Beschluss vom 06.08.2025 -
BVerwG 20 F 8.25ECLI:DE:BVerwG:2025:060825B20F8.25.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 06.08.2025 - 20 F 8.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:060825B20F8.25.0]
Beschluss
BVerwG 20 F 8.25
- VG Berlin - 09.12.2024 - AZ: 1 K 373.18
- OVG Berlin-Brandenburg - 05.06.2025 - AZ: 95 A 3/24
In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO am 6. August 2025 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und Prof. Dr. Burmeister beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. Juni 2025 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I
1 Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen den Beschluss des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
2 1. In dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Klageverfahren begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Speicherung der im bestandskräftigen Bescheid des Beklagten vom 26. September 2018 als Nrn. 1 sowie 3-9 erwähnten Daten rechtswidrig gewesen sind. In dem Bescheid wird darauf hingewiesen, dass sämtliche personenbezogenen Daten des Klägers zur Löschung anstünden, sie jedoch aus Rechtsgründen erst dann vollzogen werden könne, wenn das gesamte Auskunftsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sei und bis dahin keine neuen relevanten Erkenntnisse bekannt würden. Bis zur Löschung der Daten des Klägers werde nach § 14 Abs. 3 VSG Bln keine Verwendung der Daten mehr erfolgen. Unter dem 20. November 2018 hat der Kläger die Löschung der streitgegenständlichen Daten beantragt.
3 Der Beklagte hat in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren mehrfach die Unzulässigkeit der Feststellungsklage gerügt und dies mit einem fehlenden Feststellungsinteresse begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Hinblick auf § 43 Abs. 2 VwGO die Rücknahme der Klage angeregt und Zweifel an einem Rehabilitationsinteresse geäußert. Mangels Rechtsschutzbedürfnisses sah es zunächst davon ab, von dem Beklagten die Übersendung sämtlicher Akten zu verlangen. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat es mit Beschluss vom 8. August 2024 den Beklagten aufgefordert, die zum Klageverfahren vorhandenen Urkunden, Akten und elektronischen Dokumente vollständig zu übermitteln oder eine förmliche Verweigerung der Vorlage zu erklären und sie zu begründen.
4 2. Der Beklagte hat unter dem 2. Dezember 2024 eine Sperrerklärung abgegeben, worauf das Verwaltungsgericht mit Abgabebeschluss vom 9. Dezember 2024 reagierte. In ihm führte es aus, um eine sachgerechte Entscheidung treffen zu können, sei sie auf die Kenntnis der beim Beklagten dazu vorhandenen Unterlagen angewiesen. Denn sie belegten - soweit sie ungeschwärzt vorgelegt worden seien - keine über die Tätigkeit als Fotograf hinausgehende Teilnahme des Klägers an Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht einer extremistischen Bestrebung stünden. Den Unterlagen sei bislang nur hinsichtlich einer - im Auskunftsbescheid nicht aufgeführten - Versammlung ausdrücklich zu entnehmen, dass der Kläger nicht als Fotograf teilgenommen habe. Im Übrigen werde er zwar in Personenlisten bzw. unter "Personen" im Zusammenhang mit Versammlungen erwähnt, jedoch sei die konkrete Art seiner Teilnahme bislang nicht erkennbar. Die Teilnahme an der Versammlung am 11. Februar 2013 könne für die vorhergehenden Datenspeicherungen bereits nicht als tatsächlicher Anhaltspunkt dienen und sei für die folgenden Datenspeicherungen (alleine) nicht ausreichend.
5 3. Den Antrag des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung festzustellen, hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 5. Juni 2025 abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag sei zwar zulässig und insbesondere an der Entscheidungserheblichkeit des zurückgehaltenen Verwaltungsvorgangs bestehe kein Zweifel, nachdem das Verwaltungsgericht einen auf Vorlage des Vorgangs gerichteten Beweisbeschluss erlassen habe. Er sei jedoch unbegründet, weil Verweigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO vorlägen.
6 4. Mit seiner fristgerecht eingelegten Beschwerde wendet sich der Kläger gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts. Der Beklagte hat unter dem 2. Juli 2025 beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II
7 Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, weil der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts im Ergebnis rechtmäßig ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO vorliegen, weil der nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellte Antrag des Klägers bereits unzulässig ist.
