Verfahrensinformation

Die Kläger, eine Mutter und ihre fünf minderjährigen Kinder, stammen aus der Osttürkei. Sie begehren Visa zum Familiennachzug zu ihrem in Deutschland lebenden türkischen Ehemann und Vater. Dieser lebt seit 1998 in Deutschland, zunächst als Asylbewerber und von 2001 bis 2006 als Ehemann einer deutschen Staatsangehörigen. Inzwischen ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Die Klägerin zu 1 heiratete den Vater ihrer gemeinsamen, nicht ehelich geborenen Kinder im Dezember 2006. Im Juli 2007 beantragten die Kläger die Erteilung von Visa zum Familiennachzug. Diese Anträge lehnte die Botschaft in Ankara ab. Ihre Klagen hatten vor dem Verwaltungsgericht Berlin keinen Erfolg, weil die Klägerin zu 1 nicht nachweisen konnte, dass sie sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Sie ist Analphabetin und verfügt über keinerlei Deutschkenntnisse. Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision machen die Kläger geltend, der Sprachnachweis beim Ehegattennachzug sei verfassungswidrig. Außerdem verstoße die Regelung gegen Gemeinschaftsrecht und gegen Art. 8 EMRK.


Pressemitteilung Nr. 19/2010 vom 30.03.2010

Erfordernis einfacher Deutschkenntnisse beim Ehegattennachzug im Einklang mit Grundgesetz und Europarecht

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat sich heute erstmals mit dem 2007 in das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) eingefügten Spracherfordernis beim Ehegattennachzug befasst. Danach setzt ein Anspruch auf Ehegattennachzug zu einem im Bundesgebiet lebenden Ausländer voraus, dass der nachziehende Ehegatte sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Diese Regelung verstößt nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts weder gegen das Grundgesetz noch gegen Gemeinschaftsrecht.


Die Kläger, eine türkische Staatsangehörige und ihre fünf - zwischen 1994 und 2006 geborenen - Kinder, begehren die Erteilung von Visa zum Zwecke des Familiennachzugs zu ihrem türkischen Ehemann und Vater. Dieser lebt seit 1998 in Deutschland, zunächst als Asylbewerber und von 2001 bis 2006 als Ehemann einer deutschen Staatsangehörigen. Inzwischen ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Nach Scheidung von seiner deutschen Ehefrau heiratete er im Dezember 2006 die Mutter seiner Kinder, die Klägerin zu 1. In den Jahren zuvor besuchte er seine Familie regelmäßig in der Türkei. Im Juli 2007 beantragten die Kläger die Erteilung von Visa. Diese Anträge lehnte die Deutsche Botschaft in Ankara 2008 ab. Die hiergegen erhobenen Klagen hatten beim Verwaltungsgericht Berlin keinen Erfolg, weil die Klägerin zu 1 - nach eigenen Angaben eine Analphabetin - über keinerlei Deutschkenntnisse verfügt.


Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestätigt und die (Sprung-)Revisionen der Kläger zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Ehegattennachzug setzt - von hier nicht einschlägigen Ausnahmebestimmungen abgesehen - voraus, dass der nachziehende Ehegatte mündlich und schriftlich über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Diese Nachzugsvoraussetzung dient der Integration und der Verhinderung von Zwangsehen. Sie steht beim Nachzug zu Drittstaatsangehörigen im Einklang mit der Richtlinie 2003/86/EG des Rates (sog. Familienzusammenführungsrichtlinie). Diese ermächtigt die Mitgliedstaaten, den Familiennachzug davon abhängig zu machen, dass der Betroffene Integrationsmaßnahmen nachkommt. Das Spracherfordernis ist auch mit dem besonderen Schutz zu vereinbaren, den Ehe und Familie nach dem Grundgesetz und nach dem Gemeinschaftsrecht genießen. Art. 6 GG gewährt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt zu einem hier lebenden Familienangehörigen, sondern verpflichtet zu einem schonenden Ausgleich des privaten Interesses an einem ehelichen und familiären Zusammenleben im Bundesgebiet mit gegenläufigen öffentlichen Interessen. Dem wird die gesetzliche Regelung, die ein Zusammenleben im Bundesgebiet regelmäßig nur für einen überschaubaren Zeitraum verhindert, gerecht. Die Vorschrift ist auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil sie keine allgemeine Ausnahmeregelung für Härtefälle enthält. Falls die deutschen Sprachkenntnisse aus nicht zu vertretenden Gründen innerhalb eines angemessenen Zeitraums nicht erworben werden können und keine zumutbare Möglichkeit besteht, die Lebensgemeinschaft im Ausland herzustellen, kann der verfassungsrechtlich gebotene Interessenausgleich einfachgesetzlich auf andere Weise, etwa durch die Erteilung einer vorübergehenden Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Spracherwerbs (§ 16 Abs. 5 AufenthG) herbeigeführt werden. Im Entscheidungsfall führt die Versagung des beantragten Visums nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung, da die Klägerin zu 1 nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts in der Türkei die geforderten Sprachkenntnisse einschließlich einer vorausgehenden Alphabetisierung in etwa einem Jahr erwerben könnte. Außerdem ist dem Ehemann und Vater der Kläger eine Rückkehr in die Türkei zumutbar, wo die Familie auch nach seiner Ausreise ihren Lebensmittelpunkt beibehalten hat. Die Ablehnung verletzt die Klägerin zu 1 auch nicht in Art. 3 Abs. 1 GG, soweit Ehegatten bestimmter Drittstaatsangehöriger vom Sprachnachweis befreit sind (§ 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG). Diese Ungleichbehandlung knüpft an die visumrechtliche Privilegierung des Stammberechtigten an und findet ihre Rechtfertigung in dem Umstand, dass der Bundesrepublik hinsichtlich ihrer auswärtigen Beziehungen zu anderen Staaten ein weites außenpolitisches Ermessen zusteht. Dies schließt aufenthaltsrechtliche Privilegierungen von Angehörigen bestimmter Drittstaaten und damit verbundene Erleichterungen beim Ehegattennachzug ein. Auf das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit kann sich die Klägerin zu 1 als Drittstaatsangehörige beim Familiennachzug nicht berufen. Die assoziationsrechtlichen Verschlechterungsverbote für türkische Staatsangehörige greifen hier ebenfalls nicht ein.


BVerwG 1 C 8.09 - Urteil vom 30.03.2010


Urteil vom 30.03.2010 -
BVerwG 1 C 8.09ECLI:DE:BVerwG:2010:300310U1C8.09.0

Leitsätze:

1. Das durch das Richtlinienumsetzungsgesetz im August 2007 eingeführte Erfordernis, dass der Ehegatte, der zu einem in Deutschland lebenden Ausländer nachziehen will, sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können muss (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG), ist mit Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 Abs. 2 der RL 2003/86/EG vereinbar.

2. Das Fehlen einer allgemeinen Ausnahmeregelung für Härtefälle steht der Verfassungsmäßigkeit der Regelung nicht entgegen, da zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Trennung der Eheleute im Einzelfall auf anderem Weg, etwa durch Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Spracherwerb nach § 16 Abs. 5 AufenthG, Abhilfe geschaffen werden kann.

3. Die von § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geforderte Fähigkeit, sich auf einfache Art in deutscher Sprache zu verständigen, setzt voraus, dass der Ehegatte über mündliche und schriftliche Grundkenntnisse der deutschen Sprache auf der Stufe A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens des Europarats für Sprachen (GER) verfügt.

4. Drittstaatsangehörige können sich beim Familiennachzug nicht auf das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art. 18 AEUV (ex Art. 12 EGV) und Art. 21 Abs. 2 GR-Charta berufen.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 2, 3 Abs. 1, Abs. 3, Art. 6 Abs. 1, Abs. 2, Art. 20
    AufenthG § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 4, § 9 Abs. 2, § 16 Abs. 5, § 30 Abs. 1, §§ 32, 51, 104 Abs. 2 und 3, § 104a
    AufenthV § 41
    AuslG 1990 § 20 Abs. 4
    DV AuslG 1965 § 5
    EMRK Art. 8
    EUV Art. 6 Abs. 1 und 3
    AEUV Art. 18
    EGV Art. 12
    Richtlinie 2003/86/EG Art. 4, 5 Abs. 5, Art. 7 Abs. 2, Art. 8, 16, 17
    Richtlinie 2003/109/EG Art. 5 Abs. 5, Art. 15
    Richtlinie 2004/83/EG Art. 33
    VO (EG) Nr. 539/2001 Art. 1 Abs. 1
    GR-Charta Art. 7, 21, 51 Abs. 1
    ARB 1/80 Art. 13, 16 Abs. 1
    Zusatzprotokoll zum Art. 41 Abs. 1
    Abkommen vom 12. September 1963

  • VG Berlin - 17.02.2009 - AZ: VG 35 V 47.08

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 30.03.2010 - 1 C 8.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:300310U1C8.09.0]

Urteil

BVerwG 1 C 8.09

  • VG Berlin - 17.02.2009 - AZ: VG 35 V 47.08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2010
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig, Richter und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Beck und Fricke
für Recht erkannt:

  1. Die Revisionen der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Februar 2009 werden zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens zu je 1/6 mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Gründe

I

1 Die Kläger, eine türkische Staatsangehörige und ihre fünf - zwischen 1994 und 2006 geborenen - Kinder, begehren die Erteilung von Visa zum Zwecke des Familiennachzugs.

2 Der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Kläger zu 2 bis 6 ist ebenfalls türkischer Staatsangehöriger. Er kam 1998 nach Deutschland. Nach einem erfolglosen Asylverfahren heiratete er im März 2001 eine deutsche Staatsangehörige und ist inzwischen im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Nach Scheidung von seiner deutschen Ehefrau heiratete er im Dezember 2006 die Klägerin zu 1. Zuvor besuchte er - auch während seiner Ehe mit der Deutschen - die Kläger jährlich für einen Monat.

3 Im Juli 2007 beantragten die Kläger die Erteilung von Visa zur Familienzusammenführung. Die Deutsche Botschaft in Ankara lehnte die Anträge im April 2008 ab. Zur Begründung wurde u.a. darauf hingewiesen, dass die Klägerin zu 1 nicht nachgewiesen habe, sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen zu können.

4 Im Klageverfahren machten die Kläger geltend, das Erfordernis einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache sei verfassungswidrig, zumindest liege ein besonderer Härtefall vor. Die Klägerin zu 1 könne diese Anforderung nicht erfüllen. Sie sei Analphabetin, lebe im Osten der Türkei in einem Dorf und sei mit der Betreuung ihrer Kinder ausgelastet. In Wohnortnähe sei eine Alphabetisierung nicht möglich, auch würden dort keine Sprachkurse angeboten. Ihrem Ehemann sei eine Rückkehr nicht zuzumuten. Er habe sich in Deutschland eine Existenz und soziale Kontakte aufgebaut. Die Türkei habe er verlassen, weil er sich wegen seines politischen Engagements bedroht gefühlt habe.

5 Mit Urteil vom 17. Februar 2009 hat das Verwaltungsgericht Berlin die Klagen abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die Klägerin zu 1 erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug, da sie nicht in der Lage sei, den nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Nachweis zu erbringen, sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen zu können. Dabei könne offen bleiben, welche Kenntnisse im Einzelnen von ihr zu verlangen seien, da sie über keinerlei Deutschkenntnisse verfüge. Ein Ausnahmetatbestand liege nicht vor, insbesondere sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass ihr Analphabetismus seine Ursache in einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung habe. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Art. 6 GG gewähre keinen Anspruch auf Aufenthalt. Es bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse an einer beschleunigten, übergangslosen Integration des nachziehenden Ehegatten in die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und an der aufenthaltsrechtlichen Verhinderung von Zwangsehen. Die den Ausländer treffenden Belastungen stünden hierzu in einem vernünftigen Verhältnis. Es bestehe kein Anlass für die Befürchtung, der Erwerb von Grundkenntnissen der deutschen Sprache könne einem Ausländer gänzlich unmöglich sein oder so lange dauern, dass dies im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rang von Ehe und Familie nicht mehr hinnehmbar wäre. Ein Zeitraum von etwa einem Jahr sei mindestens zumutbar. Bei der gebotenen generalisierenden und pauschalierenden Betrachtung bestünden keine Anhaltspunkte, dass es zu einer deutlich längeren Verzögerung des Nachzugs kommen könnte. Die in den Goethe-Instituten angebotenen Kurse dauerten deutlich unter einem Jahr. Grundkenntnisse einer fremden Sprache ließen sich auch mit Hilfe von Audio- und Videosprachkursen erwerben und vertiefen. Zudem könne sich der Ausländer in der Regel der Hilfe seines hier lebenden Ehegatten bedienen. Auch die Teilnahme an Sprachkursen in vom Wohnort weiter entfernten Regionen des Heimatlandes und eine Alphabetisierung seien zumutbar. Es bestehe kein Anlass für die Annahme, dass der Spracherwerb einschließlich einer Alphabetisierung hier einen deutlich längeren als den genannten Zeitraum beanspruche. Es sei davon auszugehen, dass in der Türkei Möglichkeiten der Alphabetisierung bestünden und angeboten würden. Das Spracherfordernis verletze auch nicht den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Soweit § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG Ehegatten bestimmter Staatsangehöriger den Nachzug ohne Nachweis von Sprachkenntnissen gestatte, diene dies der Erfüllung zwischenstaatlicher Vereinbarungen bzw. der Wahrung öffentlicher Interessen. Außenpolitische Rücksichtnahmen seien geeignet, eine Bevorzugung von Ausländern aus einzelnen Ländern zu rechtfertigen. Die weiteren Ausnahmeregelungen beruhten auf einem entsprechenden öffentlichen Interesse, gewichtigen humanitären Gründen bzw. europarechtlichen Vorgaben. Es seien auch keine Anhaltspunkte für eine besondere Härte erkennbar, die im Hinblick auf Art. 6 GG eine verfassungskonforme Auslegung oder analoge Anwendung der gesetzlichen Ausnahmeregelungen erfordere. Soweit der Spracherwerb aufgrund der persönlichen Umstände eine erhebliche eheliche Belastung mit sich bringe, liege dies im alleinigen Verantwortungsbereich der Klägerin zu 1 und ihres Ehemanns. Diesem könne zugemutet werden, zur Vermeidung dieser Belastung zu seiner Familie zurückzukehren. Er habe 32 Jahre in der Türkei verbracht und sei mit der dortigen Kultur und Lebensweise vertraut. Seine Bindungen zur Türkei und zu seiner dortigen Familie habe er nie aufgegeben. Trotz seines Asylantrages habe er auch keine Bedenken oder Probleme gehabt, regelmäßig in die Türkei zurückzukehren; er habe diese stets unbehelligt wieder verlassen können. Zwar sei er in Deutschland gut integriert und müsste eine sichere Arbeitsstelle und ein geregeltes Einkommen aufgeben. Vor den mit einer Rückkehr verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten biete aber auch Art. 6 GG keinen Schutz. Habe die Klägerin zu 1 keinen Nachzugsanspruch, scheide auch eine Visumerteilung zu Gunsten der Kläger zu 2 bis 6 aus, da ihr Vater nicht allein personensorgeberechtigt sei. Ein Härtefall nach § 32 Abs. 4 AufenthG sei nicht ersichtlich.

6 Mit den vom Verwaltungsgericht zugelassenen (Sprung-)Revisionen machen die Kläger insbesondere geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Art und Umfang der zu erwerbenden Sprachkenntnisse ausgeblendet. Dies wirke sich auf die Verfassungsmäßigkeit der Regelung aus. Es seien nur mündliche Kenntnisse auf der untersten Leistungsstufe („Deutsch A 1“) nachzuweisen. Auch dies sei der Klägerin zu 1 nicht möglich. Der vom Verwaltungsgericht angenommene Zeitraum für das Erlernen der deutschen Sprache einschließlich einer Alphabetisierung sei zu kurz, hierfür seien mindestens drei Jahre zu veranschlagen. Das Erfordernis, bereits im Visumverfahren einfache Sprachkenntnisse nachzuweisen, verstoße gegen Art. 6 GG. Dabei sei unerheblich, ob der Ehemann in die Türkei zurückkehren könne. Der Nachweis verhindere keine Zwangsehen und spiele allenfalls eine geringe Rolle bei der Integration. Außerdem stellten Integrationskurse nach der Einreise ein milderes Mittel dar. Fraglich sei auch die Vereinbarkeit mit Art. 3 GG hinsichtlich der Privilegierung von EU-Ausländern gegenüber deutschen Staatsangehörigen und hinsichtlich der Privilegierung bestimmter Staaten, deren Angehörige ohne Visum einreisen dürften, sowie die Vereinbarkeit mit der Familienzusammenführungsrichtlinie, die zwischen „Integrationsmaßnahmen“ und „Integrationsbedingungen“ differenziere. Auch Art. 8 EMRK verbiete eine Trennung, die die 2-Jahres-Frist deutlich überschreite.

7 Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

II

8 Die (Sprung-)Revisionen der Kläger haben keinen Erfolg. Gegenstand des Verfahrens sind ihre Begehren auf Erteilung nationaler Visa zum Familiennachzug. Das Verwaltungsgericht hat im Einklang mit revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) dahin erkannt, dass die Klägerin zu 1 nicht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Ehegattennachzug erfüllt (1.). Damit entfällt auch ein Nachzugsanspruch der Kläger zu 2 bis 6 (2.).

9 1. Nach § 6 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG setzt ein Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug zu einem Ausländer (u.a.) voraus, dass der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann.

10 1.1 Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass diese mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 - Richtlinienumsetzungsgesetz - (BGBl I S. 1970) zum 28. August 2007 ohne Übergangsregelung in das Aufenthaltsgesetz eingefügte Nachzugsvoraussetzung auch für Altfälle gilt, in denen der Antrag - wie hier - vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung gestellt wurde. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen (vgl. Urteile vom 16. Juni 2004 - BVerwG 1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86 <88> m.w.N.; vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329, Leitsatz 3 u. Rn. 37 ff. und vom 1. Dezember 2009 - BVerwG 1 C 32.08 - juris Rn. 12).

11 1.2 Die Klägerin zu 1 verfügt unstreitig über keinerlei Deutschkenntnisse und erfüllt damit nicht die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG.

12 1.2.1 Das Erfordernis, sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen zu können, umschreibt das für einen Nachzugsanspruch erforderliche Sprachniveau. Der Ehegatte muss in der Lage sein, sich auf „zumindest rudimentäre Weise“ in Deutsch zu verständigen (BTDrucks 16/5065 S. 174). Nach Nr. 30.1.2.1. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 (GMBl S. 878) - VV AufenthG - entspricht diese Anforderung der Definition des Sprachniveaus der Stufe A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens des Europarats für Sprachen (GER). Hiervon gehen auch die Beteiligten aus. Diese beinhaltet als unterstes Sprachniveau folgende sprachliche Fähigkeiten:
„Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen - z.B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben - und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen.“

13 Diese Umschreibung ist geeignet, die in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geforderte Fähigkeit der Verständigung in deutscher Sprache auf einfache Art näher zu bestimmen. Sie macht insbesondere deutlich, dass an die sprachlichen Fähigkeiten keine überhöhten Forderungen gestellt werden dürfen.

14 1.2.2 Die Fähigkeit, sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen zu können, umfasst auch Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache. Der Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ist insoweit zwar nicht eindeutig. Denn „Sprache“ kann sich als Mittel der Kommunikation auch lediglich auf die gesprochene und gehörte Sprache beziehen (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 5 C 17.05 - Buchholz 130 § 11 StAG Nr. 2). Gleiches gilt für den Begriff „Verständigung“. Dass beim Ehegattennachzug auch Grundkenntnisse der Schriftsprache gefordert werden, ergibt sich jedoch aus einem Vergleich der Regelung mit anderen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes, die bestimmte Kenntnisse der deutschen Sprache verlangen. Dem ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber es klar zum Ausdruck bringt, wenn (ausnahmsweise) mündliche Kenntnisse genügen. So ist etwa für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG erforderlich, dass der Ausländer über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (übergangsweise nach § 104 Abs. 2 AufenthG oder dauerhaft nach § 9 Abs. 2 Satz 5 AufenthG) reicht es aus, wenn er sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann. Auch bei der Altfallregelung in § 104a AufenthG ist ausdrücklich klargestellt, dass der Ausländer nur über mündliche Kenntnisse verfügen muss. Dass § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nach dem Willen des Gesetzgebers auch Grundkenntnisse der Schriftsprache voraussetzt, ergibt sich zudem aus dem Umstand, dass er mit Einfügung dieser Vorschrift zugleich die bisherige Beschränkung auf mündliche Sprachkenntnisse bei § 28 Abs. 2 AufenthG aufgegeben und dies mit einer Angleichung an die Voraussetzungen des Erfordernisses einfacher Deutschkenntnisse beim Ehegattennachzug begründet hat (BTDrucks 16/5065 S. 171 f.). Die Erstreckung des Spracherfordernisses auf Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache entspricht auch Sinn und Zweck des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Mit der Anforderung, sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen zu können, sollen die Betroffenen dazu angeregt werden, sich bereits vor ihrer Einreise einfache Deutschkenntnisse anzueignen, um dadurch ihre Integration im Bundesgebiet zu erleichtern. Daneben dient die Vorschrift ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen. Diese sollen - präventiv - zumindest erschwert werden. Außerdem soll der Spracherwerb - im Nachhinein - den Opfern ein eigenständiges Sozialleben in Deutschland ermöglichen (BTDrucks 16/5065 S. 173 f.). Eine zügige Integration in die hiesigen Verhältnisse setzt jedoch voraus, dass der Ausländer jedenfalls einfache Sätze in deutscher Sprache lesen und schreiben kann, da dieser Form der Kommunikation in vielen Bereichen eine große Bedeutung zukommt. Grundkenntnisse der Schriftsprache erleichtern Opfern von Zwangsverheiratungen zudem die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten und eigenständige soziale Entfaltungsmöglichkeiten.

