Beschluss vom 29.06.2020 -
BVerwG 2 B 37.19ECLI:DE:BVerwG:2020:290620B2B37.19.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 29.06.2020 - 2 B 37.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:290620B2B37.19.0]
Beschluss
BVerwG 2 B 37.19
- VG Stuttgart - 02.08.2018 - AZ: VG 15 K 12900/17
- VGH Mannheim - 02.07.2019 - AZ: VGH 4 S 2538/18
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Juni 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dollinger
beschlossen:
- Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. Juli 2019 wird aufgehoben.
- Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
- Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
1 Auf die zulässige Beschwerde der Klägerin ist der Rechtsstreit nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung der Berufungsentscheidung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Die Berufungsentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil der Verwaltungsgerichtshof über die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO entschieden hat. Damit hat er den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
2 1. Die 1963 geborene Klägerin stand bis zu ihrer vorzeitigen Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit mit Wirkung vom 1. Juli 2017 als Stadtoberinspektorin (Besoldungsgruppe A 10) im Dienst der Beklagten. Die Klägerin war zuvor seit September 2015 krankheitsbedingt dienstunfähig; von Januar bis Mai 2016 war sie in einer psychiatrischen Klinik stationär behandelt worden. Für die Klägerin war 2014 ein Grad der Behinderung von 30 und 2016 ein solcher von 40 festgestellt worden. Mit Wirkung ab dem 11. Juli 2017 wurde sie einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
3 Das auf Veranlassung der Beklagten eingeholte amtsärztliche Gutachten samt fachpsychiatrischem Zusatzgutachten kam im Februar 2017 zu dem Ergebnis, dass mit der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit der Beamtin bezogen auf deren bisherige Funktion innerhalb der nächsten sechs Monate nicht zu rechnen sei. Es bestehe derzeit auch keine Restdienstfähigkeit. Unter der Voraussetzung, dass die im Januar 2017 begonnene intensivierte kombinierte Pharmako- und Psychotherapie konsequent, evtl. auch im stationären Setting durchgeführt werde, könnte die Beamtin in einer anderweitigen Verwendung mit folgenden Funktionseinschränkungen tätig sein: kein Publikumsverkehr, Arbeitszeitreduzierung und Arbeiten ohne Zeitdruck.
4 Nach vorheriger Anhörung versetzte die Beklagte die Klägerin in den vorzeitigen Ruhestand. Der dagegen gerichtete Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Zurruhesetzungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2017 mit der Begründung aufgehoben, die Beklagte habe es rechtsfehlerhaft unterlassen, eine anderweitige Verwendung der Klägerin substanziiert zu prüfen. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof zunächst weiter Beweis erhoben und sodann nach vorangegangener Anhörung der Klägerin durch Beschluss das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Die auf die eingeholten medizinischen Gutachten gestützte Versetzung der Klägerin in den vorzeitigen Ruhestand sei rechtmäßig. Zum Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids im Juli 2017 sei bei der Klägerin von einer dauernden Dienst- und Verwendungsunfähigkeit auszugehen gewesen, u.a. da die Klägerin ihre im Januar 2017 begonnene Langzeittherapie zuvor bereits nach neun Sitzungen abgebrochen habe. Diese Einschätzung werde durch die im Berufungsverfahren eingeholten weiteren fachmedizinischen und amtsärztlichen Stellungnahmen bestätigt.
5 2. Die Beschwerde ist zulässig. Die anwaltlich vertretene und bedürftige Klägerin hat innerhalb der Beschwerdefrist des § 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Prozesskostenhilfe beim Bundesverwaltungsgericht beantragt. Damit hat sie das dafür allein zuständige Prozessgericht im Sinn von § 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 1, § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO angerufen (BVerwG, Beschlüsse vom 13. August 1965 - 4 B 213.65 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 38 S. 42 und vom 19. Oktober 2016 - 3 PKH 7.16 - juris Rn. 3 sowie vom 28. März 2017 - 2 B 4.17 - Buchholz 303 § 78b ZPO Nr. 5 Rn. 7; siehe auch Czybulka/Hösch, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 133 Rn. 29 f.; Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 166 Rn. 32; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 7. Aufl. 2018, § 133 Rn. 18). Nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe durch Beschluss des Senats vom 25. Februar 2020 - 2 PKH 1.19 - hat die Klägerin unter Nachholung der erforderlichen Prozesshandlung - der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision - innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 60 Abs. 2 VwGO Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt.
