Beschluss vom 28.10.2020 -
BVerwG 7 VR 3.20ECLI:DE:BVerwG:2020:281020B7VR3.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.10.2020 - 7 VR 3.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:281020B7VR3.20.0]

Beschluss

BVerwG 7 VR 3.20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Oktober 2020
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und Dr. Günther
beschlossen:

  1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 24. August 2020 wird abgelehnt.
  2. Von den Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Antragsteller zu 13 und zu 23 bis 27 - diese als Gesamtschuldner - jeweils 4/26, der Antragsteller zu 28 2/26 und die Antragsteller zu 1, zu 2 bis 5 - diese als Gesamtschuldner -, zu 6 bis 12, zu 14 und 15, zu 16 und 17 - diese als Gesamtschuldner -, zu 18 bis 20 sowie die Antragsteller zu 21 und 22 - diese als Gesamtschuldner - jeweils 1/26.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 195 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Antragsteller wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 24. August 2020 für das Vorhaben "Neubau S-Bahnlinie S4 (Ost) Hamburg - Bad Oldesloe, Planungsabschnitt 1 Hasselbrook - Luetkensallee in der Freien und Hansestadt Hamburg im Bezirk Wandsbek". Sie beantragen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der hiergegen erhobenen Klage, hilfsweise, die aufschiebende Wirkung der Klage bis zur Entscheidung des Senats über den Aussetzungsantrag vorläufig anzuordnen.

2 Der Antragsteller zu 1 ist Eigentümer des ehemaligen Bahnhofs X. Die vorhandene Verkehrsstation X. soll im Zuge des Neubauvorhabens wegfallen und die Bahnsteige sollen aufgenommen werden. Die Hausgrundstücke der Antragsteller zu 2 bis 6 liegen ebenfalls im Planungsabschnitt 1; sie machen ihre Lärmbetroffenheit geltend. Die Grundstücke der weiteren Antragsteller liegen im Bereich des Planungsabschnitts 2. Der Antragsteller zu 28 ist eine vom Land Schleswig-Holstein anerkannte Naturschutzvereinigung.

3 Mit ihrer Klage (BVerwG 7 A 13.20 ) begehren die Antragsteller die Aufhebung, hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses.

II

4 1. Der Antrag hat keinen Erfolg.

5 1.1. Das Bundesverwaltungsgericht ist allerdings als Gericht der Hauptsache nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i.V.m. lfd. Nr. 41 der Anlage 1 zu § 18e Abs. 1 AEG für die Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zuständig. Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss ist nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Für das Vorhaben ist nach § 1 des Gesetzes über den Ausbau der Schienenwege des Bundes (Bundesschienenwegeausbaugesetz - BSWAG) vom 15. November 1993 (BGBl. I S. 1874), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3221), in Verbindung mit Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 lfd. Nr. 25 der Anlage zu § 1 BSWAG der vordringliche Bedarf festgestellt.

6 1.2. Der Antragsteller zu 1 ist als Eigentumsbetroffener antragsbefugt. Teile seines Grundstücks sollen für das planfestgestellte Vorhaben dauerhaft bzw. zumindest vorübergehend in Anspruch genommen werden. Als Grundstückseigentümer kann er geltend machen, durch den Planfeststellungsbeschluss unmittelbar in seinen Rechten aus Art. 14 GG verletzt zu sein (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2016 - 4 A 5.14 - BVerwGE 154, 73 Rn. 19 sowie Beschluss vom 19. Dezember 2019 - 7 VR 6.19 - juris Rn. 6). Die Antragsteller zu 2 bis 6 sind als Lärmbetroffene gleichfalls antragsbefugt. Sie können die Verletzung gerade sie schützender Normen des materiellen und des Verfahrensrechts sowie eine nicht ordnungsgemäße Abwägung ihrer geschützten Privatbelange rügen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 2. Juli 2020 - 9 A 19.19 - juris Rn. 92).

7 Ob hingegen die Antragsteller zu 7 bis 27, die von der Umsetzung des verfahrensgegenständlichen Planfeststellungsbeschlusses zum Planungsabschnitt 1 Hasselbrook - Luetkensallee nicht betroffen sind, ebenfalls antragsbefugt sind, ist zweifelhaft. Sie berufen sich auf eine Vorfestlegung hinsichtlich der nachfolgenden Planfeststellungsabschnitte 2 und machen geltend, es werde ein Zwangspunkt geschaffen, der im weiteren Planungsverlauf zwangsläufig dazu führen müsse, dass sie in ihren Rechten betroffen würden. Deshalb könnten sie entsprechenden effektiven Rechtsschutz vor der Schaffung vollendeter Tatsachen beanspruchen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2012 - 9 A 6.10 - Buchholz 310 § 42 Abs. 2 VwGO Nr. 34 Rn. 21). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, muss der Senat allerdings nicht entscheiden, weil die Aussetzungsanträge jedenfalls nicht begründet sind.

8 Aus diesem Grund kann der Senat auch die Frage offenlassen, ob der Antragsteller zu 28 als anerkannte Naturschutzvereinigung unabhängig von der Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten antragsbefugt ist (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG). Zwar ist der satzungsgemäße Aufgabenbereich geographisch nicht beschränkt. Der Antragsteller zu 28 ist aber als Naturschutzvereinigung vom Land Schleswig-Holstein anerkannt worden. Nach § 3 Abs. 3 UmwRG richtet sich die Zuständigkeit für die Anerkennung der Vereinigungen nach deren geographischem Tätigkeitsbereich. Ob eine Vereinigung, die von einer Landesbehörde anerkannt wurde, eine erneute Anerkennung benötigt, wenn sie ihren Tätigkeitsbereich über die Landesgrenzen hinaus ausweitet (vgl. Bunge, UmwRG, 2. Aufl. 2019, § 3 Rn. 82), also hier hinsichtlich eines Tätigkeitsbereichs im Hamburger Stadtgebiet, ist höchstgerichtlich noch nicht geklärt. Eine Antragsbefugnis aus § 64 Abs. 1 BNatSchG für eine naturschutzrechtliche Vereinigungsklage scheidet aus, weil im Anwendungsbereich von Zulassungsentscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5 UmwRG ausschließlich das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz anzuwenden ist, nicht aber § 64 BNatSchG; § 64 Abs. 1 BNatSchG stellt dies ebenfalls klar (vgl. Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, UmweltR, Stand Februar 2020, § 1 Rn. 157 UmwRG).

9 2. Der Antrag ist hinsichtlich aller Antragsteller nicht begründet.

10 2.1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG sofort vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss anordnen.

11 In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Ist es - wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung oder wegen der Komplexität der aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen - nicht möglich, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wenigstens summarisch zu beurteilen, so sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten (vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 23. Januar 2015 - 7 VR 6.14 - NVwZ-RR 2015, 250 Rn. 8 m.w.N. sowie vom 19. Dezember 2019 - 7 VR 6.19 - juris Rn. 9).

12 Bei der Gewichtung der einander gegenüberstehenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist von maßgeblicher Bedeutung, dass der Gesetzgeber ausweislich des § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG dem Vollzugsinteresse - und damit der beschleunigten Umsetzung eisenbahnrechtlicher Planungsentscheidungen - erhebliches Gewicht beimisst (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. April 2005 - 4 VR 1005.04 - BVerwGE 123, 241 <244>, vom 6. März 2014 - 9 VR 1.14 - juris Rn. 7 und vom 5. Juli 2018 - 9 VR 1.18 - NVwZ 2018, 1653 Rn. 10). Eine längere Dauer des vorangegangenen Planfeststellungsverfahrens schmälert das Gewicht dieses Vollzugsinteresses nicht.

13 Vorliegend sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten. Zum einen verträgt die Entscheidung über den Antrag keinen Aufschub. Zum anderen werden von den Antragstellern Sach- und Rechtsfragen aufgeworfen, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.

