Urteil vom 27.09.2021 -
BVerwG 8 C 31.20ECLI:DE:BVerwG:2021:270921U8C31.20.0
Öffentlichkeit von Ratssitzungen
Leitsatz:
Eine Verletzung des kommunalrechtlichen Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit durch fehlerhafte Vergabe eines Teils der Sitzplätze führt nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG zur Unwirksamkeit der in der Sitzung gefassten Beschlüsse, wenn die demokratische Kontrollfunktion der Öffentlichkeit nicht mehr gewährleistet war.
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Rechtsquellen
GG Art. 5 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Art. 103 Abs. 1 VwGO § 43 Abs. 1, § 108 Abs. 1 und 2 GO NRW § 48 Abs. 2 Satz 1, § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 -
Instanzenzug
VG Gelsenkirchen - 12.07.2018 - AZ: VG 15 K 5404/15
OVG Münster - 07.10.2020 - AZ: OVG 15 A 2750/18
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 27.09.2021 - 8 C 31.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:270921U8C31.20.0]
Urteil
BVerwG 8 C 31.20
- VG Gelsenkirchen - 12.07.2018 - AZ: VG 15 K 5404/15
- OVG Münster - 07.10.2020 - AZ: OVG 15 A 2750/18
In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
für Recht erkannt:
- Die Revisionen werden zurückgewiesen.
- Die Beteiligten tragen die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils zur Hälfte.
Gründe
I
1 Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die im öffentlichen Teil der Ratssitzung des Beklagten am 26. November 2015 gefassten Beschlüsse unwirksam sind.
2 Der Bürgermeister der Stadt G. berief eine Ratssitzung für den 26. November 2015 ein. Im Mittelpunkt der Tagesordnung stand der mögliche Ausbau der B 224 zur Autobahn A 52. Wegen des erwarteten großen Zuschauerinteresses vergab die Verwaltung für die Ratssitzung Eintrittskarten. Von den im Ratssaal verfügbaren 73 Plätzen wurden acht der Presse, neun verschiedenen Funktionsträgern und sieben dem Bürgermeister zur Verfügung gestellt. Die im Rat vertretenen Fraktionen erhielten insgesamt 25 Karten, die ihnen im Verhältnis zu ihrem Stimmenanteil bei der Kommunalwahl 2014 zugeteilt wurden.
3 Am 17. Dezember 2015 hat die Klägerin Klage erhoben und geltend gemacht, dieses Vergabesystem verletze den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit und führe zur Unwirksamkeit der in der Ratssitzung gefassten Beschlüsse. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, die Beschlüsse des Beklagten aus dem öffentlichen Teil der Ratssitzung seien unwirksam. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Urteil teilweise geändert und festgestellt, dass der Beklagte die Organrechte der Klägerin verletzt habe, indem er mit der Durchführung der Ratssitzung gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit verstoßen habe; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
4 Der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit verlange die chancengleiche Zugangsmöglichkeit für jedermann ohne Ansehen der Person im Rahmen verfügbarer Kapazitäten. Bei der Umsetzung dieses Grundsatzes stehe dem Vorsitzenden des Rates zwar ein durch das Willkürverbot begrenzter Ermessensspielraum zu. Doch sei eine bevorzugte Vergabe von Zuhörerplätzen nur zulässig, soweit sie aus sachlichen Gründen gerechtfertigt sei und sofern daneben noch eine relevante Anzahl an allgemein zugänglichen Plätzen verbleibe. Nach diesem Maßstab werde die Platzvergabe den Anforderungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht gerecht. Der Bürgermeister habe seinen Ermessensspielraum überschritten, weil er den Ratsfraktionen 25 Eintrittskarten ohne jegliche Begrenzung der Weitergabe an bestimmte Personengruppen überlassen habe. Zudem sei für die Reservierung von Plätzen für drei Einzelpersonen sowie den Personalrat kein sachlicher Grund ersichtlich. Die bevorzugte Platzvergabe an vier Mitglieder einer Bürgerinitiative erweise sich im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG ebenfalls als ermessensfehlerhaft, weil die gegenteilige Ziele verfolgende Bürgerinitiative keine Plätze erhalten habe.
5 Der Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz führe allerdings nicht zur Unwirksamkeit der in der Ratssitzung gefassten Beschlüsse. Verstöße gegen Verfahrensvorschriften führten nicht generell zur Nichtigkeit der betreffenden Hoheitsakte. Für die Frage der Rechtsfolgen eines Verfahrensverstoßes komme der Schwere der jeweiligen Verletzung ausschlaggebende Bedeutung zu. Bei einer fehlerhaften Platzvergabe werde den grundlegenden demokratischen Grundsätzen jedenfalls dann noch genügt, wenn eine relevante Anzahl an für jedermann chancengleich zugänglichen Plätzen vorhanden sei und die Zuhörerschaft auch insgesamt nicht das Gepräge eines von den politischen Akteuren zielgerichtet zusammengestellten Publikums habe. Diese aufeinander bezogenen Kriterien seien vorliegend noch erfüllt. Die Anzahl von 24 allgemein zugänglichen Plätzen, die insgesamt knapp ein Drittel der Publikumsplätze ausgemacht hätten, sei als relevanter Anteil anzusehen, weil allenfalls ein kleiner Anteil der Karten gezielt an Befürworter des Autobahnausbaus vergeben worden sei. Die Vergabe der den Fraktionen überlassenen Karten sei durch so viele verschiedene Akteure erfolgt, dass eine gezielte Lenkung des Publikums fernliege.
6 Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, das Berufungsurteil gehe zwar zutreffend von einer Verletzung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit aus. Seine Annahme, dieser Verstoß führe nicht zur Unwirksamkeit der in der Sitzung gefassten Beschlüsse, sei jedoch mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar. Wegen der allgemeinen staatsrechtlichen Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes für parlamentarische Gremien, zu denen auch die kommunalen Vertretungskörperschaften gehörten, müsse dessen Verletzung grundsätzlich zur Unwirksamkeit der gefassten Beschlüsse führen. Zudem verstoße die Feststellung des Berufungsurteils, die fehlerhafte Vergabe der Zuhörerplätze habe nicht zu einer gelenkten Öffentlichkeit geführt, gegen allgemeine Erfahrungssätze.
7
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Oktober 2020 teilweise zu ändern und festzustellen, dass die Beschlüsse des Beklagten im öffentlichen Teil der Sitzung vom 26. November 2015 unwirksam sind,
sowie
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
8
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Oktober 2020 teilweise und das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 12. Juli 2018, berichtigt durch Beschluss vom 17. Juli 2018, zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen,
sowie
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
9 Er verteidigt das Berufungsurteil, soweit es die Feststellung der Unwirksamkeit der Ratsbeschlüsse abgelehnt hat, und macht zur Begründung seiner Revision geltend, die vom Berufungsgericht angenommene Verletzung der Organrechte der Klägerin beruhe auf einem fehlerhaften Verständnis des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit. Eine willkürliche Vergabe der Zuhörerplätze liege auch unter Berücksichtigung des Demokratieprinzips nicht vor. Für die Ratsfraktionen tätige Personen und sachkundige Bürger nähmen in der Kommunalpolitik und in der Ratsarbeit besondere Funktionen wahr; ihre Anwesenheit in der Ratssitzung sei daher aus sachlichen Gründen geboten. Die Vergabe zweier Plätze an den Personalrat sowie die Reservierung von sieben Plätzen zur Verteilung durch den Bürgermeister sei ebenfalls nicht willkürlich gewesen.
II
10 Die Revisionen haben keinen Erfolg. Das Berufungsurteil beruht zwar auf der Verletzung von Bundesrecht, erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig (§ 137 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 4 VwGO).