15 1.3 Die Klägerin zu 1 erfüllt nicht die Voraussetzungen, unter denen - nach § 30 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG - ausnahmsweise von dem Spracherfordernis abgesehen werden kann.

16 1.3.1 Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin zu 1 sich insbesondere nicht auf § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG berufen kann. Danach ist § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG unbeachtlich, wenn der Ehegatte wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass auch kranken und behinderten Ausländern ein Ehegattennachzug möglich sein muss (BTDrucks 16/5065 S. 175). Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit im Revisionsverfahren bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Klägerin zu 1 der Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache wegen einer Krankheit oder Behinderung nicht möglich ist. Auch ihr Analphabetismus hat seine Ursache danach nicht in einer Krankheit oder Behinderung. Die mit einer Erstalphabetisierung im Erwachsenenalter allgemein verbundenen Schwierigkeiten reichen für eine Ausnahme nach dieser Vorschrift nicht aus.

17 1.3.2 Die Klägerin zu 1 erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG. Danach gilt das Spracherfordernis nicht, wenn der Ausländer wegen seiner Staatsangehörigkeit auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumfrei in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Wortlaut und Systematik des § 30 AufenthG ist zu entnehmen, dass die visumrechtliche Privilegierung nicht beim nachziehenden, sondern bei dem bereits in Deutschland lebenden, stammberechtigten Ehegatten vorliegen muss. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, da der Ehemann der Klägerin zu 1 als türkischer Staatsangehöriger visumrechtlich nicht privilegiert ist. Türkische Staatsangehörige bedürfen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind, vom 15. März 2001 (ABl EG Nr. L 81 S. 1), und deren Anhang I für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet grundsätzlich eines Visums.

18 1.4 Etwas anderes ergibt sich auch nicht mit Blick auf die assoziationsrechtlichen Stillhalteklauseln für türkische Staatsangehörige. Das Spracherfordernis verstößt weder gegen Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP - noch gegen Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ANBA 1981 S. 4) - ARB 1/80 -. Ebenso wenig kann die Klägerin zu 1 unter Berufung auf diese Vorschriften und die türkische Staatsangehörigkeit ihres Ehemanns die Ausnahmeregelung in § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG für sich in Anspruch nehmen.

19 1.4.1 Art. 41 Abs. 1 ZP bestimmt, dass die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen werden. Diese Stillhalteklausel entfaltet nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung, so dass sich türkische Staatsangehörige vor den nationalen Gerichten auf die Rechte, die diese Bestimmung ihnen verleiht, berufen können, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts auszuschließen (vgl. EuGH, Urteil vom 20. September 2007 - Rs. C-16/05, Tum und Dari - Slg. 2007, I-07415 Rn. 46 m.w.N.). Art. 41 Abs. 1 ZP verbietet aber nur neue Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs. Die Stillhalteklausel verleiht einem türkischen Staatsangehörigen dagegen kein eigenständiges Aufenthaltsrecht und berührt nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, Vorschriften über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet zu erlassen (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Mai 2000 - Rs. C-37/98, Savas - Slg. 2000, I-02927 Rn. 58). Damit steht Art. 41 Abs. 1 ZP der Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auf türkische Staatsangehörige nicht entgegen, da beim Familiennachzug ein dauerhafter Aufenthalt im Bundesgebiet angestrebt wird, der weder von der Niederlassungs- noch von der Dienstleistungsfreiheit erfasst wird.

20 1.4.2 Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten für türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Auch diese Stillhalteklausel entfaltet unmittelbare Wirkung (vgl. EuGH, Urteile vom 17. September 2009 - Rs. C-242/06, Sahin - NVwZ 2009, 1551, Rn. 62 und vom 21. Oktober 2003 - Rs. C-317/01 u.a., Abatay u.a. - Slg. 2003, I-12301 Rn. 58 f.). Sie verbietet allgemein die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 in dem betreffenden Mitgliedstaat galten (vgl. EuGH, Urteil vom 17. September 2009 a.a.O. Rn. 63). Der Beschluss Nr. 1/80 berührt allerdings grundsätzlich nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, Vorschriften über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet und über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Dezember 1992 - Rs. C-237/91, Kus - Slg. 1992, I-06781, Rn. 25). Selbst wenn Art. 13 ARB 1/80 auch in Bezug auf die erstmalige Aufnahme türkischer Staatsangehöriger im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaats der Einführung neuer Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit entgegenstehen sollte, kann sich dies nur auf solche Personen beziehen, die von dieser Freizügigkeit Gebrauch machen wollen. Da die Klägerin zu 1 mit dem begehrten Visum nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern den Familiennachzug erstrebt, kann sie sich auf die Stillhalteklausel nicht berufen. In der Person ihres Ehemanns liegen zwar die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Stillhalteklausel vor, die Versagung des Familiennachzugs führt für ihn aber nicht zu einer neuen Beschränkung der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt oder seines damit verbundenen Aufenthalts. Für den - hier betroffenen - Bereich der Familienzusammenführung fehlt es an einem vergleichbaren Verschlechterungsverbot (vgl. EuGH, Urteil vom 30. September 1987 - Rs. 12/86, Demirel - Slg. 1987, I-03719).

21 1.4.3 Die Klägerin zu 1 kann sich über die Stillhalteklauseln für türkische Staatsangehörige auch nicht auf § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG berufen. Diese Ausnahmeregelung bezieht sich nach Wortlaut und Zweck nur auf Stammberechtigte, die nach § 41 AufenthV visumrechtlich begünstigt sind. Türkische Staatsangehörige werden - wie dargelegt (vgl. 1.3.2) - von dieser Regelung nicht erfasst. Im Übrigen wurde für sie zwar erst durch die am 5. Oktober 1980 in Kraft getretene Elfte Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes vom 1. Juli 1980 (BGBl I S. 782) eine allgemeine Visumpflicht eingeführt. Bei Inkrafttreten des Zusatzprotokolls am 1. Januar 1973 benötigten sie auf der Grundlage des § 5 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes (DV AuslG) vom 10. September 1965 (BGBl I S. 1341) in der Fassung vom 13. September 1972 (BGBl I S. 1743) - DV AuslG 1965 - nur dann eines vor der Einreise einzuholenden Sichtvermerks, wenn sie im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben wollten. Dies genügt für eine Ausnahme nach § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG auch deshalb nicht, weil Art. 41 Abs. 1 ZP nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union keine materiellrechtliche, sondern nur eine verfahrensrechtliche Wirkung zukommt, die in zeitlicher Hinsicht festlegt, welche Bestimmungen zur Anwendung kommen, wenn ein türkischer Staatsangehöriger in einem Mitgliedstaat von der Niederlassungsfreiheit oder dem freien Dienstleistungsverkehr Gebrauch machen will (vgl. EuGH, Urteil vom 20. September 2007 a.a.O. Rn. 52 ff.). Sonstige Verschärfungen der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen schließt die Norm nicht aus. Art. 13 ARB 1/80 steht der Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG im Übrigen schon deshalb nicht entgegen, da diese Stillhalteklausel erst ab dem 1. Dezember 1980 anzuwenden ist (Art. 16 Abs. 1 ARB 1/80). Zu diesem Zeitpunkt unterlagen türkische Staatsangehörige aber - wie dargelegt - bereits der allgemeinen Visumpflicht.

22 1.5 Die nach § 6 Abs. 4 Satz 2 AufenthG schon vor der Einreise zu erfüllende Nachzugsvoraussetzung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ist gemeinschaftsrechtlich mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl EU Nr. L 251 S. 12) - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - zu vereinbaren. Diese Richtlinie regelt die Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung zu einem Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Gebiet eines Mitgliedstaats aufhält (Art. 1 der Richtlinie). Sie findet vorliegend Anwendung, da der Ehemann der Klägerin zu 1 Drittstaatsangehöriger ist (Art. 2 Buchst. a der Richtlinie) und als Zusammenführender (Art. 2 Buchst. c der Richtlinie) in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht die Voraussetzungen des Art. 3 der Richtlinie erfüllt. Nach Art. 4 der Richtlinie gestatten die Mitgliedstaaten den dort genannten Familienangehörigen des Zusammenführenden vorbehaltlich der in Kapitel IV sowie in Art. 16 der Richtlinie genannten Bedingungen die Einreise und den Aufenthalt. Damit korrespondiert ein subjektives Recht auf Familienzusammenführung. Zum Kreis der begünstigten Familienangehörigen gehört auch der Ehegatte des Zusammenführenden (Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie). Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie eröffnet den Mitgliedstaaten allerdings - abweichend von den ansonsten verbindlichen Vorgaben der Richtlinie - die Möglichkeit, von Drittstaatsangehörigen zu verlangen, dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen. Wenn der nationale Gesetzgeber - wie hier - beim Ehegattennachzug den Erwerb einfacher Deutschkenntnisse vor der Einreise verlangt, stellt dies eine zulässige Integrationsmaßnahme im Sinne dieser Vorschrift dar.

23 Soweit nach Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie bei Flüchtlingen und ihren Familienangehörigen Integrationsmaßnahmen erst Anwendung finden, wenn ihnen eine Familienzusammenführung gewährt wurde, ist dem im Umkehrschluss zu entnehmen, dass in anderen Nachzugsfällen Integrationsmaßnahmen auch schon vor der Einreise verlangt werden können. Kommt der Nachzugswillige derartigen nationalen Forderungen nicht nach, kann ihm der Mitgliedstaat die Einreise verweigern. Dies ergibt sich aus der Stellung der Vorschrift im Kapitel IV, das die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung regelt. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie gestattet den Mitgliedstaaten auch, die Einreise vom Vorhandensein einfacher Sprachkenntnisse abhängig zu machen.

24 Dem Wortlaut der Vorschrift, wonach von Drittstaatsangehörigen verlangt werden kann, dass sie „Integrationsmaßnahmen“ (engl.: integration measures; franz.: mesures d’intégration) nachkommen müssen, kann nicht entnommen werden, dass sie einer nationalen Bestimmung entgegensteht, die den Ehegattennachzug zu einem Drittstaatsangehörigen davon abhängig macht, dass der nachziehende Ehegatte bereits vor der Einreise einfache Kenntnisse der in dem Mitgliedstaat gesprochenen Sprache nachweist. Die Formulierung deutet lediglich darauf hin, dass es sich bei den Integrationsmaßnahmen, denen „nachzukommen“ verlangt werden kann, um subjektive Nachzugsvoraussetzungen handeln muss, deren Erfüllung im Einflussbereich des Betroffenen liegt.

25 Dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie die Mitgliedstaaten ermächtigt, den Nachzug von einem Spracherfordernis abhängig zu machen, ergibt sich vor allem aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Die Öffnungsklausel war weder im ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom Dezember 1999 (KOM <1999> 638 endg.) noch in ihrem Änderungsvorschlag vom Mai 2002 (KOM <2002> 225 endg.) enthalten. Sie wurde während der Beratungen auf Drängen der Niederlande, Deutschlands und Österreichs aufgenommen (vgl. Ratsdokument Nr. 14272/02 vom 26. November 2002 S. 13 Fn. 2). Dabei gingen die Verhandlungspartner ersichtlich davon aus, dass die Klausel das Verlangen nach angemessenen Sprachkenntnissen abdeckt (vgl. Ratsdokument Nr. 14272/02 S. 12 Fn. 1). Auch die Sonderregelung beim Nachzug von Familienangehörigen anerkannter Flüchtlinge in Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie ist offensichtlich darauf zurückzuführen, dass die Niederlande zum Zeitpunkt der Verhandlungen die Einführung von Sprachtests vor der Einreise bereits konkret plante (vgl. Hauschild, ZAR 2003, 266 <271>; Breitkreutz/Franßen-de la Cerda/Hübner, ZAR 2007, 381 <382>). Zudem verlangen in Ausübung der Ermächtigung neben Deutschland auch die Niederlande und Frankreich vor der Einreise den Nachweis von Sprachkenntnissen. Bei diesen nationalen Regelungen handelt es sich nach Auffassung der Kommission in ihrem Bericht vom 8. Oktober 2008 an das Europäische Parlament und an den Rat über die Anwendung der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung um nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie grundsätzlich zulässige Integrationsmaßnahmen (KOM <2008> 610 S. 8 f.).

26 Soweit in der Literatur teilweise vertreten wird, der Begriff „Integrationsmaßnahmen“ beruhe auf einem Kompromiss und erlaube - anders als der Begriff „Integrationsanforderungen“ - nur, bestimmte Anstrengungen, wie etwa die Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen, zu verlangen, nicht aber ein bestimmtes Ergebnis (vgl. Groenendijk, ZAR 2006, 191 <195>), hat dies in den Verhandlungsprotokollen zur Familienzusammenführungsrichtlinie keinen Niederschlag gefunden. Das in diesem Zusammenhang als Beleg herangezogene Ratsdokument Nr. 7393/1/03 vom 14. März 2003 betrifft die Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl EU Nr. L 16 S. 44) - Daueraufenthaltsrichtlinie -. Dort findet sich in Art. 5 Abs. 5 und Art. 15 Abs. 3 der endgültigen Fassung zwar die Unterscheidung zwischen Integrationsanforderungen und Integrationsmaßnahmen. Der genaue Unterschied zwischen beiden Begriffen ist aber auch den Materialien zur Daueraufenthaltsrichtlinie nicht zu entnehmen. Im Übrigen liefen die Beratungen zur Daueraufenthalts- und zur Familienzusammenführungsrichtlinie zwar weitgehend parallel. Dies lässt aber nur bedingt Rückschlüsse auf die Auslegung der verwendeten Begriffe zu, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass den verschiedenen Richtlinien zur Zuwanderung ein übergreifendes, trennscharfes Begriffssystem zugrunde liegt. So findet sich beispielsweise der Begriff „Integrationsmaßnahmen“ auch in Art. 33 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie -. Dass der Begriff dort anders zu verstehen ist als in Art. 7 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie ergibt sich allerdings schon daraus, dass sowohl in der englischen als auch in der französischen Fassung andere Begriffe verwendet werden (access to integration facilities bzw. accès aux dispositifs d’intégration).

27 Ermächtigt Art. 7 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie die Mitgliedstaaten, von nachzugswilligen Familienangehörigen schon vor der Einreise die Erbringung von Integrationsleistungen zu verlangen, dürfen an diese allerdings keine unangemessen hohen Anforderungen gestellt werden. Das ergibt sich im Hinblick auf das allgemeine Ziel der Richtlinie, die Integration von Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaaten zu erleichtern, indem ihnen mit der Familienzusammenführung ein Familienleben ermöglicht wird (vgl. 4. Erwägungsgrund), und die Wahl einer eher weichen Formulierung (Integrationsmaßnahmen statt Integrationsanforderungen). Dies ist indes eine Frage der Verhältnismäßigkeit der konkret geforderten Integrationsleistung und nicht ihrer grundsätzlichen Zulässigkeit nach Art. 7 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie (so auch die Kommission in ihrem Bericht vom 8. Oktober 2008 a.a.O. S. 9).

28 Nachdem inzwischen weitere Mitgliedstaaten von der Ermächtigung des Art. 7 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie dergestalt Gebrauch gemacht haben, dass sie beim Familiennachzug ergebnisorientiert das Vorhandensein bestimmter Sprachkenntnisse und nicht lediglich die Teilnahme an einem Sprachkurs verlangen, und dies auch nach Auffassung der Kommission keinen grundsätzlichen Bedenken begegnet, ist hinsichtlich der grundsätzlichen Zulässigkeit von Sprachnachweisen vor der Einreise nach Art. 7 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie von einem „acte claire“ auszugehen, so dass es insoweit keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf.

29 1.6 Das Erfordernis einfacher Sprachkenntnisse schon vor der Einreise ist mit dem besonderen Schutz, den Ehe und Familie nach Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta genießen, grundsätzlich zu vereinbaren und entspricht damit regelmäßig auch den weiteren Vorgaben der Familienzusammenführungsrichtlinie.

30 1.6.1 Ehe und Familie werden von Art. 6 GG unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt. Die Verknüpfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug zu einem Ausländer mit dem Vorhandensein einfacher Sprachkenntnisse berührt sowohl den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG als auch den des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Diese Vorschriften enthalten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts neben dem Grundrecht als Abwehrrecht im klassischen Sinne eine Institutsgarantie sowie eine wertentscheidende Grundsatznorm für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts.

31 Das Erfordernis einfacher Sprachkenntnisse beim Ehegattennachzug zu einem in Deutschland lebenden Ausländer stellt allerdings keinen Eingriff in die Freiheitsrechte des Art. 6 GG dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vermitteln weder Art. 6 Abs. 1 GG noch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG einen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt. Dies gilt auch für den Nachzug eines ausländischen Ehegatten zu seinem berechtigterweise in Deutschland lebenden ausländischen Ehegatten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1 <47 f.>). Die Regelung ist als solche auch nicht geeignet, Ehe und Familie als verfassungsrechtlich anerkannte Institute zu beeinträchtigen. Zwar ist die Institutsgarantie des Art. 6 GG nicht nur betroffen, wenn die den Kern des Ehe- und Familienrechts bildenden Vorschriften namentlich des bürgerlichen Rechts wesentlich umgestaltet oder aufgehoben werden. Sie kann auch dann verletzt sein, wenn bestimmende Merkmale des Bildes von Ehe und Familie, das der Verfassung zugrunde liegt, mittelbar beeinträchtigt werden. Allerdings stellt eine Regelung die prägenden Elemente des Art. 6 GG zugrunde liegenden Bildes von Ehe und Familie nicht in Frage, wenn sie - wie hier - einem begrenzten Kreis von Personen für eine grundsätzlich überschaubare Zeit die Verwirklichung des Wunsches verwehrt, in räumlich ganz bestimmter Hinsicht als Ehegatten oder Familie zusammenzuleben, ohne ein solches Zusammenleben schlechthin zu hindern oder den Betroffenen eine schlechterdings unzumutbare Herstellung der Einheit von Ehe und Familie anzusinnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 a.a.O. <49>).

32 Das Spracherfordernis beim Ehegattennachzug ist jedoch an der in Art. 6 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm zu messen. Danach wirken der zur Berücksichtigung ehelicher und familiärer Bindungen verpflichtende Schutzauftrag und das Förderungsgebot des Art. 6 GG auf die gesamte die Ehe und Familie betreffende Rechtsordnung ein und setzen auch dem Gesetzgeber Grenzen. Dieser hat beim Erlass allgemeiner Regeln über die Erteilung von Aufenthaltstiteln die bestehenden ehelichen und familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen in einer Weise zu berücksichtigen, die der großen Bedeutung entspricht, welche das Grundgesetz dem Schutz von Ehe und Familie beimisst. Damit korrespondiert ein grundrechtlicher Anspruch auf angemessene Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Interessen an einem Zusammenleben im Bundesgebiet. Stehen dem Begehren eines Ausländers auf Familiennachzug öffentliche Belange entgegen, sind seine ehelichen und familiären Belange und gegenläufige öffentliche Interessen mit dem Ziel eines schonenden Ausgleichs gegeneinander abzuwägen. Dabei müssen Grundlage und Abwägungsergebnis der gesetzlichen Regelung dem sich aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden Gebot gerecht werden, die ehelichen und familiären Bindungen der einen Aufenthaltstitel begehrenden Ausländer an ihre im Bundesgebiet lebenden Angehörigen in angemessener Weise zu berücksichtigen. Die zu treffenden Regelungen müssen insbesondere den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots entsprechen. Dabei steht dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Ausländerrechts allerdings ein weiter Gestaltungsspielraum zu; auch hinsichtlich künftiger Verhältnisse und Entwicklungen ist der Einschätzungsvorrang der Rechtssetzungsorgane zu beachten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 a.a.O. <49 ff.>).