14 Die Entscheidung über den Antrag ist dringlich. Dies folgt aus dem Beschleunigungsgebot, das sich aus der gesetzgeberischen Grundentscheidung nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit - und damit zugunsten der unverzüglichen Umsetzung - von Planfeststellungsbeschlüssen für den Bau oder die Änderung von Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes, für die - wie hier - nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz ein vordringlicher Bedarf festgestellt ist, ergibt. Zudem ergibt sich eine besondere Eilbedürftigkeit daraus, dass zur Baufeldfreimachung die Beigeladene Rodungsarbeiten durchführen muss, die aus naturschutzrechtlichen Gründen nur bis Ende Februar durchgeführt werden dürfen. Falls die vorgesehenen Rodungsarbeiten nicht bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sind, hätte dies eine deutliche Verzögerung der Umsetzung des Vorhabens von einem Jahr zur Folge.

15 Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses stellen sich zudem Sach- und Rechtsfragen, die erst im Zuge der Durchführung des Hauptsacheverfahrens geklärt werden können. Dies gilt namentlich im Hinblick auf die von den Antragstellern geltend gemachten Verfahrensfehler, die gerügte fehlende Planrechtfertigung und die geltend gemachten Defizite der durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung sowie Verstöße gegen naturschutzrechtliche Vorschriften und gegen das Abwägungsgebot, insbesondere die Alternativenprüfung.

16 2.2. Das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin und der Beigeladenen überwiegen das Suspensivinteresse der Antragsteller. Ausgehend von der gesetzgeberischen Grundentscheidung nach § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit ist hierfür maßgeblich, dass mit einer Fortsetzung der von der Beigeladenen begonnenen Arbeiten keine irreparablen bzw. nicht rückgängig zu machenden Folgen zulasten Drittbetroffener eintreten. Vollendete Tatsachen werden nicht geschaffen. Sollten sich die bis zu einer Entscheidung des Senats in der Hauptsache durchgeführten bauvorbereitenden Maßnahmen bzw. Baumaßnahmen als rechtswidrig erweisen, ließen sich die eingetretenen Folgen im Wege des Rückbaues und der Wiederbepflanzung gerodeter Flächen beseitigen bzw. rückgängig machen.

17 Dem steht nicht entgegen, dass nach einer Wiederbepflanzung gerodeter Flächen vor dem Erreichen des ursprünglichen Zustands Neuanpflanzungen zunächst noch eine Anwachsphase durchlaufen müssen (BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2019 - 7 VR 6.19 - juris Rn. 15). Der Gesetzgeber setzt Ausgleich und Ersatz für Eingriffe in Natur und Landschaft (vgl. § 15 Abs. 2 BNatSchG) nicht mit einer Naturalrestitution im naturwissenschaftlichen Sinne gleich. Vielmehr nimmt er im Rahmen der Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft eine vorübergehende Verschlechterung des ökologischen Zustands hin, weil es auf der Hand liegt, dass etwa ein ausgewachsener Baum erst Jahre später gleichwertig substituiert werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. November 2012 - 9 A 17.11 - juris Rn. 149 m.w.N. [insoweit in BVerwGE 145, 40 nicht abgedruckt]). Für eine Rückgängigmachung von Eingriffen in Natur und Landschaft kann nichts anderes gelten. Entsprechendes gilt auch für die Rückgängigmachung von etwaigen Eingriffen in Hausgärten.

18 Soweit die Antragsteller geltend machen, im Bereich des "Wandsbeker Gehölz" solle eine große Fläche mit einem alten Baumbestand des früheren Wandsbeker Schlossparks, der artenschutzrechtlich von besonderer Bedeutung sei, für die Baustelleneinrichtung freigemacht werden, trifft dies zwar zu. Der Vorhabenträger hat aber die Bedeutung des Baumbestandes im Wandsbeker Gehölz für verschiedene Fledermausarten erkannt und ist insoweit von einem Teillebensraumverlust ausgegangen. Für die Verluste an Quartierstandorten werden Ersatzstandorte geschaffen. Zur Vermeidung von Tötungen bei der Baufeldfreimachung hat die Vorhabenträgerin eine Quartierkontrolle vor Baubeginn und eine Bauzeitenregelung als Vermeidungsmaßnahmen angeordnet (PFB, S. 171). Abgesehen davon könnten sich die Antragsteller schon deswegen nicht auf Defizite beim Artenschutzrecht berufen, weil auch die Ansprüche der von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses Betroffenen auf gerichtliche Überprüfung der objektiven Rechtmäßigkeit des Plans Einschränkungen unterliegen. Eine Anfechtungsklage auch von Eigentumsbetroffenen kann keinen Erfolg haben, wenn der geltend gemachte Rechtsfehler aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für die Eigentumsbetroffenheit nicht erheblich, insbesondere nicht kausal ist. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn behauptete naturschutzrechtliche Mängel des Beschlusses durch schlichte Planergänzung behoben werden können (BVerwG, Urteile vom 12. August 2009 - 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 Rn. 24 und vom 28. April 2016 - 9 A 14.15 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 383 Rn. 16).

