Beschluss vom 12.10.2022 -
BVerwG 1 B 49.22ECLI:DE:BVerwG:2022:121022B1B49.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.10.2022 - 1 B 49.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:121022B1B49.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 49.22

  • VG Köln - 21.03.2019 - AZ: 26 K 11145/17.A
  • OVG Münster - 18.03.2022 - AZ: 14 A 1459/19.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Oktober 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dollinger und Böhmann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. März 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

3 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 3 m. w. N.).

4 Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht.

5 Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob bei der Feststellung einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit eines "real risks" politischer Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führt, sowohl auf die Situation am Zielort einer potentiellen Abschiebung, auf den Herkunftsort wie auch auf jene auf dem Weg zum Herkunftsort abzustellen ist,
rechtfertigt es nicht, die Revision zuzulassen, weil sie im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich ist und sich daher in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen würde. Denn das Berufungsgericht hat eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung der unverfolgt ausgereisten Klägerin für den Fall ihrer hypothetischen Rückkehr nach Syrien unabhängig davon verneint, ob auf den Zielort einer potentiellen Abschiebung, auf ihren Herkunftsort oder auf den Weg zum Herkunftsort abzustellen ist. Dies hat das Berufungsgericht auch in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise getan, indem es aus der in tatrichterlicher Gesamtschau aller von der aus Syrien ausgereisten Klägerin geltend gemachten und gewürdigten Umstände - Militärdienstentziehung des Bruders, illegale Ausreise aus Syrien, Asylantrag und längerer Aufenthalt in Deutschland, untergeordnete Tätigkeit im Öffentlichen Dienst und Herkunft aus einem ehemaligen Rebellengebiet - für den Fall ihrer unterstellten Rückkehr nach Syrien generell eine flüchtlingsrelevante Verfolgung verneint hat. Auf die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob der Klägerin politische Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen würde, wenn nach dem Zielort der Abschiebung oder dem Herkunftsort oder auf dem Weg dorthin zu differenzieren wäre, könnte es danach in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich ankommen.

6 2. Die Rüge, das Berufungsurteil leide an dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) der Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO), genügt schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

7 Die Rüge einer solchen Verletzung erfordert eine substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen Beweisantrag hingewirkt worden ist und die Ablehnung der Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Februar 2013 - 8 B 58.12 - ZOV 2013, 40, vom 5. November 2018 - 1 B 77.18 - juris Rn. 3 und vom 17. Mai 2022 - 1 B 44.22 - BeckRS 2022, 12396 Rn. 17). Zudem ist substantiiert darzulegen, dass sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auf entscheidungserhebliche tatsächliche Feststellungen bezieht und die Entscheidung mithin auf diesem auch beruhen kann.

8 Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Dies gilt zunächst im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachten Risikoprofile. Nach den für den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil hat das Berufungsgericht die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung wegen der von der Beschwerde als unstreitig bezeichneten Risikoprofile nämlich verneint (vgl. UA Bl. 18). Deshalb hat vom insoweit allein maßgeblichen Standpunkt des Berufungsgerichts auch kein Anlass bestanden, den Sachverhalt im Hinblick "auf das erhöhte Risikoprofil der Klägerin" weiter aufzuklären.

9 Soweit die Beschwerde auf die Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 12. Oktober 2016 und vom 2. Januar 2017 sowie des Deutschen Orient-Instituts vom 22. Februar 2017 Bezug nimmt, die vom Berufungsgericht nicht oder nicht hinreichend ausgewertet worden seien, rügt sie eine aus ihrer Sicht fehlerhafte Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die dem materiellen Recht zuzuordnen ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272>; Beschlüsse vom 4. Mai 2020 - 1 B 17.20 - juris Rn. 4 und vom 11. Mai 2022 - 1 B 101.21 - juris Rn. 11) und deshalb - weil insoweit kein Verfahrensmangel vorliegt - mit einer Rüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht angefochten werden kann. Im Übrigen verhält sich die Beschwerde auch nicht dazu, ob oder inwieweit diese Auskünfte aus den Jahren 2016 und 2017 auch zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung - 18. März 2022 - noch aktuell gewesen sind. Dazu hätte insbesondere vor dem Hintergrund Anlass bestanden, dass das Oberverwaltungsgericht seinem Urteil neuere Erkenntnisse zur Situation in Syrien zugrunde gelegt hat (vgl. UA Bl. 13 f., 16 f.).

10 Unabhängig vom Vorstehenden legt die Beschwerde zudem nicht dar, dass auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, vor dem Berufungsgericht durch einen Beweisantrag hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Berufungsgericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen.

11 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.