Beschluss vom 16.01.2023 -
BVerwG 8 B 18.22ECLI:DE:BVerwG:2023:160123B8B18.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.01.2023 - 8 B 18.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:160123B8B18.22.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 18.22

  • VG Potsdam - 08.11.2021 - AZ: 1 K 2748/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Januar 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Meister
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 8. November 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1. Der Beigeladene zu 2 trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Gründe

1 Die Beteiligten streiten um die Zuordnung zweier in der Gemarkung Neuruppin belegener Flurstücke, auf denen seit 1969 eine im April/Mai 1985 geschlossene Mülldeponie betrieben wurde. Von 1989 bis 1991 wurde das Gelände zur Zwischenlagerung von Leiterplattenabfällen genutzt. Mit Bescheid vom 5. April 2017 ordnete die Beklagte die Vermögenswerte der Klägerin zu. Bei der Deponie handele es sich um Verwaltungsvermögen. Sie stelle eine Hausmüll- und keine Sondermülldeponie dar. Die Deponie habe auch keine überörtliche Funktion aufgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

2 Die Beschwerde, die sich auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO beruft, hat keinen Erfolg.

3 1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

4 a) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage,
ob der 1. Oktober 1989 - ganz gleich, wie sich die Zuordnungsrechtslage am 3. Oktober 1990 darstellen würde - als alleinig maßgeblicher Stichtag den Zuordnungsempfänger von Verwaltungsvermögen bestimmt, und dabei für die Ermittlung der Zuordnungsrechtslage lediglich schematisch auf die grundgesetzkonforme gesetzliche Zuständigkeit, statt auf die konkreten Verhältnisse im Einzelfall abzustellen ist,
bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, ohne dass es insoweit auf die dazu von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen ankäme. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass der Stichtag des 1. Oktober 1989 den Zuordnungsempfänger von Verwaltungsvermögen bestimmt. Bezogen auf diesen Zeitpunkt sind die mit dem Vermögenswert wahrgenommene öffentliche Aufgabe und die Zuständigkeit für deren Wahrnehmung nach dem Grundgesetz zu bestimmen. Auf den Stichtag des 3. Oktober 1990 kommt es dagegen für die (weitere) Zugehörigkeit des Vermögensgegenstandes zum Verwaltungsvermögen an, weil vor Wirksamwerden des Beitritts daraus ausgeschiedenes Vermögen nicht (mehr) nach Art. 21 EV zuordnungsfähig ist. Außerdem bezeichnet der 3. Oktober 1990 den Zeitpunkt des Eigentumsübergangs aufgrund der Zuordnung. Sofern der Vermögensgegenstand auch am 3. Oktober 1990 noch Verwaltungsvermögen war, steht mit dem am 1. Oktober 1989 bei Zugrundelegung der Rechtsordnung des Grundgesetzes zuständig gewesenen Verwaltungsträger dieser als Eigentümer vom Beitrittszeitpunkt an fest. Das gilt auch dann, wenn sich die Zuständigkeit für die Erfüllung der Verwaltungsaufgabe, welcher der zuzuordnende Vermögenswert seiner Widmung nach dient, nach dem 1. Oktober 1989 bis zum Wirksamwerden des Beitritts geändert hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2022 - 8 C 3.21 - LKV 2022, 314 Rn. 20 f. m. w. N.). Darüber hinaus gehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.

5 b) Die weitere Frage,
ob bei widmungsgemäßer Nutzung einer Deponie zuordnungsrechtlich eine nachträgliche Änderung ihrer Klassifizierung erforderlich ist, wenn sich herausstellt, dass die dort rechtmäßig abgelagerten Abfälle anders hätten qualifiziert werden müssen,
rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Sie würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil sie für das angegriffene Urteil nicht erheblich war. Das Verwaltungsgericht ist nicht davon ausgegangen, dass die auf der Deponie rechtmäßig abgelagerten Abfälle "anders hätten qualifiziert werden müssen". Vielmehr hat es angenommen, rechtmäßig abgelagert worden seien nur diejenigen Abfälle, die tatsächlich keinen oder allenfalls geringen Schadstoffgehalt aufwiesen. Das Verwaltungsgericht hat auch nicht angenommen, die Leiterplattenabfälle hätten sich nachträglich als schädlicher erwiesen und hätten deshalb als Sondermüll qualifiziert werden müssen. Es hat lediglich für den Fall nachträglich festgestellter, höherer Schädlichkeit darauf hingewiesen, dass eine nicht genehmigte Ablagerung von Sondermüll als illegale Ablagerung die für die Zuordnung maßgebliche Zweckbestimmung der Deponie nicht ändere.

