Beschluss vom 23.05.2013 -
BVerwG 9 B 10.13ECLI:DE:BVerwG:2013:230513B9B10.13.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 23.05.2013 - 9 B 10.13 - [ECLI:DE:BVerwG:2013:230513B9B10.13.0]
Beschluss
BVerwG 9 B 10.13
- OVG Rheinland-Pfalz - 19.12.2012 - AZ: OVG 9 C 10714/12
In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Mai 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Buchberger und Dr. Bick
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des Flurbereinigungsgerichts für Rheinland-Pfalz und das Saarland vom 19. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen zu 1. werden nicht erstattet.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 Der Kläger stützt seine Beschwerde auf einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Zur Begründung macht er geltend, das Flurbereinigungsgericht habe gegen § 86 Abs. 2 VwGO verstoßen, weil es über den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht durch einen gesonderten Beschluss entschieden habe. Zudem liege in der Ablehnung des Beweisantrags ein Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz bzw. die Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO). Mit beiden Erwägungen kann der Kläger nicht durchdringen.
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1. Ein Verfahrensfehler liegt nicht schon deshalb vor, weil das Flurbereinigungsgericht den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Klägers
„hilfsweise Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens darüber zu erheben, dass das Abfindungsflurstück Flur 15 Nr. 96 für den Kartoffelanbau unter Verwendung eines Halb-Vollernters nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen zu bewirtschaften ist“,
in den Entscheidungsgründen des Urteils (UA S. 12) und nicht vorab durch einen gesonderten Beschluss beschieden hat. Während sich die Voraussetzungen für die Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung unbedingt gestellten Beweisantrags aus § 86 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwGO ergeben, wird mit einem - wie hier - nur hilfsweise gestellten Beweisantrag lediglich die weitere Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO angeregt (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 19. August 2010 - BVerwG 10 B 22.10 , 10 PKH 11.10 - juris Rn. 10 m.w.N.).
4 2. Das Flurbereinigungsgericht hat den Beweisantrag des Klägers ohne Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz bzw. die Aufklärungspflicht abgelehnt.
5 Zur Begründung seiner Ablehnung hat es - im Rahmen der Prüfung, ob der Kläger ausnahmsweise einen Anspruch auf „Abfindung in alter Lage“ hat (vgl. UA ab S. 10 unten) - ausgeführt: Es sei nicht geboten, dem hilfsweise gestellten Beweisantrag des Klägers nachzugehen, denn „auf die Bewirtschaftungserschwernisse des Flurstückes Flur 15 Nr. 96 für sich allein betrachtet“ komme es nicht an, sondern allein auf den Vergleich mit den Einlageflächen. Es treffe nicht zu, dass das Abfindungsflurstück Flur 15 Nr. 96 erheblich schlechter zum Kartoffelanbau geeignet sei, als das Einlageflurstück Flur 7 Nr. 40/1 in Lage des Abfindungsflurstückes Flur 15 Nr. 97. Dies ergebe sich aus der Widerspruchskarte mit den eingetragenen Gefällemessungen, den vorgelegten Lichtbildern und den Höhenlinien auf der Erosionskarte. Danach bestehe auch im Abfindungsflurstück Flur 15 Nr. 97 ein erhebliches Quergefälle, das den Siebvorgang der Kartoffelerntemaschine beeinträchtige und deren Steuerung erschwere. Mit entsprechenden Einschränkungen werde die Bewirtschaftung auch in dem Abfindungsflurstück Flur 15 Nr. 96 möglich sein. Dies werde bestätigt durch die Einschätzung des Vorsitzenden der Beigeladenen zu 1. in der mündlichen Verhandlung.
6 Diese Begründung steht in der gegebenen prozessualen Situation im Einklang mit Prozessrecht.
7 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat das Tatsachengericht grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob es sich selbst die für die Aufklärung und Würdigung des Sachverhalts erforderliche Sachkunde zutraut. Die Begründung für das Vorliegen eigener ausreichender Sachkenntnis muss vom Tatsachengericht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise dargelegt werden. Für das Flurbereinigungsrecht gelten allerdings Besonderheiten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist durch die gemäß § 139 FlurbG vorgeschriebene besondere Besetzung des Flurbereinigungsgerichts eine sachverständige Würdigung der im Rahmen der Flurbereinigung zu beurteilenden Sachverhalte regelmäßig gewährleistet. Dies gilt insbesondere für die Feststellung der Nutzungsart und Bodengüte. Ein Flurbereinigungsgericht ist daher nur unter besonderen Umständen gehalten, Sachverständige hinzuzuziehen, etwa in Fällen, die schwierig gelagert sind oder besondere Spezialkenntnisse erfordern. Dementsprechend gelten in Flurbereinigungsverfahren bei der Ablehnung von Beweisanträgen auch geringere Anforderungen an die Darlegung und Begründung der eigenen Sachkunde des Flurbereinigungsgerichts; diese muss im „Normalfall“, d.h. bei Sachverhalten, mit denen das Flurbereinigungsgericht regelmäßig befasst ist, nicht besonders begründet werden.
8 Mit Blick auf die besondere Sachkunde des Flurbereinigungsgerichts kommt ein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nur nach den auch sonst bei der Ablehnung eines weiteren Sachverständigengutachtens (§ 86 Abs. 1, § 98 VwGO, §§ 404, 412 Abs. 1 ZPO) geltenden Maßstäben in Betracht. Dies ist dann der Fall, wenn sich dem Tatsachengericht eine Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen, weil bereits vorliegende Gutachten nicht geeignet waren, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln, etwa weil sie grobe offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, weil sie von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachtens besteht (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 4. Januar 2007 - BVerwG 10 B 20.06 u.a. - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 353 Rn. 12 und vom 22. Mai 2008 - BVerwG 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65 Rn. 20). Übertragen auf die Situation vor dem Flurbereinigungsgericht kommt ein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht wegen zu Unrecht angenommener eigener Sachkunde nur dann in Betracht, wenn dessen Beurteilung agrarwirtschaftlicher Fragen ähnlich gravierende Mängel aufweist, die den vorstehenden entsprechen, namentlich wenn sie von unzutreffenden Tatsachen ausgeht, in sich widersprüchlich oder aktenwidrig ist oder ohne die notwendige Kenntnis der örtlichen Verhältnisse vorgenommen wurde, mithin wenn sie schlechterdings unvertretbar ist (vgl. zuletzt Beschluss vom 4. November 2010 - BVerwG 9 B 85.09 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 376 Rn. 9 m.w.N.) .
9 Nach diesen Maßstäben kann die Rüge eines Verstoßes gegen § 86 Abs. 1 VwGO hier keinen Erfolg haben. Der Beweisantrag des Klägers war auf die Feststellung gerichtet, dass das Abfindungsflurstück „für den Kartoffelanbau unter Verwendung eines Halb-Vollernters nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen zu bewirtschaften ist“. Das Flurbereinigungsgericht hat eine Bewirtschaftungserschwernis aufgrund eigener Sachkunde, gestützt auf näher bezeichnete Aktenbestandteile (Karten und Lichtbilder), wegen der Gefälleverhältnisse angenommen. Aufgrund dessen hat es dem Kläger - wegen des angestellten Vergleichs des Einlage- und des Abfindungsflurstückes - zwar keinen Anspruch auf Abfindung in alter Lage zuerkannt. Es hat dem Kläger jedoch wegen der spezifischen Bewirtschaftungsnachteile des neu zugewiesenen Flurstückes, die sich aus dem ungünstigen Grundstückszuschnitt sowie der fehlenden Befahrbarkeit von Norden verbunden mit den nötigen Wendevorgängen auf dem Grundstück ergeben, eine Gutschrift in Höhe von 97,35 WE zugesprochen (UA S. 13). Die Frage der Hängigkeit von Grundstücksflächen gehört zu der Art von agrarwirtschaftlichen Fragen, mit denen ein Flurbereinigungsgericht regelmäßig befasst ist und für die durch die gesetzlich vorgeschriebene sachverständige Besetzung des Gerichts eine eigene Sachkunde regelmäßig gewährleistet ist. Dass der Sachverhalt des Streitfalls im vorstehenden Sinne schwierig gelagert wäre oder besondere Spezialkenntnisse erforderte, wird von der Beschwerde nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich. Der Kläger legt ebenso wenig dar, dass - ausgehend von der Rechtsauffassung des Gerichts - dessen Beurteilung unvertretbar ist oder es von falschen Tatsachen, wie etwa unzutreffendem Kartenmaterial, ausgegangen wäre.
10 Anhaltspunkte dafür, dass das Abfindungsflurstück gar nicht unter Verwendung eines Halb-Vollernters bewirtschaftet werden kann, lagen nicht vor, so dass sich dem Gericht auch nicht unter diesem Gesichtspunkt eine Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen. Derartige Anhaltspunkte ergaben sich weder aus dem vom Kläger vorgelegten Gutachten des Sachverständigen B. vom 1. September 2012 noch aus dessen ergänzender Stellungnahme vom 20. November 2012. Der Gutachter weist in beiden Stellungnahmen lediglich auf die - im Vergleich zum Altgrundstück Nr. 97 - schwierigere Bewirtschaftung durch den Zuschnitt des Flurstückes, dessen Zuwegung und Bodenbeschaffenheit hin. Dass die Kartoffelerntemaschine auf dem neu zugeteilten Grundstück gar nicht eingesetzt werden kann, wird in den gutachterlichen Stellungnahmen nicht behauptet. Dies liegt entgegen der Auffassung der Beschwerde auch nicht „auf der Hand“, insbesondere wird es nicht durch die Äußerung des Vorsitzenden der Beigeladenen zu 1. in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Dessen Aussage, aufgrund der Gefälleverhältnisse sei der Einsatz der Kartoffelerntemaschine „nicht zweckmäßig, wenn andere Grundstücke für den Kartoffelanbau zur Verfügung stünden“ (vgl. UA S. 12 unten), geht gerade davon aus, dass der Einsatz der Maschine zwar möglich, wegen der erschwerten Bedingungen aber nur eingeschränkt sinnvoll ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2. für erstattungsfähig zu erklären, weil dieser einen Sachantrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Beigeladene zu 1. ist demgegenüber nicht durch Antragstellung ein eigenes Kostenrisiko eingegangen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.