19 Vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung des Senats in der Hauptsache voraussichtlich im Jahr 2021 und mithin während der laufenden Ausbaumaßnahmen erfolgen soll, ist vor der Entscheidung über die erhobene Klage auch mit keinen dem planfestgestellten Ausbau zuzurechnenden betriebsbedingten Beeinträchtigungen der Antragsteller zu rechnen.

20 Mit der Ablehnung des Aussetzungsantrags erledigt sich der weitere Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung.

21 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG.

Beschluss vom 17.12.2020 -
BVerwG 7 VR 8.20ECLI:DE:BVerwG:2020:171220B7VR8.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.12.2020 - 7 VR 8.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:171220B7VR8.20.0]

Beschluss

BVerwG 7 VR 8.20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Dezember 2020
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und Dr. Günther
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Antragsteller gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2020 - BVerwG 7 VR 3.20 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Antragsteller je zu einem Drittel.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGO ist unbegründet. Der Senat hat den Anspruch der Antragsteller auf rechtliches Gehör in seinem Beschluss vom 28. Oktober 2020 - BVerwG 7 VR 3.19 - nicht verletzt.

2 1. Soweit die Antragsteller vortragen, die Entscheidung des Senats auf der Grundlage einer Folgenabwägung sei für sie überraschend gewesen, ergibt sich kein Gehörsverstoß. Der Senat hat nicht nur den Begründetheitsmaßstab seiner eigenen Rechtsprechung angelegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2019 - 7 VR 6.19 - juris Rn. 9). Vielmehr entspricht er allgemeiner Rechtsüberzeugung. Eine Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes darf von Verfassungs wegen auf eine Folgenabwägung gestützt werden, wenn es nicht möglich ist, eine - gegebenenfalls auch nur summarische - Rechtmäßigkeitsprüfung in der für eine Eilentscheidung zur Verfügung stehenden Zeit durchzuführen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2018 - 1 BvR 1401/18 - juris Rn. 5). Die Prüfung der Sach- und Rechtslage im vorläufigen Rechtsschutz ist damit bei irreversiblen Folgen nicht in jedem Fall verfassungsrechtlich geboten. Die grundrechtlichen Belange sind dann in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - juris Rn. 26). Im Übrigen stehen hier gerade keine nicht mehr rückgängig machbaren Beeinträchtigungen in Rede (siehe unten 3.).

3 Die Antragsteller haben nicht substantiiert dargelegt, dass eine summarische Prüfung ihres Vortrags möglich gewesen sei. Es hätte an ihnen gelegen vorzutragen, ob und welche von ihnen geltend gemachten Tatsachenfragen und Rechtsmängel entgegen der Einschätzung des Gerichts summarischer Prüfung zugänglich gewesen wären (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2018 - 1 BvR 1401/18 - juris Rn. 7). Dies haben die Antragsteller nicht geleistet. Vielmehr machen sie pauschal geltend, es sei dem Senat ohne Weiteres möglich gewesen, "die vorgebrachten Argumente einer summarischen Prüfung zu unterziehen". Dies genügt nicht. Ihre Forderung, die Planfeststellungsabschnitte 2 und 3 seien einzubeziehen, macht vielmehr die Beurteilung der Sach- und Rechtslage noch komplexer.

4 Der vom Senat angewandte Maßstab ist auch Folge der gesetzgeberischen Entscheidung in § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG, wonach dem Vollzugsinteresse und damit der beschleunigten Umsetzung eisenbahnrechtlicher Planungsentscheidungen erhebliches Gewicht beigemessen wird. Hierauf hat der Senat in seinem Beschluss ausdrücklich hingewiesen (Rn. 12 f. sowie Rn. 16).

