Beschluss vom 10.11.2022 -
BVerwG 8 B 12.22ECLI:DE:BVerwG:2022:101122B8B12.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.11.2022 - 8 B 12.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:101122B8B12.22.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 12.22

  • VG Koblenz - 24.11.2020 - AZ: 5 K 359/20.KO
  • OVG Koblenz - 23.11.2021 - AZ: 6 A 10689/21.OVG

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. November 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:

  1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. November 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Kläger bewohnen ein Hausgrundstück im Außenbereich. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite betreibt die Beigeladene eine Gaststätte. Aufgrund einer Gaststättenerlaubnis vom 9. April 2014 darf in deren Räumen eine "Schankwirtschaft mit Musikdarbietungen" betrieben werden. Am 14. Februar 2019 beantragten die Kläger bei der Beklagten den Erlass geeigneter Anordnungen gegenüber der Beigeladenen zur Unterbindung unzumutbarer Lärmimmissionen und Belästigungen auf dem von ihnen bewohnten Grundstück. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Den Widerspruch der Kläger wies sie zurück. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, geeignete gaststättenrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Kläger vor von dem Gaststättenbetrieb der Beigeladenen ausgehenden Immissionen zu ergreifen. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Der Betrieb der Gaststätte sei zwar nicht von der gaststättenrechtlichen Erlaubnis gedeckt. Hieraus folge aber noch kein Anspruch der Kläger auf gaststättenbehördliches Tätigwerden. Vielmehr bedürfe es eines Verstoßes gegen nachbarschützende Normen, der hier nicht vorliege. Die dokumentierten tatsächlichen Verhältnisse rechtfertigten kein Einschreiten nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 oder § 18 Abs. 1 Satz 2 GastG i. V. m. §§ 17 ff. GastVO RP. Dementsprechend könnten die Kläger auch kein Einschreiten auf Grundlage des Immissionsschutzrechts verlangen. Die Revision hat das Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen.

2 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

3 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2019 - 8 B 37.18 - ZfWG 2019, 262 Rn. 4). Diesen Voraussetzungen genügt die Beschwerde nicht.

4 a) Die Frage,
ob die formelle Illegalität eines Gaststättenbetriebs (ausnahmsweise) bei groben Missständen zwischen Genehmigung und tatsächlichem Betriebstyp Drittschutz entfaltet,
würde sich im angestrebten Revisionsverfahren so nicht stellen. Sie war für das Oberverwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich. Die Frage zielt ausweislich der in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde in Bezug genommenen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. August 2008 - OVG 1 S 68.08 - und des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juli 1988 - 1 B 89.88 - auf § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO. Ein Anspruch der Kläger auf Schließung der von der Beigeladenen betriebenen Gaststätte war jedoch nicht Gegenstand des Berufungsurteils. Einen "groben Missstand" zwischen Gaststättenerlaubnis und tatsächlichem Betrieb hat es zudem nicht angenommen.

5 Die aufgeworfene Frage ist überdies nicht klärungsbedürftig. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass eine Ermessensvorschrift nur dann Drittschutz entfalten kann, wenn die zuständige Behörde bei der Ausübung ihres Eingriffsermessens nicht nur das öffentliche Interesse und das Interesse des Adressaten ihres Bescheides, sondern auch die Interessen der jeweiligen Nachbarn des Adressaten zu beachten hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. November 1992 - 4 B 216.92 - Buchholz 406.11 § 179 BauGB Nr. 1 S. 1 f.; Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 8.84 - NVwZ 1987, 409). Danach kommt es allein auf die Schutzrichtung der Norm und nicht auf die Intensität ihrer möglichen Verletzung an. Erneuten Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde insoweit nicht auf.

6 b) Die sinngemäß aufgeworfene weitere Frage,
ob aus § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG folgt, dass bei grobem Missverhältnis zwischen der gaststättenrechtlich genehmigten Betriebsart und dem tatsächlichen Gaststättenbetrieb auch eine formell illegale Genehmigung vom Nachbarn angegriffen werden kann,
kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen. Auch diese Frage ist in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie für das Oberverwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich war. Ein Anspruch auf Aufhebung der der Beigeladenen erteilten Gaststättenerlaubnis war nicht Gegenstand des Verfahrens.

7 2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 20. April 2017 - 8 B 56.16 - juris Rn. 5).

8 Diese Anforderungen sind nicht erfüllt. Die von den Klägern zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juli 1988 - 1 B 89.88 - (NVwZ-RR 1989, 14) stellt den behaupteten Rechtssatz, der jeweilige Betriebstyp könne nicht grenzenlos missachtet werden, ohne dass hieraus die Möglichkeit eines drittschützenden Charakters erwachse, nicht auf. In der genannten Entscheidung wird ausgehend von dem in der Rechtsprechung herausgebildeten Maßstab für die Bestimmung der Betriebsart einer Gaststätte im Sinne des § 3 Abs. 1 GastG lediglich ausgeführt, dass eine grundsätzliche Antwort auf die Frage nach der Betriebsart einer Gaststätte, in der auch getanzt wird, nicht möglich sei, weil es hierfür auf die Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalles ankomme (BVerwG, a. a. O., S. 14 f.). Zudem billigt die Entscheidung die Rechtsansicht der Vorinstanz, wonach jedenfalls nicht mehr als zwölf öffentliche Tanzveranstaltungen jährlich durch eine Gaststättenerlaubnis für eine Gaststätte ohne besondere Betriebseigentümlichkeit gedeckt seien. Ihr kann jedoch weder entnommen werden, dass eine Tanzveranstaltung in einer Gaststätte ohne besondere Betriebseigentümlichkeit eine Missachtung des Genehmigungsumfanges darstellte noch, dass mit steigendem Umfang einer solchen Missachtung Abwehransprüche für betroffene Nachbarn entstünden.

9 3. Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe den rechtlichen Gehalt von § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG verkannt, führt auf keinen der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO. Sie zeigt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bei der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG auf, sondern beschränkt sich darauf, eine vermeintlich fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Oberverwaltungsgericht zu beanstanden.

10 Die Rüge führt auch nicht auf einen Verfahrensfehler. Sollte den Ausführungen zu § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG der Vorwurf aktenwidriger Tatsachenfeststellungen zu entnehmen sein, wird dieser nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotenen Weise substantiiert.

11 Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe einen Anspruch auf Sperrzeitverlängerung zu Unrecht verneint, kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil das Oberverwaltungsgericht diesen Anspruch am Maßstab des § 19 GastVO RP geprüft hat, der nicht zum revisiblen Recht gehört.

12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG.