Verfahrensinformation

Streitgegenstand ist die Heranziehung der Klägerin zu Herstellungsbeiträgen für eine Abwasserbeseitigungsanlage. Das Grundstück der Klägerin ist seit den 1990er Jahren an eine zentrale Schmutzwasserentsorgungsanlage angeschlossen, die zum damaligen Zeitpunkt von der Gemeinde betrieben wurde. Die erste nach der (damaligen) verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wirksame Beitragssatzung wurde im Jahr 2003 erlassen, das klägerische Grundstück in der Folgezeit jedoch nicht zu Anschlussbeiträgen herangezogen.


Zum 1. Januar 2012 wurden die Aufgabe der Abwasserbeseitigung und das Eigentum an den entsprechenden Anlagen auf den beklagten Zweckverband übertragen. In dem Beitrittsvertrag war u.a. geregelt, dass eine Heranziehung zu Beiträgen durch den Zweckverband ausschied, wenn die Gemeinde die Grundstücke bereits veranlagt hatte. Ein Zusammenschluss der technischen Anlagen erfolgte nicht, so dass sich an der tatsächlichen Entwässerungssituation des klägerischen Grundstücks nichts änderte. Auf der Grundlage einer Satzung des Beklagten aus dem Jahr 2012 wurden gegenüber der Klägerin Anschlussbeiträge für die Herstellung der zentralen Schmutzwasserversorgungseinrichtung festgesetzt.


Das Verwaltungsgericht hob den Heranziehungsbescheid auf, weil die sachliche Beitragspflicht für das klägerische Grundstück bereits nach der Satzung von 2003 entstanden und durch Eintritt der Festsetzungsverjährung erloschen sei; durch die Aufgabenübertragung auf den Zweckverband sei sie nicht neu entstanden. Das Oberverwaltungsgericht änderte dieses Urteil und wies die Klage ab. Es ging dabei davon aus, dass mit der Aufgabenübertragung eine neue Einrichtung im rechtlichen Sinne entstanden sei und eine etwaige Verjährung des gegenüber der Gemeinde bestehenden Beitragsanspruchs die Heranziehung zu Beiträgen für die neue Einrichtung nicht berühre.


Im Revisionsverfahren wird zu klären sein, welche Bedeutung einer Festsetzungsverjährung im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Vertrauensschutzes zukommt, wenn eine bestehende Einrichtung nach Verjährungseintritt ohne Änderung der technischen Anschlusssituation auf einen neuen Träger übergegangen ist.


Pressemitteilung Nr. 64/2021 vom 06.10.2021

Grundsatz des Vertrauensschutzes gilt auch gegenüber dem neuen Träger einer öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung

Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gilt auch gegenüber dem neuen Träger einer öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute in zwei Verfahren aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt entschieden.


Die Klägerin des Verfahrens 9 C 9.20 ist Eigentümerin eines bereits am 3. Oktober 1990 an die damalige Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossenen Grundstücks in Seddiner See (Brandenburg). Anfang der 1990er Jahre ersetzten die Gemeinde Seddiner See und die Vorgängergemeinden der heutigen Stadt Beelitz ihre Kläranlagen durch eine gemeinsam betriebene zentrale Kläranlage. Die erste Beitragssatzung der Gemeinde Seddiner See wurde 1994 bekannt gemacht. Beiträge wurden für das Grundstück der Klägerin nicht erhoben. Zum 1. Januar 2006 gründeten die Gemeinde Seddiner See und die Stadt Beelitz den Wasser- und Abwasserzweckverband "Nieplitz", der die Schmutzwasserbeseitigungsanlage im Wesentlichen unverändert fortführte.


2013 setzte der beklagte Wasserverband für das Grundstück der Klägerin einen Anschlussbeitrag fest. Das Verwaltungsgericht hob den Beitragsbescheid mit der Begründung auf, es verstoße gegen den Gleichheitssatz, dass der Beklagte gezahlte, nicht aber - wie im Falle der Klägerin - hypothetisch festsetzungsverjährte Herstellungsbeiträge für die früheren gemeindlichen Einrichtungen auf den Anschlussbeitrag anrechne. Im Berufungsverfahren änderte das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil und wies die Klage ab. Es ging davon aus, dass hypothetisch festsetzungsverjährte Beiträge weder aus Gleichheits- noch aus Vertrauensschutzgründen anzurechnen seien.


Das Bundesverwaltungsgericht hat die Berufungsentscheidung wegen einer Verletzung des bundesverfassungsrechtlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes und des Gleichheitssatzes aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gilt auch bei einem Wechsel des Einrichtungsträgers. Eine Beitragserhebung durch den neuen Einrichtungsträger ist mit diesem Grundsatz nicht vereinbar, soweit sie sich auf Herstellungsaufwand bezieht, für den der Beitragspflichtige durch den früheren Einrichtungsträger nach der in Brandenburg bis zum 31. Januar 2004 geltenden Rechtslage wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht mehr zu Beiträgen hätte herangezogen werden können. Soweit der Beklagte gezahlte, nicht aber hypothetisch festsetzungsverjährte Beiträge für die frühere Einrichtung angerechnet hat, verstößt dies außerdem gegen den Gleichheitssatz. Ein die Ungleichbehandlung rechtfertigender sachlicher Grund liegt weder in der Vermeidung einer Doppelbelastung noch in der Wahrung der Beitragsgerechtigkeit oder des Haushaltsinteresses des früheren oder jetzigen Einrichtungsträgers.


Auch im Verfahren 9 C 10.20 aus Sachsen-Anhalt, bei dem es um eine "normale" und nicht um eine hypothetische Festsetzungsverjährung geht, hat das Bundesverwaltungsgericht die Berufungsentscheidung aus den vorgenannten Gründen aufgehoben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.


BVerwG 9 C 9.20 - Urteil vom 06. Oktober 2021

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, 9 B 15.17 - Beschluss vom 23. Oktober 2019 -

VG Potsdam, 8 K 149/14 - Beschluss vom 22. Februar 2017 -

BVerwG 9 C 10.20 - Urteil vom 06. Oktober 2021

Vorinstanzen:

OVG Magdeburg, 4 L 134/17 - Urteil vom 20. August 2019 -

VG Magdeburg, 9 A 37/15 MD - Urteil vom 13. Juni 2017 -


Beschluss vom 10.12.2020 -
BVerwG 9 B 67.19ECLI:DE:BVerwG:2020:101220B9B67.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.12.2020 - 9 B 67.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:101220B9B67.19.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 67.19

  • VG Magdeburg - 13.06.2017 - AZ: VG 9 A 37/15 MD
  • OVG Magdeburg - 20.08.2019 - AZ: OVG 4 L 134/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Dezember 2020
durch die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Martini und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Sieveking
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 20. August 2019 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird vorläufig auf 2 193,31 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet. Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie kann zur Klärung der Frage beitragen, welche Bedeutung einer Festsetzungsverjährung im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Vertrauensschutzes zukommt, wenn eine bestehende Einrichtung nach Verjährungseintritt ohne Änderung der technischen Anschlusssituation auf einen neuen Träger übergegangen ist (vgl. auch Zulassungsbeschluss des Senats vom 10. November 2020 - 9 B 1.20 -, nunmehr 9 C 9.20 ).

2 Die vorläufige Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 3, § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 9 C 10.20 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch die Beschwerdeführerin bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (§ 55a Abs. 1 bis 6 VwGO sowie Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.

Urteil vom 06.10.2021 -
BVerwG 9 C 10.20ECLI:DE:BVerwG:2021:061021U9C10.20.0

Berücksichtigung einer Festsetzungsverjährung nach Wechsel des Einrichtungsträgers

Leitsätze:

1. Zu den verfassungsrechtlichen Maßstäben, die beim Übergang einer öffentlichen Einrichtung auf einen anderen Einrichtungsträger zu beachten sind, gehören die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, zu deren Gewährleistung die Verjährungsvorschriften beitragen.

2. In die durch die Festsetzungsverjährung vermittelte, verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensposition wird eingegriffen, wenn und soweit der neue Einrichtungsträger bei der Bemessung seiner Beiträge Herstellungsaufwand berücksichtigt, der bereits Gegenstand des früheren Beitragsschuldverhältnisses war und für den der vormalige Einrichtungsträger nach Ablauf der Festsetzungsfrist keine Beiträge mehr erheben durfte.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
    KAG-LSA § 6 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, Nr. 4 Buchst. b
    AO §§ 47, 169 Abs. 1 Satz 1
    VwGO § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2

  • VG Magdeburg - 13.06.2017 - AZ: VG 9 A 37/15 MD
    OVG Magdeburg - 20.08.2019 - AZ: OVG 4 L 134/17

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 06.10.2021 - 9 C 10.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:061021U9C10.20.0]

Urteil

BVerwG 9 C 10.20

  • VG Magdeburg - 13.06.2017 - AZ: VG 9 A 37/15 MD
  • OVG Magdeburg - 20.08.2019 - AZ: OVG 4 L 134/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Oktober 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler und Dr. Martini sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Sieveking und Prof. Dr. Schübel-Pfister
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 20. August 2019 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  2. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Beiträgen für die Herstellung der Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Beklagten.

