Urteil vom 11.09.2025 -
BVerwG 7 C 10.24ECLI:DE:BVerwG:2025:110925U7C10.24.0
Windenergieanlagen in der Umgebung eines Vogelschutzgebiets
Leitsätze:
1. Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung stellt eine endgültige Entscheidung im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 WindBG dar. Auf die Bestandskraft dieser Genehmigung kommt es nicht an.
2. Die Prüfung, ob der Erteilung einer Genehmigung ein artenschutzrechtliches Verbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG entgegensteht, ist auf die naturräumlichen Gegebenheiten einschließlich der faunistischen Ausstattung im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung beschränkt.
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Rechtsquellen
UmwRG § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WindBG § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 VwGO § 71 BImSchG § 10 Abs. 3 Satz 7 BNatSchG § 34 Abs. 1, § 44 Abs. 1 Nr. 1 9. BImSchV § 4e Abs. 1 Satz 2, § 10 Abs. 3 Satz 7 -
Instanzenzug
OVG Lüneburg - 10.09.2024 - AZ: 12 KS 34/22
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 11.09.2025 - 7 C 10.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:110925U7C10.24.0]
Urteil
BVerwG 7 C 10.24
- OVG Lüneburg - 10.09.2024 - AZ: 12 KS 34/22
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2025 durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Tegethoff und Dr. Löffelbein, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Meister für Recht erkannt:
- Die Revision der Beigeladenen wird nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts zurückgewiesen.
- Die Beigeladene trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe
I
1 Der Kläger, eine anerkannte Umweltvereinigung, wendet sich gegen die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von fünf Windenergieanlagen (WEA).
2 Im Juli 2018 beantragte die Beigeladene beim Beklagten die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von insgesamt sechs WEA in der Samtgemeinde Gieboldehausen im Landkreis Göttingen. Gleichzeitig beantragte sie die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 7 Abs. 3 UVPG. Die Vorhabenstandorte befinden sich (nord-)östlich des Vogelschutzgebiets V 19 "Unteres Eichsfeld" und westlich des FFH-Gebiets 134 "Sieber, Oder, Rhume". Ziel des Vogelschutzgebiets V 19 ist es unter anderem, Habitate des Rotmilans zu erhalten oder wiederherzustellen. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12. Mai 2020 ab. Die Beigeladene erhob hiergegen Widerspruch. Während des Widerspruchsverfahrens wurde in Abstimmung mit der Unteren Naturschutzbehörde ein "Gesamtmaßnahmenkonzept für den Rotmilan" erstellt, das detaillierte Regelungen über Abschaltzeiten enthält. In der Folge genehmigte der Beklagte die Errichtung und den Betrieb von fünf WEA mit Teilabhilfebescheid vom 3. Januar 2022. Hinsichtlich einer weiteren WEA wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
3 Der Kläger hat am 2. März 2022 Klage erhoben und am 1. Juni 2022 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, dem das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. Juli 2022 stattgegeben hat. In der Folge hat der Beklagte Nebenbestimmungen angepasst und Änderungsbescheide vom 29. Juni 2023 und 5. März 2024 erlassen. Im Dezember 2023 hat die Beigeladene Genehmigungserleichterungen im Sinne des Windenergieflächenbedarfsgesetzes beantragt.
4 Das Oberverwaltungsgericht hat der aufrechterhaltenen Klage mit Urteil vom 10. September 2024 hinsichtlich des auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit gerichteten Hilfsantrags stattgegeben. Die Genehmigung sei formell und materiell rechtswidrig. Verfahrensfehlerhaft sei im Abhilfeverfahren keine Anhörung der erstmals durch die Genehmigung Beschwerten nach § 71 VwGO und keine Verbändeanhörung durchgeführt worden. Ein Verfahrensfehler sei auch, dass der auszulegende UVP-Bericht keine Angaben zu den Auswirkungen des Vorhabens auf die Erhaltungsziele des Vogelschutzgebiets V 19 enthalten habe. Die Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung sei nicht nachträglich aufgrund des Windenergieflächenbedarfsgesetzes entfallen, weil mit dem Genehmigungsbescheid bereits eine endgültige Entscheidung vorliege. Es fehle eine FFH-Verträglichkeitsprüfung wegen möglicher Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebiets V 19. Hinsichtlich des Rotmilans liege auch ein Verstoß gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot vor. Im maßgeblichen Zeitpunkt sei mit zukünftigen Ansiedlungen von Rotmilanen im Nahbereich letztlich aller fünf WEA zu rechnen gewesen. Die Nebenbestimmung 5.1.3 zur ökologischen Baubegleitung sei zu unbestimmt.
