Beschluss vom 29.09.2022 -
BVerwG 1 WB 28.21ECLI:DE:BVerwG:2022:290922B1WB28.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.09.2022 - 1 WB 28.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:290922B1WB28.21.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 28.21

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
den ehrenamtlichen Richter Oberstarzt Hütsch und
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Schnitker
am 29. September 2022 beschlossen:

  1. Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 6. Oktober 2020 (...) wird aufgehoben.
  2. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
  3. Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3).

2 Der 1963 geborene Antragsteller ist Berufssoldat. Er wurde am 6. April 2005 zum Oberstleutnant befördert. Seine Dienstzeit endet voraussichtlich am 30. September 2024. Zum Zeitpunkt der Abgabe der letzten Sicherheitserklärung war er in der Dienststelle Dienstältester Deutscher Offizier/Deutscher Anteil ... als Stabsoffizier Kommunikation Streitkräfte eingesetzt. Nach Feststellung des Bestehens eines Sicherheitsrisikos wurde der Antragsteller an das ... nach ... versetzt. Dort wird er nicht in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit eingesetzt.

3 Für den Antragsteller war bereits im Jahr 2015 eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durchgeführt worden. Dabei wurde bekannt, dass der Antragsteller eine Dienstreise im Jahr 2005 nach Afghanistan nicht unter Punkt 8.2 "Beziehungen in Staaten gem. § 13 Abs. 1 Nr. 17 SÜG/Reisen" angegeben hatte, obwohl Afghanistan zu diesem Zeitpunkt auf der Staatenliste aufgeführt war. Die Überprüfung wurde gleichwohl vom Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung ohne die Feststellung eines Sicherheitsrisikos abgeschlossen. Der Antragsteller wurde aber aktenkundig darüber belehrt, dass er in dienstlichen Angelegenheiten wahrheitsgemäße und vollständige Angaben zu machen habe und dass dies auch für dienstlich veranlasste Aufenthalte in Staaten gem. § 13 Abs. 1 Nr. 17 SÜG gelte.

4 Bei der Wiederholungsüberprüfung gab der Antragsteller am 3. Februar 2019 eine Sicherheitserklärung ab. Unter Punkt 8.2 "Beziehungen in Staaten gem. § 13 Abs. 1 Nr. 17 SÜG/Reisen" trug er fünf Dienstreisen seiner Lebensgefährtin in Staaten auf der sog. Staatenliste ein. Die Angabe seiner Dienstreise nach Afghanistan im Jahr 2005 erfolgte in dem Antrag wiederum nicht. Die Frage unter Punkt 8.4 nach sonstigen Beziehungen in diese Staaten verneinte der Antragsteller.

5 Unter dem 2. Juli 2020 nahm der Antragsteller die Gelegenheit wahr, schriftlich zu den sicherheitsrelevanten Erkenntnissen Stellung zu nehmen. Eine persönliche Anhörung des Antragstellers durch den Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung fand am 19. August 2020 statt. Seine Lebensgefährtin wurde nicht befragt.

6 Mit Bescheid vom 6. Oktober 2020, dem Antragsteller am 15. Oktober 2020 eröffnet, schloss der Geheimschutzbeauftragte im Bundesministerium der Verteidigung die Sicherheitsüberprüfung mit der Feststellung eines Sicherheitsrisikos ab. Es bestünden Zweifel an der Zuverlässigkeit der Person des Antragstellers im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG aufgrund unwahrer Angaben im Sicherheitsüberprüfungsverfahren. Er habe erneut seine 2005 durchgeführte Dienstreise nach Afghanistan nicht angegeben und damit die Auflage des Geheimschutzbeauftragten des Bundesministeriums der Verteidigung aus dem Jahr 2015 missachtet. Außerdem habe er nur die Reisen, nicht aber die geschäftlichen Kontakte seiner Lebensgefährtin in anzeigepflichtige Staaten angegeben. In seiner persönlichen Anhörung habe der Antragsteller ferner eingeräumt, wiederholt Kontakt zu einem afghanischen Berater für interkulturelle Kommunikation und Kompetenz an der ... gehabt zu haben, der als "sonstige Beziehung" in der Sicherheitserklärung ebenfalls hätte aufgeführt werden müssen. In der Gesamtschau bestünden nicht zurückstellbare Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Antragstellers bei der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit. Die Wirkungsdauer der Feststellung wurde auf zwei Jahre beschränkt.

7 Hiergegen hat der Antragsteller mit Schreiben vom 28. Oktober 2020, am selben Tag per Fax beim Bundesministerium der Verteidigung eingegangen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antrag mit seiner Stellungnahme dem Senat am 14. Juni 2021 vorgelegt.

8 Zur Begründung führt der Antragsteller aus, die Feststellung eines Sicherheitsrisikos sei rechtswidrig. Richtig sei, dass er die Dienstreise nach Afghanistan und die Kontaktpersonen seiner Lebensgefährtin in der Sicherheitserklärung nicht angegeben habe. Er habe dies aber nicht bewusst verschwiegen. Die hohe Arbeitsbelastung und kurze Bearbeitungsfrist habe zu dem Fehler geführt, dass er sich an die Afghanistanreise und die Auflage aus der vorangegangenen Entscheidung nicht mehr erinnert habe. Seine Sicherheitsakte werde beim Streitkräfteamt und nicht in seiner Einheit geführt, sodass eine Einsicht nicht möglich gewesen sei. Er habe nicht damit gerechnet, dass er die Kontaktpersonen bei den Reisen seiner Lebensgefährtin angeben müsse. Sie habe bei ihren Reisen nach Russland und Vietnam die Teams ihres Unternehmens vor Ort besucht und sei nur sporadisch mit Geschäftspartnern in Kontakt gekommen. Bereits in seiner Anhörung habe er angeboten, die Kontakte seiner Lebensgefährtin nachzureichen. Eine Reaktion hierauf sei ausgeblieben. Zudem berücksichtige die Prognoseentscheidung fehlerhaft den Umstand nicht, dass er auf einem sicherheitsempfindlichen Dienstposten befördert worden sei. Mit der Ernennung zum Oberstleutnant habe der Dienstherr ihm seine Zuverlässigkeit bescheinigt. Bei der Betrachtung seiner Gesamtpersönlichkeit seien ferner seine Vorgesetzten nicht zu seiner Zuverlässigkeit befragt worden.

9 Der Antragsteller beantragt,
den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 6. Oktober 2020 aufzuheben und den Bundesminister der Verteidigung zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

10 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

11 Der Geheimschutzbeauftragte habe seiner Entscheidung den richtigen Sachverhalt zugrunde gelegt, die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt und fehlerfrei gewürdigt. Das Vorbringen, zeitlich belastet gewesen zu sein, sei als Schutzbehauptung zurückzuweisen. Zeitdruck könne keine Entschuldigung sein und lasse vermuten, dass der Sorgfaltsmaßstab des Antragstellers situationsabhängig sei. Eine nachträgliche Auflistung der Auslandsreisen seiner Lebensgefährtin könne die ursprüngliche Unvollständigkeit der Angaben nicht ausräumen. Fehlerhaft seien die Ausführungen des Antragstellers, der Dienstherr habe mit der Beförderung zum Oberstleutnant dessen Zuverlässigkeit manifestieren wollen. Die Beförderung bezöge sich auf dessen Eignung, Befähigung und Leistung allgemein und nicht auf die sicherheitsempfindliche Tätigkeit im Speziellen. Andernfalls sei die Sicherheitsüberprüfung in diesen Fällen obsolet. Eine Anhörung der Vorgesetzten sehe das Gesetz nicht vor.

12 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

13 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat größtenteils Erfolg.

14 1. Er ist überwiegend zulässig.

15 a) Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 SÜG kann durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor den Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung des entsprechenden Bescheides angefochten werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. April 2019 - 1 WB 3.19 - juris Rn. 17 m. w. N.). Die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) folgende Zuständigkeit der Wehrdienstgerichte für Streitigkeiten, die die dienstliche Verwendung eines Soldaten betreffen, erstreckt sich auch auf die Überprüfung sicherheitsrechtlicher Bescheide im Sinne des § 14 Abs. 3 SÜG, weil mit der Feststellung des Geheimschutzbeauftragten über die Frage des Bestehens eines Sicherheitsrisikos im Kern über die sicherheitsrechtliche Eignung eines Soldaten für eine bestimmte dienstliche Verwendung entschieden wird (BVerwG, Beschluss vom 20. November 2012 - 1 WB 21.12 und 1 WB 22.12 - juris Rn. 24).