11 1. Das Berufungsgericht hat die Klage zu Recht für zulässig gehalten. Sie ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Die von der Klägerin begehrte Feststellung betrifft ein konkretes organschaftliches Rechtsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift. Die auch für die kommunalverfassungsrechtliche Feststellungsklage entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 1988 - 7 B 208.87 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 80 S. 25 m.w.N.) hat das Berufungsgericht in Auslegung irrevisiblen Landesrechts bejaht. Es hat § 48 Abs. 1 Satz 2 und § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) die Befugnis der Ratsfraktion zur gemeinderatsinternen Öffentlichkeitsarbeit entnommen und daraus einen Anspruch der Ratsfraktion auf rechtmäßige Verwirklichung des Öffentlichkeitsprinzips abgeleitet. Diese Auslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Verletzung des Organrechts erscheint möglich. Die Klägerin kann sich auch auf ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung berufen.
12 2. Das Berufungsurteil leidet nicht unter den von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensmängeln. Es beruht weder auf einem Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) noch auf einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO).
13 a) Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist es Sache des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Beweiswürdigung eine Überzeugung von dem nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Die Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen. Deshalb ist die Einhaltung der aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgenden Verpflichtung nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter eine aus seiner Sicht fehlerhafte Bewertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt und daraus andere Schlüsse ziehen will als die angefochtene Entscheidung. Ein als Verfahrensfehler einzuordnender Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann zwar ausnahmsweise gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 30. Dezember 2016 - 9 BN 3.16 - NVwZ-RR 2017, 1037 Rn. 12 und vom 22. Oktober 2020 - 5 BN 3.20 - juris Rn. 22, jeweils m.w.N.). Das ist hier indessen nicht der Fall. Das Berufungsgericht stützt seine Annahme, in Bezug auf die über die Ratsfraktionen zum Zuge gekommenen Zuhörer könne nicht von einer gelenkten Öffentlichkeit ausgegangen werden, auf die Feststellung, dass die der bisherigen Verwaltungspraxis entsprechende Überlassung von Eintrittskarten an die Ratsfraktionen nach deren Proporz wegen der Weitergabe dieser Eintrittskarten durch eine Vielzahl verschiedener Akteure eine gezielte Lenkung des Publikums fernliegend erscheinen lasse. Diese Schlussfolgerung missachtet weder allgemeine Erfahrungssätze noch ist sie denkgesetzwidrig. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liegt nicht schon vor, wenn die Schlussfolgerung des Tatsachengerichts nicht zwingend ist oder nach Auffassung eines Beteiligten fernliegend oder spekulativ erscheint. Denkfehlerhaft ist sie nur, wenn sie denklogisch schlechterdings unmöglich ist, weil die Gesetze der Logik nur einen anderen, abweichenden Schluss zulassen (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271; Beschlüsse vom 10. Dezember 2003 - 8 B 154.03 - NVwZ 2004, 627 und vom 6. März 2008 - 7 B 13.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 S. 17 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall.
14 b) Sollte das Vorbringen der Klägerin zugleich als Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) zu verstehen sein, wäre diese nicht begründet. Das Berufungsurteil setzt sich in den Entscheidungsgründen mit den von der Klägerin angeführten Aspekten der Kartenvergabe, die zu einer gezielten Steuerung der Öffentlichkeit geführt haben sollen, ausdrücklich auseinander. Dass es aus den festgestellten Tatsachen andere Schlussfolgerungen als die Klägerin gezogen hat, begründet keine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
15 3. Das Berufungsgericht geht im Einklang mit revisiblem Recht davon aus, der Beklagte habe die Organrechte der Klägerin verletzt, indem er bei der Durchführung der Ratssitzung gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit verstoßen habe (a). Revisionsrechtlich fehlerfrei ist auch seine Annahme, die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes führe nur bei schweren Verstößen zur Unwirksamkeit der gefassten Beschlüsse. Die Auffassung, ein schwerer Verstoß fehle schon, wenn eine relevante Anzahl allgemein zugänglicher Plätze verbleibe und die Zuhörerschaft insgesamt nicht das Gepräge eines von den politischen Akteuren gezielt zusammengestellten Publikums habe, verletzt hingegen das Demokratiegebot (b).