5 Zur Begründung ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision führt die Beigeladene aus: Die Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung sei nachträglich entfallen, weil der Antrag auf Genehmigungserleichterungen bis zur Bestandskraft der Genehmigung gestellt werden könne. Die gerügten Verfahrensfehler lägen nicht vor. Das Vogelschutzgebiet V 19 werde nicht erheblich beeinträchtigt. Rotmilane könnten durch die WEA nur zu Schaden kommen, wenn sie das Vogelschutzgebiet verließen. Einer artenschutzrechtlichen Prüfung habe es wegen der Genehmigungserleichterungen nach dem Windenergieflächenbedarfsgesetz nicht bedurft. Zukünftige artenschutzrechtliche Konflikte seien bei der Genehmigungserteilung nicht zu berücksichtigen. Die Nebenbestimmung 5.1.3 des angefochtenen Bescheides sei hinreichend bestimmt.
6
Die Beigeladene beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. September 2024 die Klage abzuweisen.
7 Der Beklagte stellt keinen Antrag. Er tritt dem Vortrag der Beigeladenen bei.
8
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9 Er verteidigt das angegriffene Urteil.
II
10 Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat in Einklang mit Bundesrecht festgestellt, dass die angefochtene Genehmigung rechtswidrig und nicht vollziehbar ist.
11 1. Die Klage ist zulässig. Die angefochtene Genehmigung ist eine Entscheidung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG über die Zulässigkeit eines Vorhabens, für das eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bestehen kann, gegen die der Kläger als anerkannte Umweltvereinigung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwRG Rechtsbehelfe einlegen kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen.
12 Die Pflicht zur Durchführung einer UVP ergibt sich vorliegend bereits aus § 7 Abs. 3 UVPG und ist nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes zur Festlegung von Flächenbedarfen und zur Genehmigungserleichterung für Windenergieanlagen an Land und für Anlagen zur Speicherung vom Strom oder Wärme aus erneuerbaren Energien in bestimmten Gebieten (Windenergieflächenbedarfsgesetz - WindBG) vom 20. Juli 2022 (BGBl. I S. 1353), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 12. August 2025 (BGBl. I Nr. 189), nachträglich entfallen.
13 Ein nachträglicher Entfall einer UVP-Pflicht (§ 6 Abs. 1 Satz 1 WindBG) kommt nicht mehr in Betracht, wenn im Zeitpunkt der Antragstellung eine endgültige Entscheidung im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 WindBG bereits ergangen ist. Dies hat das Oberverwaltungsgericht vorliegend zu Recht bejaht. Der Antrag der Beigeladenen auf Genehmigungserleichterungen nach dem Windenergieflächenbedarfsgesetz vom Dezember 2023 ist erst nach der Erteilung der mit Teilabhilfebescheid vom 3. Januar 2022 ergangenen, hier angefochtenen Genehmigung erfolgt. Diese immissionsschutzrechtliche Genehmigung stellt eine endgültige Entscheidung im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 WindBG dar. Auf die Bestandskraft einer Genehmigung - gegebenenfalls erst nach Abschluss eines (mehrinstanzlichen) gerichtlichen Verfahrens - kommt es entgegen der Auffassung der Beigeladenen und einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung (VG Schwerin, Urteil vom 27. November 2023 - 2 A 1310/20 SN - juris Rn. 29 ff.) demgegenüber nicht an.
