Beschluss vom 07.09.2021 -
BVerwG 1 B 37.21ECLI:DE:BVerwG:2021:070921B1B37.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 07.09.2021 - 1 B 37.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:070921B1B37.21.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 37.21

  • VG Münster - 19.02.2016 - AZ: VG 9 K 1785/13.A
  • OVG Münster - 23.04.2021 - AZ: OVG 19 A 810/16.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. September 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. April 2021 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.

2 1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - juris Rn. 2 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris Rn. 3). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erstreckt sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes.

3 2. Die Beschwerde hat die Entscheidungserheblichkeit der als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Frage,
"ob das Vorliegen einer über das Asylverfahren hinausgehenden Aufenthaltsberechtigung eines Asylantragstellers vor Erlass einer Rück[kehr]entscheidung im Rahmen des Asylverfahrens durch die Beklagte zu prüfen und im Fall der Bejahung entgegen der Regelung des § 34 Abs. 2 S. 1 AsylG vom Erlass einer Rück[kehr]entscheidung zwingend abzusehen ist",
nicht dargelegt.

4 a. Die von der Beschwerde konkret aufgeworfene Rechtsfrage, auf deren Prüfung das Gericht im Rahmen der Grundsatzrüge beschränkt ist (vgl. BFH, Beschluss vom 6. August 1986 - II B 53/86 - BFHE 147, 219 <222>), würde sich im vorliegenden Verfahren nicht stellen. Denn die Vaterschaftsanerkennung durch den Kläger für seine im März 2016 geborene Tochter polnischer Staatsangehörigkeit und seine im Januar 2021 geborene Tochter deutscher Staatsangehörigkeit erfolgte nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht "vor", sondern erst "nach" Erlass der streitgegenständlichen Rückkehrentscheidung in Form der Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 24. April 2013.

5 Auf die Berücksichtigung von nach Erlass der Rückkehrentscheidung entstandenen inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisse bezogene Fragen bei der gerichtlichen Überprüfung wirft die Beschwerde weder ausdrücklich noch sinngemäß auf. Sie ergeben sich insbesondere nicht schon daraus, dass eine entsprechende Prüf- und Berücksichtigungspflicht der Beklagten vor dem Erlass der Abschiebungsandrohung als Voraussetzung einer auch während des gerichtlichen Verfahrens bestehenden Pflicht verstanden werden mag.

6 b. Selbst wenn man die von der Beschwerde gestellte Grundsatzfrage erweiternd dahingehend verstünde, dass sie nicht auf eine vor Erlass der Rückkehrentscheidung entstandene Aufenthaltsberechtigung beschränkt sein sollte, wäre eine von einem im Bundesgebiet lebenden Kind abgeleitete Aufenthaltsberechtigung vom Berufungsgericht nicht festgestellt.

7 Sind Tatsachen, die vorliegen müssten, damit eine mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochene Frage sich in einem Revisionsverfahren stellen könnte, von der Vorinstanz nicht festgestellt worden, kann die Revision im Hinblick auf diese Fragen nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. September 1996 - 9 B 387.96 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 12 S. 18 <19 f.>). Dieser Einwand kann einer Beschwerde zwar dann nicht entgegengehalten werden, wenn die in der Vorinstanz ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung nur deswegen unterblieben ist, weil das Tatsachengericht die als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage anders als der Beschwerdeführer beantwortet und deswegen die Beweisaufnahme als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat. Denn in einem solchen Fall könnte der Beschwerdeführer auch nicht erfolgreich einen Verfahrensmangel wegen unterbliebener Sachverhaltsaufklärung geltend machen, weil es auch in diesem Zusammenhang allein auf die materielle Rechtsansicht des Tatsachengerichts ankommt, selbst wenn diese unzutreffend sein sollte. Ist dagegen die Aufklärung des Sachverhalts aus anderen Gründen als der materiellen Rechtsansicht des Tatsachengerichts unterblieben, ohne dass dies erfolgreich mit einer Verfahrensrüge angegriffen wird, verbleibt es wegen der Vorschrift des § 137 Abs. 2 VwGO bei dem dargelegten Grundsatz (BVerwG, Beschlüsse vom 17. März 2000 - 8 B 287.99 - BVerwGE 111, 61 <62> und vom 19. August 2013 - 9 BN 1.13 - Buchholz 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 56 Rn. 7).

8 So liegt der Fall hier. Der Kläger hat ausweislich der Sitzungsniederschrift zu der in der Grundsatzrüge für das Bestehen einer aus seinen Vaterschaftsanerkennungen resultierenden Aufenthaltsberechtigung im Berufungsverfahren keine Beweisanträge gestellt und mit der Beschwerde auch nicht dargelegt, warum sich dem Berufungsgericht insoweit eine weitere Sachverhaltsaufklärung auch ohne Beweisantrag hätte aufdrängen müssen. Damit fehlt es hinsichtlich der vom Berufungsgericht nicht weiter festgestellten Aufenthaltsberechtigung für den Kläger an einer erfolgreichen Verfahrensrüge.

9 Im Übrigen kann eine von einem im Bundesgebiet lebenden Kind abgeleitete - vom Berufungsgericht nicht festgestellte - Aufenthaltsberechtigung zwar ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis begründen. Die Beschwerde legt aber auch nicht dar, dass beim Kläger ein derartiges Vollstreckungshindernis besteht, insbesondere auf welcher Rechtsgrundlage es gründen soll, und ob dessen Voraussetzung im Falle des Klägers vorliegen. Dies wäre wegen der Voraussetzungen für eine von seinen Kindern abgeleitete Aufenthaltsberechtigung etwa hinsichtlich der Intensität der familiären Bindungen, der Ausübung der elterlichen Sorge, des Vorhandenseins ausreichender Existenzmittel, der Dauer einer zu erwartenden Trennung und/oder der Zumutbarkeit eines Familienlebens im Herkunftsland und des Kindeswohls erforderlich gewesen (vgl. etwa zu den Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufentG: BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2020 - 1 C 12.19 -, BVerwGE 168, 159 Rn. 53; eines aus der Freizügigkeitsgarantie für Unionsbürger nach Art. 20 oder 21 AEUV abgeleiteten Aufenthaltsrechts: BVerwG, Urteile vom 12. Juli 2018 - 1 C 16.17 -, BVerwGE 162, 349 Rn. 32 ff. und vom 23. September 2020 - 1 C 27.19 -, NVwZ 2021, 164; zur Berücksichtigung des Kindeswohls im Rahmen des Art. 8 EMRK bei einer Trennung von Eltern und minderjährigen Kindern etwa im Hinblick einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG: EGMR, Urteile vom 6. Juli 2010 - Nr. 41615/07 - Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz und vom 21. Dezember 2001 - Nr. 31465/96 - Sen gegen die Niederlande).

10 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.