16 b) Unzulässig mangels Antragsbefugnis ist allerdings der Antrag, das Bundesministerium der Verteidigung zu verpflichten, über die Ü 3-Sicherheitsfreigabe hinsichtlich des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden (BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 2016 - 1 WB 35.15 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 30 Rn. 25 und vom 18. Dezember 2019 - 1 WB 6.19 - juris Rn. 26). Der Antragsteller ist derzeit nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut. Sofern die Personalführung eine entsprechende Verwendung künftig beabsichtigen sollte, ist er vorher einer - an den Anforderungen des jeweiligen Dienstpostens orientierten - Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SÜG). Hierzu ist die zuständige Stelle von Amts wegen verpflichtet. Der Antragsteller hat jedenfalls keinen Anspruch darauf, dass eine von einer konkret beabsichtigten Betrauung mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit unabhängige Sicherheitsüberprüfung gleichsam "auf Vorrat" durchgeführt wird, etwa um seine Bewerbungschancen für bestimmte Dienstposten zu erhöhen (BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2016 - 1 WB 35.15 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 30 Rn. 25).

17 2. Soweit der Antrag zulässig ist, ist er begründet. Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in dem Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 6. Oktober 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.

18 a) Maßgeblich für die gerichtliche Kontrolle ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Vorlage des Antrags auf gerichtliche Entscheidung durch das Bundesministerium der Verteidigung beim Senat (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 11. März 2008 - 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 Rn. 35), hier mithin der 14. Juni 2021. Bis zu diesem Zeitpunkt können in Ergänzung der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten und mit dessen Zustimmung tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos, einschließlich der dabei zu treffenden Prognose, in das Verfahren eingeführt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. September 2007 - 1 WDS-VR 7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13 Rn. 23, vom 30. Januar 2014 - 1 WB 47.13 - juris Rn. 29 und vom 17. April 2019 - 1 WB 3.19 - juris Rn. 22).

19 Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit ausschließen soll (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 11. März 2008 - 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 Rn. 23 m. w. N.). Dabei obliegt es der zuständigen Stelle - hier: dem Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung - aufgrund einer an diesem Zweck der Sicherheitsüberprüfung orientierten Gesamtwürdigung des Einzelfalls die ihr übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit zu bewerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 SÜG).

20 Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, z. B. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2011 - 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 Rn. 24 ff. m. w. N.).

21 Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko bereits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für einen der Tatbestände des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SÜG bestehen. Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen (§ 14 Abs. 3 Satz 3 SÜG). Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten darstellt, darf sich jedoch nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine "Beweislast", weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht werden wird (stRspr, z. B. BVerwG, Beschluss vom 30. Mai 2012 - 1 WB 58.11 - juris Rn. 30).

22 b) Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos durch den hierfür zuständigen Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SÜG) ist nicht aus formellen Gründen aufzuheben.

23 aa) Der Antragsteller hatte Gelegenheit, sich vor Feststellung des Sicherheitsrisikos zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen persönlich zu äußern (§ 14 Abs. 3 Satz 4 SÜG i. V. m. § 6 Abs. 1 SÜG; vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 - 1 WB 57.12 - BVerwGE 148, 267 Rn. 54 ff.). Davon hat er auch am 19. August 2020 Gebrauch gemacht.

24 bb) Dass die Lebensgefährtin des Antragstellers nicht als mitbetroffene Person im Sinne von § 14 Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 6 Abs. 2 SÜG angehört worden ist, ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. Bei der Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen im Sinne von § 10 SÜG soll zwar die nichteheliche Lebensgefährtin nach der Bestimmung des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SÜG generell in die Überprüfung als mitbetroffene Person einbezogen werden. Damit sind Partnerinnen gemeint, mit denen ein Soldat - wie hier - in einer auf Dauer angelegten Gemeinschaft zusammenlebt (vgl. Däubler, SÜG, 1. Aufl. 2019, § 2 Rn. 23). Da der Geheimschutzbeauftragte keine Ausnahmeentscheidung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 SÜG getroffen hat, hätte die Lebensgefährtin des Antragstellers in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen und nach § 6 Abs. 2 Satz 1 SÜG angehört werden müssen.

25 Dieser Mangel hat sich aber jedenfalls nicht auf die Entscheidung ausgewirkt. Der Geheimschutzbeauftragte hat seine Feststellung des Sicherheitsrisikos ausschließlich auf tatsächliche Anhaltspunkte in der Person des Antragstellers gestützt und nicht auf tatsächliche Anhaltspunkte in der Person der Lebensgefährtin. Vorgehalten wird dem Antragsteller nur, dass er die erforderlichen Angaben nach § 13 Abs. 1 Nr. 17 SÜG - über sich und seine Lebensgefährtin (§ 13 Abs. 3 SÜG) – unterlassen hat. Auch soweit seine Angaben die Lebensgefährtin betreffen, stellt der Geheimschutzbeauftragte nur auf die den Antragsteller treffende Pflicht ab, diese Angaben vollständig zu machen. Der Geheimschutzbeauftragte geht hiernach nicht davon aus, dass sich aus den Angaben zur Lebensgefährtin tatsächliche Anhaltspunkte ergeben hätten, die sich der Antragsteller als Sicherheitsrisiko hätte zurechnen lassen müssen; in diesem Fall musste er die Lebensgefährtin auch nicht anhören.

26 cc) Soweit der Antragsteller vorbringt, seine unmittelbaren Vorgesetzten seien nicht zu seiner Zuverlässigkeit befragt worden, liegt hierin kein Verfahrensfehler. Die Einholung einer Stellungnahme des Disziplinarvorgesetzten wird vom Sicherheitsüberprüfungsgesetz nicht zwingend vorgeschrieben. Sie stellt nur ein zusätzliches Aufklärungs- und Erkenntnismittel bei der Erhebung sicherheitsrechtlicher Erkenntnisse für den Geheimschutzbeauftragten dar, von dem er im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 24 Abs. 1 VwVfG) Gebrauch machen kann. Zwingend geboten ist dies zur Sachaufklärung regelmäßig nicht. Dies gilt insbesondere dann, wenn es - wie hier - um unstreitig durchgeführte Dienstreisen oder Aufenthalte eines Lebenspartners in Risikostaaten geht.

27 c) Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos ist aber materiell rechtswidrig. Der Geheimschutzbeauftragte hat diese Feststellung auf eine Gesamtschau mehrerer fahrlässiger Wahrheitspflichtverletzungen gestützt. Die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG) ergeben sich nach seiner Beurteilung damit nicht aus einzelnen, jeweils selbständig tragenden, schwerwiegenden Pflichtverletzungen, sondern aus der Kumulation mehrerer weniger schwerer fahrlässiger Verstöße im Verfahren der Sicherheitsüberprüfung.

28 Diese Beurteilung hält einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand, weil nur eine der dem Antragsteller vorgeworfenen fahrlässigen Wahrheitspflichtverletzungen erwiesen ist. In den übrigen Fällen hat der Geheimschutzbeauftragte zu Unrecht eine Pflichtverletzung angenommen.

29 aa) Soweit der Geheimschutzbeauftragte darauf verweist, dass der Antragsteller die Afghanistanreise aus dem Jahr 2005 wahrheitswidrig nicht angegeben hat, geht er von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt aus und verkennt den Bewertungsmaßstab nicht. Falsche Angaben im Sicherheitsüberprüfungsverfahren sind grundsätzlich geeignet, die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG nach sich zu ziehen (BVerwG, Beschlüsse vom 31. Januar 2018 - 1 WB 24.17 - NVwZ 2019, 65 Leitsatz und Rn. 30 ff. m. w. N., vom 18. Dezember 2019 - 1 WB 6.19 - juris Rn. 39 und vom 30. September 2021 - 1 WB 18.21 - NVwZ-RR 2021, 1060 Rn. 48). Der Geheimschutzbeauftragte hat auch das Gewicht dieses Pflichtverstoßes nicht überbewertet. Die unterbliebene Anzeige dieser lange zurückliegenden Dienstreise ist als fahrlässige Verletzung der Wahrheitspflicht und als Auflagenverstoß zu werten.

30 bb) Hingegen hat der Geheimschutzbeauftragte seinen Beurteilungsspielraum überschritten, indem er die unterbliebene Angabe der Kontaktdaten von den Personen beanstandet hat, die die Lebensgefährtin des Antragstellers bei ihren Auslandsreisen getroffen hat. Die undifferenzierte Einschätzung des Geheimschutzbeauftragten, bei allen angegebenen Dienstreisen der Lebensgefährtin des Antragstellers sei es zu meldepflichtigen Kontakten im Sinne der Nr. 8.4 der Sicherheitserklärung gekommen, verkennt den hierbei anzulegenden rechtlichen Maßstab. Denn an dieser Stelle der Sicherheitserklärung ist von "Beziehungen" und nicht lediglich von Kontakten die Rede. Es ist zwar erwiesen, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers bei ihren Reisen nach Russland und Vietnam nicht nur deutschen Vertretern des eigenen Unternehmens, sondern auch russischen und vietnamesischen Geschäftspartnern begegnet ist. Der Antragsteller hat aber plausibel und unwiderlegt vorgetragen, dass es sich dabei nur um einmalige und flüchtige Kontakte gehandelt habe, weil das operative Geschäft des Unternehmens durch die Mitarbeiter vor Ort oder das lokale Büro erfolgt sei.

31 Der Geheimschutzbeauftragte verkennt den Begriff "Beziehung", wenn er auch solche Begegnungen darunter subsumiert. Zwar ist es für das Vorliegen einer Beziehung nach der Rechtsprechung des Senats nicht erforderlich, dass eine besondere persönliche Vertrautheit oder Intimität besteht (BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2018 - 1 WB 24.17 - NVwZ 2019, 65 Rn. 31). Für das Vorliegen einer geschäftlichen, wissenschaftlichen oder sonstigen Beziehung genügen jedoch aus Sicht eines objektiven Dritten einmalige oder sporadische Begegnungen nicht. Gelegentliche Kontakte - zumal im Rahmen von Geschäftsbesprechungen mit weiteren Kollegen - reichen nicht aus, um als "Beziehung" im Sinn von Punkt 8.4 der Sicherheitserklärung verstanden zu werden. Einen Nachweis dafür, dass die Lebensgefährtin intensivere berufliche Kontakte zu konkreten Einzelpersonen im ausländischen Geschäftsbereich ihres Unternehmens gepflegt hat, hat der Geheimschutzbeauftragte nicht erbracht.

32 cc) Fehlerhaft ist auch die Annahme einer Meldepflicht in Bezug auf die berufliche Beziehung des Antragstellers zu dem interkulturellen Berater an der ... Nach der zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung geltenden "Anleitung zum Ausfüllen der Sicherheitserklärung" sind Kontakte zu ausländischen Staatsangehörigen im Inland nur dann anzugeben, wenn sie den in der Staatenliste genannten Staat vertreten. Der in dieser Version der Ausfüllanleitung benutzte Begriff "Vertreter" des ausländischen Staates ist weit zu verstehen, sodass neben Botschafts- oder Konsulatsangehörigen auch Personen als "Vertreter" anzusehen sind, die der staatlichen Sphäre des ausländischen Staates zuzurechnen sind und sich auch aufgrund ihrer der staatlichen Sphäre zuzurechnenden Funktion in Deutschland aufhalten. Erfasst werden solche Kontakte, die in besonderer Weise die Gefahr einer Anbahnung oder Ausforschung durch ausländische Nachrichtendienste in Deutschland begründen. Ein entsprechender Nachweis der Vertretereigenschaft des interkulturellen Beraters an der ... wurde nicht erbracht. Ausreichende Ermittlungen, die entsprechende tatsächliche Feststellungen erlauben, fehlen. Die Ausfüllanleitung fordert weiter, dass zu diesen Personen eine enge Verbindung unterhalten wird. Ein entsprechender Nachweis ist vom Geheimschutzbeauftragten ebenfalls nicht geführt worden.

33 Im Ergebnis fehlt für die Feststellung eines Sicherheitsrisikos nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG eine ausreichende Grundlage. Denn die der Feststellung zugrunde liegende Annahme mehrerer weniger gewichtiger Pflichtverletzungen hat sich nicht bestätigt, sodass eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums vorliegt.

34 d) Unabhängig davon, dass der Geheimschutzbeauftragte seine Prognose nicht hierauf stützt, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der verbliebene Verstoß gegen die Wahrheitspflicht für sich genommen eine negative Prognose tragen könnte. Zwar muss sich der Antragsteller in tatsächlicher Hinsicht vorhalten lassen, in seiner Sicherheitserklärung vom 3. Februar 2019 eine von ihm durchgeführte Dienstreise nach Afghanistan im Jahr 2005 ungeachtet einer früheren Auflage nicht angegeben zu haben. Der Auflagenverstoß erhöht auch das Gewicht dieser fahrlässigen Wahrheitspflichtverletzung. Verringert wird dieses Gewicht jedoch dadurch, dass die Dienstreise im Jahr 2005 bereits lange zurückliegt. Unabhängig von der weiterhin bestehenden Angabepflicht war die Dienstreise dem Dienstherrn darüber hinaus bekannt und von diesem veranlasst. Die Falschangabe hat den Geheimschutzbeauftragten schon in der Vergangenheit nicht zu einer negativen Prognose veranlasst. Eine nunmehrige Berücksichtigung in diesem Sinne würde dem Verstoß ein Gewicht verleihen, dass zu seiner objektiven Bedeutung außer Verhältnis stünde. Es läge nahe, ein nicht zulässiges repressives Motiv hinter der Prognose zu vermuten. Insofern ist nicht feststellbar, dass der Geheimschutzbeauftragte dieselbe Prognose auch ohne Vorliegen der anderen unzutreffend angenommenen Wahrheitspflichtverletzungen getroffen hätte.

35 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO und der Erwägung, dass der Antrag ganz überwiegend Erfolg hat (vgl. § 23a Abs. 2 WBO i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).