33 1.6.2 Ehe und Familie unterfallen zudem dem Schutz des Art. 8 EMRK. Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten steht auf nationaler Ebene durch Transformation in das deutsche Recht im Range eines Bundesgesetzes. Der Konventionstext und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts aber auch als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2008 - 1 BvR 2604/06 - NJW 2009, 1133 m.w.N.). Auf Gemeinschaftsebene sind die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts geworden. Dies bestimmt der am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Reformvertrag von Lissabon (Art. 6 Abs. 3 der konsolidierten Fassung des Vertrags der Europäischen Union - EUV - ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 1). Die während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderung ist hier zu berücksichtigen, da das Verwaltungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.>).

34 Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte garantiert aber auch die Konvention kein Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen und sich dort aufzuhalten. Maßnahmen im Bereich der Einwanderung können jedoch das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK berühren. Danach hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; ein Eingriff ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK statthaft. Die Vorschrift bezweckt vor allem den Schutz des Einzelnen vor willkürlichen Maßnahmen der nationalen Behörden. Aus der effektiven Achtung des Familienlebens können sich aber auch positive Verpflichtungen ergeben. In beiden Fällen ist ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den gegenläufigen Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herzustellen; hierbei genießt der Staat einen gewissen Beurteilungsspielraum. Das Ausmaß der staatlichen Verpflichtung zur Aufnahme von Verwandten niedergelassener Einwanderer richtet sich nach den besonderen Umständen der beteiligten Personen und dem allgemeinen Interesse. Art. 8 EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten nicht generell, die Wahl des ehelichen Wohnsitzes eines Ehepaares im Inland zu respektieren und eine Familienzusammenführung in seinem Staatsgebiet zu bewilligen. Auch sichert er nicht das Recht zu, den Ort zu wählen, der am besten geeignet ist, um ein Familienleben aufzubauen (vgl. EGMR, Entscheidung vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan u.a. - NVwZ 2005, 1043 und Urteile vom 21. Dezember 2001 - Nr. 31465/96, Sen - InfAuslR 2002, 334, vom 28. November 1996 - Nr. 73/1995/579/665, Ahmut - InfAuslR 1997, 141, vom 19. Februar 1996 - Nr. 53/1995/559/645, Gül - InfAuslR 1996, 245 und vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u.a. - InfAuslR 1985, 298). Im Ergebnis verpflichtet damit auch Art. 8 EMRK zu einer Abwägungslösung nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen. Dabei sind - einzelfallbezogen - die besonderen Umstände der Beteiligten zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang misst der Gerichtshof allerdings bei der Frage, ob der Nachzug des Familienangehörigen das adäquate Mittel zur Etablierung eines gemeinsamen Familienlebens wäre, regelmäßig dem Umstand Bedeutung bei, ob er die einzige Möglichkeit darstellt, ein Familienleben zu entwickeln, etwa weil Hindernisse für eine Wohnsitzbegründung im Ausland bestehen oder besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer eine solche Wohnsitzbegründung nicht erwartet werden kann (vgl. EGMR, Urteile vom 1. Dezember 2005 - Nr. 60665/00, Tuquabo-Tekle - InfAuslR 2006, 105, vom 21. Dezember 2001 a.a.O. Rn. 40, vom 28. November 1996 a.a.O. Rn. 70, vom 19. Februar 1996 a.a.O. Rn. 39 und vom 28. Mai 1985 a.a.O. Rn. 60).

35 1.6.3 Auf Gemeinschaftsebene ist neben Art. 8 EMRK auch Art. 7 GR-Charta zu beachten. Die Grundrechte-Charta (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 1) ist mit dem Vertrag von Lissabon verbindlicher Teil des Primärrechts geworden (Art. 6 Abs. 1 EUV). Sie gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach Art. 52 Abs. 3 GR-Charta entspricht das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 7 GR-Charta hinsichtlich seiner Bedeutung und Tragweite allerdings Art. 8 EMRK.

36 1.6.4 Schließlich ist auf Gemeinschaftsebene die Familienzusammenführungsrichtlinie zu berücksichtigen. Diese vermittelt insofern eine bessere Rechtsposition, als sie ein eigenständiges Recht auf Familienzusammenführung gewährt, soweit die in der Richtlinie genannten Bedingungen erfüllt sind. Materiell ist die Familienzusammenführungsrichtlinie in Übereinstimmung mit Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta auszulegen und von den Mitgliedstaaten umzusetzen. Damit haben die Mitgliedstaaten (auch) gemeinschaftsrechtlich die ihnen in der Richtlinie überlassenen Spielräume an den Kriterien auszurichten, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelt hat (EuGH, Urteil vom 27. Juni 2006 - Rs. C-540/03 - Europäisches Parlament ./. Rat der Europäischen Union, NVwZ 2006, 1033 Rn. 62). Außerdem haben sie die in Art. 5 Abs. 5 und Art. 17 der Richtlinie niedergelegten Grundsätze zu beachten (EuGH, Urteil vom 27. Juni 2006 a.a.O. Rn. 63 f.). Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass das Wohl minderjähriger Kinder gebührend berücksichtigt wird. Nach Art. 17 der Richtlinie haben sie im Fall der Ablehnung eines Antrags in gebührender Weise die Art und Stärke der familiären Bindungen der betreffenden Person und die Dauer ihres Aufenthalts in dem Mitgliedstaat sowie das Vorliegen familiärer, kultureller oder sozialer Bindungen zu ihrem Herkunftsland zu berücksichtigen. Diese Kriterien entsprechen denjenigen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für die Überprüfung heranzieht, ob ein Staat bei der Ablehnung eines Antrags auf Familienzusammenführung die betroffenen Interessen ordnungsgemäß gegeneinander abgewogen hat (EuGH, Urteil vom 27. Juni 2006 a.a.O. Rn. 64).

37 1.6.5 Gewähren weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta einen Anspruch auf Ehegattennachzug und belässt auch die Familienzusammenführungsrichtlinie den Mitgliedstaaten hinsichtlich des Verlangens von Sprachkenntnissen einen - letztlich an Art. 8 EMRK zu messenden - Gestaltungsspielraum, hängt die Vereinbarkeit der über § 6 Abs. 4 Satz 2 AufenthG schon vor der Einreise zu erfüllenden Nachzugsvoraussetzung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG mit dem Schutz von Ehe und Familie davon ab, ob sie den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit genügt. Der nationale Gesetzgeber muss mit seiner Forderung, dass der Ehegatte eines Ausländers sich schon vor der Einreise zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann, die bestehenden ehelichen und familiären Bindungen an berechtigterweise im Bundesgebiet lebende Ausländer hinreichend berücksichtigen und einen angemessenen Ausgleich zwischen den privaten Interessen der Betroffenen an einem Zusammenleben im Bundesgebiet und den mit der Regelung verfolgten gegenläufigen öffentlichen Interessen finden. Dies ist grundsätzlich der Fall.

38 Das Spracherfordernis dient der Förderung der Integration und der Verhinderung von Zwangsverheiratungen (BTDrucks 16/5065 S. 173 f.). Hierbei handelt es sich um legitime gesetzgeberische Ziele. Ob das zur Erreichung dieser Ziele gewählte Instrumentarium hinreichend erfolgversprechend ist, liegt grundsätzlich im weiten Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers. Dass das Erfordernis einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache vor der Einreise evident ungeeignet wäre, ist nicht ersichtlich. Der Regelung liegt die Annahme zugrunde, dass sich ein Ehegatte, der sich bereits vor der Einreise zumindest auf einfache Art in Alltagssituationen in deutscher Sprache verständigen kann, schneller in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert. Hierbei handelt es sich um eine vertretbare Einschätzung künftigen Geschehens. Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache tragen in erheblichem Maße zu einer gelungenen Integration bei. Verfügt der Ehegatte schon vor der Einreise über Grundkenntnisse, kann er von Anfang an besser am sozialen Leben teilhaben. Nicht zu beanstanden ist auch die Einschätzung des Gesetzgebers, dass dem Spracherfordernis bei der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen jedenfalls mittelbar Wirkung zukommt, weil Sprachkenntnisse die Ausnutzung einer Nötigungslage in Deutschland erschweren.

39 Die Verpflichtung, sich bereits vor der Einreise einfache Sprachkenntnisse zu verschaffen, ist zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele auch erforderlich. Eine Verpflichtung zum Erwerb von Deutschkenntnissen erst nach der Einreise würde für die Betroffenen zwar ein milderes Mittel darstellen, da der Zuzug nicht verzögert würde und der nachziehende Ehegatte in Deutschland auf ein umfangreicheres Angebot von Sprachkursen zurückgreifen könnte. Ein erst nach der Einreise zu erbringender Sprachnachweis wäre zur Erreichung der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele aber deutlich weniger effektiv. Denn bis zur Vermittlung einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache würde zwangsläufig ein mehr oder weniger langer Zeitraum vergehen. Dadurch würde der Integrationserfolg hinausgezögert. Dies gilt auch für die von den Revisionsführern angesprochene Möglichkeit, erst die Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise vom Vorhandensein einfacher Sprachkenntnisse abhängig zu machen und den Ehegatten bis dahin zu dulden. Zudem wäre der Erfolgseintritt mit Ungewissheiten verbunden. Die vom Gesetzgeber gewählte Regelung gewährleistet dagegen ergebnisorientiert, dass der Ehegatte von Anfang an - mündlich und schriftlich - über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügt, auf denen seine weitere Integration aufbauen kann. Auch erscheint plausibel, dass das Vorhandensein einfacher Sprachkenntnisse eher gewährleistet, dass sich der Ehegatte im Falle einer Zwangslage an die zuständigen Behörden wenden und der Abhängigkeit von der „Schwiegerfamilie“ leichter entgehen kann.

40 Das Spracherfordernis beim Ehegattennachzug zu einem Ausländer führt in seiner konkreten gesetzlichen Ausgestaltung in der Regel zu einem angemessenen Interessenausgleich.