16 a) Nach der für das Revisionsgericht bindenden Auslegung irrevisiblen Landesrechts durch das Berufungsgericht verlangt der in § 48 Abs. 2 Satz 1 GO NRW verankerte Grundsatz der Öffentlichkeit von Ratssitzungen eine chancengleiche Zugangsmöglichkeit für jedermann ohne Ansehen der Person im Rahmen verfügbarer Kapazitäten. Bei der Verwirklichung dieses Grundsatzes hat das Berufungsgericht dem Vorsitzenden des Rates einen durch das Willkürverbot begrenzten Ermessensspielraum zuerkannt und eine bevorzugte Vergabe von Zuhörerplätzen nur für zulässig gehalten, soweit sie im Einzelfall aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist und sofern daneben noch eine relevante Anzahl an allgemein zugänglichen Plätzen verbleibt. Auch ein besonderes berufliches oder dienstliches Interesse kann nach dem berufungsgerichtlichen Verständnis des Öffentlichkeitsgrundsatzes eine bevorzugte Platzvergabe sachlich rechtfertigen. Diese Auslegung steht mit Bundesrecht, namentlich dem Demokratiegebot, im Einklang.
17 aa) Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Ratssitzungen konkretisiert Anforderungen des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG), an dessen Grundsätze die Gemeinden gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 GG gebunden sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. März 1995 - 4 B 33.95 - Buchholz 406.11 § 24 BauGB Nr. 6 S. 2). Für das Demokratiegebot des Grundgesetzes ist die Öffentlichkeit des Staatshandelns als Voraussetzung von Verständnis und Vertrauen der Bürger konstitutiv (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2001 - 1 BvR 2623/95 u.a. - BVerfGE 103, 44 S. 63; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Aufl. 2021, Art. 20 Rn. 18). Öffentliche Debatte und Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus. Sie eröffnen nicht nur Möglichkeiten des Ausgleichs widerstreitender Interessen, die sich bei einem weniger transparenten Verfahren nicht so ergäben, sondern auch die demokratische Kontrolle durch die Bürger. Damit dienen sie der Verantwortlichkeit der Volksvertretung gegenüber den Wählern, die ein zentraler Mechanismus des effektiven Einflusses des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt ist (BVerfG, Urteil vom 7. November 2017 - 2 BvE 2/11 - BVerfGE 147, 50 Rn. 200 f. m.w.N.). Die Öffentlichkeit von Ratssitzungen stellt einen tragenden Grundsatz der demokratischen Willensbildung in den Kommunen dar. Sie verfolgt den Zweck, der Allgemeinheit in Bezug auf die Arbeit des kommunalen Vertretungsorgans Publizität, Information, Kontrolle und Integration zu vermitteln (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 23. Mai 2003 - 1 MR 10/03 - NVwZ-RR 2003, 774). Die Auslegung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch das Berufungsgericht wird diesen Anforderungen gerecht. Sie gewährleistet die chancengleiche Zugangsmöglichkeit für jedermann und lässt einen bevorzugten Zugang Einzelner nur bei sachlicher Rechtfertigung und nur in so begrenztem Umfang zu, dass die allgemeine Zugänglichkeit gewahrt bleibt. Das bundesverfassungsrechtliche Demokratiegebot verlangt keine strengere Auslegung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit. Insbesondere lässt sich ihm nicht entnehmen, dass eine durch sachliche Gründe gerechtfertigte bevorzugte Vergabe von Zuhörerplätzen von vornherein ausgeschlossen wäre.
18 bb) Revisionsrechtlich fehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Platzvergabe für die in Rede stehende Ratssitzung den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit verletzt hat. Dass 25 Karten den Ratsfraktionen zur Verteilung überlassen wurden, hat es ebenso wie die bevorzugte Platzvergabe an drei namentlich benannte Einzelpersonen und an Mitglieder nur einer von zwei mit dem streitigen Thema befassten Bürgerinitiativen im Einklang mit Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG für sachlich nicht gerechtfertigt und daher für unzulässig gehalten.
