Beschluss vom 07.09.2021 -
BVerwG 1 B 50.21ECLI:DE:BVerwG:2021:070921B1B50.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 07.09.2021 - 1 B 50.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:070921B1B50.21.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 50.21

  • VG Trier - 24.05.2018 - AZ: VG 2 K 1192/17.TR
  • OVG Koblenz - 26.05.2021 - AZ: OVG 13 A 11562/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. September 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Mai 2021 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) nicht in einer Weise dar, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.

2 1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - juris Rn. 2 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris). Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer entsprechenden Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf deren Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit sowie auf ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.

3 In diesem Sinne legt die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der von ihr aufgeworfenen Frage
"Liegt ein 'öffentliches [A]usleben' bzw. ein verfolgungsrelevantes Praktizieren des Glaubens erst dann vor, wenn ein Ahmadi seinen Glauben missionierend in die Öffentlichkeit trägt?"
nicht dar. Sie zeigt schon nicht auf, dass sich diese Frage in einem Revisionsverfahren in dieser Allgemeinheit entscheidungserheblich stellen würde. Ausgehend von der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, gegen die die Beschwerde keine durchgreifenden Zulassungsgründe erhoben hat, ist für den Kläger eine verfolgungsträchtige öffentlichkeitswirksame Religionsausübung nicht identitätsprägend. Dabei hat das Berufungsgericht ausdrücklich eine Gesamtwürdigung der religiösen Persönlichkeit des Betroffenen für erforderlich gehalten und nicht allein auf missionierende Aktivitäten abgestellt. Zwar sei der Kläger seinem Glauben eng verbunden und verpflichtet, er habe dem Senat aber nicht die Überzeugung vermittelt, dass die öffentliche Praktizierung seines Glaubens ein zentrales Element seiner religiösen Identität darstelle und für ihn unverzichtbar sei (UA S. 32). Auch in der Zusammenschau der von ihm geschilderten Aktivitäten in Deutschland sei nicht zu erkennen, dass es ihm ein unabwendbares inneres Bedürfnis sei, seinen Glauben öffentlichkeitswirksam zu betätigen (UA S. 34).

4 Soweit die Beschwerde des Weiteren für grundsätzlich bedeutsam hält,
"Ist die Religionsausübung in der Öffentlichkeit nicht identitätsbestimmend, wenn diese im Rahmen der Organisation der Gemeinde erfolgt und von dieser erwartet wird?",
rechtfertigt auch dies keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass ein Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung nur dann die für eine Verfolgungshandlung erforderliche subjektive Schwere aufweist, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist. Maßgeblich ist mithin, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67). Ob dies der Fall ist oder nicht, ist eine Frage der tatrichterlichen Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Einen darüber hinausgehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Er ergibt sich insbesondere nicht aus der jeweils einzelfallbezogenen tatrichterlichen Würdigung anderer Verwaltungsgerichte in anderen Verfahren.

5 2. Auch eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nicht dargetan.

6 Eine Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen in der Vorschrift genannten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung des Beschwerdeführers divergierenden Rechtssätze müssen einander präzise gegenübergestellt werden (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 21. November 2017 - 1 B 148.17 - juris Rn. 16 m.w.N.). Allein das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht. Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Beschwerde nicht.

7 Die Beschwerde verweist insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - (BVerwGE 146, 67 Rn. 26 ff.). Danach setze ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübe, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetze. Vielmehr könne bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Einen hiervon abweichenden Rechtssatz des Berufungsgerichts legt die Beschwerde aber nicht dar; stattdessen weist sie lediglich darauf hin, dass das Berufungsgericht den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsatz verkenne, wenn es fälschlicherweise für Veranstaltungen, insbesondere die Jalsa, auf inländische Ausweichmöglichkeiten in Pakistan verweise, obwohl dies zu Sanktionen führen würde, und bezüglich des ebenfalls zu Verfolgung und Sanktionen führenden Verteilens von Flyern überhaupt keine Alternative anspreche. Mit dieser - zudem nicht näher belegten - Behauptung geht die Beschwerde nicht darauf ein, dass das Berufungsgericht beim Kläger nicht von einem erzwungenen Verzicht, sondern in Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssätze (UA S. 7 f.) davon ausgegangen ist, dass einem Ahmadi, dem es ein unabweisbares und identitätsprägendes inneres Bedürfnis sei, seinen Glauben nach außen zu tragen, in Pakistan Verfolgung drohe (UA S. 31), für den Kläger eine verfolgungsträchtige öffentlichkeitswirksame Religionsausübung aber nicht identitätsprägend sei. In diesem Zusammenhang hat es im Übrigen ausdrücklich festgestellt, dass das Verbot öffentlicher Versammlungen auch für die nach dem Glaubensverständnis der Ahmadis essentielle jährliche Versammlung (Jalsa Salana) gelte, die in Pakistan letztmals 1983 stattgefunden habe (UA S. 22), und dass für öffentlich bekennende Ahmadis keine inländische Fluchtalternative bestehe (UA S. 29).

8 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.