41 Den mit dem Spracherfordernis verfolgten öffentlichen Belangen kommt ein besonderes Gewicht zu. Dem gesetzgeberischen Ziel der Förderung der Integration kommt große Bedeutung zu. Ein rasches Einfügen des nachziehenden Ehegatten in die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland ist nicht nur Voraussetzung für seine persönliche Fortentwicklung, sondern zugleich von hohem Interesse für die Allgemeinheit. Die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele sind zudem verfassungsrechtlich fundiert: Eine rasche Integration ist nicht nur aus sozialstaatlichen Gründen (Art. 20 Abs. 1 GG) anzustreben. Sie erleichtert auch die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG). Die vom Gesetzgeber verfolgte Verhinderung von Zwangsverheiratungen dient ebenfalls dem Schutz gewichtiger Rechtsgüter. Zwangsverheiratungen stellen eine Form der häuslichen und meist auch sexualisierten Gewalt dar und verletzen auf fundamentale Weise elementare Menschenrechte der Betroffenen, vor allem die Eheschließungsfreiheit (Art. 6 Abs. 1 GG) und mittelbar die sexuelle Selbstbestimmung, persönliche Freiheit und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 1 und 2 GG). Nach der Werteordnung des Grundgesetzes ist der Staat zum Schutz dieser Rechtsgüter verpflichtet.

42 Dem stehen die belastenden Wirkungen der Regelung gegenüber, die auch alle freiwillig verheirateten Ehepaare treffen. Das Spracherfordernis stellt allerdings kein absolutes, sondern ein grundsätzlich überwindbares Nachzugshindernis dar. Es bringt für die betroffenen Ehen und Familien aber insoweit eine Belastung mit sich, als sich hierdurch die Herstellung des häuslichen Zusammenlebens im Bundesgebiet regelmäßig verzögert. Nicht ausgeschlossen ist, dass es im Einzelfall auch zu einer dauerhaften Verhinderung des Nachzugs in die Bundesrepublik Deutschland kommt. Wird die Lebensgemeinschaft im Ausland hergestellt, läuft der im Bundesgebiet lebende ausländische Ehepartner Gefahr, sein Aufenthaltsrecht zu verlieren (§ 51 AufenthG). Die Betroffenen haben damit häufig nur die Möglichkeit, entweder für einen mehr oder weniger langen Zeitraum eine Trennung hinzunehmen oder ein bestehendes Aufenthaltsrecht aufzugeben.

43 Dennoch ist die gesetzliche Regelung bei Ausländerehen grundsätzlich angemessen, denn sie verhindert ein Zusammenleben im Bundesgebiet regelmäßig nur für einen überschaubaren Zeitraum. Zur Vermeidung unverhältnismäßiger Belastungen findet das Spracherfordernis nach § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG keine Anwendung, wenn der nachzugswillige Ehegatte wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, den Sprachnachweis zu erbringen. Im Übrigen werden an die nachzuweisenden Kenntnisse nur geringe Anforderungen gestellt. Es genügt, dass der Ehegatte sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Dies stellt - ungeachtet der bildungsmäßigen, kulturellen und muttersprachlichen Voraussetzungen des nachziehenden Ehepartners - regelmäßig eine verhältnismäßig niedrige Hürde dar, die in ihren Anforderungen kaum weiter herabgesetzt werden kann. Zudem ist es dem Ehegatten freigestellt, auf welche Art und Weise er sich die Sprachkenntnisse verschafft. Dabei kann er regelmäßig auf die unterschiedlichsten Lernangebote zurückgreifen. In zahlreichen Staaten bieten das Goethe-Institut und andere Sprachschulen Deutschkurse an. Die vom Goethe-Institut angebotenen Kurse dauern nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts deutlich unter einem Jahr. Diese Einschätzung steht im Einklang mit den vom Senat in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten erörterten Erkenntnissen. Danach ist für das Erreichen des Niveaus A 1 GER von einem Richtwert von 100 bis 300 Unterrichtsstunden von 45 Minuten auszugehen. Entsprechende Sprachkurse werden vom Goethe-Institut in der Türkei an den Standorten Ankara, Istanbul und Izmir seit September 2007 angeboten. Ein regulärer, zum Sprachniveau A 1 GER führender Deutschkurs für Anfänger ohne Vorkenntnisse umfasst beispielsweise am Goethe-Institut Ankara 180 Unterrichtsstunden von jeweils 45 Minuten - verteilt auf drei Monate - und kostet ca. 700 € (BTDrucks 16/7288 S. 5, 7 und 9). Zudem gibt es gerade in der Türkei ein breites Netz an örtlichen Sprachkursanbietern (BTDrucks 16/7288 S. 8). 2009 lag die Bestehensquote bei den Sprachprüfungen in der Türkei bei 68 % (BTDrucks 17/1112 S. 10).

44 Auch soweit es an seinem Wohnort keine Sprachschulen gibt, ist es dem nachzugswilligen Ehegatten grundsätzlich zumutbar, sich zur Absolvierung eines Sprachkurses an einen anderen Ort im Herkunftsland zu begeben. Im Übrigen besteht die Möglichkeit, sich Grundkenntnisse der deutschen Sprache mit Hilfe von Audio- und Videosprachkursen oder anderen Medien (etwa über die Deutsche Welle oder das Internet) anzueignen und zu vertiefen. Die mit dem Erwerb einfacher Deutschkenntnisse verbundenen finanziellen Aufwendungen und sonstigen Belastungen sind den Betroffenen ebenfalls regelmäßig zumutbar, wenn es um eine so grundlegende Lebensentscheidung wie die Übersiedlung zum Ehegatten in ein anderes Land geht. Zudem können sie in aller Regel auf die finanzielle Unterstützung ihres in Deutschland lebenden Ehepartners zurückgreifen.

45 Die gesetzliche Regelung ist grundsätzlich auch angemessen, soweit sie bei Ausländerehen auf nachzugswillige Ehegatten Anwendung findet, denen nicht krankheits- oder behinderungsbedingt, sondern aus sonstigen persönlichen, von ihnen nicht zu vertretenden Gründen der Spracherwerb nur schwer oder gar nicht möglich ist. In diesen Fällen hat § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zwar zur Folge, dass ein familiäres Zusammenleben im Bundesgebiet für längere Zeit und möglicherweise sogar auf Dauer an fehlenden Deutschkenntnissen scheitert. Dabei ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeit aber zu berücksichtigen, dass es dem im Bundesgebiet lebenden ausländischen Ehepartner grundsätzlich zumutbar ist, die familiäre Einheit im Ausland herzustellen. Allein der Umstand, dass er von der ihm eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, sich hier eine wirtschaftliche und soziale Existenz aufzubauen, und mit zunehmender Aufenthaltsdauer und wachsender Einbindung in die hiesigen Lebensverhältnisse regelmäßig einer entsprechenden Entfremdung von den Lebensverhältnissen seines Heimatlandes ausgesetzt ist, führt nicht dazu, dass ihm ein Verlassen des Bundesgebiets generell nicht zuzumuten ist. Damit überwiegen bei ausländischen Ehen die vom Gesetzgeber mit dem Spracherfordernis verfolgten gewichtigen öffentlichen Zwecke regelmäßig die privaten Interessen der Ehegatten an der Herstellung einer Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet.

46 1.6.6 Die gesetzliche Regelung ist auch nicht deshalb wegen Verstoßes gegen Art. 6 GG verfassungswidrig, weil sie keine allgemeine Ausnahmeregelung zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Belastung enthält. Soweit dem nachzugswilligen Ehegatten aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen in angemessener Zeit der Erwerb einfacher Sprachkenntnisse nicht möglich und zugleich dem in Deutschland lebenden Ehepartner die Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft außerhalb des Bundesgebiets aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen objektiv nicht möglich oder aufgrund besonderer Umstände nicht zuzumuten ist, bedarf es nach nationalem Verfassungsrecht nicht zwingend der Erteilung eines Aufenthaltstitels aus familiären Gründen, sondern kann der verfassungsrechtlich gebotene Interessenausgleich einfachgesetzlich auch auf andere Weise, etwa durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen vorübergehenden Aufenthalt zum Zwecke des Spracherwerbs (§ 16 Abs. 5 AufenthG) herbeigeführt werden. Damit wird die Regelung in Bezug auf den besonderen Schutz von Ehe und Familie dem objektiven Gewicht des Schutz- und Förderungsgebots des Art. 6 GG in seiner Ausprägung als wertentscheidende Grundsatznorm gerecht.

47 1.6.7 Auch wenn die gesetzliche Regelung auf nationaler Ebene mit Art. 6 GG zu vereinbaren ist und grundsätzlich den sich aus der Familienzusammenführungsrichtlinie und dem Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta ergebenden gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entspricht, muss die Ablehnung eines Visums auch im konkreten Einzelfall den genannten Maßstäben genügen und insbesondere auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK im Einklang stehen. Auch in diesem Zusammenhang stellt sich dem Senat hier keine dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegende Zweifelsfrage.

48 Die Ablehnung der Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug ist vorliegend in Ansehung der dargelegten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht unverhältnismäßig. Es ist nicht ersichtlich, dass der Klägerin zu 1 der Erwerb der geforderten einfachen Sprachkenntnisse aus von ihr nicht zu vertretenden Gründen in angemessener Zeit nicht möglich ist. Außerdem stehen der Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft außerhalb Deutschlands keine objektiven Hindernisse entgegen und ist dem Ehemann der Klägerin unter den hier gegebenen Umständen eine Rückkehr in die Türkei zumutbar.

49 Welcher zeitliche Rahmen für den Spracherwerb beim Ehegattennachzug zumutbar ist, hängt nicht nur von den mit der Nachzugsvoraussetzung verfolgten Zielen, sondern auch von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich beim Spracherwerb um eine Integrationsleistung handelt, die nicht nur im öffentlichen Interesse liegt, sondern dem Nachzugswilligen und seiner Familie nach der Einreise auch persönlich zugute kommt. Von daher liegt - auch mit Blick auf die nach Art. 8 der Familienzusammenführungsrichtlinie zulässigen Wartefristen - ein Zeitraum von etwa zwei bis drei Jahren in aller Regel, sofern nicht besonders schutzwürdige Umstände vorliegen, im Rahmen des Zumutbaren. Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend von einem kürzeren Zeitraum ausgegangen werden müsste, sind nicht ersichtlich. Die Klägerin zu 1 und ihr Ehemann kennen sich bereits seit vielen Jahren und haben trotz der vorehelich geborenen Kinder - ihr erstes Kind wurde 1994 geboren - und der Aufrechterhaltung der familiären Bindungen nach der Übersiedlung des Ehemanns nach Deutschland über Jahre hinweg aus eigenem Entschluss auf die Herstellung bzw. Fortführung einer familiären Lebensgemeinschaft verzichtet.

50 Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts könnte die Klägerin zu 1 die geforderten Sprachkenntnisse in der Türkei einschließlich einer vorausgehenden Alphabetisierung in gut einem Jahr und damit in angemessener Zeit erwerben. An diese tatrichterliche Feststellung, die von den Klägern ebenfalls nicht mit Verfahrensrügen angegriffen wurde, ist das Revisionsgericht gebunden. Dessen ungeachtet steht die Einschätzung des Verwaltungsgerichts auch insoweit im Einklang mit den vom Senat in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten erörterten Erkenntnissen. Danach ist eine Alphabetisierung in lateinischer Schriftsprache in 200 bis 300 Unterrichtsstunden von jeweils 45 Minuten möglich; in der Türkei werden von den örtlichen Volkshochschulen Alphabetisierungskurse angeboten (BTDrucks 16/11997 S. 8). Soweit die Klägerin zu 1 behauptet, ihr sei weder eine Alphabetisierung noch die Teilnahme an einem Sprachkurs möglich, hat sie dies vor dem Verwaltungsgericht weder hinreichend substantiiert noch hierfür irgendwelche Nachweise vorgelegt bzw. Beweis angetreten. Von daher musste sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht aufdrängen. Auch hat die Klägerin zu 1 nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im August 2007 und Ablehnung ihres Visumantrags durch die Deutsche Botschaft in Ankara im April 2008 bis zur - in tatsächlicher Hinsicht maßgeblichen - Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht im Februar 2009 offensichtlich keinerlei Anstrengungen in Bezug auf den Erwerb von Deutschkenntnissen unternommen, zumindest wurde diesbezüglich nichts vorgetragen.

51 Auf der Grundlage der bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist im Übrigen davon auszugehen, dass auch der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft außerhalb des Bundesgebiets keine Hinderungsgründe entgegenstehen. Besondere Umstände, die für den Ehemann und Vater der Kläger eine Rückkehr in die Türkei unzumutbar erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Sein Asylantrag hatte keinen Erfolg. Dass er selbst in der Türkei keine Gefahren befürchtet, zeigt der Umstand, dass er seine Familie auch nach seiner Übersiedlung nach Deutschland regelmäßig in der Türkei besucht hat. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht lebte er zwar schon seit über 10 Jahren im Bundesgebiet und verfügte hier über eine feste Beschäftigung und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Andererseits hat er - wie die jährlichen Besuche in der Türkei auch während seiner Ehe mit einer Deutschen und die nachfolgende Eheschließung mit der Mutter seiner Kinder zeigen - seine Bindungen zur Türkei und seiner dort lebenden Familie nie aufgegeben.

52 Der Umstand, dass aus der Beziehung fünf - vorehelich geborene - Kinder hervorgegangen sind, rechtfertigt ebenfalls keine andere Beurteilung. Der Lebensmittelpunkt der Familie befand sich dauerhaft in der Türkei. Alle Kinder sind dort geboren und aufgewachsen. Sie sind - wie ihre Mutter - allein im dortigen kulturellen und sprachlichen Umfeld verwurzelt. Bei dieser Sachlage ist dem in Deutschland lebenden Ehemann und Vater bei Würdigung der konkreten Umstände des Falles eine Rückkehr in die Türkei zumutbar und mit Art. 5 Abs. 5 und Art. 17 der Familienzusammenführungsrichtlinie zu vereinbaren.

53 1.7 Das Spracherfordernis führt im Fall der Klägerin zu 1 nicht zu einer unzulässigen Diskriminierung.

54 1.7.1 Ein Verstoß gegen den besonderen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG liegt nicht vor. Danach darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Dieses Differenzierungsverbot setzt einen kausalen Zusammenhang zwischen der Bevorzugung oder der Benachteiligung und den in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG genannten Merkmalen voraus; die Bevorzugung oder Benachteiligung muss mithin gerade wegen eines dieser Merkmale erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 1953 - 1 BvL 104/52 - BVerfGE 2, 266 <268>; BVerwG, Urteil vom 3. März 1998 - BVerwG 9 C 3.97 - BVerwGE 106, 191 <194 f.>).

55 a) Bei Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG knüpft die Versagung des Aufenthaltstitels nicht daran an, dass der Ausländer eine bestimmte Sprache spricht, sondern dass er nicht über einfache Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Er wird daher nicht „wegen seiner Sprache“ benachteiligt.

56 b) Soweit nachziehende Ehegatten aufgrund ihrer visumfreien Einreise das Spracherfordernis erst nach der Einreise erfüllen müssen bzw. wegen ihrer Ehe mit einem visumrechtlich privilegierten Stammberechtigten nach § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG von der Nachweispflicht gänzlich ausgenommen sind, beruht dies auch nicht auf Gründen ihrer bzw. ihrer Ehegatten Heimat und Herkunft. Der Begriff „Heimat“ bezieht sich nur auf die örtliche Herkunft nach Geburt oder Ansässigkeit, der Begriff „Herkunft“ darüber hinaus auf die ständisch-soziale Abstammung und Verwurzelung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Mai 1956 - 1 BvR 83/56 - BVerfGE 5, 17 <22>). An diese beiden Kriterien knüpft weder § 41 AufenthV noch § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG an. Maßgeblich für die Privilegierungen ist die auf der Staatsangehörigkeit beruhende visumrechtliche Besserstellung des nachziehenden bzw. des stammberechtigten Ehegatten. Diese Anknüpfungspunkte gehören nicht zu den in Art. 3 Abs. 3 GG aufgezählten Merkmalen, die eine Mindestsicherung gegen Diskriminierungen erreichen sollen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. März 1979 - 1 BvR 111/74 u.a. - BVerfGE 51, 1 <30> und vom 9. Februar 1994 - 1 BvR 1687/92 - BVerfGE 90, 27 <37>).

57 1.7.2 Der Sprachnachweis beim Ehegattennachzug verletzt zu Lasten der Klägerin zu 1 auch nicht den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Er gilt gleichermaßen für Belastungen und für Begünstigungen. Dem Gesetzgeber ist aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Dabei kommt als Grund für eine Ungleichbehandlung grundsätzlich jede vernünftige Erwägung in Betracht. Es ist zunächst Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft. Die Auswahl muss allerdings sachlich vertretbar und darf nicht sachfremd sein. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt nicht, die gerechteste und zweckmäßigste Lösung zu wählen. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich aber vom Regelungsgegenstand und den Differenzierungsmerkmalen abhängige Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2006 - 2 BvL 2/99 - BVerfGE 116, 164). Dabei sind die Grenzen umso enger, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Auch bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen unterliegt der Gesetzgeber regelmäßig einer strengen Bindung. Zwar kann er grundsätzlich frei entscheiden, welche Merkmale er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht. Wird durch eine Norm eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, reicht zur Begründung einer Ungleichbehandlung aber nicht aus, dass der Normgeber ein seiner Art nach geeignetes Unterscheidungsmerkmal berücksichtigt hat. Vielmehr muss auch für das Maß der Differenzierung ein innerer Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung bestehen, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht anführen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2009 - 1 BvR 1164/07 - DB 2009, 2441 m.w.N.).

58 a) Soweit Unionsbürger und ihre Ehegatten nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG -) ohne Sprachkenntnisse einreisen und sich hier aufhalten dürfen, ist diese Privilegierung gegenüber sonstigen Ausländern gerechtfertigt, da sie auf gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben beruht. Auf die im Revisionsverfahren aufgeworfene Frage, ob die Besserstellung von Ehegatten von Unionsbürgern gegenüber Ehegatten deutscher Staatsangehöriger, auf die das Spracherfordernis über § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG Anwendung findet, zu einer unzulässigen Inländerdiskriminierung führt, kommt es hier nicht entscheidungserheblich an, da der Ehemann der Klägerin zu 1 kein Inländer ist.

59 b) Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt auch nicht vor, soweit Ehegatten, die aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumfrei in das Bundesgebiet einreisen dürfen, einen erforderlichen Aufenthaltstitel innerhalb von drei Monaten nach der Einreise (vgl. § 41 Abs. 3 AufenthV) beantragen können. Dadurch sind sie gegenüber anderen Ehegatten insoweit im Vorteil, als sie das Spracherfordernis nicht schon vor der Einreise, sondern erst bei der erstmaligen Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet erfüllen müssen. Diese Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich hinreichend gerechtfertigt, da der Bundesrepublik hinsichtlich der Pflege ihrer Beziehungen zu auswärtigen Staaten ein weites außenpolitisches Ermessen zusteht. Dies schließt die aufenthaltsrechtliche Privilegierung von Angehörigen bestimmter Drittstaaten ein.

60 c) Eine unzulässige Ungleichbehandlung der Klägerin zu 1 liegt schließlich auch nicht im Hinblick auf die Ausnahmeregelung des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG vor. Diese führt gegenüber Ehegatten von Drittstaatsangehörigen, die - wie der Ehemann der Klägerin zu 1 - nicht visumfrei einreisen dürfen, zu einer Besserstellung. Auch diese Entscheidung ist verfassungsrechtlich hinreichend gerechtfertigt. Liegt die visumrechtliche Privilegierung bestimmter Drittstaatsangehöriger im weiten außenpolitischen Ermessen der Bundesrepublik, schließt dies auch die daran anknüpfende Erleichterung beim Ehegattennachzug ein.

61 1.7.3 Die dargelegten Ungleichbehandlungen begründen auch keinen Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Dieses findet hier auf die Klägerin zu 1 und ihren Ehemann als Drittstaatsangehörige keine Anwendung.

62 Das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit war von Beginn an Bestandteil des Rechts der Europäischen Gemeinschaft. Nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon findet es sich nunmehr in Art. 18 der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl EU 2008 Nr. C 115 S. 47) - AEUV -. Danach ist unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Art. 12 EGV wurde damit nahezu wortgleich in Art. 18 AEUV übernommen. Lediglich der Anwendungsbereich der Bestimmung wurde aufgrund der Pluralität der Rechtsquellen im neuen Vertragswerk von „Vertrag“ auf „Verträge“ geändert.