14 Die Genehmigungserleichterungen nach dem Windenergieflächenbedarfsgesetz gehen auf die Verordnung (EU) 2022/2577 des Rates vom 22. Dezember 2022 zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien (ABl. L 335 S. 36) zurück. Nach Art. 1 Abs. 3 VO (EU) 2022/2577 können die Mitgliedstaaten die Verordnung auch auf laufende Verfahren zur Genehmigungserteilung anwenden, bei denen vor dem 30. Dezember 2022 noch keine endgültige Entscheidung ergangen ist. Diese Formulierung greift § 6 Abs. 2 Satz 3 WindBG auf. Zugleich bestimmt Art. 2 Abs. 1 Buchst. b VO (EU) 2022/2577, dass das "Verfahren zur Genehmigungserteilung" alle behördlichen Stufen umfasst und mit der Mitteilung der endgültigen Entscheidung über das Ergebnis des Verfahrens durch die zuständige Behörde endet. In diesem Sinne wird im 7. Erwägungsgrund der Verordnung erläutert, dass sich die Möglichkeit der Anwendung der Bestimmungen auf laufende Verfahren auf Konstellationen bezieht, in denen die zuständige Behörde noch keine endgültige Entscheidung getroffen hat. Damit wird deutlich, dass das Unionsrecht, an dem die einschlägige Regelung des Windenergieflächenbedarfsgesetzes unmittelbar anknüpft, allein den Abschluss der Entscheidungsfindung seitens der zuständigen Behörde und nicht auch ein sich gegebenenfalls anschließendes gerichtliches Rechtsschutzverfahren mit seinen nationalen Besonderheiten und einer gegebenenfalls stark variierenden Verfahrensdauer in den Blick nimmt. Dies gilt umso mehr, als die Verordnung (EU) 2022/2577 ein zeitlich begrenztes Instrument vorübergehender Notfallvorschriften (Art. 1 Abs. 1 VO (EU) 2022/2577) darstellt, um die in ihren Anwendungsbereich fallenden Genehmigungsverfahren zu straffen (vgl. 4. Erwägungsgrund der Verordnung).
15 2. Die Klage ist begründet. Die angefochtene Genehmigung verstößt gegen Rechtsvorschriften, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG).
16 a) Die angefochtene Genehmigung ist - anders als vom Oberverwaltungsgericht angenommen - frei von beachtlichen Verfahrens- oder Formfehlern.
17 aa) Soweit das Oberverwaltungsgericht eine fehlende Anhörung nach § 71 VwGO von einer erstmaligen Beschwer Betroffener - namentlich der Nachbarschaft - im Widerspruchsverfahren vor Erlass des Teilabhilfebescheides vom 3. Januar 2022 bemängelt, fehlt es an jedem vom Tatsachengericht festgestellten konkreten Anhaltspunkt, dass dies die Entscheidung in der Sache beeinflusst haben könnte (§ 4 Abs. 1a UmwRG i. V. m. § 46 VwVfG). Insbesondere genügt der Hinweis im angefochtenen Urteil auf die von Anwohnern im Genehmigungsverfahren erhobenen Einwendungen wegen der Schallauswirkungen des Vorhabens nicht. Es fehlt an jeden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, dass die maßgeblichen Richtwerte nicht eingehalten werden. Dafür ist auch sonst nichts ersichtlich. Im Gegenteil lassen die im Widerspruchsverfahren verfügten erheblichen Betriebsbeschränkungen eine Reduktion der Schallauswirkungen erwarten.
18 bb) Soweit eine weitere Beteiligung von Umweltverbänden, die keine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen, im Widerspruchsverfahren in Rede steht, ist § 71 VwGO, der eine Beschwer Betroffener voraussetzt, nicht anwendbar. Dies hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend erkannt. Entgegen seiner Auffassung erfolgt eine solche Pflicht aber nicht aus den Gründen, die das Bundesverwaltungsgericht im Planfeststellungsrecht für die unter bestimmten Umständen notwendige erneute Beteiligung von Umweltverbänden entwickelt hat. Dem steht entgegen, dass für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren das Bundes-Immissionsschutzgesetz und die Verordnung über das Genehmigungsverfahren (Neunte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - 9. BImSchV - i. d. F. der Bekanntmachung vom 29. Mai 1992 <BGBl. I S. 1001>, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes zur Verbesserung des Klimaschutzes bei Immissionsschutz, zur Beschleunigung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren und zur Umsetzung von EU-Recht vom 3. Juli 2024 <BGBl. I Nr. 225>), spezielle Regelungen für die Beteiligung bei nachträglichen Änderungen und nachträglich vorgenommenen Untersuchungen und eingegangenen Stellungnahmen in § 10 Abs. 3 Satz 7 BImSchG (§ 10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG a. F.) enthält. Danach sind weitere Informationen, die für den Erlass eines Abhilfe- oder Widerspruchsbescheides, der eine Entscheidung über die Zulässigkeit eines nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungspflichtigen Vorhabens enthält, von Bedeutung sein können und die der zuständigen Behörde erst nach Beginn der Auslegung vorliegen, der Öffentlichkeit nach den Bestimmungen über den Zugang zu Umweltinformationen zugänglich zu machen. In ähnlicher Weise bestimmt § 10 Abs. 1 Satz 7 9. BImSchV, dass zusätzliche behördliche Stellungnahmen oder von ihr angeforderte Unterlagen, die Angaben über die Auswirkungen der Anlage auf die Nachbarschaft und die Allgemeinheit oder Empfehlungen zur Begrenzung dieser Auswirkungen enthalten, der Öffentlichkeit nach den Bestimmungen des Bundes und der Länder über den Zugang zu Umweltinformationen zugänglich zu machen sind. Eine planwidrige Regelungslücke, zu deren Schließung es - wie vom Oberverwaltungsgericht angenommen - der Übertragung einer zur Planfeststellung ergangenen Rechtsprechung bedürfen könnte, besteht hiernach nicht. Daraus resultierende Defizite in der Beteiligung und im Rechtsschutz von Umweltvereinigungen sind nicht ersichtlich. Die Naturschutzverbände sind keine allgemeinen Begleiter des behördlichen Verfahrens (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. November 2012 - 9 A 17.11 - juris Rn. 18). Der Zugang der Verbände zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht wird durch die geltenden Regelungen nicht erschwert, die mithin auch den Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 AK gerecht werden.
