Beschluss vom 13.05.2025 -
BVerwG 1 B 35.24ECLI:DE:BVerwG:2025:130525B1B35.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.05.2025 - 1 B 35.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:130525B1B35.24.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 35.24

  • VG Stade - 16.06.2023 - AZ: 6 A 2442/18
  • OVG Lüneburg - 03.09.2024 - AZ: 13 LB 40/24

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 13. Mai 2025 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. September 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

3 1.1 Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) dadurch verletzt, dass er die Angaben der Ehefrau, die Situation im Libanon sei schwierig und ein Leben wegen der dortigen aktuell herrschenden politisch und wirtschaftlich unsicheren Lage nicht vorstellbar, nicht hinreichend für die Frage berücksichtigt habe, ob es der Ehefrau und den Kindern des Klägers in Ansehung der bereits zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erhöhten Gefahrenlage zumutbar sei, den Kläger dort zu besuchen.

4 Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG), verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundlage soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 10). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>). Anhaltspunkte hierfür sind dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen.

5 Das Oberverwaltungsgericht hat zunächst im Tatbestand auf das Ergebnis der Beweisaufnahme in der Sitzungsniederschrift vom 3. September 2024 verwiesen (UA S. 21) und damit die Aussage der Ehefrau des Klägers ausdrücklich miteinbezogen. In den Entscheidungsgründen hat das Oberverwaltungsgericht das Vorbringen der Ehefrau, sie könne sich ein Leben im Ausland schon aufgrund der Sprachbarrieren nicht vorstellen, weder in Spanien noch im Libanon, wobei bezüglich des Libanons noch die aktuell dort herrschende politisch und wirtschaftlich unsichere Lage hinzukomme (UA S. 36, 38, 47), aufgegriffen und es zusammen mit anderen, im Urteil wiedergegebenen Äußerungen der Ehefrau, nach denen sie sich für ihre Kinder ein geregeltes Leben in Deutschland wünsche (UA S. 38, 47), ihre nächste Reise zum Kläger wolle sie eventuell mit den Kindern allein versuchen, weil es aufgrund der derzeitigen Situation im Libanon schwer sei, jemanden zu finden, der sie dorthin begleite (UA S. 36), derzeit könnten sie und die Kinder noch zum Kläger ins Ausland pendeln (UA S. 38), dahingehend gewürdigt, dass nach dem Wunsch der Ehefrau die Kinder in Deutschland aufwachsen und leben sollen und die familiäre Beziehung zum Vater bis zum Ablauf der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Januar 2026 wie bisher auch über Besuche im Ausland und moderne Fernkommunikationsmittel aufrechterhalten werden kann (UA S. 38, 45 f., 47). Damit hat das Oberverwaltungsgericht das Vorbringen der Ehefrau nicht nur umfassend zur Kenntnis genommen, sondern auch in Gänze in seine Entscheidung einbezogen. Dass es die geschilderten Umstände in tatsächlicher und rechtlicher Sicht anders gewürdigt hat, als es die Beschwerde für richtig hält, verletzt den Kläger nicht in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

6 1.2 Soweit die Beschwerde geltend macht, die fehlende Auseinandersetzung mit der Gefahrenlage im Libanon stelle auch eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO dar, genügt die Begründung dieser Rüge bereits nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

7 Die Aufklärungsrüge erfordert die substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Des Weiteren muss dargetan werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Februar 2013 - 8 B 58.12 - ZOV 2013, 40 und vom 18. März 2022 - 8 B 49.21 - juris Rn. 8).

8 Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Beziehung des Klägers zu seinen Kindern Beweis erhoben durch die Vernehmung der Ehefrau als Zeugin. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass der Kläger darüber hinaus im Berufungsverfahren auf eine Beweiserhebung zur Unzumutbarkeit von Besuchsreisen hingewirkt hätte oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Berufungsgericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Im Gegenteil sind dem Vorbringen Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit von Reisen in den Libanon - insbesondere angesichts der geschilderten regelmäßig durchgeführten und weiterhin dorthin geplanten Besuchsreisen - nicht zu entnehmen.

9 2. Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

10 2.1 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 3 m. w. N.).

11 2.2 Danach rechtfertigt die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
"ob von einem dauerhaften Zusammenleben, das nach der Rechtsprechung des EuGH zu der widerlegbaren Vermutung für ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem minderjährigen Unionsbürger und seinem drittstaatsangehörigen Elternteil führt, auch dann auszugehen ist, wenn der minderjährige Unionsbürger mehr als die Hälfte des Jahres mit dem Drittstaatsangehörigen zusammenlebt, der drittstaatsangehörige Elternteil insoweit auch die rechtliche, finanzielle oder affektive Sorge für das Kind wahrnimmt und im Übrigen der tägliche Kontakt des drittstaatsangehörigen Elternteils mit dem Kind und dem anderen Elternteil per Videotelefonie und Telefon geschieht und das Sorgerecht durch den drittstaatsangehörigen Elternteil insofern bestmöglich ausgeübt wird",
nicht die Zulassung der Revision, da sie ersichtlich auf den konkreten Einzelfall zielt und eine abstrakte Rechtsfrage von fallübergreifender Bedeutung nicht dargelegt wird. Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass der Kläger von seiner Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern getrennt lebt (UA S. 37 f.) und die geschilderten Besuche und Kontakte per Telefon und FaceTime für die Annahme einer täglich geteilten elterlichen Sorge nicht genügen. Zudem hat es die Beziehung des Klägers zu seinen Kindern gewürdigt (UA S. 39 ff.) und ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass diese weder rechtlich noch wirtschaftlich von ihm abhängig sind. Ebenso wenig sei eine so große affektive Abhängigkeit zu ihm ersichtlich, dass sich die Kinder zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen sähen. Die Beschwerde greift daher lediglich die anderslautende tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts an, auf die eine Revisionszulassung aber nicht gestützt werden kann.

12 2.3 Die Revision ist auch nicht wegen der Frage zuzulassen,
"Ist es der Ehefrau und den minderjährigen Kindern wegen der bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegenden prekären Situation im Libanon, die sich durch die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Hisbollah und den israelischen Verteidigungskräften massiv verschlimmert hat, nicht zumutbar, den Kläger in seiner Heimat zu besuchen, so ist die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob der regelmäßige persönliche Kontakt des Drittstaatsangehörigen mit seinen Familienangehörigen, die Unionsbürger sind und ihm ein Aufenthaltsrecht eines anderen Mitgliedstaats vermitteln, in eben jenem Mitgliedstaat stattfinden kann, obwohl infolge einer Rückführung bzw. Ausweisung eines anderen Mitgliedstaates ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den gesamten Schengenraum besteht",
weil deren Entscheidungserheblichkeit schon nicht dargelegt ist (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

13 Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund dargelegt wird und vorliegt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. Januar 2013 - 4 BN 18.12 - juris Rn. 2 und vom 17. September 2019 - 1 B 41.19 , 1 PKH 20.19 - juris Rn. 7). Soweit die Beschwerde zur Begründung der vorgenannten Frage geltend macht, das Oberverwaltungsgericht habe dem Kläger ein Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV deshalb verwehrt, weil dessen Familienangehörige wegen eines möglichen Zusammenlebens in Spanien nicht gezwungen wären, das Unionsgebiet zu verlassen, setzt sie sich bereits nicht damit auseinander, dass das Berufungsgericht seine Auffassung, der Kläger könne sich nicht auf ein aus Art. 20 AEUV abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis berufen, "selbstständig tragend" (UA S. 36) darauf stützt, dass kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen seinen Kindern und ihm vorliege. Im Übrigen geht das Berufungsgericht gerade nicht von einer Unzumutbarkeit von Besuchsaufenthalten im Libanon aus (vgl. näher unter 1.1 und 1.2 ).

14 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.