63 Auch Art. 21 Abs. 2 GR-Charta verbietet unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Die Grundrechte-Charta enthält damit ein mit Art. 18 AEUV übereinstimmendes allgemeines Diskriminierungsverbot. Mit Art. 21 Abs. 2 GR-Charta wurde das vom Gerichtshof der Europäischen Union schon lange als Grundrecht anerkannte Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit nunmehr auch formal in den Rang eines Grundrechts gehoben. Die Übereinstimmung von Art. 21 Abs. 2 GR-Charta und Art. 18 AEUV hat nach Art. 52 Abs. 2 GR-Charta allerdings zur Folge, dass die Ausübung dieses Grundrechts im Rahmen der in Art. 18 AEUV festgelegten Bedingungen und Grenzen zu erfolgen hat. Das bedeutet, dass sowohl der Gewährleistungsbereich als auch die Beeinträchtigungsmöglichkeiten übereinstimmen. Damit gewährt Art. 21 Abs. 2 GR-Charta im Ergebnis keinen weitergehenden Schutz als Art. 18 AEUV (vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Band 4, Europäische Grundrechte, 2009, Rn. 3226).

64 Der persönliche Anwendungsbereich des gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist weder ausdrücklich auf Unionsbürger beschränkt noch werden Drittstaatsangehörige erwähnt. Eine gewisse Einschränkung kann allenfalls der Formulierung „in ihrem Anwendungsbereich“ entnommen werden. Der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist allerdings zu entnehmen, dass dieser bislang von einer Anwendung des Art. 18 AEUV bzw. der Vorgängerregelung in Art. 12 EGV auf Drittstaatsangehörige abgesehen hat. In mehreren Entscheidungen hat er Diskriminierungen von Drittstaatsangehörigen nicht als gemeinschaftsrechtswidrig angesehen (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 - verb. Rs. 50-58/82, Dorca Marina u.a. - Slg. 1982, 3949 Rn. 11; Urteil vom 28. Oktober 1982 - Rs. 52/81, Faust - Slg. 1982, 3745 Rn. 25; Urteil vom 10. März 1998 - Rs. C-122/95, Deutschland/Rat <Bananen> - Slg. 1998, I-973 Rn. 56), in diesem Zusammenhang hat er aber auch nicht explizit klargestellt, dass das Diskriminierungsverbot nur für Unionsbürger gilt und zu Gunsten von Drittstaatsangehörigen in keinem Fall Anwendung findet.

65 Dass das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit vorliegend keine Anwendung findet, ergibt sich indes aus seinem Sinn und Zweck. Das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit stellt ein grundlegendes Prinzip der Gemeinschaft dar, ohne dass in der Union das Ziel eines funktionierenden Binnenmarkts und einer immer engeren Integration der Mitgliedstaaten und ihrer Bürger nicht erreicht werden kann. Dies trifft auf Drittstaatsangehörige nicht in gleicher Weise zu. Zwar ist die Integration von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in der Union aufhalten, aus gesellschaftlichen Gründen ebenfalls ein wichtiges Ziel, sie ist jedoch kein Leitgedanke der europäischen Idee. Dementsprechend regelt das Gemeinschaftsrecht die Stellung von Drittstaatsangehörigen in wesentlich geringerem Umfang als diejenige von Angehörigen der Mitgliedstaaten. Zudem existieren bedeutende Unterschiede zwischen der Binnenmarktintegration und dem Migrationsrecht der Europäischen Union. Das Unionsrecht schränkt im Bereich der Migration den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht durch unmittelbar anwendbare Grundfreiheiten ein, sondern überträgt den politischen Organen die Entscheidung über Ausmaß und Ausrichtung der gemeinschaftlichen Rechtsetzung. Eine generelle Anwendung des Diskriminierungsverbots auf Drittstaatsangehörige würde dazu führen, dass eine differenzierende Politik, etwa im Bereich des Handels oder der Nutzung von Wirtschaftszonen gegenüber Drittländern kaum noch möglich wäre, da sie regelmäßig mit Diskriminierungen ihrer Angehörigen verbunden ist. Zudem widerspräche sie den Zielsetzungen der Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft, die an die Staatsangehörigkeit der Mitgliedstaaten geknüpft ist und dieser Gruppe besondere Rechte zukommen lässt. Schließlich besteht auch keine gemeinschaftsrechtliche Notwendigkeit, die Mitgliedstaaten zur allgemeinen Weitergabe von Rechten an Drittstaatsangehörige zu zwingen, die sie regelmäßig nur unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit einräumen. Dies führt dazu, dass sich Drittstaatsangehörige grundsätzlich nicht auf das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit berufen können.

66 Hieran hat der Vertrag von Lissabon nichts geändert (vgl. Hellmann, Der Vertrag von Lissabon, Springer 2009, S. 27). Das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit wurde hierdurch inhaltlich nicht verändert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die bisherige Überschrift des Zweiten Teils im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft („Unionsbürgerschaft“) im Zweiten Teil des Lissabonner Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in „Nichtdiskriminierung und Unionsbürgerschaft“ geändert wurde. Diese Änderung hat keine rechtliche Auswirkung, sondern politisch-programmatischen Charakter (Fischer, Der Vertrag von Lissabon, 1. Aufl. 2008, S. 195). Eine generelle Einbeziehung von Drittstaatsangehörigen in den Kreis der Grundrechtsberechtigten des Art. 21 Abs. 2 GR-Charta würde im Übrigen auch zu einem Wertungswiderspruch mit Art. 15 Abs. 3 GR-Charta führen, der sich darauf beschränkt, Drittstaatsangehörigen einen Anspruch auf gleiche Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.

67 In der Literatur wird vertreten, Drittstaatsangehörige könnten sich ausnahmsweise auf das Diskriminierungsverbot berufen, wenn sie vom Anwendungsbereich der Verträge erfasst seien, hierfür genüge aber nicht, dass sie sich in einer gemeinschaftsrechtlich geregelten Situation befänden, sondern es müsse hinzukommen, dass sie sich in einer durch vertragliche Bestimmungen oder sekundärrechtliche Vorschriften vermittelten Rechtsposition befänden, die den Schutz durch das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit einschließe (vgl. Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2. Aufl. 2009, Art. 12 EGV Rn. 27 ff.; v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Stand Juni 2005, Art. 12 EGV Rn. 30 ff.; Wilms, in: Hailbronner/Wilms, Recht der Europäischen Union, Stand September 2007, Art. 12 EGV Rn. 35). Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Das Recht auf Familienzusammenführung nach der Familienzusammenführungsrichtlinie vermittelt Drittstaatsangehörigen keine den Schutz durch das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit einschließende Rechtsposition. Die Familienzusammenführungsrichtlinie dient dem Schutz der Familie und der Wahrung oder Herstellung des Familienlebens (vgl. 7. Erwägungsgrund). Dass im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit nicht gilt, belegt im Übrigen der 5. Erwägungsgrund, der nur auf das Verbot der Diskriminierung aufgrund der in Art. 21 Abs. 1 GR-Charta aufgeführten Diskriminierungsmerkmale (Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, ethnische und soziale Herkunft, genetische Merkmale, Sprache, Religion, Weltanschauung, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Vermögen, Geburt, Behinderung, Alter oder sexuelle Ausrichtung) verweist, nicht aber auf das in Art. 18 AEUV und Art. 21 Abs. 2 GR-Charta enthaltene Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Folgerichtig hat die Kommission in ihrem Bericht zur Familienzusammenführungsrichtlinie vom 8. Oktober 2008 die in Deutschland an bestimmte Staatsangehörigkeiten anknüpfenden Ausnahmen nicht beanstandet (a.a.O. S. 8). Bei dieser Sachlage ist auch insoweit nicht von einer entscheidungserheblichen gemeinschaftsrechtlichen Zweifelsfrage auszugehen, die einer Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf.

68 1.8 Die gesetzliche Verschärfung der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Ehegattennachzug verstößt in Altfällen, in denen der Visumantrag - wie hier - vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes gestellt wurde, schließlich auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

69 Das ohne gesetzliche Übergangsregelung eingeführte Spracherfordernis entfaltet lediglich unechte Rückwirkung, da die Regelung sich nur auf noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft bezieht. Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Grundsatzes des Vertrauensschutzes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips sind nicht ersichtlich. Der Ehegatte eines sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländers konnte nicht davon ausgehen, dass ein nach bisheriger Rechtslage möglicherweise bestehender Nachzugsanspruch keinen nachträglichen gesetzlichen Einschränkungen unterworfen wird. Etwaigen Härten ist der Gesetzgeber vor allem durch die Ausnahmeregelung in § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG begegnet. Unverhältnismäßigen Ergebnissen kann darüber hinaus - wie dargelegt - auf anderem Wege einfachgesetzlich abgeholfen werden. Im Übrigen bewahrt der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht vor jeder Enttäuschung; verfassungsrechtlich schutzwürdig ist nur ein betätigtes Vertrauen, d.h. eine „Vertrauensinvestition“, die zur Erlangung einer Rechtsposition oder zu entsprechenden anderen Dispositionen geführt hat (BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. September 2007 - 1 BvR 58/06 - juris Rn. 20 mit Verweis auf Urteil vom 16. Juli 1985 - 1 BvL 5/80 u.a. - BVerfGE 69, 272 <309> und Beschluss vom 5. Mai 1987 - 1 BvR 724/81 u.a. - BVerfGE 75, 246 <280>). Für einen Eingriff in eine solche rechtlich geschützte Rechtsposition ist hier weder etwas vorgetragen noch ersichtlich.

70 2. Hat die Klägerin zu 1 keinen Anspruch auf Familienzusammenführung, gilt dies auch für die Kläger zu 2 bis 6. Sie erfüllen nicht die Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG für einen Anspruch auf (isolierten) Kindernachzug, da ihr Vater nicht allein sorgeberechtigt ist (vgl. Senatsurteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4). Ihnen kann auch nicht im Ermessenswege - den vor dem 1. Januar 2005 geborenen Klägern zu 2 bis 5 über § 104 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 20 Abs. 4 Nr. 2 AuslG 1990 und dem nach dem 1. Januar 2005 geborenen Kläger zu 6 über § 32 Abs. 4 AufenthG - ein Visum zum Kindernachzug erteilt werden. Nach den tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts liegen keine Anhaltspunkte für eine besondere Härte vor, die einen Nachzug der Kinder ohne ihre Mutter rechtfertigen könnten.

71 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Es besteht kein Anlass, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aus Billigkeit einer der Parteien oder der Staatskasse aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).