Rüge, der Senat habe einerseits die Kritik an der Lärmberechnung des Beklagten als unsubstantiiert angesehen und andererseits die Lärmberechnung des Beklagten ohne Mitteilung der Eingabeparameter für ausreichend gehalten, was neben der Verletzung rechtlichen Gehörs auch eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, des Rechtsstaatsprinzips sowie der Verpflichtung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes darstelle, legt eine Gehörsverletzung nicht schlüssig dar (§ 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO). Der Senat hat die Einwendungen der Kläger gegen die Lärmermittlung zur Kenntnis genommen und gewürdigt; andere Rechtsfehler können im Verfahren nach § 152a VwGO nicht geltend gemacht werden. Im Übrigen sieht der Senat auch keine Verletzung anderer Verfahrensprinzipien. Er hat die Aktenlage dahin bewertet, dass der Beklagte sich an die Vorgaben der 16. BImSchV zur Berücksichtigung von topographischen Gegebenheiten, baulichen Maßnahmen und Reflexionen aus der RLS-90 gehalten hat und dass deshalb die schalltechnischen Berechnungen hinreichend nachvollziehbar unter Verwendung des Programms Soundplan Version 7.4 durchgeführt worden sind (UA Rn. 23).

10 5. Ein Gehörsverstoß liegt nicht darin, dass den Klägern nicht die beantragte Schriftsatzfrist zu der vom Beklagten noch zugesagten Übermittlung der Eingabedaten für die Lärmberechnung gewährt worden ist. Der Senat hat den Klägern in der mündlichen Verhandlung seine rechtliche Bewertung mitgeteilt, wonach die vom Beklagten zu Protokoll erklärte Bereitschaft, diese Daten noch nachträglich zur Verfügung zu stellen, nicht auf einem entsprechenden Anspruch der Kläger beruht (Protokoll der mündlichen Verhandlung S. 6).

11 6. Gehörsverletzend sind nicht die Ausführungen des Senats zur Stickstoffbelastung. Entgegen der Auffassung der Kläger ist der Einwand, die zugrunde gelegten Luftschadstoffgutachten seien veraltet, behandelt worden, und zwar durch die Bezugnahme (UA Rn. 31) auf die für die Planänderung erstellte neue Unterlage 11.3.A mit neuen Erkenntnissen zu Emissionsfaktoren (Version 3.3 der HBEFA mit einem Sicherheitsaufschlag von 50 %). Auf eine eventuelle Zusatzbelastung von FFH-Lebensraumtypen mit Stickstoff in den Wäldern der Kläger musste nicht ausdrücklich eingegangen werden, weil offenkundig ist, dass die Kläger sich hierauf nicht berufen können. Letzterer Gesichtspunkt wurde in der mündlichen Verhandlung im Übrigen ausdrücklich angesprochen, und die Beteiligten haben sich hierzu nicht geäußert.

12 7. Die Rüge, zur klägerischen Forderung nach einer summativen Gesamtbetrachtung der Lärmbeeinträchtigung sei wesentlicher Sachverhalt unberücksichtigt geblieben, greift nicht durch. Denn sie geht von der unzutreffenden Annahme aus, die B 400 werde nunmehr im Unterschied zum bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss dauerhaft verlegt. Das ist nach den Feststellungen des Urteils nicht der Fall, bei gleichbleibender Lage in der Fläche wird lediglich die Höhe geringfügig angepasst. Der Senat hat das Argument ferner beschieden durch die Feststellung, dass der Verkehr auf der heutigen Bundesstraße durch den Autobahnbau stark abnehmen wird.

13 8. Eine Gehörsverletzung liegt nicht deshalb vor, weil der Senat seine Aussage zur Eignung der Verkehrsverflechtungsprognose 2030 für die Lärmprognose auch auf die den Klägern nicht bekannte Stellungnahme eines Sachverständigen im Verfahren BVerwG 9 A 30.15 (BVerwGE 159, 1 Rn. 21) gestützt hat. Die Kläger hätten sich zur Lärmprognose weiteres Gehör verschaffen können, indem sie auf die in dem veröffentlichten Urteil vom 27. April 2017 - 9 A 30.15 - zusammenfassend dargestellten Annahmen dieses Sachverständigen eingehen; dadurch hätte der Senat Anlass haben können, sich näher mit der Verflechtungsprognose - gegebenenfalls durch weitere Ermittlungen (§ 86 Abs. 1 VwGO) – zu befassen.

14 9. Der Umstand, dass nach der lärmtechnischen Untersuchung die änderungsbedingte Lärmerhöhung an den Fassaden der klägerischen Wohnhäuser zwischen 0,0 und 0,4 dB(A) beträgt, war zentraler Gegenstand des 6. Planänderungsverfahrens, des Klagevorbringens der Kläger und der mündlichen Verhandlung. Deshalb kann der nunmehrige Vortrag, diese Tatsache ergebe sich nicht nachvollziehbar aus den Planänderungsunterlagen, keine schlüssige Gehörsrüge begründen. Hätten die Kläger im Gerichtsverfahren darauf hingewiesen, dass die Herleitung dieser Berechnung für sie nicht nachvollziehbar ist, hätte erklärt werden können, dass die Prognosewerte in Spalte 9 - 12 der Tabelle 2 der Anlage 11.1.2. gemäß den normativen Vorgaben in § 3 der 16. BImSchV i.V.m. Anlage 1 und Ziffer 4.0 der RLS-90 jeweils auf volle dB(A) auf gerundete Werte darstellen, in Spalte 13 und 14 ist die Pegeldifferenz hingegen gemäß Ziffer 4.0 der RLS-90 auf 0,1 dB(A) gerundet.

15 10. Mit dem Vortrag der Kläger zur Notwendigkeit einer Öffentlichkeitsbeteiligung infolge der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Wasserrahmenrichtlinie hat sich der Senat ausführlich im vorangegangenen Eilverfahren BVerwG 9 VR 1.21 befasst. Hiergegen haben die Kläger im Hauptsacheverfahren vorgetragen, der mit dem Tunnel unterfahrene Bereich ihrer Grundstücke sei mit Fichten bewachsen, durch die das Grundwasser genutzt werde. Die nicht ausdrückliche Erwähnung dieses Vortrags kann keinen Gehörsverstoß begründen, weil sich aus diesem Vortrag offenkundig kein Grundwasserentnahme recht der Kläger im Sinne des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 28. Mai 2020 (C-535/18 [ECLI:​EU:​C:​2020:​391]) ergibt.

16 11. Hinsichtlich des Vortrags zu den wassertechnischen Untersuchungen scheitert die Gehörsrüge schon daran, dass die Kläger weder in ihrem in Bezug genommenen Schriftsatz vom 22. Februar 2021 (S. 16 f.) noch jetzt dargelegt haben (§ 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO), inwiefern die geltend gemachten Mängel dieser Untersuchungen ihre Belange berühren und deshalb nach der in der mündlichen Verhandlung des Senats erörterten Rechtsauffassung des Senats entscheidungserheblich sein könnten (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

17 12. Wegen der nunmehr in Bezug genommenen jagdlichen Beschränkung hätte es den Klägern oblegen, sich im Klageverfahren rechtliches Gehör zu verschaffen, falls sie hierdurch eine Beeinträchtigung ihrer jagdlichen Belange befürchten. Ihr Vortrag dazu (Schriftsatz vom 22. Februar 2021, S. 16) war jedenfalls gänzlich unsubstantiiert.

18 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 Satz 1 i.V.m. § 100 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil sich die Höhe der Gerichtsgebühr nicht nach dem Streitwert bemisst, sondern unmittelbar aus Nummer 5400 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG ergibt.