8 1. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Antrages nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist die ordnungsgemäße Bejahung der Entscheidungserheblichkeit der gesperrten Unterlagen für das Ausgangsverfahren (BVerwG, Beschlüsse vom 2. Januar 2020 - 20 F 5.19 - juris Rn. 6 m. w. N. und vom 22. März 2024 - 20 F 5.22 - Rn. 11). Denn aus der durch § 99 VwGO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen dem Fachsenat und dem Gericht der Hauptsache folgt, dass zunächst das zur Sachentscheidung berufene Hauptsachegericht zu prüfen und förmlich darüber zu befinden hat, ob und gegebenenfalls welche Informationen aus den Akten für eine Sachentscheidung erforderlich sind, bevor die oberste Aufsichtsbehörde über die Freigabe oder Verweigerung der in Rede stehenden Aktenteile befindet. Hat das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit in einem Beschluss geprüft und bejaht, ist der Fachsenat grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden; eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist. Eine Bindungswirkung entfällt auch dann, wenn das Gericht der Hauptsache seiner Verpflichtung nicht genügt, die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der ungeschwärzten Aktenvorlage zu entscheiden (stRspr, vgl. BVerwG Beschluss vom 12. Oktober 2023 - 20 F 16.22 - NVwZ 2024, 72 (74) Rn. 18 ff. m. w. N.). Nach Maßgabe dessen fehlt es - anders als vom Oberverwaltungsgericht angenommen - an einer plausiblen Darlegung der Entscheidungserheblichkeit durch das Hauptsachegericht.
9 a) Der vom Oberverwaltungsgericht als Nachweis einer festgestellten Entscheidungserheblichkeit herangezogene, auf die Vorlage des Vorgangs gerichtete Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts (vom 8. August 2024) enthält dazu keine Ausführungen. Er erschöpft sich in der schlichten Aufforderung an den Beklagten, entweder den streitgegenständlichen Verwaltungsvorgang vollständig zu übermitteln oder eine Sperrerklärung abzugeben.
10 b) Auch aus dem Abgabebeschluss des Verwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2024 folgt lediglich, dass die Vorlage für notwendig erachtet wird, weil die bisherigen Unterlagen keine hinreichende, über die Tätigkeit des Klägers als Fotograf hinausgehende Teilnahme an Veranstaltungen belegten, die im Zusammenhang mit tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht einer extremistischen Bestrebung stehen. Diese ausschließlich mit der Begründetheit der Feststellungsklage begründete Maßnahme der Sachaufklärung wäre bei rechtsdogmatisch korrekter Anwendung des Verhältnisses von Zulässigkeit und Begründetheit einer Klage jedoch dann nicht erforderlich, wenn die Feststellungsklage in Ermangelung eines (berechtigten) Feststellungsinteresses oder wegen Verstoßes gegen § 43 Abs. 2 VwGO schon unzulässig wäre.
11 Beide gegen die Zulässigkeit der Klage streitenden Gesichtspunkte sind im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren indes thematisiert worden und angesichts des bisherigen Prozessverhaltens des Verwaltungsgerichts auch als nicht abwegiger Einwand anzusehen. Der Beklagte hat mehrfach die Unzulässigkeit der Feststellungsklage betont und dies mit einem fehlenden berechtigten Feststellungsinteresse begründet. Das Verwaltungsgericht hat ebenfalls unter dem 14. November 2022 diesen Standpunkt vertreten und ausgeführt, die Klage dürfte unzulässig sein, weil die Rehabilitierung des Klägers voraussichtlich mit Löschung der Eintragung eintrete. Auch sei nicht näher dargelegt, inwieweit ein Feststellungsinteresse für den Zeitraum vor Rechtshängigkeit bestehe. Unter dem 18. Juli 2021 hatte es darüber hinaus die Klagerücknahme im Hinblick auf einen Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz nach § 43 Abs. 2 VwGO nahegelegt und ausdrücklich wegen eines fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses zunächst davon abgesehen, von dem Beklagten die Übersendung sämtlicher Akten zu verlangen. Vor diesem Hintergrund hätte sich das Verwaltungsgericht in dem Abgabebeschluss zur vorgreiflichen Rechtsfrage der Zulässigkeit verhalten müssen, um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage der ungeschwärzten Akten nachvollziehbar darzulegen.
12 2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.