Beschluss vom 19.06.2024 -
BVerwG 1 WB 41.23ECLI:DE:BVerwG:2024:190624B1WB41.23.0

Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Wehrbeschwerdeverfahren zulässig

Leitsatz:

Die Bestimmungen über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 ff. ZPO sind im Wehrbeschwerdeverfahren gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO anwendbar.

  • Rechtsquellen
    WBO § 23a Abs. 2 Satz 1
    VwGO § 166 Abs. 1 Satz 1
    ZPO § 114 Abs. 1

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.06.2024 - 1 WB 41.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:190624B1WB41.23.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 41.23

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch
am 19. Juni 2024 beschlossen:

Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ..., beigeordnet.

Gründe

1 Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Verpflichtung zur Duldung einer COVID-19-Impfung.

2 Der Bewilligungsantrag hat Erfolg.

3 1. Die Bestimmungen über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 ff. ZPO sind im Wehrbeschwerdeverfahren gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO anwendbar.

4 Der Senat bejaht die bisher von ihm offengelassene Frage (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. April 1994 - 1 WB 11.94 -, vom 10. März 1998 - 1 WB 58.97 - und vom 5. Mai 2010 - 2 WNB 5.10 - BeckRS 2010, 149643), weil die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften der Eigenart des Beschwerdeverfahrens nicht widerspricht (vgl. Bachmann, in: Fürst, GKÖD I, Stand 3/2024, § 20 WBO Rn. 6; Lingens, NZWehrr 1994, 231 f.; a. A. Dau/​Scheuren, WBO, 7. Aufl. 2020, § 20 Rn. 3). Sie knüpfen verfahrensrechtlich nicht an die Rechtsnatur des Parteiprozesses an und werden auch nicht durch vorrangige Bestimmungen der Wehrdisziplinarordnung ausgeschlossen. Dass das Wehrdisziplinarrecht - ebenso wie das Strafprozessrecht - das Institut der Prozesskostenhilfe nicht kennt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. August 2017 - 2 WDB 5.17 - juris Rn. 3), ist dabei unerheblich. Die Regelungen über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe werden ferner nicht durch Normen der Wehrbeschwerdeordnung verdrängt. Die Bestimmungen in § 20 WBO zu den notwendigen Aufwendungen und Kosten im Verfahren vor dem Truppendienstgericht, die nach § 17 Abs. 2 Satz 1 WBO für das gerichtliche Antragsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht entsprechend gelten, sind insoweit nicht abschließend.

5 Für die Anwendbarkeit der Regelungen über die Prozesskostenhilfe besteht auch ein Bedürfnis, weil im Wehrbeschwerdeverfahren Fälle denkbar sind, in denen ein Soldat wegen seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung durch einen Rechtsanwalt zu tragen. In derartigen Konstellationen gebietet es der in Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (vgl. dazu näher BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 2310/06 - BVerfGE 122, 39 <48 f.>), auch einem unbemittelten Soldaten die nach den §§ 114 ff. ZPO gebotenen Möglichkeiten zu eröffnen. Sie können nicht durch die Bestellung eines Verteidigers nach § 23a Abs. 1 WBO i. V. m. § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO kompensiert werden, weil der Soldat im Falle der Zurückweisung seines Antrags auch die Kosten eines bestellten Verteidigers zu tragen hätte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2009 - 2 WDB 2.09 - juris Rn. 5).

6 2. Nach § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen vor.

7 a) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg.

8 Hierfür reicht es aus, wenn sich die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen darstellen (BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 u. a. - BVerfGE 81, 347 <357>). Maßgeblich ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags. Sie ist gegeben, wenn dieser Antrag vollständig vorliegt und der Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung hatte. Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach diesem Zeitpunkt eintreten, dürfen dabei grundsätzlich nicht mehr zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden berücksichtigt werden (BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 2017 - 2 BvR 496/17 - juris Rn. 14 m. w. N.).

9 Gemessen an diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife hinreichende Erfolgsaussichten anzunehmen; insoweit ist es unerheblich, dass das Bundesministerium der Verteidigung inzwischen mitgeteilt hat, die hier streitgegenständliche Duldungspflicht aufheben zu wollen. Vor der besagten Absichtsbekundung stellten sich komplexe Fragen der materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Anordnung der Bundesverteidigungsministerin vom 24. November 2021, die COVID-19-Schutzimpfung in das Basisimpfschema der Bundeswehr "Allgemeine Regelung (AR) Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen - Fachlicher Teil - A1-840/8-4000" aufzunehmen. Entscheidungserheblich wäre etwa zu beantworten gewesen, ob es angesichts veränderter Umstände einer erneuten Ermessensentscheidung des Dienstherrn über die Aufrechterhaltung der COVID-19-Impfung bedurft hätte. Derartige Fragestellungen hätten sich auch auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats nicht ohne Weiteres klären lassen.

10 b) Der Antragsteller ist zudem als bedürftig anzusehen. Er kann aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen.

11 3. Da die Vertretung des Antragstellers nach § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO durch einen Rechtsanwalt erforderlich ist, war zudem dessen Beiordnung nach § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 121 Abs. 2 ZPO auszusprechen.

Beschluss vom 06.09.2024 -
BVerwG 1 WB 41.23ECLI:DE:BVerwG:2024:060924B1WB41.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.09.2024 - 1 WB 41.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:060924B1WB41.23.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 41.23

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch
am 6. September 2024 beschlossen:

  1. Das Verfahren wird eingestellt.
  2. Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden zur Hälfte dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung betraf die Verpflichtung zur Duldung einer COVID-19-Impfung.

2 Mit Wirkung vom 24. November 2021 trat im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung nach Beteiligung des Gesamtvertrauenspersonenausschusses, des Hauptpersonalrates und der Hauptschwerbehindertenvertretung eine Änderung der Allgemeinen Regelung (AR) A1-840/8-4000 "Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen - Fachlicher Teil" in Kraft. Dadurch wurde die Impfung gegen den COVID-19-Erreger in die Liste der Basisimpfungen in Nr. 2001 AR A1-840/8-4000 aufgenommen. Nach Nr. 1080 AR A1-840/8-4000 erfordern die COVID-19-Impfstoffe eine oder zwei Teilimpfungen sowie Auffrischimpfungen gemäß den aktuellen nationalen Empfehlungen. Nach Nr. 2023 und 2024 AR A1-840/8-4000 ist für alle Kräfte (Einheiten und Einzelpersonen), die für Hilfs- und Unterstützungsleistungen im Inland eingesetzt werden - die sogenannten "Hilfs- und Katastrophenkräfte Inland" – die Basisimmunisierung erforderlich. Nr. 210 der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-840/8 "Impf- und weitere ausgewählte Prophylaxemaßnahmen" sieht vor, dass alle Soldaten die angewiesenen Impf- und Prophylaxemaßnahmen und Impfungen der "Hilfs- und Katastrophenkräfte Inland" zu dulden haben. Nach Nr. 406 ZDv A-840/8 sind damit alle aktiven Soldaten duldungspflichtig zu impfen, sofern in der Person des Soldaten keine individuelle medizinische Kontraindikation vorliegt.

3 Gegen die Änderungen der AR A1-840/8-4000 hat der Antragsteller am 20. April 2023 beim Bundesministerium der Verteidigung einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antrag am 29. September 2023 dem Senat mit einer Stellungnahme vorgelegt.

4 Mit Schreiben vom 20. Juni 2024 teilte das Bundesministerium der Verteidigung mit, dass der Wehrmedizinische Beirat unter dem 22. Mai 2024 für eine Herabstufung der bisherigen Duldungspflicht für alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hin zu einer bloßen Empfehlung einer Impfung gegen COVID-19 votiert habe. Daraufhin habe das Kommando des Sanitätsdienstes der Bundeswehr eine Neubewertung vorgenommen und im Anschluss an das Votum des Wehrmedizinischen Beirats vorgeschlagen, die AR A1-840/8-4000 entsprechend zu ändern. Diesem Vorschlag ist der Bundesminister der Verteidigung am 28. Mai 2024 gefolgt und habe dessen Umsetzung eingeleitet. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium der Verteidigung dem Antragsteller zugesichert, ihm bis zu der beabsichtigten Änderung der AR A1-840/8-4000 nicht mehr durch Befehl einer Duldung der Impfung gegen COVID-19 auszusetzen, um eine Basisimmunisierung herzustellen.

5 Unter dem 14. August 2024 hat der Antragsteller Erledigung erklärt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat sich bereits mit Schreiben vom 20. Juni 2024 einer etwaigen Erledigungserklärung des Antragstellers angeschlossen.

6 Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II

7 Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 3 WBO nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Für die Kostenentscheidung sind die im Prozessrecht allgemein geltenden Grundsätze maßgebend. Danach ist bei übereinstimmender Erledigungserklärung über die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden (§ 20 Abs. 3 WBO, § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO; stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 20. März 2024 - 1 WB 48.23 - juris Rn. 11 m. w. N.).

8 Billigem Ermessen entspricht es hier, die notwendigen Aufwendungen des Antragstellers zur Hälfte dem Bund aufzuerlegen, weil die Erfolgsaussichten nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses als offen einzuschätzen sind (vgl. zur hälftigen Kostenteilung bei offenen Erfolgsaussichten zuletzt BVerwG, Beschluss vom 7. Januar 2020 - 1 WB 69.19 und 1 WDS-VR 14.19 - juris Rn. 11 m. w. N.). Der weitergehende Antrag des Antragstellers hinsichtlich der Kosten bleibt daher ohne Erfolg.

9 In dem hiesigen Fall sind bis zur Erledigung komplexe Fragen der materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Anordnung der Bundesverteidigungsministerin vom 24. November 2021, die COVID-19-Schutzimpfung in das Basisimpfschema der Bundeswehr "Allgemeine Regelung (AR) Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen - Fachlicher Teil - A1-840/8-4000" aufzunehmen, entscheidungserheblich gewesen, etwa zur Erforderlichkeit einer erneuten Ermessensentscheidung des Dienstherrn über die Aufrechterhaltung der COVID-19-Impfung angesichts veränderter Umstände. Derartige Fragestellungen lassen sich auch auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats nicht ohne Weiteres beantworten. Die vom Bundesministerium der Verteidigung durchgeführte und der Zusicherungserklärung zu Gunsten des Antragstellers vorausgehende Evaluierung mit dem Ergebnis, die Duldungspflicht aufzuheben, ändert daran nichts, weil sie lediglich eine medizinisch-fachliche Bewertung der durch das SARS-CoV-2-Virus bewirkten Gefahrensituation enthält, mit der keine Aussage über die Rechtswidrigkeit der Duldungspflicht verbunden ist. Erscheinen nach alledem die zu beurteilenden Fragen nicht als beantwortet, ist ein erledigtes Verfahren auch nicht der Ort, diese Klärung abschließend herbeizuführen.

10 Eine andere Kostenverteilung ist nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil das Bundesministerium der Verteidigung mit Blick auf die beabsichtigte Herausnahme der COVID-19-Schutzimpfung aus dem Basisimpfschema der Bundeswehr und der hieraus folgenden Aufhebung der Duldungspflicht dem Antragsteller zugesichert hat, ihm bis zu der beabsichtigten Änderung der AR A1-840/8-4000 nicht mehr durch Befehl einer Duldung der Impfung gegen COVID-19 auszusetzen, um eine Basisimmunisierung herzustellen. Damit hat sich das Bundesministerium der Verteidigung nicht freiwillig unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsauffassung in die Rolle des Unterlegenen begeben und den Antragsteller ohne Änderung der Sach- und Rechtslage klaglos gestellt. Es hat vielmehr auf eine zwischenzeitlich eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage reagiert, die sich mit Blick auf die medizinisch-fachliche Empfehlung des Wehrmedizinischen Beirats vom 22. Mai 2024, die bisherige Duldungspflicht für alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zu einer bloßen Empfehlung einer Impfung gegen COVID-19 herabzustufen, und die daran anknüpfende Neubewertung der Situation durch das Kommando des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ergeben hat. Die Zusicherung hat das Bundesministerium der Verteidigung lediglich deshalb ausgesprochen, um den Antragsteller von einer Belastung mit der Duldungspflicht für den Zeitraum bis zu der beabsichtigten Änderung der AR A1-840/8-4000 freizustellen. Angesichts dieser Besonderheiten entspräche es nicht der Billigkeit, das Bundesministerium der Verteidigung bei der Kostenentscheidung als den Verlierer des Rechtsstreits zu behandeln, nur weil es in der geschilderten Weise nachgegeben hat.