Beschluss vom 29.09.2022 -
BVerwG 1 WB 8.22ECLI:DE:BVerwG:2022:290922B1WB8.22.0

Zur Gewährung von Betreuungsurlaub für Soldatinnen und Soldaten

Leitsätze:

1. Soldatinnen und Soldaten kann Betreuungsurlaub nicht rückwirkend gewährt werden.

2. Eine Verlängerung des Betreuungsurlaubs über die Dauer von drei Jahren hinaus kann nicht gleichzeitig oder in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Antrag auf Erstbewilligung beantragt werden.

  • Rechtsquellen
    SG § 28 Abs. 5

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.09.2022 - 1 WB 8.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:290922B1WB8.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 8.22

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
den ehrenamtlichen Richter Oberstarzt Hütsch und
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Schnitker
am 29. September 2022 beschlossen:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Der Antragstellerin geht es um die Bewilligung von weiterem Betreuungsurlaub.

2 Die ... geborene Antragstellerin ist Berufssoldatin; ihre Dienstzeit endet voraussichtlich zum 30. September 2038. Sie ist Fachärztin für Augenheilkunde und wurde zuletzt im März 2015 zum Oberfeldarzt befördert. Für die Zeit vom 25. August 2020 bis 24. August 2021 war ihr Elternzeit unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge gewährt worden.

3 Mit Schreiben vom 24. Mai 2021 beantragte sie für die Betreuung ihres 2014 geborenen Sohnes Betreuungsurlaub für die Zeit vom 25. August 2021 bis 25. August 2027 sowie mit Schreiben vom 19. Juli 2021 Betreuungsurlaub für die Zeit vom 25. August 2021 bis 31. Juli 2025. Weil die Bearbeitung dieser Anträge für die Dauer eines parallel laufenden Dienstunfähigkeitsverfahrens ausgesetzt wurde, erhob sie mit Schreiben vom 21. Juli 2021 Untätigkeitsbeschwerde.

4 Mit Beschluss vom 7. Oktober 2021 - 1 W-VR 14.21 - hat der Senat das Bundesministerium der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin auf ihre Anträge vom 24. Mai 2021 und 19. Juli 2021 vorläufig bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung über ihre Untätigkeitsbeschwerde vom 21. Juli 2021 Betreuungsurlaub zu gewähren.

5 Daraufhin bewilligte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr der Antragstellerin mit Bescheid vom 11. Oktober 2021 vorläufig Betreuungsurlaub unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge für die Zeit vom 7. Oktober 2021 bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung über die Untätigkeitsbeschwerde.

6 Unter dem 15. Oktober 2021 beantragte die Antragstellerin außerdem, das Bundesministerium der Verteidigung im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr über den mit dem Bescheid vom 11. Oktober 2021 bewilligten Betreuungsurlaub hinaus vorläufig weiteren Betreuungsurlaub für den Gesamtzeitraum 25. August 2021 bis 25. August 2027 zu gewähren. Diesen Antrag lehnte der Senat mit Beschluss vom 26. Oktober 2021 - 1 W-VR 19.21 - ab.

7 Mit weiterem Bescheid vom 9. Dezember 2021 gewährte das Bundesamt für das Personalmanagement der Antragstellerin für die Zeit vom 7. Oktober 2021 bis zum 8. Oktober 2024 Betreuungsurlaub gemäß § 28 Abs. 5 SG.

8 Mit Bescheid vom 5. Januar 2022 gab das Bundesministerium der Verteidigung der Untätigkeitsbeschwerde der Antragstellerin vom 21. Juli 2021 insoweit statt, als die Gewährung von Betreuungsurlaub für die Zeit vom 7. Oktober 2021 bis zum 8. Oktober 2024 zunächst unterblieben sei, und wies die Beschwerde im Übrigen zurück. Zu Letzterem verwies es darauf, dass eine rückwirkende Gewährung von Betreuungsurlaub ab dem 25. August 2021 nicht zulässig sei. Im Übrigen sei die gesetzliche Höchstdauer von drei Jahren ausgeschöpft worden.

9 Bereits mit Schreiben vom 14. Oktober 2021 hat die Antragstellerin unter Bezugnahme auf ihre Untätigkeitsbeschwerde vom 21. Juli 2021 und eine weitere Untätigkeitsbeschwerde vom 8. September 2021 wegen des Antrags auf Betreuungsurlaub die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Zur Begründung führt sie insbesondere aus, dass sie den Betreuungsurlaub für die Zeit vom 25. August 2021 bis 25. August 2027 rechtzeitig beantragt habe. Einer rückwirkenden Genehmigung stehe nichts entgegen. Allenfalls gehe es um die Rückzahlung von Bezügen oder Elternzeitgeld. Außerdem beanstande sie einen Befehl ihres Disziplinarvorgesetzten vom 30. September 2021, mit dem ihre "Zwangseinweisung in das Bundeswehrkrankenhaus ..." befohlen werde.

10 Die Antragstellerin beantragt,
den Betreuungsurlaub ab dem 25. August 2021 bis zum 25. August 2027 zu genehmigen sowie
den rechtswidrigen Befehl vom 30. September 2021 aufzuheben.

11 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

12 Soweit der Antrag den Befehl vom 30. September 2021 zur militärärztlichen Begutachtung der Antragstellerin betreffe, sei bereits ein Hauptsacheverfahren beim Truppendienstgericht Süd (Az.: S 3 BLa 1/22) anhängig. Soweit es um die Bewilligung von Betreuungsurlaub gehe, sei der zwischenzeitlich ergangene Beschwerdebescheid vom 5. Januar 2022 in das Verfahren einzubeziehen. Der zusätzlichen Gewährung von Betreuungsurlaub für die Zeit vom 25. August 2021 bis 6. Oktober 2021 stehe entgegen, dass eine rückwirkende Bewilligung von Betreuungsurlaub unzulässig sei. Auch wenn die Antragstellerin seit dem 24. August 2020 von ihren Dienstpflichten entbunden gewesen sei, habe eine rechtliche Lage bestanden, die sich von einer Beurlaubung gemäß § 28 Abs. 5 SG unterscheide. Eine rückwirkende Gewährung würde nachträglich einen Zustand fingieren, welcher rechtlich und faktisch nicht vorgelegen habe. So habe sich die Antragstellerin beispielsweise vom 31. August 2021 bis 5. September 2021 sowie vom 10. September 2021 bis 15. September 2021 im Erholungsurlaub befunden. Eine rückwirkende Gewährung von Betreuungsurlaub für den gewünschten Zeitraum würde zu einer "Überlagerung" der Urlaubszeiträume führen. Die Entscheidung des Bundesamts für das Personalmanagement, der Antragstellerin ab dem 7. Oktober 2021, also ab dem Datum des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts im Verfahren BVerwG 1 W-VR 14.21 , Betreuungsurlaub zu gewähren, sei deshalb sachgerecht und rechtlich nicht zu beanstanden. Im Übrigen könne Betreuungsurlaub nur bis zur Dauer von drei Jahren mit der Möglichkeit der Verlängerung gewährt werden. Die von der Antragstellerin gewünschte Beurlaubungsdauer bis zum 25. August 2027 gehe über die vorerst möglichen drei Jahre hinaus und sei deshalb unzulässig.

13 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten verwiesen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Gerichtsakten der abgeschlossenen Verfahren BVerwG 1 W-VR 14.21 und BVerwG 1 W-VR 19.21 haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

14 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

15 1. Der Senat entscheidet, der gesetzlichen Regel entsprechend, ohne die von der Antragstellerin beantragte mündliche Verhandlung, weil er diese nicht für erforderlich hält (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 18 Abs. 2 Satz 3 WBO). Der vorliegende Fall wirft nur Rechts- oder Tatsachenfragen auf, die sich unter Heranziehung der Akten und der schriftlichen Erklärungen der Beteiligten angemessen lösen lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juni 2021 - 5 BN 1.21 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 223 Rn. 12, EGMR, Urteil vom 12. November 2002 - Nr. 28394/95, Döry/Schweden - Rn. 37 und EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017 - C-348/16 [ECLI:​EU:​C:​2017:​591] - Rn. 47). Insofern liegen Umstände vor, die ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gestatten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. September 2021 - 2 WNB 2.21 - BVerwGE 173, 290 Rn. 13 und EGMR, Urteil vom 28. Mai 2020 - Nr. 17895/14, Evers/Deutschland - FamRZ 2021, 382 <384 f.>).

16 2. Der Antrag ist unzulässig, soweit die Antragstellerin beantragt, den Befehl vom 30. September 2021 zur militärärztlichen Begutachtung aufzuheben, weil diesbezüglich bereits ein Hauptsacheverfahren beim Truppendienstgericht Süd (Az.: S 3 BLa 1/22) anhängig ist (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG).

17 3. Der Antrag ist unbegründet, soweit die Antragstellerin die Gewährung von Betreuungsurlaub für den Gesamtzeitraum vom 25. August 2021 bis zum 25. August 2027 begehrt.

18 Einer Berufssoldatin, die - wie die Antragstellerin - ein Kind unter 18 Jahren tatsächlich betreut, kann auf Antrag unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge mit Ausnahme der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung (Betreuungs-)Urlaub bis zur Dauer von drei Jahren mit der Möglichkeit der Verlängerung auf längstens 15 Jahre gewährt werden (§ 28 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SG). Das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr hat der Antragstellerin mit Bescheid vom 9. Dezember 2021 einen solchen Betreuungsurlaub für die Zeit vom 7. Oktober 2021 bis zum 8. Oktober 2024 gewährt.

19 Die Antragstellerin möchte im vorliegenden Verfahren an diesem bereits gewährten Urlaubszeitraum nichts ändern. Vielmehr möchte sie den Urlaubszeitraum vorgängig um die Zeit vom 25. August 2021 bis 6. Oktober 2021 und anschließend um die Zeit vom 9. Oktober 2024 bis 25. August 2027 zu einem Gesamtzeitraum vom 25. August 2021 bis zum 25. August 2027 erweitern. Dieses Begehren bleibt schon deshalb ohne Erfolg, weil das Bundesamt für das Personalmanagement die maximale Dauer einer Erstbewilligung von Betreuungsurlaub mit dem Bescheid vom 9. Dezember 2021 vollständig ausgeschöpft hat.

20 Unabhängig davon kommt eine Gewährung für den Zeitraum vom 25. August 2021 bis 6. Oktober 2021 auch deshalb nicht in Betracht, weil die Bewilligung von Betreuungsurlaub für die Vergangenheit grundsätzlich nicht zulässig ist (vgl. für die Elternzeit ebenso BVerwG, Beschlüsse vom 21. Mai 2015 - 1 WB 20.14 - BVerwGE 152, 144 Leitsatz und Rn. 22 ff. sowie vom 23. Februar 2017 - 1 WB 1.16 - juris Rn. 30; ebenso für den rückwirkenden Widerruf von Betreuungsurlaub BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 1996 - 1 WB 94.95 - Buchholz 236.1 § 28 SG Nr. 2 S. 1). Die Tatsache, dass sich ein Soldat in einem bestimmten zurückliegenden Zeitraum im Dienst befunden hat, kann nicht mehr rückwirkend verändert werden. Dies gilt auch dann, wenn die betreffende Person - wie hier die Antragstellerin - in diesem Zeitraum von ihren Dienstpflichten entbunden war oder sich zeitweise im Erholungsurlaub befand; auch diese beiden Maßnahmen setzen eine laufende Dienstleistungsverpflichtung voraus. Gegen die Zulässigkeit einer rückwirkenden Bewilligung von Betreuungsurlaub spricht auch, dass der Zweck der Urlaubsbewilligung, nämlich die tatsächliche Betreuung eines minderjährigen Kindes durch den beurlaubten Soldaten zu ermöglichen oder zu erleichtern, hierdurch nicht mehr gefördert werden kann; die faktische Betreuungssituation lässt sich für die Vergangenheit nicht mehr ändern. Es widerspräche der sozialen und familienpolitischen Zwecksetzung des § 28 Abs. 5 SG, wenn die Bewilligung von Betreuungsurlaub zur beliebigen "Umbuchung" von Dienstzeiten instrumentalisiert werden könnte.

21 Der Antrag bleibt schließlich auch dann ohne Erfolg, wenn man das mit der Beschwerde weiterverfolgte Begehren für die Zeit ab dem 25. August 2024 als Antrag auf Verlängerung des bewilligten Drei-Jahres-Zeitraums versteht. Aus der Konzeption des Gesetzes ("Urlaub bis zur Dauer von drei Jahren mit der Möglichkeit der Verlängerung auf längstens 15 Jahre") ist ersichtlich, dass eine grundsätzliche und nur ausnahmsweise widerrufbare (siehe § 28 Abs. 5 Satz 3 SG) Bindung an die Freistellung vom Dienst zunächst nur für maximal drei Jahre eintreten soll. Eine Verlängerung des Betreuungsurlaubs kann demzufolge nicht - wie hier - gleichzeitig oder in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Antrag auf Erstbewilligung, sondern erst dann beantragt werden, wenn die dienstlichen und persönlichen Belange hinreichend absehbar sind, die für die Ermessensentscheidung über die Weiterbewilligung maßgeblich sind. Auf diese Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt eine Verlängerung zu beantragen, hat das Bundesministerium der Verteidigung die Antragstellerin in dem Beschwerdebescheid zutreffend hingewiesen.

22 4. Die von der Antragstellerin mit Schreiben vom 10. März 2022 gestellten Beweisanträge werden abgelehnt, weil die dort unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung ohne Bedeutung sind (§ 18 Abs. 2 Satz 2 WBO i. V. m. § 106 WDO und § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO).