Beschluss vom 27.07.2018 -
BVerwG 5 B 1.18ECLI:DE:BVerwG:2018:270718B5B1.18.0
-
Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 27.07.2018 - 5 B 1.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:270718B5B1.18.0]
Beschluss
BVerwG 5 B 1.18
- VG Potsdam - 04.11.2015 - AZ: VG 7 K 2081/12
- OVG Berlin-Brandenburg - 06.10.2017 - AZ: OVG 6 B 86.15
In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juli 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms
beschlossen:
- Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1 Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Gemessen daran kommt die Zulassung der Revision nicht in Betracht.
3
Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
"ob bei der Entscheidung über den Anspruch auf Kostenübernahme für eine notwendige Arbeitsassistenz eines selbstständig tätigen Schwerbehinderten neben den Tatbestandsmerkmalen aus § 102 Abs. 4 SGB IX (Verfügbarkeit von Mitteln aus der Ausgleichsabgabe und Notwendigkeit der Arbeitsassistenz) die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV direkt oder analog anzuwenden sind?" (Beschwerdebegründung S. 4).
4 Damit wirft sie der Sache nach die Frage auf, ob der Anspruch schwerbehinderter Menschen nach § 102 Abs. 4 SGB IX auf Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz für eine selbstständige Tätigkeit neben den in § 102 Abs. 4 SGB IX genannten Voraussetzungen auch erfordert, dass diese ihren Lebensunterhalt durch die selbstständige Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer im Wesentlichen sicherstellen können. Denn das ist der Regelungsgehalt des § 21 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV. Diese Rechtsfrage rechtfertigt mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision.
5 Die Klärungsbedürftigkeit der Frage ist zwar nicht mit Blick darauf zu verneinen, dass die Frage mit § 102 Abs. 4 SGB IX ausgelaufenes Recht betrifft (a). Die Frage ist aber inzwischen geklärt (b).
6 a) Die von der Beschwerde im Zusammenhang mit § 102 Abs. 4 SGB IX aufgeworfene Frage bezieht sich auf ausgelaufenes Recht. § 102 Abs. 4 SGB IX wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2018 durch § 185 Abs. 5 SGB IX in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234 <3292>) ersetzt.
7 Fragen auslaufenden oder ausgelaufenen Rechts verleihen einer Rechtssache regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil dieser Zulassungsgrund die Revision eröffnen soll, um Fragen zur Auslegung des geltenden Rechts mit Blick auf die Zukunft richtungsweisend zu klären (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 5 B 7.13 - juris Rn. 6 m.w.N.). Eine Revisionszulassung wegen solcher Fragen kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn sich bei der gesetzlichen Bestimmung, die der außer Kraft getretenen Vorschrift nachgefolgt ist, die streitigen Fragen in gleicher Weise stellen und damit trotz des Auslaufens des alten Rechts eine richtungsweisende Klärung zu erwarten ist, wie die neue Vorschrift anzuwenden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. November 2010 - 7 B 23.10 - juris Rn. 8 m.w.N.). Die Voraussetzungen dieses Ausnahmegrundes müssen offensichtlich sein (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. Juni 2013 - BVerwG 5 B 7.13 - juris Rn. 7 und vom 4. Juni 2014 - 5 B 11.14 - NVwZ-RR 2014, 740 Rn. 6 jeweils m.w.N.). Das ist hier der Fall.
8 Die Nachfolgeregelung des § 185 Abs. 5 SGB IX entspricht vom Wortlaut und Regelungsgehalt (vgl. BT-Drs. 18/9522 S. 308) der Vorgängervorschrift des § 102 Abs. 4 SGB IX. Demzufolge stellt sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage in gleicher Weise auch bei der Nachfolgeregelung.
9 b) Die streitige Rechtsfrage ist durch das nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist ergangene Urteil des Senats vom 23. Januar 2018 - 5 C 9.16 - (Behindertenrecht 2018, 95) geklärt. Daher kann dahinstehen, ob im Zeitpunkt des Eingangs der Nichtzulassungsbeschwerde ein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf bestanden hat und von der Beschwerde den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend geltend gemacht worden ist.
10 Der Senat verhält sich in dem vorgenannten Urteil zwar nicht ausdrücklich zu der Frage, ob § 21 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV bei der Prüfung des Anspruchs auf Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz für eine selbstständige Tätigkeit eines schwerbehinderten Menschen (unmittelbar oder jedenfalls analog) anzuwenden ist. Er hat diese Frage aber mit der Aufstellung des Rechtssatzes, dass die Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz für eine selbstständige Tätigkeit eines schwerbehinderten Menschen in Betracht kommt, die nachhaltig betrieben wird und dem Aufbau bzw. der Sicherung einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage zu dienen geeignet ist, konkludent verneint. Denn zur Begründung dieses Rechtssatzes wird ausschließlich auf Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, insbesondere § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c SGB IX a.F. bzw. § 185 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c SGB IX n.F. Bezug genommen. Ein Rückgriff auf § 21 Abs. 1 Nr. 1 SchwbAV unterbleibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2018 - 5 C 9.16 - juris Rn. 10). Die Ausführungen des Senats sind dahingehend zu verstehen, dass die Voraussetzungen des Kostenübernahmeanspruchs für eine Arbeitsassistenz für eine selbstständige Tätigkeit eines schwerbehinderten Menschen in § 102 Abs. 4 SGB IX abschließend geregelt sind. Die aus dem Merkmal der "notwendigen Arbeitsassistenz" folgenden Erfordernisse des nachhaltigen Betreibens und der Eignung zum Aufbau bzw. zur Sicherung einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage gewährleisten die erforderliche, aber auch hinreichende Abgrenzung der Berufstätigkeit zu einem bloßen Hobby oder einer Liebhaberei, die auch von der Beschwerde für notwendig gehalten wird und nach deren Verständnis über die (unmittelbare oder analoge) Anwendung des § 21 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV erreicht werden soll (vgl. Beschwerdebegründung S. 8).
11 Da die von der Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage im Sinne des angegriffenen Urteils (UA S. 7 ff.) beantwortet worden ist, ist die Revision nicht wegen Divergenz von einer nachträglich ergangenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen (vgl. zu den Voraussetzungen einer Revisionszulassung wegen nachträglicher Divergenz etwa BVerwG, Beschlüsse vom 10. November 2011 - 5 B 29.11 - juris Rn. 6 und vom 19. Dezember 2017 - 8 B 7.17 - ZOV 2018, 54 <55>).
12 Sollten dem Oberverwaltungsgericht - wie die Beschwerde wohl meint (vgl. Beschwerdebegründung S. 8 f.) - im Rahmen seiner alternativen Feststellung, dass der Kläger durch seine selbstständige Tätigkeit seinen Lebensunterhalt im Wesentlichen sicherstellen könne (UA S. 13), Rechtsanwendungsfehler oder Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung unterlaufen sein, könnte dies nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss 20. Dezember 2017 - 5 B 9.17 - juris Rn. 8 m.w.N.). Eine grundsätzliche klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts formuliert die Beschwerde insoweit nicht.
13 2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
14 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.