6 Die Beschwerdebegründung zeigt auch, soweit sie dies für den Fall irrtümlicher Fehleinschätzung der Schadstoffbelastung in Zweifel zieht, keinen revisionsrechtlichen Klärungsbedarf auf. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass für die Abgrenzung von Siedlungs- und Sondermülldeponien die widmungsgleiche Zweckbestimmung der Deponie und nicht deren faktische, möglicherweise rechtswidrige und allenfalls geduldete Nutzung maßgeblich ist (BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 10 C 3.17 - Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 38 Rn. 19). Deckt eine Genehmigung nur die Ablagerung von Abfällen ohne oder mit allenfalls geringer Schadstoffbelastung, überschreitet die Ablagerung tatsächlich stärker belasteter Abfälle die widmungsgleiche Zweckbestimmung unabhängig davon, wann die höhere Schadstoffbelastung festgestellt wurde. Ob Gleiches gilt, wenn die Genehmigung für bestimmte Gegenstände ohne Einschränkung hinsichtlich der Schadstoffbelastung erteilt wurde und sich nachträglich eine signifikant höhere Belastung herausstellte, wäre im Revisionsverfahren nicht zu klären. Das Verwaltungsgericht ist von einer beschränkten Genehmigung für nicht oder wenig schadstoffbelastete Leiterplattenabfälle ausgegangen, ohne dass dagegen wirksame Rügen erhoben worden wären.

7 c) Die Frage,
ob im Fall der Nachnutzung einer Teilfläche einer noch nicht rekultivierten Abfalldeponie zum maßgeblichen Stichtag bezüglich der Teilfläche eine Mehrfachnutzung vorliegt oder die Nachnutzung insofern den vorangegangenen Nutzungszweck zuordnungsrechtlich überlagert,
bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Zuordnung eines Vermögenswertes, mit dem zum maßgeblichen Stichtag zugleich Verwaltungsaufgaben verschiedener Verwaltungsträger wahrgenommen wurden, nach dem Kriterium überwiegender Zweckbestimmung vorzunehmen ist, sofern nicht ausnahmsweise eine Realteilung möglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 10 C 3.17 - Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 38 Rn. 32 m. w. N.). Davon geht auch das angegriffene Urteil aus. Einwände gegen die Anwendung dieses Rechtssatzes auf den Einzelfall können nicht Gegenstand der Grundsatzrüge sein.

8 2. Die Revision ist nicht wegen nachträglicher Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der im Widerspruch zu einem vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 16. Februar 2022 - 8 C 3.21 - aufgestellten Rechtssatz stünde. Vielmehr ist es der darin fortgeführten, unter 1. a) wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 21 EV gefolgt.

9 3. Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen nicht vor.

10 a) Das Verwaltungsgericht hat den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht verletzt. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Vermeintliche Fehler in der Sachverhalts- oder Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen. Die Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung ist erst dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2021 - 8 B 9.21 - juris Rn. 17 m. w. N.). Eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes kommt auch in Betracht, wenn die rechtliche Würdigung auf einer Tatsache beruht, die im Widerspruch zu den Feststellungen des Gerichts im Tatbestand des Urteils steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 1999 - 8 B 193.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 4 S. 8). Solches legt die Klägerin indessen nicht dar.