19 Nach den bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsurteils (§ 137 Abs. 2 VwGO) wurden die Eintrittskarten den Fraktionen ohne jede Zweckbindung zur beliebigen Verteilung überlassen. Ob dies eine Weitergabe der Karten an die für die Fraktionen tätigen Personen ermöglichen sollte und ob deren Bevorzugung durch sachliche Gründe gerechtfertigt wäre, konnte das Berufungsgericht offenlassen. Es hat revisionsrechtlich fehlerfrei darauf abgestellt, dass eine solche Zweckbindung schon mangels entsprechender Vorgaben für die Kartenvergabe durch die Fraktionen nicht sichergestellt war.
20 Eine sachliche Rechtfertigung für die Bevorzugung dreier namentlich genannter Personen hat es revisionsrechtlich fehlerfrei verneint. Die bevorzugte Berücksichtigung von vier Mitgliedern einer für den Straßenausbau eintretenden Bürgerinitiative hat es zu Recht als Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG eingeordnet, weil für Mitglieder der den Ausbau ablehnenden Bürgerinitiative keine Plätze reserviert wurden.
21 cc) Mit dem demokratischen Grundsatz der Öffentlichkeit gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG steht auch in Einklang, dass das Berufungsgericht die Vergabe von Zuhörerplätzen an interessierte Bürgerinnen und Bürger nach dem Prioritätsprinzip unbeanstandet gelassen hat. Eine allein an dem zeitlichen Eingang einer Anfrage orientierte Platzvergabe stellt ein objektives Verteilungsverfahren dar, das jedem Bürger im Rahmen verfügbarer Kapazitäten gleichen Zugang zur Ratssitzung ermöglicht. Auch die bevorzugte Vergabe von Plätzen an Vertreter der Presse durfte das Berufungsgericht für zulässig erachten. Diese Praxis trägt Art. 5 Abs. 1 GG Rechnung, dient dem Informationsinteresse der Bürger und fördert die öffentliche Kontrolle der Ratssitzung.
22 b) Das Berufungsurteil geht ohne Verstoß gegen Bundesrecht davon aus, die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes führe nur bei schweren Verstößen zur Unwirksamkeit der gefassten Beschlüsse. Hingegen steht seine Annahme, ein schwerer Verstoß fehle schon, wenn eine relevante Anzahl allgemein zugänglicher Plätze verbleibe und die Zuhörerschaft insgesamt nicht das Gepräge eines von den politischen Akteuren gezielt zusammengestellten Publikums habe, mit dem Demokratiegebot nicht im Einklang.
23 aa) Das Berufungsgericht ist der von der Klägerin vertretenen Auffassung, wonach jeder Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit zur Unwirksamkeit der in der Ratssitzung gefassten Beschlüsse führen soll, zu Recht nicht gefolgt. Zwar stellt der unrechtmäßige vollständige Ausschluss der Öffentlichkeit einen erheblichen Verfahrensmangel dar, der regelmäßig die Unwirksamkeit der in nichtöffentlicher Sitzung gefassten Beschlüsse zur Folge hat (vgl. VerfGH NRW, Beschluss vom 9. April 1976 - 58/75 - NJW 1976, 1931; VGH Mannheim, Urteil vom 20. Juli 2000 - 14 S 237/99 - NVwZ-RR 2001, 462 <463>, OVG Weimar, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 3 ZKO 434/17 - juris Rn. 9; Rabeling, NVwZ 2010, 411 <412>; Gern/Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, S. 314 Rn. 629; Lange, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2019, S. 409 Rn. 91 m.w.N. in Fußnote 258). Daraus folgt jedoch nicht, dass demokratische Grundsätze im Sinne des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG dazu verpflichteten, bei jedem Verstoß gegen die Sitzungsöffentlichkeit stets alle betroffenen Ratsbeschlüsse für nichtig zu halten. Wenn nur ein begrenzter Teil der zur Verfügung stehenden Plätze ermessensfehlerhaft vergeben wurde, während die übrigen für jedermann chancengleich zugänglich blieben, ist die Nichtigkeitsfolge bundesrechtlich nicht zwingend. Vielmehr erlaubt es der Grundsatz der Rechtssicherheit, der nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG neben dem Demokratiegebot zu beachten ist, eine Nichtigkeit