Beschluss vom 13.02.2019 -
BVerwG 2 WNB 5.18ECLI:DE:BVerwG:2019:130219B2WNB5.18.0

Leitsatz:

Der Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt für die gerichtliche Beweiserhebung im Verfahren der weiteren Beschwerde nach § 18 Abs. 2 WBO nur eingeschränkt.

  • Rechtsquellen
    WBO § 18 Abs. 2, § 22a Abs. 2, § 23a Abs. 2 Satz 2
    WDO §§ 42, 106
    StPO § 250
    VwGO § 96

  • TDG Nord 1. Kammer - 16.05.2018 - AZ: TDG N 1 BLc 20/17 und N 1 RL 2/18

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.02.2019 - 2 WNB 5.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:130219B2WNB5.18.0]

Beschluss

BVerwG 2 WNB 5.18

  • TDG Nord 1. Kammer - 16.05.2018 - AZ: TDG N 1 BLc 20/17 und N 1 RL 2/18

In der Disziplinarsache hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
am 13. Februar 2019 beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Soldaten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 16. Mai 2018 wird zurückgewiesen.
  2. Der Soldat trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Nichtzulassungsbeschwerde betrifft eine Disziplinarbuße.

2 1. Dem beschuldigten Soldaten wird vorgeworfen, am 20. Juni 2017 seinen PKW auf dem Kasernenparkplatz sehr nahe an den PKW seiner Vorgesetzten geparkt zu haben, um dieser absichtlich das Einsteigen zu erschweren. Weiterhin ist ihm vorgeworfen, am 30. Juni 2017 den Befehlen seiner Vorgesetzten, einen Brief nach Überprüfung in das richtige Postfach zu legen, nicht befolgt und sich dem Befehl, sie zum S1-Offizier zu begleiten, widersetzt zu haben. Der Disziplinarvorgesetzte verhängte wegen dieses Verhaltens eine Disziplinarbuße in Höhe von 500 €. Das Truppendienstgericht wies die weitere Beschwerde gegen die Disziplinarverfügung zurück und lies die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung nicht zu.

3 2. Die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe im Sinne des § 22a Abs. 2 WBO liegen nicht vor oder werden nicht ausreichend dargelegt.

4 a) Die Beschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO. Nach der Rechtsprechung der Wehrdienstsenate des Bundesverwaltungsgerichts sind an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO dieselben Anforderungen zu stellen, wie sie von den Revisionssenaten des Bundesverwaltungsgerichts in ständiger Rechtsprechung für die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entwickelt worden sind (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 7. Januar 2016 - 2 WNB 1.15 - Rn. 2 m.w.N.). Danach erfordert die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - Buchholz 310 § 132 Nr. 18 S. 21 f. und vom 12. April 2018 - 2 WNB 1.18 - juris Rn. 5). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

5 Die Beschwerde hält es für grundsätzlich bedeutsam, ob das Truppendienstgericht die dienstliche Stellungnahme eines Zeugen gegenüber dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages als Beweismittel gemäß § 18 Abs. 2 WBO verwerten darf oder ob der Verweis auf die Beweiserhebung im gerichtlichen Disziplinarverfahren dies ausschließt. Die Rechtsfrage, ob es sich bei der Eingabe bei dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages um ein geordnetes Verfahren im Sinne von § 42 WDO i.V.m. § 18 Abs. 2 WBO handelt, sei auch entscheidungserheblich.

6 Diese Frage würde sich im vorliegenden Verfahren nicht stellen. Denn die Frage, ob ein "gesetzlich geordnetes Verfahren" vorliegt, ist zwar für die Auslegung und Anwendung von § 21 Abs. 1 Satz 2 BDO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung von Bedeutung (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 27. Februar 1980 - 1 DB 3.80 - BVerwGE 63, 339). Diese außer Kraft getretene Norm hat das Truppendienstgericht aber seiner Entscheidung mit Recht nicht zu Grunde gelegt. § 42 WDO und § 18 Abs. 2 WBO entsprechen in diesem von der Beschwerde in Bezug genommenen Wortlaut § 21 Abs. 1 Satz 2 BDO a.F. nicht. Im vorliegenden Verfahren entscheidet das Truppendienstgericht vielmehr über eine weitere Beschwerde gemäß § 42 Satz 1 Nr. 4 WDO nach den Vorschriften der Wehrbeschwerdeordnung und kann gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 WBO Beweise wie im gerichtlichen Disziplinarverfahren erheben. Dies setzt voraus, dass es im Rahmen seiner Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 18 Abs. 1 Satz 1 WBO), eine eigene Beweiserhebung in einer mündlichen Verhandlung für erforderlich hält. Bereits aus der Formulierung "kann" geht hervor, dass das Truppendienstgericht auch ohne eigene Beweiserhebung und - wie hier - ohne mündliche Verhandlung (§ 18 Abs. 2 Satz 3 WBO) entscheiden kann, wenn es aufgrund der bei den Akten befindlichen Vernehmungen und Stellungnahmen des Beschuldigten und der Zeugen zu der Überzeugung gelangt, der Sachverhalt sei hinreichend aufgeklärt. Der Gesetzgeber hat mit der Entscheidung, in den Beschwerdeverfahren gegen einfache Disziplinarmaßnahmen nicht das förmliche Gerichtsverfahren nach der Wehrdisziplinarordnung und der Strafprozessordnung, sondern das formlosere Verfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung vorzusehen, dem deutlich geringeren Stellenwert derartiger Verfahren gegenüber gerichtlichen Disziplinarverfahren Rechnung getragen (BVerwG, Beschlüsse vom 5. Mai 2010 - 2 WNB 5.10 - Rn. 8 und 5. November 2013 - 2 WNB 3.13 - juris Rn. 6). Da das Truppendienstgericht hier nach Aktenlage entschieden hat, stellt sich die Frage nicht, ob bei einer eigenen Beweiserhebung in einer mündlichen Verhandlung nach der Wehrdisziplinarordnung die Einführung von dienstlichen Erklärungen gegenüber dem Wehrbeauftragten mit den deutlich strengeren Regelungen der § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. §§ 250 f. StPO, § 106 WDO vereinbar wäre.

7 b) Die Beschwerde ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers i.S.d. § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO zuzulassen. Die Beschwerde sieht eine Verletzung des materiellen Unmittelbarkeitsgrundsatzes des § 96 VwGO darin, dass das Truppendienstgericht eine eigene Vernehmung der Zeugen Oberbootsmann ... und Kapitänleutnant ... unterlassen und sich lediglich auf deren dienstliche Erklärungen gegenüber dem Wehrbeauftragten gestützt hat. Der behauptete Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz ist allerdings nicht hinreichend im Sinne des § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO dargetan und liegt auch nicht vor.

8 Die Beschwerde befasst sich schon nicht hinreichend mit der Frage, auf Grund welcher Vorschrift und in welchem Umfang der Unmittelbarkeitsgrundsatz im Verfahren der weiteren Beschwerde gegen eine Disziplinarbuße gilt. Da § 23a Abs. 1 WBO für das Wehrbeschwerderecht ergänzend auf die Vorschriften der Wehrdisziplinarordnung verweist, ist für den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme primär auf dessen Regelung in § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. §§ 250 f. StPO abzustellen, sodass § 96 VwGO nicht unmittelbar einschlägig ist. Außerdem gilt dieser Grundsatz - worauf der Bundeswehrdisziplinaranwalt mit Recht hinweist - im Wehrbeschwerdeverfahren nicht uneingeschränkt. Denn § 18 Abs. 2 Satz 3 und 4 WBO sieht im Unterschied zu § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 250 StPO gerade nicht regelmäßig die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vor. Deswegen gilt das Prinzip der formellen Unmittelbarkeit der Beweiserhebung hier nicht. Das Truppendienstgericht ist im Verfahren der weiteren Beschwerde, anders als im förmlichen Disziplinarverfahren, gerade nicht verpflichtet, seine Entscheidung auf den unmittelbaren Eindruck der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung zu stützen. Beruht der Beweis auf der Wahrnehmung einer Person, kann dessen Vernehmung in Abweichung von § 250 StPO durch die Verwertung eines über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

9 Dies schließt allerdings die Geltung des vom Beschwerdeführer angeführten Grundsatzes der materiellen Unmittelbarkeit nicht aus. Denn § 18 Abs. 2 Satz 3 und 4 WBO verfolgt ebenso wie §§ 250 f. StPO, § 106 WDO und § 96 VwGO den Zweck, dass das Gericht seiner Entscheidung das in der jeweiligen prozessualen Situation geeignete und erforderliche Beweismittel zugrunde legt, um dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs, dem Gebot des fairen Verfahrens und insbesondere dem Recht der Beteiligten auf Beweisteilhabe gerecht zu werden. Die Sachaufklärung soll in einer Art und Weise durchgeführt werden, die zu einer vollständigen und zutreffenden Entscheidungsgrundlage führt und es zugleich jedem Verfahrensbeteiligten ermöglicht, auf die Ermittlung des Sachverhalts Einfluss zu nehmen (BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 - 2 C 28.10 - BVerwGE 140, 199 Rn. 17 f. m.w.N.).

10 Jedoch lässt sich dem Grundsatz der materiellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nach der Rechtsprechung nicht ein abstrakter Vorrang bestimmter - etwa unmittelbarer oder "sachnäherer" Beweismittel vor anderen - mittelbaren oder weniger "sachnahen" - entnehmen. Vielmehr hängt es von der jeweiligen prozessualen Situation ab, ob ein mittelbares Beweismittel wie die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls ausreicht oder ob das unmittelbare Beweismittel (erneute oder erstmalige gerichtliche Vernehmung des Zeugen) zu nutzen ist (BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 - 2 C 28.10 - BVerwGE 140, 199 Rn. 17). Daher darf ein Gericht die Feststellung entscheidungserheblicher Tatsachen auf den Inhalt beigezogener und zum Gegenstand des Verfahrens gemachter Akten stützen. Gegen den Widerspruch eines Beteiligten dürfen allerdings Aussagen in anderen Verfahren nicht als Zeugenbeweis berücksichtigt werden. Der Widerspruch eines Beteiligten gegen die Verwertung des Inhalts beigezogener Akten allein hindert aber nicht dessen Berücksichtigung im Wege des Urkundenbeweises. Denn dieser setzt die Zustimmung des Beteiligten nicht voraus. Anderes gilt, wenn ein Beteiligter die Vernehmung des Zeugen ausdrücklich beantragt oder sich sonst dem Gericht die Vernehmung aufdrängen muss. Insofern findet die Verwertung im Wege des Urkundenbeweises bei förmlich beantragter Zeugenvernehmung ihre Grenze (BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 1998 - 1 B 103.98 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 42 Rn. 4).

11 Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer zwar die Verwertung der dienstlichen Stellungnahmen von Oberbootsmann ... und Kapitänleutnant ... mit dem Argument angegriffen, dass die Stellungnahme keine förmliche Vernehmung im Sinne des Disziplinarrechts darstelle. Selbst wenn man darin einen Widerspruch gegen die Verwertung der in den Akten befindlichen dienstlichen Erklärungen der beiden Soldaten sieht, schließt dies deren Berücksichtigung im Rahmen des Urkundenbeweises nicht aus.

12 Denn der Beschwerdeführer hat nicht die Vernehmung der beiden Soldaten als Zeugen beantragt. Dies musste sich dem Truppendienstgericht auch nicht aufdrängen, weil der von den beiden Soldaten geschilderte Vorgang im Kern mit den Aussagen der anderen vernommenen Zeugen übereinstimmte. Der Soldat hat zudem nicht bestritten, die Weisung seiner Vorgesetzten bezüglich der Zustellung eines Briefes nicht befolgt zu haben. Er hat auch nicht in Abrede gestellt, dass es deswegen zu einer Auseinandersetzung mit dieser Vorgesetzten kam und dass sie ihn aufforderte, zur Klärung der Sache mit ihr zu Kapitänleutnant ... zu gehen. Diese Vorgesetzte hat ausgesagt, dass es sich bei dieser Aufforderung um einen Befehl gehandelt habe und Kapitänleutnant ... hat erklärt, dass er den lautstark geäußerten Befehl im Nebenzimmer gehört habe. Gegenteilige Äußerungen von Zeugen finden sich nicht in der Akte. Auch die bei dem Streit anwesende Zeugin Obermaat ... hat dem nicht widersprochen. Soweit der Beschwerdeführer als Beschuldigter dazu erklärt hat, er habe die Aufforderung zwar gehört, nicht aber als Befehl begriffen, ist dies angesichts der geschilderten Gesamtumstände wenig plausibel, sodass sich eine Beweisaufnahme nicht von Amts wegen aufdrängen musste.

13 c) Schließlich kann auch die Aufklärungsrüge des Beschwerdeführers keinen Erfolg haben. Die ordnungsgemäße Darlegung einer Aufklärungsrüge setzt die Angabe voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Truppendienstgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären und inwiefern die angegriffene Entscheidung auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann. Weiter muss dargelegt werden, welche konkreten Beweismittel zur Klärung der für entscheidungserheblich gehaltenen Behauptungen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und dass entsprechende Beweisanträge im gerichtlichen Verfahren gestellt wurden oder warum sich dem Gericht die weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f. m.w.N. und vom 13. Februar 2018 - 1 WNB 7.17 - NZWehrr 2018, 126 Rn. 3). Daran fehlt es.

14 Die Nichtzulassungsbeschwerde legt schon nicht hinreichend deutlich dar, worin der behauptete Aufklärungsmangel liegt, d.h. welche Zeugen zu welchen Themen hätten vernommen werden müssen und welches Ergebnis die Vernehmung voraussichtlich erbracht hätte. Sie führt zwar an, dass die Vernehmung der Zeugen Obermaat ..., Oberbootsmann ... und Kapitänleutnant ... angesichts von bestehenden Zweifeln zum sicheren Nachweis eines Befehls und der Befehlsverweigerung erforderlich gewesen wäre. Die Beschwerde legt jedoch nicht dar, dass deren Vernehmung beim Truppendienstgericht förmlich beantragt worden wäre. Dies ist auch tatsächlich nicht geschehen. Die Beschwerde erläutert auch nicht, aus welchen Gründen sich auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Truppendienstgerichts die gerichtliche Vernehmung dieser Zeugen in einem förmlichen Beweisverfahren hätte aufdrängen müssen. Hierfür ist auch nichts ersichtlich. Denn das Truppendienstgericht hat die Richtigkeit der Aussagen nicht in Zweifel gezogen und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die genannten Soldaten bei Abgabe ihrer Erklärungen sich ihrer soldatischen Pflicht, in dienstlichen Angelegenheit die Wahrheit zu sagen, bewusst gewesen seien.

15 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.