6 3. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
7 Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann i.S.d. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 1995 - 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 18). Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 1995 - 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55).
8 Bereits das Merkmal "dieselbe Rechtsvorschrift" ist nicht erfüllt. Denn die von der Beschwerde herangezogenen Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. März 2009 - 2 C 73.08 - und vom 19. März 2015 - 2 C 37.13 - zu den Anforderungen an (amts-)ärztliche Gutachten zur Dienstunfähigkeit und an die Suche nach einer anderweitigen Verwendung des Beamten betreffen § 42 Abs. 1 und Abs. 3 BBG in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. März 1999 (BGBl. I S. 675) und Art. 56 Bayerisches Beamtengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. August 1998 (GVBl. S. 702), während für das die Klägerin betreffende Zurruhesetzungsverfahren wegen Dienstunfähigkeit § 26 BeamtStG maßgeblich ist.
9 Außerdem mangelt es im Hinblick auf die Fragen, welche Anforderungen an ein amtsärztliches Gutachten im Zurruhesetzungsverfahren und an die Suchpflicht betreffend eine anderweitige Verwendung zu stellen sind, an der geltend gemachten rechtsgrundsätzlichen Abweichung. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat im angegriffenen Berufungsurteil weder die Anforderungen verkannt, die das Bundesverwaltungsgericht an die Darstellung des medizinischen Sachverhalts und der daraus aus medizinischer Sicht abzuleitenden Schlussfolgerungen an amtsärztliche Gutachten in einem Zurruhesetzungsverfahren stellt, noch hat er die Grundsätze über die Suche nach einer anderweitigen Verwendung für auf ihrem Dienstposten dienstunfähige Beamte verletzt. Vielmehr hat der Verwaltungsgerichtshof die beiden von der Beschwerde zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteile vom 26. März 2009 - 2 C 73.08 - BVerwGE 133, 297 und vom 19. März 2015 - 2 C 37.13 - Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009 Nr. 7) seiner Maßstabsbildung zugrunde gelegt (vgl. UA S. 10 f.).
10 Mit den Ausführungen zum Zulassungsgrund der Divergenz wird damit in der Sache geltend gemacht, das Berufungsgericht habe die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Bemessungskriterien nicht fehlerfrei angewandt. Letztlich beanstandet die Klägerin die tatrichterliche Würdigung der angenommenen medizinischen Gründe und Schlussfolgerungen für ihre dauernde Dienst- und Verwendungsunfähigkeit, legt jedoch nicht dar, dass sich das Berufungsgericht dabei von einem Maßstab habe leiten lassen, der mit dem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten unvereinbar sei.
11 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass für die von der Beschwerde behauptete Widersprüchlichkeit des amtsärztlichen Gutachtens vom 17. Februar 2017 zur Frage der anderweitigen Verwendung nichts ersichtlich ist. Denn die Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung der Klägerin (Restdienstfähigkeit) hat der Amtsarzt von der konsequenten Fortsetzung der erst im Januar 2017 begonnenen intensiven Pharmako- und Psychotherapie anhängig gemacht. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2017) hatte die Klägerin diese Therapie aber bereits im April 2017 nach nur neun von geplanten 45 Einzelsitzungen abgebrochen (Befundbericht des Psychologischen Psychotherapeuten vom 17. März 2019). Deshalb hat - sofern das Restleistungsvermögen der Klägerin damals zutreffend festgestellt worden sein sollte (dazu unter 4. b) - zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung mangels anderweitiger Verwendbarkeit der Klägerin keine Suchpflicht der Beklagten bestanden.
12 4. Die Revision ist aber wegen geltend gemachter Verfahrensmängel bei der Anwendung von § 130a VwGO zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
13 a) Die Rüge der Beschwerde, das Berufungsgericht habe dem aus § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO folgenden Anhörungserfordernis nach § 130a VwGO und damit dem Gebot rechtlichen Gehörs nicht hinreichend Rechnung getragen, greift zwar nicht durch.