nur bei schweren Verstößen gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz vorzusehen. So hat das Berufungsgericht die irrevisible kommunalrechtliche Regelung verstanden. Diese Auslegung ist mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar, weil schwere Verstöße regelmäßig ohne Weiteres zu erkennen sind, sodass über die Nichtigkeit der in der betreffenden Ratssitzung gefassten Satzungs- und anderen Beschlüsse kein Zweifel bestehen kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15. Januar 2008 - 2 BvL 12/01 - BVerfGE 120, 56 S. 79 und vom 8. Dezember 2009 - 2 BvR 758/07 - BVerfGE 125, 104 S. 132 zu Verfahrensfehlerfolgen bei der Gesetzgebung). Bei sonstigen Verletzungen des Grundsatzes der Öffentlichkeit von Ratssitzungen bleibt es dann bei der Wirksamkeit der verfahrensfehlerhaften Beschlüsse, bis sie durch den Rat, die Kommunalaufsichtsbehörde oder eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben werden.
24 bb) Die Voraussetzungen, unter denen eine ermessensfehlerhafte Vergabe eines Teils der Zuschauerplätze einen schweren Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz darstellt und nach demokratischen Grundsätzen die Nichtigkeit der in der Sitzung gefassten Beschlüsse zur Folge haben muss, sind nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG entsprechend dem Zweck dieser Gewährleistung anhand der demokratischen Funktion der Öffentlichkeit zu bestimmen. Die berufungsgerichtliche Annahme, ein schwerer Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit fehle schon, wenn eine relevante Anzahl allgemein zugänglicher Plätze verbleibe und die Zuhörerschaft insgesamt nicht das Gepräge eines von den politischen Akteuren gezielt zusammengestellten Publikums habe, steht damit nicht im Einklang. Das Demokratieprinzip verlangt eine wirksame Kontrolle der Gemeindevertretung durch die Öffentlichkeit. Maßgeblich ist daher nicht, ob der Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz das Ergebnis bewusster oder gar absichtlicher politischer Einflussnahme ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob trotz der fehlerhaften Platzvergabe die Information der Allgemeinheit, die Transparenz der Sitzung und die demokratische Kontrollfunktion der Öffentlichkeit noch gewährleistet sind. Dies setzt voraus, dass eine hinreichende Anzahl allgemein zugänglicher Plätze verbleibt und die Zusammensetzung der Zuhörerschaft zufallsabhängig ist. Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt, liegt ein schwerer Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit vor, der zur Unwirksamkeit der in der Sitzung gefassten Beschlüsse führt.
25 4. Das Berufungsurteil erweist sich indessen aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Bei Anwendung des bundesrechtlich zutreffenden Maßstabs führt der festgestellte Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit nicht zur Unwirksamkeit der in der Ratssitzung gefassten Beschlüsse. Insoweit hat das Berufungsgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen stand in der Ratssitzung vom 26. November 2015 ein hinreichender Anteil der Plätze für jedermann zur Verfügung. Außerdem war die Zusammensetzung des Publikums ganz überwiegend zufallsbestimmt. Neben den nach dem Prioritätsprinzip an interessierte Bürgerinnen und Bürger zugeteilten Plätzen wurden auch die über die Ratsfraktionen verteilten Eintrittskarten nicht gezielt an Befürworter des Straßenausbaus ausgegeben. Sie wurden den Ratsfraktionen ohne einen Verwendungszusatz überlassen und anschließend durch eine Vielzahl verschiedener Akteure verteilt. Damit waren nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen mindestens 49 der 73 Eintrittskarten, mithin rund zwei Drittel aller verfügbaren Plätze, an Zuhörer gelangt, die keiner bestimmten inhaltlichen Positionierung zugeordnet werden konnten.
26 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.