Beschluss vom 11.01.2023 -
BVerwG 20 F 25.22ECLI:DE:BVerwG:2023:110123B20F25.22.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 11.01.2023 - 20 F 25.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:110123B20F25.22.0]
Beschluss
BVerwG 20 F 25.22
- VGH Mannheim - 07.10.2022 - AZ: VGH 17 S 1919/22
In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 11. Januar 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt und Dr. Henke
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Fachsenats des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 7. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I
1 In dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren begehrt der Kläger (weitere) Auskunft über die beim Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg zu seiner Person gespeicherten Daten.
2 Im Hauptsacheverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aufgefordert, die vollständigen Unterlagen zu übersenden. Daraufhin wurde ein teilweise geschwärzter Teil der Akten vorgelegt, die Vorlage der vollständigen, ungeschwärzten Akten aber unter Vorlage einer Sperrerklärung des Beigeladenen vom 3. November 2020 verweigert.
3 Auf Antrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht das Verfahren zur Durchführung eines "In-Camera"-Verfahrens an den Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs abgegeben. Dieser hat den Antrag mit Beschluss vom 5. Februar 2021 mangels Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit der geschwärzten und nicht vorgelegten Aktenbestandteile abgelehnt.
4 Das Verwaltungsgericht hat daraufhin am 8. Juni 2021 einen Beweisbeschluss zur Notwendigkeit einer Einsicht in bestimmte geschwärzte und bestimmte nicht vorgelegte Aktenbestandteile erlassen, woraufhin der Beigeladene unter dem 19. Oktober 2021 erneut eine Sperrerklärung in Bezug auf die vom Beweisbeschluss erfassten Aktenbestandteile abgegeben hat.
5 Auf den Antrag des Klägers hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs mit Beschluss vom 3. Dezember 2021 festgestellt, dass diese Sperrerklärung rechtswidrig ist, soweit sie sich auf vier bestimmte Zeilen auf Seite 85 der Verfahrensakte bezieht und nicht Nummerierungen, Aktenzeichen oder Angaben zum Verschlusssachengrad betrifft. Im Übrigen hat er den Antrag des Klägers abgelehnt; die hiergegen erhobene Beschwerde des Klägers hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 13. April 2022 (BVerwG 20 F 9.21 ) zurückgewiesen).
6 Der Beigeladene hat unter dem 11. Juli 2022 eine neue Sperrerklärung abgegeben. Die betreffenden Angaben auf Seite 85 der Verfahrensakte, die sich als lückenhaft erwiesen hätten, seien durch eine Ergänzung des Beklagten korrigiert worden. Diese Ergänzung der Verfahrensakte unterliege wie die ursprünglichen Angaben der Geheimhaltung. Die Begründung der Geheimhaltung, insbesondere hinsichtlich des Quellenschutzes, entspreche nun den übrigen, vom Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs nicht beanstandeten Begründungen. Die Schwärzungen seien zum Quellenschutz erforderlich. Eine Offenlegung ließe Rückschlüsse auf die Art der Erkenntnisgewinne und auf Quellen zu. Deren Umfeld und Arbeitsweise würden bekannt, was Rückschlüsse auf ihre Identität ermögliche. Eine Offenlegung brächte eine weitreichende Quellengefährdung mit sich. Bei der Abwägung sei berücksichtigt worden, dass der Kläger ein besonderes Interesse an den Erkenntnissen habe, da sie zur Verfolgung des effektiven Rechtsschutzes notwendig seien. Auch das Gericht habe ein erhöhtes Interesse an den Erkenntnissen, da sie zur Aufklärung des Sachverhaltes beitrügen. Bei der konkreten Abwägung sei von entscheidender Bedeutung, dass die Erkenntnisse auf Quellen zurückgingen, deren Identität zu schützen sei. Im Fall einer Offenlegung könnte der Kläger - möglicherweise im Zusammenspiel mit anderen ihm vorliegenden Informationen - vom konkreten Rahmen der Informationserhebung und Inhalt der Erkenntnisse auf die Identität von Quellen schließen. Eine Enttarnung würde nicht nur die Quellen (körperliche Unversehrtheit), sondern auch nachrichtendienstliche Zugänge gefährden und die den Quellen gegebenen Vertraulichkeitszusagen verletzen. Insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit habe Vorrang vor dem Interesse des Klägers an effektivem Rechtsschutz und dem Interesse des Gerichts an einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung.
7 Mit Beschluss vom 7. Oktober 2022 hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs den Antrag des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung abgelehnt. Die Weigerung, dem Verwaltungsgericht die im Tenor des Beschlusses vom 3. Dezember 2021 genannten Aktenbestandteile uneingeschränkt vorzulegen, sei rechtmäßig. Unter Berücksichtigung der Ergänzung, mit welcher die Geheimhaltungsgründe für die betreffenden Angaben auf Seite 85 der Verfahrensakte näher erläutert worden seien, sei nunmehr ersichtlich, dass diese Aktenbestandteile aus Gründen des in Anspruch genommenen Weigerungsgrundes des Quellenschutzes zurückgehalten worden seien. Die Abwägung des Beigeladenen dazu sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
8 Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Die Ablehnung des Antrags des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung vom 11. Juli 2022 durch den Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs ist rechtlich nicht zu beanstanden.
9 1. Der Antrag ist zwar zulässig. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht - wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 13. April 2022 (BVerwG 20 F 9.21 ) festgestellt hat - die Entscheidungserheblichkeit der mit dem Beweisbeschluss u. a. angeforderten Seite 85 der Verfahrensakte, soweit ihr Inhalt Gegenstand des vorliegenden Zwischenverfahrens ist, ordnungsgemäß bejaht.
10 2. Der Antrag ist aber unbegründet. Der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs hat das Vorliegen der mit der Sperrerklärung der Sache nach geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO unter Anlegung rechtlich zutreffender Maßstäbe gewürdigt.
11 a) Danach ist ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren würde. Eine solche Erschwernis kann sich daraus ergeben, dass bei einer umfangreichen Zusammenschau offengelegter Unterlagen Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen möglich werden (BVerwG, Beschluss vom 23. November 2021 - 20 F 4.21 - juris Rn. 7).
12 Personenbezogene Daten im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig. Bei ihnen besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundrechtlich geschützt ist. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen. Vielmehr können auch Äußerungen und Angaben zur Sache geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen des Klägers ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht (BVerwG, Beschluss vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 81 Rn. 12). Der Schutz persönlicher Daten gilt grundsätzlich auch für Behördenmitarbeiter. Personenbezogene Angaben werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst. Daran ändert nichts, dass Behördenmitarbeiter in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Denn auch insoweit bleiben sie Träger von Grundrechten (BVerwG, Beschluss vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 81 Rn. 14). Der Schutz personenbezogener Daten begründet grundsätzlich auch im Fall von Personen, die einer Behörde Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben geben, einen Weigerungsgrund (BVerwG, Beschluss vom 23. November 2021 - 20 F 4.21 - juris Rn. 8).
13 b) Hiernach ist die Sperrerklärung rechtlich nicht zu beanstanden.
14 Ein Abgleich der geschwärzten mit der ungeschwärzten Fassung von Seite 85 der Verfahrensakte hat unter Berücksichtigung der Erläuterungen in dem ergänzenden Aktenvermerk des Beklagten bestätigt, dass die geltend gemachten Weigerungsgründe für die verfahrensgegenständlichen Schwärzungen auf Seite 85 der Verfahrensakte sowie des sie ergänzenden Aktenvermerks bestehen. Weitere Teilschwärzungen kommen insoweit nicht in Betracht, weil sie nur zu inhaltsleeren und nichtssagenden Restbeständen führen würden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2019 - 20 F 1.19 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 78 Rn. 12 m. w. N.). Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil die Entscheidungsgründe Art und Inhalt der geheim gehaltenen Akten und elektronischen Dokumente nicht erkennen lassen dürfen (§ 99 Abs. 2 Satz 14 i. V. m. Satz 10 Halbs. 2 VwGO).
15 Auch die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Ermessensausübung ist nicht zu beanstanden. In der Sperrerklärung wurde eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und die widerstreitenden Interessen der Beteiligten abwägende Ermessensentscheidung getroffen, die den rechtlichen Anforderungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 - 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 12 m. w. N.) genügt. Daher steht eine Durchbrechung der Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung über die Sperrerklärung nicht in Rede (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juni 2021 - 20 F 2.21 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 99 Rn. 10).
16 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.