2 Die Klägerin ist Miteigentümerin eines im Gebiet der Einheitsgemeinde B. gelegenen Grundstücks, das seit den 1990er Jahren an eine Einrichtung zur Schmutzwasserentsorgung angeschlossen ist, die zum damaligen Zeitpunkt von der Gemeinde B. betrieben wurde. Nach mehreren erfolglosen Satzungsversuchen beschloss die Gemeinde am 23. Januar 2003 eine Abwasserabgabensatzung - künftig: AS 2003 –, die nach der damaligen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Magdeburg als wirksam angesehen wurde, wobei das Gericht von einem Inkrafttreten am 2. November 2004 ausging. Das klägerische Grundstück wurde auf dieser satzungsrechtlichen Grundlage allerdings nicht zu Beiträgen herangezogen.

3 Mit Wirkung zum 1. Januar 2012 wurden die Aufgabe der Abwasserbeseitigung im Gebiet der Gemeinde und das Eigentum an den entsprechenden Anlagen auf den beklagten Zweckverband übertragen, wodurch sich dessen Verbandsgebiet um ca. 3 000 auf insgesamt ca. 22 000 Grundstücke vergrößerte. Ein Zusammenschluss der technischen Anlagen erfolgte nicht. In dem der Übertragung zugrunde liegenden Beitrittsvertrag vom 4. November 2011 wurde u.a. geregelt, dass eine Heranziehung zu Beiträgen durch den Zweckverband ausscheide, wenn die Gemeinde die Grundstücke bereits veranlagt habe.

4 Am 11. Juli 2012 beschloss der Beklagte die Abwasserabgabensatzung zur Abwasserbeseitigungssatzung, Teil: Schmutzwasser - künftig: AS 2012 –, auf deren Grundlage die Klägerin mit Bescheid vom 9. Oktober 2014 zu Schmutzwasserbeiträgen in Höhe von 2 193,31 € herangezogen wurde.

5 Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Mit Urteil vom 13. Juni 2017 hob das Verwaltungsgericht Magdeburg den Heranziehungsbescheid mit der Begründung auf, die sachliche Beitragspflicht für das klägerische Grundstück sei nach der AS 2003 entstanden, durch Eintritt der Festsetzungsverjährung aber erloschen und durch die Aufgabenübertragung auf den Beklagten nicht neu begründet worden.

6 Auf die Berufung des Beklagten änderte das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt die erstinstanzliche Entscheidung und wies die Klage mit Urteil vom 20. August 2019 ab. Es ließ die Frage der Wirksamkeit der AS 2003 im Ergebnis offen, weil die etwaige Verjährung eines danach begründeten Beitragsanspruchs dem Entstehen eines weiteren Herstellungsbeitragsanspruchs nicht entgegenstehe. Mit dem Beitritt der Gemeinde zum Beklagten sei im Gebiet der Gemeinde rechtlich eine neue öffentliche Einrichtung zur Abwasserbeseitigung entstanden, für die (nochmals) Herstellungsbeiträge erhoben werden könnten. Der für die Beitragserhebung erforderliche Vorteil sei untrennbar mit einer bestimmten öffentlichen Einrichtung verknüpft und werde nur durch diese vermittelt. Die Belastungsgleichheit der Anschlussnehmer sei dadurch gewährleistet, dass eine Heranziehung von Grundstückseigentümern, die bereits von der Gemeinde zu einem Schmutzwasserbeitrag herangezogen worden seien, durch den Beitrittsvertrag ausgeschlossen sei. Weder das Gleichbehandlungsgebot noch das Äquivalenzprinzip geböten eine entsprechende Freistellung auch von Grundstückseigentümern, die von der Gemeinde nicht zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen worden seien. Eine Verjährung des Beitragsanspruchs für die Einrichtung der Gemeinde auf Grundlage der AS 2003 berühre im Hinblick auf die Heranziehung zu Beiträgen für die neue Einrichtung des Beklagten keine schutzwürdige Rechtsposition der Klägerin.

7 Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin insbesondere eine fehlerhafte Auslegung des Einrichtungs- und Vorteilsbegriffs unter Verletzung verfassungsrechtlicher Grundsätze etwa der Normenklarheit und Bestimmtheit, der Beitragsgerechtigkeit, der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit sowie der Verhältnismäßigkeit und macht geltend, dass das Erlöschen eines Beitragsschuldverhältnisses durch Verjährung eine vom Vertrauensschutz erfasste Rechtsposition darstelle, die gegenüber dem Erlöschen durch Zahlung keinen minderen verfassungsrechtlichen Schutz verdiene. Die vom Berufungsgericht angenommene vollständige Schutzlosigkeit einer durch Verjährung erworbenen Rechtsposition beachte weder den Gesichtspunkt der Garantiefunktion des geltenden Rechts, aus der heraus Vertrauen erwachsen könne, noch den Gedanken der Rechtssicherheit.

8 Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 20. August 2019 zu ändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 13. Juni 2017 zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

9 Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt und zur Sache vorgetragen, er gehe davon aus, dass die Abwasserabgabensatzung der Gemeinde AS 2003 nicht mit dem Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen-Anhalt vereinbar sei. Darüber habe das Oberverwaltungsgericht nicht entschieden, sodass die Sache zurückverwiesen werden müsse.

II

10 Die Revision der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet; denn das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

11 Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass eine etwaige Festsetzungsverjährung des Beitragsanspruchs der Gemeinde als Betreiberin der früheren Abwasserentsorgungseinrichtung keine schutzwürdige Rechtsposition der Klägerin gegenüber der Heranziehung zu Beiträgen für die öffentliche Einrichtung des Beklagten begründe, verstößt in dieser Pauschalität gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip (1.) sowie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (2.). Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts wird daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (3.).

12 1. Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass es sich bei der zentralen Schmutzwasseranlage des Beklagten um eine neue öffentliche Einrichtung im Rechtssinne handele, die nicht mit der früher durch die Gemeinde betriebenen Abwasseranlage identisch sei und einen neuen, auf diese Einrichtung bezogenen beitragsrechtlich relevanten Vorteil vermittele, der eine Beitragserhebung auf der Grundlage der Satzung des Beklagten AS 2012 rechtfertige. Eine mögliche Festsetzungsverjährung des Herstellungsbeitrags nach der Gemeindesatzung AS 2003 stehe dem nicht entgegen, weil sie nur das Erlöschen der Beitragspflicht für die frühere Einrichtung der Gemeinde bewirkt habe. Diese Auffassung widerspricht dem Rechtsstaatsprinzip.

13 a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es allerdings bundesrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht von dem Vorliegen einer neuen öffentlichen Einrichtung ausgegangen ist, für die im Grundsatz erneut Herstellungsbeiträge nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG-LSA) zur Abgeltung eines neuen Vorteils erhoben werden können.

14 Der Begriff der öffentlichen Einrichtung im Sinne des § 6 Abs. 1 KAG-LSA beurteilt sich ebenso wie der kommunalabgabenrechtliche Vorteilsbegriff nach dem nicht revisiblen Landesrecht, an dessen Auslegung und Anwendung durch das Oberverwaltungsgericht das Revisionsgericht nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO gebunden ist (vgl. zum Vorteilsbegriff etwa BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 218 Rn. 16). Das nicht nur grundstücks-, sondern insbesondere auch einrichtungsbezogene Vorteilsverständnis des Oberverwaltungsgerichts ist daher auch im Revisionsverfahren zugrunde zu legen. Bundes(verfassungs)rechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht.

15 Dem landesrechtlichen Vorteilsbegriff werden bundesrechtlich durch den Gleichheitssatz und das Äquivalenzprinzip nur sehr weite Grenzen gezogen (BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 218 Rn. 21), die hier allein durch die Annahme, dass überhaupt ein - nochmaliger - Herstellungsbeitrag in Betracht kommt, nicht überschritten werden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22. März 2007 - 10 BN 5.06 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 49 Rn. 11 zu der bindenden Auslegung, dass das <dortige> Landesrecht eine erneute Beitragserhebung durch einen neuen Einrichtungsträger zulässt). Das Oberverwaltungsgericht hat bei seiner Abgrenzung zur identitätswahrenden räumlichen Erweiterung einer bestehenden Anlage auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg Bezug genommen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. April 2018 - 9 N 1.17 - juris Rn. 15), die ihrerseits neben dem Schutz der Beitragspflichtigen durch den Gleichheitssatz und das Äquivalenzprinzip auch den darüber hinausgehenden Schutz durch den - landesrechtlichen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. September 1998 - 8 B 102.98 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 40 S. 10 und vom 11. Februar 2008 - 9 B 48.07 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 54 Rn. 3) – Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung im Kommunalabgabenrecht im Blick hat und für die Schaffung einer neuen Anlage "gewichtige Umstände" verlangt, um sicherzustellen, dass neue Anlagen mit neuen Herstellungspflichten nicht "gleichsam durch einen 'Federstrich'" entstehen können. Dies lässt kein grundlegendes Fehlverständnis bundesrechtlicher Grundsätze und Wertungen erkennen. Ob das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Fall die eigenen Maßstäbe zutreffend angewandt hat, ist eine Frage der landesrechtlichen Rechtsanwendung im Einzelfall und im Revisionsverfahren nicht zu überprüfen. Eine einschränkende Auslegung des Einrichtungs- und Vorteilsbegriffs im Hinblick auf das Äquivalenzprinzip und den Gleichheitssatz ist nicht veranlasst, weil diese Grundsätze - ebenso wie weitere bundesverfassungsrechtliche Maßstäbe - auch dann weiterhin zu beachten sind, wenn es zu einem Wechsel des Trägers der öffentlichen Einrichtung gekommen ist, und ihnen auch durch den neuen Einrichtungsträger auf unterschiedliche Weise Rechnung getragen werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. März 2007 - 10 BN 5.06 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 49 Rn. 10 ff., dazu näher unter b); die Frage der Einrichtungsidentität hat dabei keine Bedeutung.

16 b) Bundesrecht verletzt jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, einer Beitragserhebung auf der Grundlage der Satzung AS 2012 des Beklagten stehe eine mögliche Festsetzungsverjährung nach der Gemeindesatzung AS 2003 nicht entgegen, weil sie nur das Erlöschen der Beitragspflicht für die frühere Einrichtung der Gemeinde bewirkt habe. Dies widerspricht Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ungeachtet dessen, ob dieses hier in seiner Ausprägung als Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes oder in dessen Konkretisierung in Gestalt des Rückwirkungsverbots zu verstehen ist.

17 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf dieser Grundlage erworbenen Rechte. Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren dabei im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen (BVerfG, Beschlüsse vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 - BVerfGE 132, 302 Rn. 41 und vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 5/08 - BVerfGE 135, 1 Rn. 60 zum Rückwirkungsverbot). Eine Beeinträchtigung des durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG geschützten Vertrauens in die Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechtspositionen ist verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar ist, also wenn sie zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Normgebers überwiegen (stRspr zur Unzulässigkeit unechter Rückwirkung; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 - BVerfGE 132, 302 Rn. 43 m.w.N.).

18 Das ist hier der Fall. Der Umstand, dass der Beitragsanspruch des früheren Einrichtungsträgers (möglicherweise) festsetzungsverjährt ist, begründet eine verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensposition der Klägerin (aa), die trägerübergreifend auch vom Beklagten zu berücksichtigen ist (bb), wenn und soweit er Beiträge erhebt, die (auch) den Aufwand für die technische Herstellung der übernommenen Anlage oder Anlagenteile abgelten sollen (cc), was vorliegend der Fall sein könnte (dd). Gründe, die einen Eingriff in diese Vertrauensposition rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich (ee).

19 aa) Die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes stehen im Abgabenrecht dem zeitlich unbegrenzten rückwirkenden Vorteilsausgleich entgegen. Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit schützt davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge zeitlich unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 41; BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 218 Rn. 8). Dem Institut der Verjährung kommt in diesem Zusammenhang eine gewichtige Bedeutung zu; denn die Verjährung stellt die abschließende Zeitgrenze dar, bis zu der Beiträge zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an einen zurückliegenden Tatbestand geltend gemacht werden können (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 42 und Kammerbeschluss vom 7. April 2021 - 1 BvR 176/15 - NVwZ-RR 2021, 649 Rn. 23).

20 Verjährungsregelungen sind Ausdruck der Gewährleistung des im Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatzes der Rechtssicherheit und damit verfassungsrechtlich geboten (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 42 f.; BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 - 9 C 2.18 - BVerwGE 164, 212 Rn. 37). Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, in Bezug auf die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, Verjährungsregelungen zu erlassen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese Beiträge nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Auch wenn die Vorteile in der Zukunft fortwirken, darf der Bürger nicht dauerhaft im Unklaren gelassen werden, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Auf konkret betätigtes Vertrauen kommt es dabei nicht an; die Verjährungsregelungen greifen ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes Vertrauen und schöpfen ihre Berechtigung und Notwendigkeit aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit. Dieser gebietet es, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 43 ff.; Kammerbeschlüsse vom 21. Juli 2016 - 1 BvR 3092/15 - NVwZ-RR 2016, 889 Rn. 7, vom 1. Juli 2020 - 1 BvR 2838/19 - NVwZ 2020, 1744 Rn. 24 ff. und vom 7. April 2021 - 1 BvR 176/15 - NVwZ-RR 2021, 649 Rn. 24 ff.).

21 Mit dem Eintritt der Festsetzungsverjährung nach Ablauf der Festsetzungsfrist wird die Beitragsfestsetzung unzulässig (§ 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG-LSA i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO) und der Anspruch aus dem Beitragsschuldverhältnis erlischt (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG-LSA i.V.m. § 47 AO). Der Beitragspflichtige muss ab diesem Zeitpunkt nicht mehr damit rechnen, sich beitragsmäßig am Herstellungsaufwand für die öffentliche Einrichtung, die ihm die vorteilhafte Anschlusssituation vermittelt, beteiligen zu müssen, und darf in die Beständigkeit dieser Rechtslage vertrauen.

22 bb) Die durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung begründete, rechtsstaatlich gebotene und damit verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensposition ist auch vom Beklagten als neuem Einrichtungsträger zu beachten.

23 In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass die bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen an die Erhebung kommunaler Beiträge auch dann zu beachten sind, wenn es zu einem Trägerwechsel der öffentlichen Einrichtung gekommen ist und der neue Einrichtungsträger weder Gesamt- noch Sonderrechtsnachfolger des bisherigen Trägers geworden ist. Dem Satzungsgeber steht es nicht zu, durch die formale Ausgestaltung des Übergangs der öffentlichen Einrichtung auf einen anderen Einrichtungsträger die Anwendbarkeit verfassungsrechtlicher Maßstäbe zu verhindern (BVerwG, Beschluss vom 22. März 2007 - 10 BN 5.06 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 49 Rn. 10). Zu den im Abgabenrecht zu beachtenden verfassungsrechtlichen Maßstäben gehören nicht nur das Äquivalenzprinzip und der Gleichheitssatz, sondern - wie dargelegt - auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, zu deren Gewährleistung die Verjährungsvorschriften beitragen.

24 cc) In die durch die Festsetzungsverjährung vermittelte, verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensposition wird eingegriffen, wenn und soweit der neue Einrichtungsträger bei der Bemessung seiner Beiträge Herstellungsaufwand berücksichtigt, der bereits Gegenstand des früheren Beitragsschuldverhältnisses war und für den der vormalige Einrichtungsträger nach Ablauf der Festsetzungsfrist keine Beiträge mehr erheben durfte.

25 Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass nach der bindenden Auslegung des Oberverwaltungsgerichts der beitragsrechtlich relevante Vorteil einrichtungsbezogen zu verstehen ist und in der Möglichkeit der Inanspruchnahme der rechtlich neuen Anlage besteht. Denn der den Beitrag legitimierende Gesichtspunkt, der den Begriff des Beitrags ausmacht, ist der Gedanke der Gegenleistung, also der Gedanke des Ausgleichs von Vorteilen und Lasten (vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 20. Mai 1959 - 1 BvL 1, 7/58 - BVerfGE 9, 291 <298> und vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668, 2104/10 - BVerfGE 137, 1 Rn. 43, 52). Insofern müssen die bei der Beitragskalkulation berücksichtigten Herstellungskosten in Relation zu dem durch die hergestellte Einrichtung vermittelten Vorteil gesetzt werden und inhaltlich damit übereinstimmen. Macht der neue Einrichtungsträger bei der Berechnung seiner Gegenleistung (auch) Aufwand geltend, der für die technische Herstellung der übernommenen Einrichtung angefallen ist, bezieht er die durch die alte Einrichtung begründete und gegenwärtig fortwirkende Anschlusssituation ein und macht sie zum Inhalt des von der neuen Einrichtung vermittelten Vorteils. In diesem Fall darf nicht ausgeblendet werden, dass der Aufwand für die "alte" Anlage bereits vom Beitragsschuldverhältnis zum alten Einrichtungsträger erfasst war und der Beitragspflichtige nach Eintritt der Festsetzungsverjährung darauf vertrauen durfte, dafür keine Herstellungsbeiträge mehr zahlen zu müssen.

26 Diese verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition würde nachträglich entwertet, wenn derselbe kostenmäßige Aufwand nach dem Trägerwechsel gleichwohl uneingeschränkt zum Gegenstand eines (neuen) Herstellungsbeitrags gemacht werden könnte.

27 dd) Soweit der von der Klägerin geforderte Beitrag auch die Abgeltung von Aufwand umfasst, der für die Herstellung der von der Gemeinde betriebenen Schmutzwasserbeseitigungsanlage angefallen ist, greift deshalb die Beitragserhebung des Beklagten in die durch die (mögliche) Festsetzungsverjährung begründete Vertrauensposition der Klägerin, für diesen Aufwand nicht mehr zu Beiträgen herangezogen zu werden, ein.

28 Ob und in welchem Umfang dies hier der Fall ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen, da das Oberverwaltungsgericht keine entsprechenden Feststellungen getroffen hat. Im Hinblick darauf, dass die Übernahme der Einrichtung durch den Beklagten mit keinen technischen Änderungen verbunden war und der Beitrittsvertrag nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts eine Freistellung früherer Beitragszahler von der Beitragspflicht vorsah, liegt es allerdings nahe, dass der Beklagte auch Herstellungsaufwand für die alte Anlage geltend gemacht hat. Der vom Oberverwaltungsgericht formulierte Ausschluss einer schutzwürdigen Rechtsposition der Klägerin für den - von ihm offengelassenen - Fall, dass der Beitragsanspruch der Gemeinde festsetzungsverjährt war, lässt sich auf dieser Basis nicht begründen.

29 ee) Umstände, die geeignet wären, den nachträglichen Eingriff in die durch die (mögliche) Festsetzungsverjährung erlangte Vertrauensposition der Klägerin zu rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.

30 Mit der Gestaltung der Verjährungsbestimmungen erfüllt der Gesetzgeber seine Pflicht, einen angemessenen Ausgleich zu schaffen zwischen dem berechtigten Interesse der Allgemeinheit an einem umfassenden Vorteilsausgleich und dem schützenswerten Interesse des einzelnen Beitragsschuldners an Rechtssicherheit (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 46). Die Regelung der gesetzlichen Folgen einer Festsetzungsverjährung und die Bestimmung der Festsetzungsfrist stellen das Ergebnis der dem Gesetzgeber obliegenden Abwägung zwischen materieller Beitragsgerechtigkeit und fiskalischen Interessen einerseits sowie Rechtssicherheit und Vertrauensschutz andererseits dar und bringen zum Ausdruck, dass das Interesse an der vollständigen Beitragszahlung mit Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist hinter dem Vertrauensschutz zurücktritt. Weder der Belang der Beitragsgerechtigkeit mit dem Ziel, alle von der Einrichtung bevorteilten Grundstücke vorteilsentsprechend am Herstellungsaufwand zu beteiligen, noch der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung oder das Haushaltsinteresse an der Vermeidung von Beitragsausfällen haben ein Gewicht, das sich gegenüber dem schutzwürdigen Vertrauen der Klägerin, sich an dem Aufwand für die technische Herstellung der Schmutzwasserbeseitigungsanlage der Gemeinde nicht mehr finanziell beteiligen zu müssen, durchsetzen würde (vgl. für den Vertrauensschutz im Zusammenhang mit der sog. hypothetischen Festsetzungsverjährung im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 2021 - 9 C 9.20 - Rn. 40 ff.). Warum sich die in den Regelungen zur Festsetzungsverjährung zum Ausdruck kommende Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers allein aufgrund des Trägerwechsels zu Lasten des Vertrauensschutzes verschieben sollte, erschließt sich im Übrigen angesichts der Anwendbarkeit der verfassungsrechtlichen Maßstäbe auch gegenüber dem neuen Einrichtungsträger nicht.

31 Aus diesem Grund hat der Beklagte auch nach dem Trägerwechsel das verfassungsrechtlich geschützte Vertrauen der Klägerin zu berücksichtigen, wenn und soweit er mit der Beitragserhebung (auch) Herstellungsaufwand geltend macht, der bereits Gegenstand des früheren Beitragsschuldverhältnisses war und für den die Klägerin an die ehemalige Einrichtungsträgerin wegen Festsetzungsverjährung keine Beiträge mehr hätte zahlen müssen. Hinsichtlich der Art und Weise, wie dieser Vertrauensposition im Einzelnen Rechnung getragen wird, steht dem Beklagten grundsätzlich eine weite Ausgestaltungsbefugnis zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. März 2007 - 10 BN 5.06 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 49 Rn. 11).

32 2. Das Ausgestaltungsermessen des Beklagten wird vorliegend allerdings dadurch eingeschränkt, dass das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage der Auslegung des - dem Landesrecht zuzuordnenden - Beitrittsvertrages vom 4. November 2011 festgestellt hat, dass eine Heranziehung von Grundstückseigentümern, die bereits von der Gemeinde B. zu einem Schmutzwasserbeitrag herangezogen wurden, durch den Beklagten gemäß § 9 Abs. 2 des Beitrittsvertrages ausgeschlossen ist (UA S. 16). Im Vergleich mit diesen ehemaligen Beitragszahlern verstößt die abweichende Behandlung von Grundstückseigentümern, die von der Gemeinde wegen Eintritts von Festsetzungsjährung nicht mehr zu einem Schmutzwasserbeitrag herangezogen werden konnten, gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG.

33 Werden Beiträge erhoben, verlangt Art. 3 Abs. 1 GG, dass die Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen wird, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll (BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668, 2104/10 - BVerfGE 137, 1 Rn. 51 und Kammerbeschluss vom 29. Juni 2020 - 1 BvR 1866/15 u.a. - NVwZ 2020, 1748 Rn. 12). Differenzierungen bedürfen im Übrigen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2014 - 1 BvR 1656/09 - BVerfGE 135, 126 Rn. 52 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2017 - 9 C 11.16 - BVerwGE 161, 119 Rn. 14).

34 Soweit mit der Beitragserhebung des Beklagten (auch) Herstellungsaufwand für die von der Gemeinde übernommene Einrichtung geltend gemacht wird, der bereits Gegenstand des Beitragsanspruchs der Gemeinde war, ist zu beachten, dass sich diejenigen Grundstückseigentümer, die auf diesen Beitragsanspruch gezahlt haben, und diejenigen, die wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr zahlen mussten, zum Zeitpunkt des Trägerwechsels in einer vergleichbaren rechtlichen Ausgangslage befanden. Denn für beide Gruppen war das Beitragsschuldverhältnis zur Gemeinde nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG-LSA i.V.m. § 47 AO erloschen. Eine ungleiche Behandlung dieser vom Gesetz in Bezug auf den alten Beitragsanspruch gleichgestellten Gruppen lässt sich weder durch die Belange der Beitragsgerechtigkeit noch durch fiskalische Belange sachlich einleuchtend begründen.

35 Die Ungleichbehandlung würde zwar dazu führen, dass auch diejenigen, die wegen Festsetzungsverjährung durch den früheren Einrichtungsträger nicht zu einem Beitrag herangezogen worden sind, ihrem Vorteil entsprechend zur Finanzierung des Herstellungsaufwands beitragen. Der Belang der Beitragsgerechtigkeit und die fiskalischen Interessen sind im vorliegenden Zusammenhang aber nicht gewichtig genug, um die schwerwiegende Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, die mit der Entwertung allein des geschützten Vertrauens in die Festsetzungsverjährung verbunden ist. Denn mit dem Eintritt der Festsetzungsverjährung, deren Wirkung gerade darin liegt, dass der Nichtzahler dem Zahler rechtlich gleichgestellt wird, setzt sich nach dem Willen des Gesetzgebers das zugunsten der Beitragspflichtigen streitende Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gegenüber dem staatlichen Interesse an der vollständigen vorteilsgerechten Erfüllung der Beitragspflichten sowie gegenüber fiskalischen Bedürfnissen durch. Daran ändert auch der Trägerwechsel nichts, sodass dieser allein die Ungleichbehandlung ebenfalls nicht rechtfertigen kann.

36 3. Auf dem bundesrechtswidrigen Verständnis von der rechtlichen Bedeutung, die eine mögliche Festsetzungsverjährung des Beitragsanspruchs der Gemeinde für die Beitragserhebung des Beklagten hat, beruht die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts; das angefochtene Urteil ist deshalb gemäß § 137 Abs. 1, § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

37 Eine abschließende Entscheidung ist dem Revisionsgericht verwehrt, weil dies die Prüfung weiterer kommunalabgabenrechtlicher Umstände voraussetzt, die dem Oberverwaltungsgericht vorbehalten bleibt. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob hinsichtlich des Beitragsanspruchs der Gemeinde B. auf der Grundlage der AS 2003 tatsächlich Festsetzungsverjährung eingetreten ist, sowie Feststellungen dazu, ob und in welchem Umfang mit dem angefochtenen Bescheid auch der Herstellungsaufwand für die vom Beklagten übernommene öffentliche Einrichtung der Gemeinde geltend gemacht wird.