Beschluss vom 08.03.2023 -
BVerwG 1 B 56.22ECLI:DE:BVerwG:2023:080323B1B56.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.03.2023 - 1 B 56.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:080323B1B56.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 56.22

  • VG Hannover - 06.08.2018 - AZ: 4 A 107/18
  • OVG Lüneburg - 14.03.2022 - AZ: 4 LB 20/19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. März 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl
beschlossen:

  1. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. März 2022 wird zurückgewiesen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I

1 Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung - wie sich aus den nachstehenden Gründen ergibt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).

II

2 Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

3 1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

4 1.1 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 3 m. w. N.). Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrunds erstrecken.

5 1.2 Nach diesen Grundsätzen ist die Revision nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Frage zuzulassen,
"ob es zutrifft, dass ruandische Staatsangehörige, die im Ausland Asyl beantragt haben und nach erfolglos durchgeführtem Asylverfahren in ihre Heimat zurückkehren, wegen der ihnen unterstellten Kritik an der ruandischen Regierung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen i. S. des § 3a AsylG bedroht sind[,] oder ob es zutrifft, dass allein der formale Aspekt der Asylantragstellung nicht zu einer derartigen Bedrohung führt",
weil die Frage allein die tatsächliche Situation in Ruanda betrifft und es daher an der Darlegung einer revisionsrechtlich klärungsfähigen Rechtsfrage fehlt. Hiervon geht auch die Beschwerde aus, die ausdrücklich darauf hinweist, dass es insoweit einer tatsächlichen Überprüfung mangels zweifelsfreier Klärung in der zweiten Tatsacheninstanz bedürfe.

6 Für die Zulassung der Revision reicht, anders als für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, eine Tatsachenfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aus (stRspr, s. nur BVerwG, Beschluss vom 14. September 2020 - 1 B 38.20 - juris Rn. 3). Die Klärungsbedürftigkeit muss in Bezug auf den anzuwendenden rechtlichen Maßstab, nicht die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung bestehen; auch der Umstand, dass das Ergebnis der zur Feststellung und Würdigung des Tatsachenstoffes berufenen Instanzgerichte möglicherweise voneinander abweicht oder für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist, lässt für sich allein eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu.

7 Der zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene § 78 Abs. 8 AsylG (BGBl. I S. 2817 <2822>) ändert hieran nichts. Denn hiernach steht den Beteiligten gegen das Urteil eines Oberverwaltungsgerichts die Revision abweichend von § 132 Abs. 1 und § 137 Abs. 1 VwGO nur zu, wenn das Oberverwaltungsgericht in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und es die Revision deswegen zugelassen hat.

8 1.3 Die Revision ist auch nicht wegen der als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Frage zuzulassen,
"ob es mit den nationalen und internationalen gegenüber Geflüchteten bestehenden Schutzrechten vereinbar ist, eine aus Ruanda geflüchtete Person nach langjährigem Asylverfahren in dieses Land abzuschieben, obwohl sie nach unstreitiger Auskunftslage bei der Rückkehr einer Befragung durch ruandische Sicherheitskräfte ausgesetzt sein wird und dem ruandischen Sicherheitsapparat nach zahlreichen vorliegenden Erkenntnismitteln und Expertenberichten schwere Menschenrechtsverletzungen gerade in Verhörsituationen vorgeworfen werden".

9 Damit wendet sich die Beschwerde der Sache nach allein gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Klägerin drohe bei einer Rückkehr nach Ruanda nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgung (UA S. 18 f., 23 ff.), Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (UA S. 32, 34). Ein zurückkehrender ruandischer Staatsbürger könne nach längerem Aufenthalt im Ausland zwar in den Fokus ruandischer Behörden geraten, überprüft und hinsichtlich der Gründe seines Auslandsaufenthalts befragt werden; auch könne der Umstand einer erfolgten Asylantragstellung den ruandischen Behörden zur Kenntnis gelangen (UA S. 18). Indessen drohten nach Ruanda zurückkehrenden Personen ohne weitere "qualitative" Umstände, aufgrund derer diesen eine regimekritische Haltung durch staatliche Stellen Ruandas unterstellt werden könnte, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung oder schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen (UA S. 24 f.). Die Beschwerde hält in diesem Zusammenhang für überprüfungsbedürftig, ob die Befragung durch die ruandischen Sicherheitskräfte nach Rückkehr der Klägerin "nicht doch" ein erhöhtes Risiko für sie mit sich bringe, gravierenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu werden. Damit und mit ihrem Verweis auf verschiedene Erkenntnisquellen zur Lage in Ruanda greift die Beschwerde lediglich die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts im Einzelfall an, zeigt aber keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.

10 2. Die Revision ist nicht wegen des geltend gemachten Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG zuzulassen.

11 2.1 Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe Informationen über das Schicksal eines im Oktober 2009 nach Ruanda abgeschobenen, dort schwer misshandelten ruandischen Asylsuchenden nur unzureichend berücksichtigt.

12 a) Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG), verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundlage soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 10). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>).

13 b) Solche besonderen Umstände legt die Beschwerde nicht dar. Vielmehr ist das Berufungsgericht auf den von der Klägerin in Bezug genommenen Fall eingegangen (UA S. 26 f.), hat ihn aber in tatsächlicher und rechtlicher Weise anders gewürdigt als es die Klägerin für richtig hält. Hieraus folgt keine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.

14 2.2 Erfolglos muss auch die Rüge bleiben, das Berufungsgericht habe Art. 103 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass es den im Schriftsatz vom 6. Oktober 2021 angekündigten und in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung einer weiteren sachverständigen Auskunft unter Hinweis auf eigene Sachkunde abgelehnt hat.

15 a) Das Tatsachengericht hat über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme insgesamt im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Es darf einen auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder einer amtlichen Auskunft gerichteten Beweisantrag insbesondere in asylgerichtlichen Verfahren, in denen regelmäßig eine Vielzahl amtlicher Auskünfte und sachverständiger Stellungnahmen über die politischen Verhältnisse im Heimatstaat zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden, im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen und die Gefährdungsprognose im Einzelfall auf der Grundlage einer tatrichterlichen Beweiswürdigung eigenständig vornehmen (BVerwG, Beschluss vom 8. März 2006 - 1 B 84.05 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 11 Rn. 7 m. w. N.). Eine solche Würdigung findet ihre Grundlage im Prozessrecht und verletzt weder das rechtliche Gehör noch die richterliche Aufklärungspflicht, wenn die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse zur Beurteilung der geltend gemachten Verfolgungsgefahren ausreichen und dies spätestens im Rahmen der in der Berufungsentscheidung vorzunehmenden Beweiswürdigung dargestellt und belegt wird. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den jeweils in tatsächlicher Hinsicht in dem Verfahren im Streit stehenden Einzelfragen, ab, wie konkret das Gericht seine eigene Sachkunde nachweisen muss und inwieweit sich diese aus dem Gesamtinhalt der Entscheidungsgründe und der verarbeiteten Erkenntnisquellen ableiten lässt. Der Nachweis muss jedenfalls plausibel und nachvollziehbar sein. Schöpft das Gericht seine besondere Sachkunde aus vorhandenen Gutachten, so muss der Verweis hierauf dem Einwand der Beteiligten standhalten, dass in diesen Erkenntnisquellen keine, ungenügenden oder widersprüchlichen Aussagen zur Bewertung der aufgeworfenen Tatsachenfragen enthalten sind. Ist dies der Fall, steht die Einholung eines (weiteren) Gutachtens oder einer (weiteren) Auskunft auch dann im Ermessen des Gerichts (s. a. § 98 VwGO i. V. m. § 412 Abs. 1 ZPO), wenn die Erkenntnisquellen, aus denen das Gericht seine eigene Sachkunde schöpft, nicht in dem jeweiligen Verfahren eingeholt worden sind (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. September 2019 - 1 B 43.19 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 120 Rn. 44 ff.).

16 b) Gemessen hieran zeigt die Beschwerde nicht auf, dass die Ablehnung ihres Beweisantrags durch das Oberverwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft gewesen sei, weil die einbezogenen Erkenntnisquellen nicht geeignet seien, dem Oberverwaltungsgericht eine eigene Sachkunde zu vermitteln. Soweit die Beschwerde insoweit die Eignung des Gutachtens von Frau Dr. B. vom 9. Februar 2022 und ihrer ergänzenden sachverständigen Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung am 14. März 2022 in Zweifel zieht, genügen die Ausführungen der Klägerin nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerde beschränkt sich in erster Linie darauf, die Äußerungen der Sachverständigen als ausweichend und unverständlich zu kritisieren. Zudem stützt sie sich zur Untermauerung der geltend gemachten vermeintlichen Ungereimtheiten und Widersprüche wesentlich auf abweichende Erkenntnisse anderer Auskunftsstellen und setzt sich nicht mit den weiteren vom Berufungsgericht herangezogenen Erkenntnismitteln, insbesondere dem Bericht von EASO (heute EUAA) vom 10. Dezember 2018 sowie vom CGRA vom 26. März 2021, auseinander. Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich daher nicht, dass das Oberverwaltungsgericht verpflichtet gewesen wäre, den beantragten Sachverständigenbeweis zu erheben.

17 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

18 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.