14 Die Rüge einer Verletzung der Pflicht zur Anhörung nach § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO vor Erlass eines Beschlusses nach § 130a VwGO hat Erfolg, wenn diese Anhörung unterblieben ist. In einem solchen Fall beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts gemäß § 138 Nr. 3 VwGO stets auf der Verletzung von Bundesrecht. Hat das Berufungsgericht hingegen - wie hier - eine (erste) Anhörung durchgeführt, bedarf es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einer weiteren Anhörung - mit erneuter angemessener Fristsetzung - nur dann, wenn sich nach der ersten Anhörung die Prozesssituation wesentlich verändert hat. Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein Beteiligter nach der ersten Anhörung einen Beweisantrag stellt, der - würde eine mündliche Verhandlung durchgeführt - gemäß § 86 Abs. 2 VwGO beschieden werden müsste. In einem solchen Fall wird das Gericht seiner Anhörungspflicht regelmäßig nur dadurch gerecht, dass es den Beteiligten durch eine erneute Anhörung auf die unverändert beabsichtigte Entscheidung durch Beschluss und damit erneut darauf hinweist, dass es dem Beweisantrag nicht nachgehen werde (BVerwG, Urteil vom 16. März 1994 - 11 C 48.92 - Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr. 10 S. 4 und Beschluss vom 3. September 2015 - 2 B 29.14 - Buchholz 449.4 § 53 SVG Nr. 3 Rn. 17 m.w.N.).
15 Von einer erneuten Anhörung kann das Berufungsgericht indes fehlerfrei absehen, wenn das Vorbringen des Beteiligten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt für seine Entscheidung erheblich ist. Maßgeblich für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist allein die materiell-rechtliche Auffassung des Berufungsgerichts. Entsprechendes gilt für die Behandlung von Beweisanträgen, sodass das Gericht etwa von einer neuen Anhörung absehen darf, wenn das unter Beweis gestellte Vorbringen als wahr unterstellt wird oder es nicht entscheidungserheblich ist und es deshalb auf das angebotene Beweismittel nicht ankommt (BVerwG, Beschlüsse vom 1. Dezember 1999 - 9 B 434.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 45 S. 26, vom 4. April 2003 - 1 B 244.02 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 62 S. 49 und vom 2. März 2010 - 6 B 72.09 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 80 Rn. 8). Hält das Berufungsgericht an einer Entscheidung durch Beschlussfassung fest, muss sich aus den Entscheidungsgründen des Beschlusses ergeben, dass es die Ausführungen des Beteiligten zur Kenntnis genommen und dessen Vortrag und Beweisanträge vorher auf Rechtserheblichkeit geprüft hat (BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juni 2007 - 10 B 56.07 - juris Rn. 9 f. und vom 15. Mai 2008 - 2 B 77.07 - NVwZ 2008, 1025 Rn. 17). Damit korrespondierend muss im Gegenzug die von dem Beteiligten erhobene Rüge einer Gehörsverletzung wegen Unterlassens einer erneuten Anhörung in mündlicher Verhandlung erkennen lassen, welcher erhebliche Vortrag noch angebracht worden wäre und durch die unterbliebene Anhörung abgeschnitten worden sein soll (BVerwG, Beschluss vom 28. April 1997 - 6 B 6.97 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 380 S. 179).
16 Ausgehend von diesen Maßstäben ist gegen den angefochtenen Beschluss nichts zu erinnern. Die Beteiligten sind durch Verfügung der Berichterstatterin vom 8. April 2019 auf die Absicht des Senats zur Entscheidung nach § 130a VwGO unter Setzung einer angemessenen Äußerungsfrist (10. Mai 2019) schriftlich angehört worden. Der Bevollmächtigten der Klägerin ist das Anhörungsschreiben am 10. April 2019 zugegangen, ohne dass sie einen Beweisantrag gestellt oder neuen - aus Sicht des Berufungsgerichts - entscheidungserheblichen Sachvortrag geleistet hat. Das Berufungsgericht hat sich mit dem neuen Vortrag der Klägerin zur Aufnahme als Mitarbeiterin Support Verkauf bei einer GmbH auseinandergesetzt und diesen aus zwei Gründen - Tätigkeitsaufnahme nach der Widerspruchsentscheidung und allenfalls halbschichtige anderweitige und geringerwertige Verwendung (UA S. 17) - plausibel als nicht entscheidungserheblich beurteilt. Soweit die Beschwerde rügt, in der Anhörung selbst sei über das Rechtsmittel gegen eine mögliche Entscheidung nach § 130a VwGO nicht belehrt worden, geht die Rüge ins Leere. Die Belehrungspflicht über das Rechtsmittel gemäß § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 5 VwGO bezieht sich nicht auf das Anhörungsschreiben, sondern auf den darauf ergehenden Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO. Dort ist diese Belehrung erfolgt.
17 b) Das Berufungsgericht hat § 130a Satz 1 VwGO und damit den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aber dadurch verletzt, dass es über die von ihm aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zugelassene Berufung - in abweichender Würdigung der Sach- und Rechtslage durch die Vorinstanz - in einem in tatsächlicher Hinsicht komplexen Fall durch Beschluss über die Berufung entschieden hat.
18 aa) Nach § 130a Satz 1 VwGO kann das Berufungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Ist das Erfordernis der Einstimmigkeit erfüllt, so liegt die Entscheidung über das Absehen von einer mündlichen Verhandlung im Ermessen des Berufungsgerichts. Ob das Berufungsgericht durch Beschluss nach § 130a VwGO entscheidet, steht also in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Revisionsgerichtlich ist dieses Ermessen nur daraufhin überprüfbar, ob sachfremde Erwägungen oder grobe Fehleinschätzungen vorgelegen haben (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 <296> und Beschluss vom 3. September 2015 - 2 B 29.14 - Buchholz 449.4 § 53 SVG Nr. 3 Rn. 21; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 130a Rn. 35). Bei der Ermessensentscheidung nach § 130a Satz 1 VwGO dürfen indes die Funktionen der mündlichen Verhandlung und ihre daraus erwachsende Bedeutung für den Rechtsschutz nicht aus dem Blick geraten (Art. 6 Abs. 1 EMRK). Jedenfalls dann, wenn - wie hier - ein Beteiligter der beabsichtigten Entscheidung nach § 130a Satz 1 VwGO widerspricht, muss sich die Ausübung des Ermessens daran orientieren, dass die mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch im Berufungsverfahren die Regel, eine Entscheidung im vereinfachten Verfahren nach § 130a VwGO die Ausnahme bildet. Der Anwendungsbereich des § 130a Satz 1 VwGO ist nach dem Zweck der Norm grundsätzlich auf einfach gelagerte Streitsachen beschränkt. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass die umfassende Erörterung der tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte der Streitsache mit den Beteiligten in einer Berufungsverhandlung regelmäßig geeignet ist, die Richtigkeit und die Akzeptanz der gerichtlichen Entscheidung zu fördern (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213 ff.> und Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 - 2 B 63.11 - IÖD 2012, 20 <21> und vom 20. Mai 2015 - 2 B 4.15 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 86 Rn. 5).
19 Ein Beschluss nach § 130a VwGO setzt weiter voraus, dass den Beteiligten in erster Instanz eine mündliche Verhandlung gewährleistet war. Ist dies der Fall gewesen, steht ein wirksamer Verzicht der Beteiligten der ersten Instanz auf eine mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 VwGO der Anwendung von § 130a VwGO durch das Berufungsgericht grundsätzlich nicht entgegen (BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 1998 - 9 B 347.98 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 31 S. 23; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 130a Rn. 38). Etwas anderes gilt aber, wenn eine neue Verfahrenslage nunmehr die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfordert.