11 aa) Das Verwaltungsgericht hat die rechtliche Würdigung nicht auf widersprüchliche Tatsachenfeststellungen gestützt. Seine Annahme, wegen des bereits zuvor eingestellten Deponiebetriebs sei nicht ersichtlich, dass mit dem Inkrafttreten des § 43 Abs. 3 des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen der Deutschen Demokratischen Republik - GöV - vom 4. Juli 1985 (GBl. DDR I S. 213) ein Zuständigkeitswechsel auf den Kreis erfolgt sei, steht nicht im Widerspruch zu den von der Beschwerde zitierten Passagen der Entscheidungsgründe des Urteils. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Deponie bis zur Stilllegung 1985 nach den vorhandenen Genehmigungen eine Hausmülldeponie gewesen sei, deren Betrieb nach den damals einschlägigen Bestimmungen des Rechts der DDR in den Zuständigkeitsbereich des Rates der Stadt Neuruppin gefallen sei. In diesem Zusammenhang hat es erwogen, ob die im Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik vom 4. Juli 1985 geregelte Verlagerung der Zuständigkeit auf den Rat des Kreises auch die stillgelegte Deponie erfasst habe, und hat dies verneint. Seine Aussage, der Deponiebetrieb selbst habe nicht zu den gemeindlichen Aufgaben gezählt, sowie die weitere Aussage, bis zum Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 sei der Vermögenswert ungeachtet der Schließung der Deponie nicht aus dem Verwaltungsvermögen ausgeschieden, stehen hierzu nicht in Widerspruch. Diese Aussagen stehen in einem anderen Kontext und betreffen zum einen die generelle Zuständigkeitsregelung nach dem GöV und zum anderen den Begriff des Verwaltungsvermögens des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EV.

12 bb) Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, bei den von der Genehmigung umfassten Leiterplattenabfällen habe es sich nicht um Sonderabfälle gehandelt, steht nicht im Widerspruch zu den von der Beschwerde angeführten Textstellen des angegriffenen Urteils. So bezieht sich die Feststellung im Tatbestand des Urteils, aus der Deponie träten Schadstoffe insbesondere durch Ausgasung und Sickerwasser in die Umgebung und das Grundwasser aus, nicht auf den Zustand der Deponie zu dem von der Vorinstanz der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegten Zeitpunkt, sondern auf den (späteren) Zustand der Deponie, nachdem in den Jahren 1994 und 2002 bereits Abdichtungsmaßnahmen erfolgt waren. Das Verwaltungsgericht hat auch nicht festgestellt, "dass die Leiterplattenabfälle objektiv schädlicher Abfall waren". Es hat lediglich in einer Hilfserwägung ausgeführt, sollten die Leiterplattenabfälle schädlicher gewesen sein als bei der Genehmigungsentscheidung zugrunde gelegt, habe es sich - wegen der Beschränkung der Genehmigung auf nicht oder nur wenig schadstoffbelastete Abfälle - um eine illegale Ablagerung gehandelt. Der Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe sich mit der Feststellung, der Rat des Kreises habe die Zwischenlagerung der Leiterplattenabfälle nach der 6. Durchführungsverordnung zum Landeskulturgesetz - 6. DVO - vom 1. September 1983 (GBl. DDR I S. 257) genehmigt, die Möglichkeit genommen, die Leiterplattenabfälle als eine in die Zuständigkeit der Klägerin fallende Abfallart zu qualifizieren, wendet sie sich der Sache nach gegen die materiell-rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts, ohne einen Verfahrensmangel aufzuzeigen. Die Vorinstanz hat § 5 Abs. 4 und § 7 der 6. DVO keine eigenständige Aufgabenzuweisung an die Kreise, sondern lediglich deren Zuständigkeit für die Genehmigung der Zwischenlagerung entnommen. Mit dieser Differenzierung hat es begründet, dass weiterhin der Rat der Stadt Neuruppin für den Betrieb der Deponie zuständig war.

13 cc) Die Feststellung im unstreitigen Tatbestand des verwaltungsgerichtlichen Urteils, wonach von 1989 bis 1991 "das Gelände als selektive Monodeponie zur Zwischenlagerung von Leiterplattenabfällen genutzt" worden sei, steht nicht im Widerspruch zur Hilfserwägung, die Deponie sei allenfalls hinsichtlich eines Teilbereichs wiedereröffnet worden. Der vom Verwaltungsgericht ohne weitere Präzisierung gebrauchte Begriff "das Gelände" ist offen für ein Verständnis im Sinne der Gesamtfläche der Deponie oder auch nur eines Teiles von ihr. Der von der Klägerin gerügte "vierte Widerspruch", der sich ebenfalls auf die fehlende flächenmäßige Begrenzung der Nutzung der Deponie für die Zwischenlagerung der Leiterplattenabfälle im Tatbestand des Urteils bezieht, liegt aus demselben Grund nicht vor. Unabhängig davon stellt das angegriffene Urteil für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen den abgelagerten Leiterplattenabfällen und dem bis 1985 abgelagerten Hausmüll nicht auf die jeweils in Anspruch genommene (Teil-)Fläche der Deponie, sondern auf die Menge der abgelagerten Abfälle ab.

