Beschluss vom 27.06.2024 -
BVerwG 20 F 26.22ECLI:DE:BVerwG:2024:270624B20F26.22.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 27.06.2024 - 20 F 26.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:270624B20F26.22.0]
Beschluss
BVerwG 20 F 26.22
- VGH Kassel - 25.10.2022 - AZ: 27 F 1908/20
In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 27. Juni 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Fachsenats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Oktober 2022 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass im ersten Absatz von Blatt 2 des Verwaltungsvorgangs auch der Name der anrufenden Person offenzulegen ist.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte.
Gründe
I
1 Der Kläger begehrt in der diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Hauptsache, die Beklagte zu verpflichten, ihm vollständige Einsicht in eine Akte zu gewähren, die beim Gesundheitsamt der Beklagten zu seiner Person angelegt worden ist.
2 Der Sozialpsychiatrische Dienst des Gesundheitsamtes der Beklagten war im Jahre 2014 mehrfach an den Kläger herangetreten, um ihm Beratungstermine anzubieten, deren Anlass mit einer polizeilichen Mitteilung über Nachbarstreitigkeiten begründet worden ist. Um Näheres über die Umstände zu erfahren, die den Sozialpsychiatrischen Dienst zum Tätigwerden bewogen haben, beantragte der Kläger bei der Beklagten Einsicht in die über ihn beim Gesundheitsamt geführten Akten. Da die Beklagte dem nur unvollständig nachkam, erhob der Kläger nach erfolglosem Widerspruch Klage beim Verwaltungsgericht Kassel. Im Hauptsacheverfahren forderte der Kammervorsitzende die Beklagte auf, die vollständigen Akten zu übersenden. Durch die Beklagte wurde ein teilweise geschwärzter Teil der Akten vorgelegt, die Vorlage der vollständigen, ungeschwärzten Akten aber unter Vorlage einer Sperrerklärung des Beigeladenen vom 1. Februar 2018 verweigert.
3 Das Verwaltungsgericht hat am 28. Juli 2020 beschlossen, "über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration vom 1. Februar 2018" Beweis zu erheben. In dem Beschluss hat das Verwaltungsgericht u. a. ausgeführt, es sei außerstande zu prüfen, ob der Kläger den geltend gemachten Auskunftsanspruch habe, ohne den Inhalt der vorenthaltenen Teile der Verwaltungsvorgänge zu kennen; damit seien die genannten Unterlagen entscheidungserheblich. Der Beigeladene hat seine Sperrerklärung mit Schreiben vom 16. September 2020 ergänzt.
4 Auf Antrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Sache an den Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs zur Durchführung eines Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO abgegeben. Mit Beschluss vom 25. Oktober 2022 hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs festgestellt, dass die Sperrerklärung des Beigeladenen teilweise rechtmäßig ist, und im Übrigen die Sperrerklärung für rechtswidrig erklärt. Gegen den seinen Antrag zurückweisenden Teil des Beschlusses richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
5 Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Die Sperrerklärung des Beigeladenen vom 1. Februar 2018, die von ihm unter dem 16. September 2020 ergänzt worden ist, erweist sich über den vom Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs festgestellten Umfang hinaus auch insoweit als rechtswidrig, als im ersten Absatz auf Blatt 2 des Verwaltungsvorgangs der Name der anrufenden Person nicht offengelegt wurde.
6 1. Dabei geht der Senat davon aus, dass das Verwaltungsgericht die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen ungeachtet der fehlerhaften Formulierung der Beweisfrage jedenfalls in den Gründen seines Beweisbeschlusses vom 28. Juli 2020 in noch ordnungsgemäßer Form bejaht hat.
7 2. Der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs hat jedenfalls das Vorliegen des mit der Sperrerklärung geltend gemachten Weigerungsgrundes nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO a. F. (nunmehr § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 VwGO) unter Anlegung zutreffender rechtlicher Maßstäbe geprüft.
8 a) Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig i. S. v. § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. März 2024 - 20 F 6.23 - juris Rn. 8). Im Falle des Informantenschutzes tritt neben das grundrechtlich abgesicherte Interesse des Betroffenen, seine persönlichen Daten geheim zu halten, das öffentliche Interesse, die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben sicherzustellen (stRspr, vgl. auch zum Nachfolgenden BVerwG, Beschluss vom 15. März 2019 - 20 F 7.17 - juris Rn. 8 m. w. N.). Sind Behörden bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben auf Angaben Dritter angewiesen, dürfen sie zum Schutz des Informanten dessen Identität geheim halten. Nicht jede öffentliche Aufgabe rechtfertigt indes die Annahme, Informationen von Seiten Dritter seien zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe unerlässlich. Die Aufgabe, auf die die behördlichen Ermittlungen ausgerichtet sind, muss vielmehr dem Schutz gewichtiger Rechtsgüter dienen. Der Sozialpsychiatrische Dienst der Beklagten erfüllt durch das Anbieten oder Vermitteln von Hilfen für Personen mit einer psychischen Krankheit, einer seelischen Behinderung oder mit Anzeichen für solche Krankheiten oder Behinderungen gemäß § 1 Nr. 1, § 5 Abs. 2 Satz 1 des Hessischen Gesetzes über Hilfen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG) öffentliche Aufgaben im Bereich des Schutzes der Bevölkerung vor konkreten Gesundheitsgefahren. Die Erfüllung dieser Aufgaben dient dem Schutz eines gewichtigen Rechtsgutes. Die Möglichkeiten der zuständigen Behörden, durch eigene Ermittlungen Kenntnis vom Hilfebedarf Betroffener zu erhalten, sind aus personellen Gründen beschränkt; eine effektive Gefahrenabwehr setzt Hinweise auf mögliche Gefahrensituationen durch Dritte voraus. Der Sozialpsychiatrische Dienst ist gerade auf die Mitwirkung von Personen aus dem Umfeld möglicherweise hilfebedürftiger Personen angewiesen. Deren Mitwirkungsbereitschaft würde sinken, wenn ihr Verhältnis zu der betroffenen Person durch deren Kenntnis von dem Kontakt zum Sozialpsychiatrischen Dienst belastet wäre. Daher rechtfertigen die Aufgaben des Sozialpsychiatrischen Dienstes die Geheimhaltung der persönlichen Daten von Informanten. Geschützt sind dabei nicht nur personenbezogene Daten, die zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache, wenn sie Rückschlüsse auf die Person erlauben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Dezember 2015 - 20 F 9.15 - juris Rn. 8). An der Schutzwürdigkeit personenbezogener Angaben kann es indes fehlen, wenn die Daten dem jeweiligen Kläger ersichtlich ohnehin in den jeweiligen Zusammenhängen bekannt sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2015 - 20 F 2.14 - juris Rn. 13).
9 Nach der vom Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs zutreffend herangezogenen Rechtsprechung des Senats besteht der Informantenschutz grundsätzlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Mitteilungen (vgl. auch zum Nachfolgenden BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 13 m. w. N.). Der Sozialpsychiatrische Dienst der Beklagten ist aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr verpflichtet, allen vom Ansatz her sachlich begründeten Hinweisen nachzugehen und muss daher die Vertraulichkeit von Angaben Dritter auch dann wahren dürfen, wenn sich die Hinweise nach Abschluss der Ermittlungen als unzutreffend erweisen sollten. Der Geheimhaltungsgrund entfällt jedoch, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Informant die Behörde wider besseres Wissen oder leichtfertig falsch informiert hat.
10 Das ist hier nicht der Fall. Nach Durchsicht der Akte schließt sich der Senat der Einschätzung des Fachsenats des Verwaltungsgerichtshofs an, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Auskunft gebende Person wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche Behauptungen aufgestellt hat. Dass der Kläger hierzu eine andere Auffassung vertritt, rechtfertigt - abgesehen davon, dass er insoweit ohnehin nur Spekulationen anstellt - nicht den Schluss, die Auskunft gebende Person habe die Behörde bewusst wahrheitswidrig informiert. Die vom Kläger geltend gemachte Bewertung der Auskünfte wird das Gericht der Hauptsache bei der Beweiswürdigung zu beurteilen haben. Allerdings ist dem Kläger der auf Seite 2 im ersten Absatz mehrfach geschwärzte Name der anrufenden Person - wie sich aus dem von ihm mit der Klage vorgelegten Polizeivermerk vom 30. September 2014 ergibt - bekannt, sodass insoweit kein Geheimhaltungsinteresse besteht.
11 b) Soweit ein Weigerungsgrund besteht, ist die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Ermessensausübung nicht zu beanstanden. In der Sperrerklärung wurde eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und die widerstreitenden Interessen der Beteiligten abwägende Ermessensentscheidung getroffen, die unter Berücksichtigung der ergänzenden Erwägungen im Schriftsatz des Beigeladenen vom 16. September 2020 den rechtlichen Anforderungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 - 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 12 m. w. N.) genügt.
12 3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.