20 Die Durchführung einer Verhandlung ist erforderlich, wenn sich die Streitsache nach den Gesamtumständen des Einzelfalls in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht als außergewöhnlich schwierig erweist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213> und Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 - 2 B 63.11 - IÖD 2012, 20 <21> und vom 3. September 2015 - 2 B 29.14 - Buchholz 449.4 § 53 SVG Nr. 3 Rn. 22). Die Notwendigkeit, eine Rechtsnorm nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik oder Sinn und Zweck auszulegen, begründet indes für sich genommen noch keine außergewöhnlich große Schwierigkeit einer Rechtssache, insbesondere wenn das Berufungsgericht sich mit der Auslegung der Norm bereits befasst hat und seine Rechtsprechung lediglich fortführt (BVerwG, Beschlüsse vom 10. Juni 2008 - 3 B 107.07 - juris Rn. 4 und vom 3. September 2015 - 2 B 29.14 - Buchholz 449.4 § 53 SVG Nr. 3 Rn. 22). Eine mündliche Verhandlung kann danach vor allem zur sachgerechten Aufklärung schwieriger tatsächlicher Fragen geboten sein (BVerwG, Beschluss vom 12. März 1999 - 4 B 112.98 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 35 S. 5 f.).
21 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung liegt etwa dann nahe, wenn in einer tatsächlich besonders schwierigen Streitsache ein Beteiligter neuen erheblichen Tatsachenvortrag in das Berufungsverfahren eingeführt hat oder das Berufungsgericht die Beteiligten vor der Entscheidung durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO im Rahmen der Anhörung nach § 130a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die tragenden Gründe für seine von derjenigen des Verwaltungsgerichts abweichende Sachverhalts- und Beweiswürdigung hinweist. Führt ein Beteiligter daraufhin neuen und aus der Sicht des Berufungsgerichts erheblichen Sachvortrag ein oder kündigt er einen erheblichen Beweisantrag an, muss das Berufungsgericht mitteilen, aus welchem Grund es an seiner Absicht festhält, auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten. Es darf nicht ohne weitere Anhörung nach § 130a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss über die Berufung entscheiden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. März 2010 - 6 B 72.09 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 80 Rn. 7 f. und vom 20. Oktober 2011 - 2 B 63.11 - IÖD 2012, 20 <21 f.>).
22 bb) Daran gemessen hätte das Berufungsgericht - trotz des Umstands, dass die Klägerin auf das Anhörungsschreiben nach § 130a Satz 2 VwGO noch keine Beweisanträge angekündigt hat - angesichts der tatsächlich komplexen Sachlage des Falls über die von ihm selbst zugelassene Berufung mündlich verhandeln müssen. Dies folgt für den Senat erstens daraus, dass das Berufungsgericht den in tatsächlicher Hinsicht erstinstanzlich unzureichend aufgeklärten medizinischen Sachverhalt zur Frage der für die Dienstfähigkeit der Klägerin notwendigen körperlichen und psychischen Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit durch eigene Beweiserhebung hat "nachermitteln" müssen (sachverständige Zeugenaussage der Fachpsychiaterin Dr. A. vom 18. Dezember 2018, Bericht der Frau Dr. A. vom 29. Januar 2019, Befundbericht des Diplom-Psychologen O. vom 17. März 2019). Zweitens ergibt sich aus der sachverständigen Zeugenaussage der Psychiaterin Dr. A. vom 18. Dezember 2018, dass die an einer langjährigen rezidivierenden depressiven Störung erkrankte Klägerin bereits ab dem 21. April 2017 und damit vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2017) - folgend ebenso bei den folgenden Behandlungsterminen am 19. Mai 2017 und am 28. Juli 2017 - sich vom Antrieb her adäquat, gut schwingungsfähig und allseits orientiert ohne kognitive Defizite und zuletzt auch zugewandt und freundlich präsentiert hat. Dies warf schon zum damaligen Zeitpunkt Fragen im Hinblick auf die von der Beklagten angenommenen fortbestehenden Dienstunfähigkeit infolge einer psychischen Dauererkrankung auf. Dass die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren auf eine mündliche Verhandlung verzichtet hatte, darf ihr dabei schon deshalb nicht entgegengehalten werden, weil sie dieses Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO auf einer ganz anderen tatsächlichen und rechtlichen Grundlage getroffen hatte. Das Verwaltungsgericht hatte den Beteiligten nämlich zuvor mitgeteilt, dass die Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit unzulässig gewesen sei, und die Beklagte aufgefordert, dem klägerischen Begehren abzuhelfen.
23 Die tatsächliche körperliche und psychische Leistungsfähigkeit der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zurruhesetzung im Juli 2017 aufzuklären, wird Aufgabe des Berufungsgerichts im zurückverwiesenen Verfahren sein.