14 b) Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Dieser soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die entscheidungserheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem Äußerungsrecht keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Hinweispflicht des Gerichts. Vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Jedoch verlangt der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung, dass das Gericht nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.> sowie Kammerbeschluss vom 15. Februar 2011 - 1 BvR 980/10 - NVwZ-RR 2011, 460 Rn. 13 m. w. N.; BVerwG, Beschluss vom 29. Dezember 2016 - 2 B 12.16 - Buchholz 230 § 127 BRRG Nr. 64 Rn. 12). Ein unzulässiges Überraschungsurteil liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. April 2001 - 4 B 31.01 - NVwZ-RR 2001, 798 <800>).

15 Die Klägerin beanstandet, das Verwaltungsgericht habe ihr zu dem Aspekt, die Zwischenlagerung von Leiterplattenabfällen habe den Charakter der darunter liegenden Deponie nicht verändert, sowie zur Möglichkeit einer Realteilung das rechtliche Gehör versagt. Damit sind die Voraussetzungen eines - sinngemäß gerügten - Überraschungsurteils nicht aufgezeigt. Das Verwaltungsgericht hat es auf der Grundlage der tatsächlichen Angaben im Schriftsatz des Amtes für Immissionsschutz vom 27. Juli 1994 sowie weiterer Unterlagen aus dem Verfahren 1 L 205/94 schon wegen des Mengenverhältnisses der Abfälle für offensichtlich gehalten, dass die Zwischenlagerung der Leiterplattenabfälle den Charakter der darunter liegenden Deponie nicht verändert habe. Diese Schriftstücke sowie weitere Unterlagen aus dem Verfahren 1 L 205/94 wurden vom Beigeladenen zu 2 als Anlagen zu seinem Schreiben vom 1. Juni 2021 zur Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens gereicht und waren damit auch der Klägerin bekannt. Angesichts der zwischen den Beteiligten ausgetauschten Schriftsätze und des sonstigen Verfahrensverlaufs musste die Klägerin damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht die Zwischenlagerung der Leiterplattenabfälle und ihre Bedeutung für die Zuordnung der Deponie einer tatsächlichen und rechtlichen Würdigung unterziehen würde. Das Verwaltungsgericht hat auch keine Tatsachenwürdigung vorgenommen, mit der die Klägerin nicht hätte zu rechnen brauchen. Es war nicht verpflichtet, seine Tatsachenwürdigung mit den Beteiligten zu erörtern, zumal diese Würdigung erst in der abschließenden Beratung vorgenommen werden kann (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 1. Februar 1994 - 1 B 211.93 - GewArch 1995, 114 Rn. 5 a. E.). Ebenso wenig konnte es die anwaltlich vertretene Klägerin überraschen, dass das Verwaltungsgericht die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erörterte Möglichkeit einer der Realteilung (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 10 C 3.17 - Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 38 Rn. 32 f. m. w. N.) erwägen und bei deren Verneinen von einer Zuordnung der Flurstücke nach der überwiegenden Zweckbestimmung ausgehen würde.

16 c) Einen Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) legt die Klägerin nicht prozessordnungsgemäß dar. Der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass sich dem Verwaltungsgericht angesichts der in den Akten enthaltenen tatsächlichen Angaben auch ohne Beweisantrag weitere Sachverhaltsermittlungen zu den Auswirkungen der Zwischenlagerung von Leiterplattenabfällen auf den Charakter der Deponie hätten aufdrängen müssen. Darüber hinaus gehenden Aufklärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.

17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Billigkeitsentscheidung berücksichtigt, dass der Beigeladene zu 1, nicht jedoch der Beigeladene zu 2 einen eigenen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Gerichtskosten werden gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VZOG nicht erhoben. Wegen des Gegenstandswerts wird auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG hingewiesen.