19 cc) Das vom Oberverwaltungsgericht gerügte Fehlen inhaltlicher Angaben zu den Auswirkungen eines - wie hier - UVP-pflichtigen Vorhabens, das geeignet ist, ein Natura 2000-Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, auf die Erhaltungsziele des Gebiets im UVP-Bericht (§ 4e Abs. 1 Satz 2 9. BImSchV), ist eine Frage des materiellen Rechts. Verfahrensfehler im Sinne des § 4 UmwRG sind nur Verstöße gegen Rechtsvorschriften, die die äußere Ordnung des Verfahrens, das heißt den Verfahrensablauf als solchen betreffen. Hierzu gehören etwa Regelungen über den Beginn des Verfahrens, die Beteiligung anderer Behörden und der Öffentlichkeit sowie sonstige Verfahrensschritte. Hiervon zu unterscheiden sind die Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung von Verfahrensschritten nach materiell-rechtlichen Maßstäben (BVerwG, Urteil vom 28. November 2017 - 7 A 17.12 - BVerwGE 161, 17 Rn. 29 und 32). Hierzu gehört auch die hier aufgeworfene Frage, welche Angaben im Einzelnen zum notwendigen Inhalt eines UVP-Berichts gehören (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 2. März 2023 - 4 B 16.22 - juris Rn. 21).
20 b) Die angefochtene Genehmigung verstößt jedoch - wie vom Oberverwaltungsgericht im Einklang mit Bundesrecht angenommen - gegen materielles Recht.
21 aa) Entgegen der Annahme des Beklagten bedurfte es vor der Erteilung der Genehmigung mit Bezug auf das Vogelschutzgebiet V 19 über die durchgeführte Vorprüfung hinaus einer Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung (§ 34 Abs. 1 BNatSchG). Eine solche ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlich, wenn und soweit Beeinträchtigungen eines Natura 2000-Gebiets nicht offensichtlich ausgeschlossen werden können, also zumindest vernünftige Zweifel am Ausbleiben von erheblichen Beeinträchtigungen bestehen (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 - 7 C 21.09 - NVwZ 2012, 176 Rn. 40 m. w. N.).
22 Auf der Grundlage der den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) können projektbedingte Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebiets V 19 "Unteres Eichsfeld" nicht offensichtlich ausgeschlossen werden.