5 Im Übrigen betrifft die Rüge, der Senat habe fehlerhaft den Maßstab der folgenorientierten Interessenabwägung seiner Entscheidung zugrunde gelegt, keinen Gehörsmangel, sondern die Verletzung von sonstigen Rechten, insbesondere von Art. 19 Abs. 4 GG. Dies kann der Anhörungsrüge nicht zum Erfolg verhelfen. Der Schutzbereich des rechtlichen Gehörs erstreckt sich nicht auf Fragen der inhaltlichen Richtigkeit einer Gerichtsentscheidung (Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2020, § 152a Rn. 18a; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2005 - 2 BvR 1904/05 - BVerfGK 7, 115 <116>; BVerwG, Beschluss vom 28. Oktober 2009 - 1 B 24.09 - Buchholz 310 § 152a VwGO Nr. 10 Rn. 4).

6 Die Frage der Betroffenheit der Antragsteller, die Eigentümer von an dem Bereich des 2. Planungsabschnitts angrenzenden Grundstücken sind, hat der Senat behandelt. Eine abschließende Prüfung ihrer Betroffenheit durch Maßnahmen im 1. Planungsabschnitt war aber im Hinblick auf ihre Antragsbefugnis für ein Eilverfahren nicht geboten, weil die Aussetzungsanträge jedenfalls nicht begründet waren (Rn. 7).

7 2. Entgegen der Auffassung der Antragsteller hat der Senat das Vollzugsinteresse nicht nur abstrakt gewichtet, sondern konkret darauf abgehoben, dass die Beigeladene zur Baufeldfreimachung Rodungsarbeiten durchführen müsse, die aus naturschutzrechtlichen Gründen nur bis Ende Februar durchgeführt werden dürften (Rn. 14). Diese rechtliche Maßgabe folgt unmittelbar aus § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG, wonach es unter anderem verboten ist, Bäume, die außerhalb des Waldes, oder gärtnerisch genutzten Grundflächen stehen und Hecken, in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September zu beseitigen.

8 3. Das Vorbringen der Antragsteller zu irreversiblen Folgen der Fällung von Bäumen durch sofortigen Vollzug hat der Senat ausdrücklich gewürdigt und ausgeführt, dass mit einer Fortsetzung der von der Beigeladenen begonnenen Arbeiten keine irreparablen bzw. nicht rückgängig zu machenden Folgen zulasten Drittbetroffener einträten. Vollendete Tatsachen würden nicht geschaffen. Eingetretene Folgen ließen sich im Wege des Rückbaus oder der Wiederbepflanzung gerodeter Flächen beseitigen bzw. rückgängig machen (Rn. 16 ff.). Dies gilt insbesondere für die geplanten bauzeitlichen oder endgültigen Inanspruchnahmen von Grundstücksflächen in den hinterwärtigen Grundstücksteilen im unmittelbaren Anschluss an die vorhandenen Gleisanlagen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Senat die Hauptsache im kommenden Jahr und damit weit vor dem Abschluss der Bauarbeiten entscheiden wird. Betriebsbedingte Belastungen und solche Belastungen, die sich erst aus der endgültigen Fertigstellung des Vorhabens ergeben (z.B. optische Beeinträchtigungen durch Lärmschutzwände), waren aus diesem Grund bei der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ohnehin nicht zu berücksichtigen.

9 Schließlich hat der Senat auch darauf abgehoben, dass sich bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses Sach- und Rechtsfragen stellten, die erst im Zuge der Durchführung des Hauptsacheverfahrens geklärt werden könnten (Rn. 15). Diese Einschätzung, dass eine Beantwortung der aufgeworfenen Fragen sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit Rücksicht auf den Umfang und die Komplexität des Vorhabens nicht möglich ist, kann nicht von vornherein zurückgewiesen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2018 - 1 BvR 1401/18 - juris Rn. 6 f.). Die Antragsteller haben nicht aufgezeigt, ob und welche geltend gemachten Tatsachenfragen und Rechtsmängel entgegen der Einschätzung des Senats doch summarischer Prüfung zugänglich gewesen wären.

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Gerichtsgebühr ergibt sich unmittelbar aus Nr. 5400 KV GKG; einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht.