Beschluss vom 04.05.2020 -
BVerwG 1 B 16.20ECLI:DE:BVerwG:2020:040520B1B16.20.0

Übermittlung eines elektronischen Dokuments zwischen beBPo und EGVP ohne qualifizierte elektronische Signatur

Leitsatz:

Für die formwirksame Übermittlung eines elektronischen Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 55a Abs. 3 Alt. 2 i.V.m. Abs. 4 Nr.  3 VwGO bedarf es keiner qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person.

  • Rechtsquellen
    VwGO § 55a

  • VG Osnabrück - 26.06.2017 - AZ: VG 7 A 192/16
    OVG Lüneburg - 17.01.2020 - AZ: OVG 2 LB 435/19

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.05.2020 - 1 B 16.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:040520B1B16.20.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 16.20

  • VG Osnabrück - 26.06.2017 - AZ: VG 7 A 192/16
  • OVG Lüneburg - 17.01.2020 - AZ: OVG 2 LB 435/19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Mai 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
beschlossen:

  1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht vom 17. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

1 A. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung - wie sich aus den nachstehenden Gründen ergibt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).

2 B. Die Beschwerde, mit der eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und ein Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend gemacht wird, hat keinen Erfolg.

3 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris).

4 Nach diesen Grundsätzen kommt der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage,
ob ein Schriftsatz, der im elektronischen Rechtsverkehr übermittelt wurde, den gesetzlichen Formanforderungen insbesondere gemäß § 55a Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 VwGO zur Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg mit dem erforderlichen vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis genügt, wenn weder dem Schriftsatz noch dem Transfervermerk zu entnehmen ist, dass dieser mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen war, und ob ein nicht diesen Formanforderungen entsprechender Schriftsatz geeignet ist, die Berufungsbegründungsfrist zu wahren,
keine grundsätzliche Bedeutung zu, die einer Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf.

5 Nach § 55a VwGO kann eine Berufungsbegründung als elektronisches Dokument eingereicht werden. Hierzu muss das elektronische Dokument nach § 55a Abs. 3 VwGO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden; zu den sicheren Übermittlungswegen zählt nach § 55a Abs. 4 Nr. 3 VwGO (u.a.) der hier von der Beklagten - ausweislich des bei den Akten befindlichen Transfervermerks - gewählte Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde (beBPo) und der elektronischen Poststelle des Gerichts (EGVP). Nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 55a Abs. 3 VwGO handelt es sich bei der Einreichung eines mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen elektronischen Dokuments einerseits und der Einreichung eines (einfach) signierten elektronischen Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg andererseits um zwei eigenständige Möglichkeiten der elektronischen Dokumentenübermittlung. Auch den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass zur Wahrung der prozessualen Form die das Dokument verantwortende Person das elektronische Dokument entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen oder einen sicheren Übermittlungsweg nutzen muss; wählt sie einen sicheren Übermittlungsweg, muss sie das Dokument zum Abschluss lediglich durch eine einfache Signatur nach dem Signaturgesetz signieren und damit zu erkennen geben, die inhaltliche Verantwortung für das Dokument übernehmen zu wollen (BT-Drs. 17/12634 S. 25 zur inhaltsgleichen Regelung in § 130a ZPO). Im Einklang damit geht im Übrigen auch die obergerichtliche Rechtsprechung nicht davon aus, dass es für die Übermittlung elektronischer Dokumente zwischen einem beBPo und dem EGVP einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person bedarf, sondern sich die Frage einer qualifizierten elektronischen Signatur nur stellt, wenn es an einer formwirksamen Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg fehlt, etwa weil beim Versand über beBPo kein vertrauenswürdiger Herkunftsnachweis (vHN) beigefügt worden ist (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 4. März 2019 - A 3 S 2890/18 - juris Rn. 5; OVG Bautzen, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 4 A 1158/19.A - juris Rn. 3; OVG Schleswig, Beschluss vom 18. Dezember 2019 - 1 LA 72/19 - juris Rn. 4; VGH Kassel, Beschluss vom 26. Februar 2020 - 4 A 2387/19.Z.A - juris Rn. 2; OVG Lüneburg, Beschluss vom 31. März 2020 - 9 LA 440/19 - juris Rn. 5 ff.; in diesem Sinne entgegen der Auffassung der Beschwerde auch OVG Weimar, Beschluss vom 28. Januar 2020 - 3 ZKO 796/19 - juris Rn. 6 f. und 13).

6 2. Der geltend gemachte Verfahrensfehler eines Verstoßes gegen die Regeln richterlicher Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Danach hat das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Es darf nicht einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Im Übrigen darf es zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn das Gericht nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen. Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel deshalb grundsätzlich nicht begründen (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2017 - 6 B 30.16 - juris Rn. 10).

7 Nach diesen Maßstäben ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen keine verfahrensrechtlichen Mängel der Überzeugungsbildung in Bezug auf die Formwirksamkeit der vom Bundesamt über ihr beBPo übermittelte Berufungsbegründung. Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsgericht sei hierbei konkludent und im Widerspruch zum Akteninhalt von einer qualifizierten elektronischen Signatur ausgegangen, ist dies unzutreffend. Vielmehr ist dem Nichtabhilfebeschluss des Berufungsgerichts zu entnehmen, dass nach seiner - nach den vorstehenden Ausführungen nicht zu beanstandenden - Rechtsauffassung für die sichere Übermittlung aus einem beBPo eine (einfache) Signatur des verantwortlichen Mitarbeiters auf dem Schriftsatz den Anforderungen des § 55a Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 3 VwGO genügt. Dabei hat es in tatsächlicher Hinsicht weder entscheidungserheblichen Akteninhalt übergangen noch ist es von aktenwidrigen Tatsachen ausgegangen, noch verstoßen die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze.

8 3. Soweit mit den Schriftsätzen vom 23. und 29. April 2020 geltend gemacht wird, die Klärungsbedürftigkeit der zunächst aufgeworfenen Rechtsfrage entfalle nicht dadurch, dass bzw. wenn die Übermittlung hier aus einem besonderen Behördenpostfach unter einfacher Signatur des Schriftsatzes erfolgt sei, weil nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichts auch die einfache Signatur die Absendung von der verantwortlichen Person erkennen lassen und nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV erkennbar sein müsse, dass das elektronische Dokument vom Postfachinhaber versandt werde (was hier nicht ersichtlich sei), kann zu Gunsten des Klägers unterstellt werden, dass es sich hierbei lediglich um eine auch nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist mögliche Ergänzung des Beschwerdevorbringens handelt. Auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens lässt sich feststellen, dass nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV ein nicht qualifiziert signiertes Dokument schriftformersetzend auf dem sicheren Übermittlungsweg eines besonderen elektronischen Behördenpostfachs übermittelt werden kann, "bei dem feststellbar ist, dass das elektronische Dokument vom Postfachinhaber versandt wurde". Dies war hier ausweislich des dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers bekannten Transfervermerks bei der Übermittlung der Berufungsbegründung der Fall; er weist das in dem Verfahren zur Vertretung befugte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als den Inhaber des Postfachs aus, über das die Versendung erfolgt ist. Nur auf dieses Erfordernis stellt auch die vom Beschwerdevorbringen herangezogene Entscheidung des Berufungsgerichts ab. Sollte das Beschwerdevorbringen dahin zu verstehen sein, dass der Nachweis zur Verwendung eines besonderen Behördenpostfachs zur Versendung eines schriftformbedürftigen Schriftsatzes nicht nur den Postfachinhaber, sondern auch die für diesen handelnde natürliche Person erkennen lassen müsse oder dass dieser als "Postfachinhaber" aufzuführen sei, stünde dies mit § 6 Abs. 1, §§ 7 ff. ERVV offenkundig nicht im Einklang und bezeichnet auch sonst keine in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftige Rechtsfrage.

9 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.