23 Der Fauna-Flora-Habitat-Gebietsschutz beschränkt sich flächenmäßig grundsätzlich auf festgesetzte Schutzgebiete in ihren administrativen Grenzen. Hinsichtlich von Fauna-Flora-Habitat-Gebieten definiert Art. 1 FFH-RL in diesem Sinne unter Buchstabe j ein "Gebiet" als "ein geographisch definierter Bereich mit klar abgegrenzter Fläche" und unter Buchstabe l ein "besonderes Schutzgebiet" als "ein [...] ausgewiesenes Gebiet, in dem die Maßnahmen, die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/oder Populationen der Arten, für die das Gebiet bestimmt ist, erforderlich sind, durchgeführt werden". Das schließt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus, den Gebietsschutz mit Blick auf Folgewirkungen von Beeinträchtigungen gebietsexterner Flächen über die Gebietsgrenzen hinaus auszudehnen. Hiernach wäre es im Grundsatz verfehlt, gebietsexterne Flächen, die von im Gebiet ansässigen Vorkommen geschützter Tierarten zur Nahrungssuche genutzt werden, in den Gebietsschutz einzubeziehen. Sind die dem Gebietsschutz unterfallenden Vorkommen auf die betreffenden gebietsexternen Nahrungshabitate zwingend angewiesen, um in einem günstigen Erhaltungszustand zu verbleiben, so ist das Gebiet im Regelfall des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 FFH-RL falsch abgegrenzt. Dagegen wäre es systemwidrig, Habitate losgelöst von der Gebietsabgrenzung als durch die Erhaltungsziele des Gebiets mitumfasst zu behandeln (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. April 2010 - 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 32). In diesem Sinne ergibt sich der Bezug des gewährten Schutzes auf einen geographisch definierten Bereich - im Gegensatz zum ubiquitären Artenschutz - aus der Natur der Sache.
24 In der Rechtsprechung ist andererseits auch geklärt, dass der gebietsbezogene Schutz nach § 34 BNatSchG nicht von vornherein außer Betracht bleibt, wenn sich das in Rede stehende Projekt außerhalb der administrativen Grenzen des betroffenen Schutzgebiets befindet. Mit Bezug auf den Schutz von Fauna-Flora-Habitat-Gebieten hat das Bundesverwaltungsgericht in Anknüpfung an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 26. April 2017 - C-142/16 [ECLI:EU:C:2017:301] - Rn. 29) entschieden, dass die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vom Ansatz her nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass sich das Projekt nicht in dem betroffenen FFH-Gebiet, sondern in erheblicher Entfernung hiervon befindet. Sind bestimmte Arten als geschützte Bestandteile eines solchen FFH-Gebiets betroffen, kann ein rechtlich beachtlicher Kausalzusammenhang gegeben sein, wenn für diese Arten die Erreichbarkeit des Gebiets etwa durch eine Einwirkung auf Flugrouten oder Wanderkorridore gestört wird (BVerwG, Urteil vom 27. November 2018 - 9 A 8.17 - BVerwGE 163, 380 Rn. 88; vgl. auch Urteile vom 14. April 2010 - 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 33 und vom 29. Mai 2018 - 7 C 18.17 - UPR 2019, 18 Rn. 37).
25 Gemessen an diesen Grundsätzen war eine Verträglichkeitsprüfung hier erforderlich. Mit Blick auf die im vorliegenden Einzelfall durch das Oberverwaltungsgericht festgestellten Umstände kann nicht offensichtlich ausgeschlossen werden, dass die Verwirklichung des Vorhabens das Ziel des Vogelschutzgebiets V 19, Habitate des Rotmilans zu erhalten oder wiederherzustellen, erheblich zu gefährden droht. Zwar liegen die genehmigten WEA außerhalb des Vogelschutzgebiets und der Abstand zu dessen Gebietsgrenze beträgt nach Angabe der Beigeladenen etwa 1 350 Meter. Jedoch ist zum einen festgestellt, dass aufgrund einer geringen Reproduktionsrate bereits Einzelverluste des Rotmilans dessen Erhaltungszustand im Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen können. Zum anderen werden die WEA nach den tatrichterlichen Feststellungen wiederkehrend von im Vogelschutzgebiet lebenden Rotmilanen zur Nahrungssuche in Richtung des benachbarten Fauna-Flora-Habitat-Gebiets 134 "Sieber, Oder, Rhume" überquert. Zudem wird die Bedeutung des Gebiets V 19 für die Erhaltung des Rotmilans im Bundesgebiet im Standarddatenbogen des Gebiets V 19 als "sehr hoch" eingestuft. Mithin sind die Faktoren einer Störung der Erreichbarkeit des Vogelschutzgebiets durch eine Einwirkung auf Flugrouten zwischen diesem Gebiet und einem nahe gelegenen weiteren Natura 2000-Gebiet, eine hohe Fragilität der Population des Rotmilans im Schutzgebiet und eine sehr hohe Bedeutung des Schutzgebiets festgestellt (vgl. zum Kriterium der Gebietsbedeutung auch BVerwG, Urteil vom 27. November 2018 - 9 A 8.17 - BVerwGE 163, 380 Rn. 90 m. w. N.). Jedenfalls in der Kumulation dieser Faktoren ist die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, es verblieben vernünftige Zweifel am Ausbleiben erheblicher Beeinträchtigungen, nicht zu beanstanden.
26 Insoweit bleibt auch festzuhalten, dass es für den Fall, dass sich die WEA als geeignet erweisen, das Vogelschutzgebiet V 19 erheblich zu beeinträchtigen, im UVP-Bericht aus Gründen des materiellen Rechts Angaben zu deren Auswirkungen auf die Erhaltungsziele des Schutzgebiets - namentlich hinsichtlich des Rotmilans - bedarf (§ 4e Abs. 1 Satz 2 9. BImSchV; vgl. oben Rn. 19).
27 Hinsichtlich der vom Oberverwaltungsgericht schon dem Grunde nach kritisierten Maßstabsbildung bei der vom Beklagten durchgeführten Vorprüfung weist der Senat klarstellend darauf hin, dass im Rahmen der Vorprüfung, die sich auf die Frage beschränkt, ob nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis nachteiliger Auswirkungen besteht und die keiner formalisierten Durchführung bedarf, die Heranziehung des im Artenschutzrecht entwickelten Maßstabs einer signifikanten Erhöhung des Tötungs- und Verletzungsrisikos für Exemplare betroffener Arten (vgl. § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG) zur Beurteilung der Gefahr einer Beeinträchtigung von Natura 2000-Gebieten auf der Grundlage fachlicher Einschätzung in geeigneten Einzelfällen sachgerecht sein kann.
28 bb) Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, wonach im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung sehr wahrscheinliche zukünftige Entwicklungen bei der Prüfung, ob der Erteilung einer Genehmigung ein artenschutzrechtliches Verbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG entgegensteht, zu berücksichtigen sind, steht mit Bundesrecht nicht in Einklang. Die artenschutzrechtliche Prüfung ist vielmehr auf die im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung vorhandenen naturräumlichen Gegebenheiten einschließlich der faunistischen Ausstattung beschränkt.
29 Das Oberverwaltungsgericht erkennt selbst, dass mit der von ihm vertretenen Auffassung ein Verlust an Berechenbarkeit verbunden wäre. Soweit es diesen dadurch abzumildern sucht, dass die Wahrscheinlichkeit berücksichtigungsfähiger zukünftiger Entwicklungen "sehr hoch" sein müsse, entschärft dies nicht die mit seinem Ansatz verbundene Problematik, sondern verlagert sie auf die dann erforderliche und ihrerseits mit Unsicherheiten verbundene Abgrenzung zwischen verschiedenen Wahrscheinlichkeitsgraden. Es besteht auch keine Notwendigkeit zu einer derartigen prognostischen Betrachtung. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass sich aufgrund der Anknüpfung an den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung die Feststellungswirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage erstreckt (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2023 - 7 C 4.22 - BVerwGE 181, 186 Rn. 18; vgl. Urteile vom 23. Oktober 2008 - 7 C 48.07 - BVerwGE 132, 224 Rn. 27 und vom 30. April 2009 - 7 C 14.08 - NVwZ 2009, 1441 Rn. 22, jeweils für Rechtsänderungen; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Mai 2025, § 13 BImSchG Rn. 123; zur insoweit vergleichbaren seeanlagenrechtlichen Genehmigung vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2021 - 4 C 2.19 - BVerwGE 172, 271 Rn. 33). In der Konsequenz können und müssen auch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwartende zukünftige Entwicklungen der Genehmigungserteilung nicht zugrunde gelegt werden. Zur Bewältigung erst nach der Erteilung einer Genehmigung eintretender Entwicklungen kommen zum gegebenen Zeitpunkt - auf der Grundlage der Einschätzung der Auswirkungen der in Betrieb befindlichen Anlage - nachträgliche Anordnungen oder - wenn sich anders keine rechtmäßigen Zustände herstellen lassen - ein (Teil-)Widerruf in Betracht.
30 cc) Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts frei von Rechtsfehlern ist die Nebenbestimmung Nr. 5.1.3 Satz 1 des Teilabhilfebescheides des Beklagten vom 3. Januar 2022 betreffend die ökologische Baubegleitung. Die verfügten Anforderungen an deren Umfang sind hinreichend bestimmt. In der Begründung des Bescheides (S. 51) wird im Einzelnen ausgeführt, welche Informationen zum Umfang der ökologischen Baubegleitung der Naturschutzbehörde vor Baubeginn als Grundlage für deren Zustimmung mitzuteilen sind.
31 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO.