Beschluss vom 01.09.2020 -
BVerwG 4 B 12.20ECLI:DE:BVerwG:2020:010920B4B12.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.09.2020 - 4 B 12.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:010920B4B12.20.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 12.20

  • VG Würzburg - 20.05.2010 - AZ: VG W 5 K 09.869
  • VGH München - 20.12.2019 - AZ: VGH 9 B 12.940

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. September 2020
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Decker und Prof. Dr. Külpmann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Mit seiner Klage verlangte der Kläger die Aufhebung eines Bescheides des Landratsamts M. vom 4. August 2009, der ihm insbesondere die Beseitigung baulicher Anlagen aufgab und die Nutzung bestimmter Grundstücke zur Hundehaltung untersagte. Das Verwaltungsgericht wies die Klage überwiegend als unbegründet ab. Nach einer mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erließ das Landratsamt unter dem 12. September 2018 eine neue, in Teilen abweichende Beseitigungsverfügung und Nutzungsuntersagung. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung ohne erneute mündliche Verhandlung zurückgewiesen, weil für die Klage gegen den Bescheid vom 4. August 2009 das Rechtsschutzbedürfnis fehle (UA Rn. 20).

2 Die der Sache nach auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

3 I. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

4 1. Das Berufungsgericht musste nicht in der Sache über den Bescheid vom 12. September 2018 entscheiden.

5 Anders als § 96 Abs. 1 SGG und § 68 Satz 1 FGO regelt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht, ob und wie ein Verwaltungsakt Gegenstand des Klageverfahrens wird, der einen angefochtenen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt. Der ändernde oder ersetzende Bescheid wird daher nicht ohne Weiteres Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (vgl. Brenner, in: Sodan/Ziekow, 5. Aufl. 2018, VwGO, § 79 Rn. 10; Pietzcker, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2020, § 79 Rn. 7; Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 79 Rn. 31; Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 79 Rn. 3a; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 79 Rn. 4). Es obliegt vielmehr dem Kläger zu erklären, ob er einen solchen Bescheid im Wege der Klageänderung nach § 91 Abs. 1 VwGO zum Streitgegenstand des Prozesses machen will (Kraft, BayVBl. 1995, 519 <524>).

6 Trotz Nachfrage des Berufungsgerichts vom 11. Oktober 2018 hat der Kläger den Bescheid vom 12. September 2018 nicht im Wege der Klageänderung in das Verfahren einbezogen. Das Schreiben vom 27. September 2018 an das Landratsamt M. war keine derartige Erklärung. Dessen Adressat war nicht das Gericht, sondern die Behörde. Mit der Erhebung eines Widerspruchs leitete der Kläger zudem das behördliche Vorverfahren ein (§ 69 VwGO), stellte den Bescheid vom 12. September 2018 aber nicht zur gerichtlichen Kontrolle.

7 Für die Änderung des Streitgegenstandes reichte auch die Annahme des Beklagten nicht aus, der spätere Bescheid enthalte nur Klarstellungen und Ergänzungen und werde daher ohne Weiteres Gegenstand des Berufungsverfahrens. Denn die Bestimmung des Streitgegenstandes obliegt dem Kläger. Ob mit einer Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügt werden könnte, das Berufungsgericht habe das Verhältnis der Bescheide fehlerhaft bestimmt, mag offenbleiben. Denn die Beschwerde hat diese Rüge nicht erhoben, sondern dem Berufungsgericht insoweit zugestimmt.

8 2. Anders als die Beschwerde meint, durfte das Berufungsgericht über die Klage ohne (weitere) mündliche Verhandlung entscheiden.

9 a) Die Beteiligten haben wirksam ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Das Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO ist eine einseitige gestaltende Prozesshandlung und muss daher klar, eindeutig und vorbehaltlos erklärt sein (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1981 - 7 C 78.80 - BVerwGE 62, 6 <9> und Beschluss vom 24. April 2013 - 8 B 91.12 - juris Rn. 3). Hiermit übereinstimmend haben sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht "mit einem Übergang ins schriftliche Verfahren" einverstanden erklärt und damit ihr Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO eindeutig zum Ausdruck gebracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 2013 - 6 BN 3.13 - Buchholz 310 § 101 VwGO Nr. 38 Rn. 6). Welchen anderen Inhalt diese Erklärung haben könnte, legt die Beschwerde nicht dar. Unabhängig davon war dem Kläger aus dem gerichtlichen Schreiben vom 13. November 2018 bekannt, dass das Berufungsgericht von einem Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO ausging. Es hätte ihm insoweit oblegen, ein etwaiges Missverständnis auszuräumen (BVerwG, Beschlüsse vom 8. November 2005 - 10 B 45.05 - juris Rn. 5 und vom 24. April 2013 - 8 B 91.12 - juris Rn. 5).

10 b) Die Beschwerde legt nicht dar, dass es nach Erlass des Bescheides vom 12. September 2018 einer mündlichen Verhandlung bedurfte.

11 Als grundsätzlich unwiderrufliche Prozesshandlung gilt das Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO bis zur nächsten Entscheidung des Gerichts und wird nicht bereits durch eine Änderung der Prozesslage verbraucht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Februar 2017 - 4 B 2.17 - BRS 85 Nr. 201 Rn. 4). Es steht indes im Ermessen des Gerichts, ob es trotz wirksamen Verzichts ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang dafür einzustehen, dass trotz der unterbleibenden mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör der Beteiligten nicht verletzt wird (BVerwG, Beschluss vom 27. August 2003 - 6 B 32.03 - NVwZ-RR 2004, 77). Das Berufungsgericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 11. Oktober 2018 über seine Rechtsauffassung zum Verhältnis der Bescheide vom 4. August 2009 und vom 12. September 2018 in Kenntnis gesetzt, um Äußerung gebeten, ob der spätere Bescheid im Wege der Klageänderung in das Verfahren einbezogen werde, sowie angeregt, hinsichtlich des früheren Bescheides eine prozessbeendende Erklärung abzugeben. Damit war das rechtliche Gehör ausreichend gewahrt. Dass der Kläger in der Folge keine prozessualen Erklärungen abgegeben und sich auch im Übrigen nicht zum weiteren Vorgehen geäußert hat, führt nicht auf einen Gehörsverstoß des Gerichts.

12 3. Die Beschwerde beanstandet als verfahrensfehlerhaft, dass das Berufungsurteil den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 12. September 2018 nicht erwähnt.

13 Dies führt nicht zur Zulassung der Revision. Etwaige Unrichtigkeiten oder Lücken bei der Wiedergabe des tatsächlichen Vorbringens des Klägers können nicht als Verfahrensmangel geltend gemacht werden, sondern nur durch einen fristgebundenen Antrag auf Berichtigung oder Ergänzung des Urteils nach Maßgabe der §§ 119, 120 VwGO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - 4 B 49.10 - juris Rn. 6 m.w.N.). Einen solchen Antrag hat der Kläger nicht gestellt. Die fehlende Erwähnung des Widerspruchs lässt auch nicht den Schluss auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 42 insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 442.42 § 27a LuftVO Nr. 8). Denn der Bescheid vom 12. September 2018 war nicht in das Verfahren einbezogen worden, so dass ein dagegen eingelegter Widerspruch für die rechtliche Würdigung keine Rolle spielen konnte.

14 II. Die Beschwerde legt keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dar. Insoweit verfehlt sie die Anforderungen an die Begründung nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO (siehe hierzu etwa BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>, vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4 und vom 12. Mai 2020 - 4 BN 3.20 - juris Rn. 3).

15 1. Die Beschwerde deutet mehrere Fragen zum Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO an. Sie legt indes nicht dar, inwieweit diese Fragen ungeachtet der auch von ihr angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1982 - 2 C 78.81 - Buchholz 310 § 101 VwGO Nr. 13 und Beschlüsse vom 8. November 2005 - 10 B 45.05 - juris Rn. 4 f., vom 24. April 2013 - 8 B 91.12 - juris Rn. 3, vom 13. Dezember 2013 - 6 BN 3.13 - Buchholz 310 § 101 VwGO Nr. 38 Rn. 8 ff., 12, vom 4. Juni 2014 - 5 B 11.14 - NVwZ-RR 2014, 740 Rn. 11 und vom 6. Februar 2017 - 4 B 2.17 - BRS 85 Nr. 201 Rn. 4 f.) weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärung bedürfen könnten.

16 2. Die Beschwerde möchte ferner klären lassen, inwieweit Verwaltungsakte, die zu Handlungen auffordern, die zu einer Verletzung der natürlichen Lebensgrundlagen und Vernichtung von Tieren führen, Bestand haben können, ohne dass die Behörde eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung des Art. 20a GG vorgenommen hat. Diese Frage ist indes weder rechtsgrundsätzlich klärungsfähig noch legt die Beschwerde ihre Entscheidungserheblichkeit nachvollziehbar dar.

17 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat entsprechend § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.

18 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.